Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1B_75/2022
Urteil vom 3. Mai 2022
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichterin Jametti,
Bundesrichter Merz,
Gerichtsschreiberin Kern.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Dina Raewel,
gegen
Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, Präsident,
Postfach 2401, 8021 Zürich.
Gegenstand
Strafverfahren; Sicherheitsleistung, unentgeltliche Rechtspflege,
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, Präsident, vom 6. Januar 2022 (UE210216-O/Z2).
Sachverhalt:
A.
A.________ konstituierte sich am 21. September 2018 als Straf- und Zivilkläger im Strafverfahren gegen B.________ und C.________ wegen schwerer Körperverletzung und Gefährdung des Lebens. Das Strafverfahren wurde mit Verfügung vom 10. April 2019 von der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich eingestellt. Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wurde von der III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich gutgeheissen. Nach Vornahme weiterer Ermittlungshandlungen stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren erneut ein.
B.
A.________ erhob am 26. Juli 2021 bei der III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich Beschwerde gegen diese Verfügung und beantragte, die Einstellungsverfügung aufzuheben und Anklage gegen B.________ und C.________ vor dem zuständigen Gericht zu erheben. Eventualiter sei die Staatsanwaltschaft anzuweisen, das Strafverfahren fortzuführen und ein biomechanisches Gutachten in Auftrag zu geben. In prozessualer Hinsicht ersuchte A.________ um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
Mit Verfügung vom 6. Januar 2022 wies das Obergericht das Gesuch von A.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ab und forderte diesen auf, innert 30 Tagen eine Prozesskaution von Fr. 3'000.-- zu leisten, unter der Androhung, sonst werde auf das Rechtsmittel nicht eingetreten.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 11. Februar 2022 beantragt A.________ vor Bundesgericht, die Verfügung der III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. Januar 2022 aufzuheben und sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das der Beschwerde vom 26. Juli 2021 zugrunde liegende Verfahren gutzuheissen.
Die Vorinstanz hat auf Vernehmlassung verzichtet. Mit Verfügung vom 1. März 2022 erkannte der zuständige Instruktionsrichter der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen offen (Art. 78 Abs. 1 i.V.m. Art. 80 BGG).
Es handelt sich um einen das Strafverfahren nicht abschliessenden Zwischenentscheid, der geeignet ist, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu bewirken (vgl. BGE 140 IV 202 E. 2.2; Urteil 1B_638/2021 vom 10. März 2022 E. 1.1; je mit Hinweis).
Der Beschwerdeführer ist ungeachtet der Legitimationsvoraussetzungen von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde berechtigt, da er mit seiner Kritik an der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege eine Verletzung von Verfahrensrechten geltend macht, die einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt (BGE 146 IV 76 E. 2; 141 IV 1 E. 1.1; Urteil 6B_255/2022 vom 22. März 2022 E. 1.2; je mit Hinweisen).
Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV, Art. 118 Abs. 3 StPO und sinngemäss Art. 136 Abs. 1 lit. b StPO.
2.1. Die Vorinstanz hat festgehalten, der Beschwerdeführer verkenne, dass Voraussetzung der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht die Erfolgsaussichten der Strafklage, sondern diejenigen der Zivilklage seien. Der Beschwerdeführer habe weder erklärt, welche konkreten privatrechtlichen Ansprüche er adhäsionsweise geltend mache, noch enthalte sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege Ausführungen zu einer Zivilklage. Die Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege seien deshalb nicht erfüllt.
2.2. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, da sich seine Beschwerde gegen die Einstellung des Strafverfahrens richte, habe er entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht die Prozesschancen seiner Zivilansprüche, sondern der angestrebten Wiederaufnahme des Strafverfahrens bzw. Anklageerhebung darlegen müssen. Sinngemäss macht der Beschwerdeführer weiter geltend, es könne ihm nicht vorgeworfen werden, dass er seine bereits angekündigten Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche während des Vorverfahrens noch nicht weiter begründet und konkret beziffert habe. Denn gemäss Art. 118 Abs. 3 StPO hätte er noch bis zum Abschluss des Vorverfahrens zuwarten dürfen, um sich als Privatkläger zu konstituieren. Nach Auffassung des Beschwerdeführers hätte ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung aus diesen Gründen nicht verweigert werden dürfen.
