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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_49/2023  
 
 
Urteil vom 3. Mai 2023  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jametti, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Hohl, Kiss, 
Gerichtsschreiber Stähle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Sebastian Lorentz, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________ AG, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Krankentaggeldversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich, I. Kammer, 
vom 30. November 2022 (KK.2021.00025). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (Beschwerdeführer), geboren 1960, war als selbstständiger Zahnarzt tätig und bis zur Geschäftsaufgabe Anfang Oktober 2019 Inhaber des Einzelunternehmens C.________ in U.________. Als solcher war er bei der B.________ AG (Beschwerdegegnerin) gemäss VVG (SR 221.229.1) nach dem Prinzip der Summenversicherung mit einem Erwerbseinkommen von jährlich Fr. 73'000.-- krankentaggeldversichert. 
Mit Krankmeldung vom 15. Oktober 2018 teilte A.________ der B.________ AG eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ab dem 15. August 2018 mit. Die B.________ AG richtete (nach Ablauf der Wartefrist) ab dem 30. Oktober 2018 Taggelder aus. 
Mit Schreiben vom 3. Juli 2019 eröffnete die B.________ AG A.________, dass - unter Berücksichtigung einer knapp viermonatigen Übergangsfrist zum Berufswechsel - ab dem 1. November 2019 kein Anspruch auf Taggelder mehr bestehe. 
 
B.  
Am 24. Juni 2021 klagte A.________ beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit dem Begehren, die B.________ AG sei "für ausstehende Krankentaggelder im Zeitraum vom 1. November 2019 bis zum 29. August 2020 zur Zahlung von Fr. 46'056.-- zuzüglich Zins" zu verurteilen. 
Mit Urteil vom 30. November 2022 wies das Sozialversicherungsgericht die Klage ab. 
 
C.  
A.________ verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Sozialversicherungsgerichts sei aufzuheben. In der Sache wiederholt er das vor Vorinstanz gestellte Begehren. Eventualiter sei die Sache an das Sozialversicherungsgericht zurückzuweisen. 
Die Vorinstanz verzichtete auf Vernehmlassung. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Der Beschwerdeführer replizierte. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das angefochtene Urteil des Sozialversicherungsgerichts hat eine Streitigkeit aus einer Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung gemäss Art. 7 ZPO zum Gegenstand. Es ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) einer einzigen kantonalen Instanz im Sinne von Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Zivilsachen offen, gemäss Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG unabhängig vom Streitwert (BGE 138 III 799 E. 1.1, 2 E. 1.2.2; siehe auch BGE 139 III 67 E. 1.2).  
 
1.2. Die Beschwerde ist innert der Beschwerdefrist vollständig begründet einzureichen (vgl. Art. 42 Abs. 1 BGG). Kommt es zu einem zweiten Schriftenwechsel, darf die beschwerdeführende Partei die Replik nicht dazu verwenden, ihre Beschwerde zu ergänzen oder zu verbessern. Mit Rügen, welche die beschwerdeführende Partei bereits in der Beschwerde hätte erheben können, ist sie nach Ablauf der Beschwerdefrist ausgeschlossen (BGE 144 III 411 E. 6.4.2 [dort S. 423]; 143 II 283 E. 1.2.3; 135 I 19 E. 2.2; 134 IV 156 E. 1.7).  
Der Beschwerdeführer weist in seiner Replik "ergänzend" auf angebliche "formelle Fehler" des Sozialversicherungsgerichts hin. Er moniert, die Vorinstanz habe entgegen Art. 154 ZPO keine Beweisverfügung getroffen und in Missachtung von Art. 233 ZPO keine Hauptverhandlung durchgeführt. Diese Rügen trug der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift nicht vor, wie er auch selbst einräumt. Darauf ist nicht einzutreten. 
 
2.  
Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. Die Beschwerde ist hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten. In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Unerlässlich ist, dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 140 III 86 E. 2, 115 E. 2). 
 
3.  
 
3.1. Streitig ist der Taggeldanspruch des Beschwerdeführers für die Zeit vom 1. November 2019 (Ende der Übergangsfrist zum Berufswechsel) bis 29. August 2020.  
 