2.3. Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Art. 29 Abs. 3 BV bezweckt, allen Betroffenen ohne Rücksicht auf ihre finanzielle Situation tatsächlichen Zugang zum Gerichtsverfahren zu vermitteln und die effektive Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen (BGE 131 I 350 E. 3.1 mit Hinweisen; Urteil 1B_140/2019 vom 13. Juni 2019 E. 2.2).
Art. 136 StPO konkretisiert die Voraussetzungen, unter denen der Privatklägerschaft unentgeltliche Rechtspflege im Strafprozess gewährt wird (Urteil 1B_317/2021 vom 9. Dezember 2021 E. 4.1 mit Hinweisen). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die spätestens bis zum Abschluss des Vorverfahrens ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin oder -kläger zu beteiligen (vgl. Art. 118 Abs. 1 und 3 StPO ). Nach Art. 136 Abs. 1 StPO ist der Privatklägerschaft die unentgeltliche Rechtspflege für die Durchsetzung ihrer Zivilansprüche ganz oder teilweise zu gewähren, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (lit. a) und die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (lit. b). Die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands setzt überdies voraus, dass die Rechtsvertretung zur Wahrung der betreffenden Ansprüche notwendig ist (Art. 136 Abs. 2 lit. c StPO).
Der Gesetzgeber hat die unentgeltliche Rechtspflege zugunsten der Privatklägerschaft damit prinzipiell auf Fälle beschränkt, in denen sie Zivilansprüche geltend macht. Wenn sich die Privatklägerschaft ausschliesslich im Strafpunkt beteiligt, ist die unentgeltliche Rechtspflege nach dem Willen des Gesetzgebers im Grundsatz ausgeschlossen, da der staatliche Strafanspruch prinzipiell durch den Staat wahrgenommen wird. Diese Beschränkung ist mit Art. 29 Abs. 3 BV vereinbar (Urteile 1B_518/2021 vom 23. November 2021 E. 3.1; 1B_605/2020 vom 16. März 2021 E. 2.1; je mit Hinweis).
Beziffert und begründet werden muss die Zivilforderung zwar erst (und spätestens) im Parteivortrag (Art. 123 Abs. 2 StPO). Die um unentgeltliche Rechtspflege ersuchende Privatklägerschaft muss indessen in jedem Verfahrensstadium darlegen, dass die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (Urteile 1B_80/2019 vom 26. Juni 2019 E. 3.2; 1B_446/2018 vom 14. November 2018 E. 5.3.1; je mit Hinweis).
In vereinzelten Fällen, in denen die Privatklägerschaft es versäumt hat, in ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege darzulegen, dass sie nicht aussichtslose Zivilforderungen erhoben hat oder noch erheben wird, hat das Bundesgericht geprüft, ob solche Forderungen immerhin ohne Weiteres ersichtlich wären, bzw. aufgrund der Akten offensichtlich erschienen ( vgl. Urteile 1B_518/2021 vom 23. November 2021 E. 3.2; 1B_80/2019 vom 26. Juni 2019 E. 3.3) oder sich implizit aus der Natur der vorgeworfenen Straftaten ergäben (vgl. Urteile 1B_94/2015 vom 26. Juni 2015 E. 2.2; 1B_254/2013 vom 27. September 2013 E. 2.3). Obschon
in casu jeweils verneint, kann die unentgeltliche Rechtspflege demnach unter entsprechenden Voraussetzungen trotz unzureichender Begründung gewährt werden. Die unentgeltliche Rechtspflege ist der Privatklägerschaft jedenfalls dann zu gewähren, wenn die Erfolgsaussichten einer Zivilklage im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung geradezu offensichtlich erscheinen, da sie etwa ohne Weiteres aus den Akten hervorgehen oder sich aufgrund der Natur der untersuchten Straftat aufdrängen (vgl. Urteile 1B_518/2021 vom 23. November 2021 E. 3.2; 1B_80/2019 vom 26. Juni 2019 E. 3.3; 1B_94/2015 vom 26. Juni 2015 E. 2.2; 1B_254/2013 vom 27. September 2013 E. 2.3).
Als aussichtslos im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV bzw. Art. 136 Abs. 1 lit. b StPO sind Begehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie - zumindest vorläufig - nichts kostet. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind (BGE 142 III 138 E. 5.1 mit Hinweisen; Urteil 6B_1287/2020 vom 23. Februar 2021 E. 5.5).
Die Voraussetzung der genügenden Prozesschancen ist bei der Adhäsionsklage in der Regel erfüllt (Urteil 1B_446/2018 vom 14. November 2018 E. 5.3.2; vgl. MAZZUCCHELLI/POSTIZZI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 15 zu Art. 136 StPO). Diese dürfen nicht verneint werden, wenn sich schwierige Fragen stellen, deren Beantwortung als unsicher erscheint. Die unentgeltliche Rechtspflege darf indessen verweigert werden, wenn die rechtliche Argumentation des Gesuchstellers unhaltbar ist oder die Verurteilung des Beschuldigten offensichtlich ausscheidet, so dass ohne Weiteres die Nichtanhandnahme oder Einstellung zu verfügen ist (Urteil 1B_575/2019 vom 18. November 2020 E. 2.2.1 mit Hinweis). Grundsätzlich ist die unentgeltliche Rechtspflege im Zweifelsfalle zu gewähren und allenfalls auf das Verfahren vor der ersten Instanz zu beschränken (Urteil 1B_254/2013 vom 27. September 2013 E. 2.1.1).
2.4. Wie die Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung zutreffend festgehalten hat, finden sich im Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege keine Ausführungen zu seinen privatrechtlichen Ansprüchen gegen die beschuldigten Personen. Er hat darin jedoch erklärt, dass er durch die angeblich begangene Straftat ein schweres Schädelhirntrauma erlitten habe und aufgrund der dadurch verursachten irreversiblen Schädigung erwerbsunfähig bleiben werde (vgl. Vorakten act. 2 S. 4 f.). Falls die beschuldigten Personen aufgrund dieser Vorwürfe wegen schwerer Körperverletzung gemäss Art. 122 StGB verurteilt würden, erscheint es offensichtlich, dass eine Adhäsionsklage des Beschwerdeführers auf Schadenersatz und Genugtuung nicht aussichtslos wäre. Die genügenden Prozesschancen der Zivilklage gemäss Art. 136 Abs. 1 lit. b StPO ergäben sich somit im Falle einer Verurteilung ohne Weiteres aus den Akten sowie aus der Natur der untersuchten Straftat. Nach der oben dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichts durfte die Vorinstanz deshalb die Prozesschancen aufgrund dieser besonderen Umstände nicht allein aufgrund mangelnder Ausführungen zur Zivilklage verneinen.
Es bleibt damit jedoch offen, ob die Beschwerde vom 26. Juli 2021 gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft genügende Prozesschancen hat. Die Vorinstanz äussert sich in der angefochtenen Verfügung mit keinem Wort zu den Prozessaussichten im Strafpunkt. Insbesondere setzt sie sich nicht mit den Ausführungen des Beschwerdeführers auseinander, wonach die Staatsanwaltschaft aufgrund der Beweislage sowie des Grundsatzes in dubio pro duriore verpflichtet sei, Anklage gegen die beschuldigten Personen zu erheben. Da die Beantwortung der Frage, ob die Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung über intakte Erfolgsaussichten verfügt, aufgrund der vorinstanzlichen Erwägungen im angefochtenen Entscheid nicht offensichtlich erscheint, ist es dem Bundesgericht verwehrt, hierüber direkt einen reformatorischen Entscheid zu fällen; vielmehr rechtfertigt es sich, das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen (vgl. Art. 107 Abs. 2 BGG).
3.
Die Beschwerde erweist sich folglich als begründet und ist gutzuheissen. Die angefochtene Verfügung verletzt Bundesrecht und ist aufzuheben. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese im Sinne der Erwägungen neu darüber befindet.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben ( Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG ). Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). Das mit der Beschwerde gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung vom 6. Januar 2022 der III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich aufgehoben. Die Sache wird zu neuem Entscheid an das Obergericht zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor Bundesgericht eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, Präsident, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 3. Mai 2022
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kneubühler
Die Gerichtsschreiberin: Kern