3.2. Die Vorinstanz verwies auf Ziffer 12.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die X.________ Kollektiv-Taggeldversicherung nach VVG, Ausgabe 2014 (im Folgenden: AVB), wonach das Taggeld bei nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit von mindestens 25 % anteilsmässig entsprechend dem Grad der Arbeitsunfähigkeit ausgerichtet werde, bei länger dauernder Arbeitsunfähigkeit entsprechend dem Grad der Erwerbseinbusse. Sie zog weiter Ziffer 12.2 AVB heran, derzufolge bei Selbstständigerwerbenden und Betriebsinhabern eine nachgewiesene Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50 % massgebend sei. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit werde seinerseits - so die Vorinstanz - in Ziffer 3.4 AVB umschrieben, und dort werde namentlich statuiert, dass bei langer Dauer auch "die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt" werde. Ferner trug das Sozialversicherungsgericht der Ziffer 21 AVB Rechnung, die postuliere, dass die Berechnung der Taggeldhöhe "mittels Umrechnung des versicherten Lohnes auf ein volles Jahr und Teilung der versicherten Jahreslohnsumme durch die Zahl 365" erfolge.  
Die Vorinstanz betonte sodann, dass es sich bei der zwischen den Parteien abgeschlossenen Krankentaggeldversicherung um eine Summenversicherung handle und der Beschwerdeführer als Inhaber seines Einzelunternehmens mit einem jährlichen Erwerbseinkommen von Fr. 73'000.-- versichert worden sei. Unstreitig sei überdies, dass der Beschwerdeführer in der angestammten Tätigkeit als Zahnarzt anhaltend zu mindestens 50 % arbeitsunfähig sei. Fest stehe, dass er in einer leidensangepassten Tätigkeit vollumfänglich arbeitsfähig sei und es ihm in gesundheitlicher, persönlicher und beruflicher Hinsicht zumutbar gewesen wäre, nach Ablauf der knapp viermonatigen Übergangsfrist per 1. November 2019 eine solche leidensangepasste Tätigkeit mit einem vollen Pensum aufzunehmen. Da den Beschwerdeführer gestützt auf Gesetz und die AVB eine Schadenminderungsobliegenheit treffe, sei er zur Verwertung der vollen Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit und nach korrekt mitgeteilter Übergangsfrist zum Berufswechsel per 1. November 2019 gehalten gewesen. Dies ergebe sich ebenso aus Ziffer 13.8 AVB, wonach eine versicherte Person, "die in ihrem angestammten Beruf voraussichtlich dauernd voll oder teilweise arbeitsunfähig" bleibe, verpflichtet sei, "ihre allfällig verbleibende Erwerbsfähigkeit zu verwerten, auch wenn dies einen Berufswechsel erfordert". Der Beschwerdeführer hätte - so schliesst das Sozialversicherungsgericht - in einer leidensangepassten Tätigkeit zumutbarerweise einen den vereinbarten versicherten Jahreslohn von Fr. 73'000.-- übersteigenden Betrag verdienen können. Folglich verbleibe kein prozentualer Einkommensausfall ("keine Erwerbseinbusse") nach Schadenminderung und habe die Beschwerdegegnerin die Taggeldleistungen nach Ablauf der Übergangsfrist per Ende Oktober 2019 zu Recht eingestellt. Die Klage sei abzuweisen. 
 
3.3. Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, verfängt nicht:  
 
3.3.1. Nach dem hier anwendbaren aArt. 61 Abs. 1 Satz 1 VVG (seit 1. Januar 2022: Art. 38a Abs. 1 Satz 1 VVG) ist der Anspruchsberechtigte verpflichtet, nach Eintritt des befürchteten Ereignisses tunlichst für Minderung des Schadens zu sorgen. Die Vorinstanz hielt zutreffend fest, dass die versicherte Person die Obliegenheit zur Minderung des Schadens nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht nur bei einer Schadens-, sondern auch bei einer Summenversicherung hat (BGE 142 III 671 E. 3.7.2; 128 III 34 E. 3b; Urteile 4A_495/2016 vom 5. Januar 2017 E. 2.3; 4A_529/2012 vom 31. Januar 2013 E. 2.2; 4A_304/2012 vom 14. November 2012 E. 2.2, nicht publ. in: BGE 138 III 799).  
Richtig ist weiter, dass zur Erfüllung der Schadenminderungsobliegenheit ein Berufswechsel notwendig sein kann. Erwartet der Versicherer vom Versicherten einen solchen Berufswechsel, muss er dies dem Versicherten mitteilen und ihm eine angemessene Frist setzen, um sich anzupassen und eine Stelle zu finden (BGE 133 III 527 E. 3.2.1; Urteile 4A_495/2016 vom 5. Januar 2017 E. 2.3; 4A_529/2012 vom 31. Januar 2013 E. 2.3 f.; 4A_304/2012 vom 14. November 2012 E. 2.3 f., nicht publ. in: BGE 138 III 799). Die Vorinstanz hat auch diese Grundsätze bundesrechtskonform angewandt, wenn sie darauf hinwies, dass die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 3. Juli 2019 eine Übergangsfrist zum Berufswechsel von knapp vier Monaten bis 31. Oktober 2019 angesetzt hat, und zudem schloss, für die Bemessung der Taggelder ab 1. November 2019 sei entsprechend auf die Arbeitsfähigkeit in einer zumutbaren leidensangepassten Tätigkeit abzustellen. 
 
3.3.2. Der Beschwerdeführer stört sich daran, dass die Vorinstanz den Betrag, den er nach dem Berufswechsel verdienen könnte, in Relation gesetzt hat zum versicherten Jahreseinkommen von Fr. 73'000.-- und daraus folgerte, es liege "keine Erwerbseinbusse" vor. Richtigerweise sei - so bringt der Beschwerdeführer vor - der Verdienst, den er nach dem Berufswechsel erzielen könnte, in Beziehung zu bringen "zum tatsächlich erzielten durchschnittlichen AHV-pflichtigen Erwerbseinkommen im bisherigen Beruf der letzten 20 Jahre [...], wie es im Anhang zur Verfügung der IV-Stelle vom 16. Oktober 2020 in der 'Aufstellung der Versicherungszeiten' aufgelistet" sei. Dann aber verbleibe ein deutlich höherer "Restschaden", nämlich eine Differenz von 76 %, für welche die Beschwerdegegnerin "grundsätzlich entschädigungspflichtig" bleibe.  
Die Kritik des Beschwerdeführers betrifft nicht die Anwendung der bundesrechtlichen Regeln über die Schadenminderung, sondern die vorinstanzliche Auslegung der einschlägigen Versicherungsbedingungen zur Bestimmung der Taggeldhöhe. Die Vorinstanz bezog sich in diesem Zusammenhang in nachvollziehbarer Weise auf die Ziffern 3.4, 12.1, 12.2, 13.8 sowie 21 AVB, und der Beschwerdeführer legt nicht gestützt auf die massgebenden Vertragsauslegungsregeln (siehe BGE 148 III 57 E. 2.2.1 f.) dar, inwiefern das vorinstanzliche Verständnis dieser Vertragsbestimmungen nicht mit Bundesrecht in Einklang zu bringen wäre. Stattdessen führt er ins Feld, es sei "völlig absurd, einen Zusammenhang zwischen Erwerbseinbusse und dem vertraglich versicherten Verdienst herzustellen", und überhaupt vergleiche die Vorinstanz "Äpfel mit Birnen". Seine Kritik dringt nicht durch, zumal das Bundesgericht das Vorgehen des Sozialversicherungsgerichts in einem analogen Fall geschützt hat (Urteil 4A_495/2016 vom 5. Januar 2017 E. 2.1-2.4). 
 
3.3.3. Im Übrigen hat die Vorinstanz nicht verkannt, dass bei einer Summenversicherung die Leistung grundsätzlich unabhängig davon geschuldet ist, ob der Versicherte effektiv einen Schaden erlitten hat, und dass entsprechend der Nachweis eines durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten Erwerbsausfalls nicht Voraussetzung für die Auszahlung der Taggelder ist (vgl. BGE 146 III 339 E. 5.2.3; Urteile 4A_106/2020 vom 8. Juli 2020 E. 3.5.1; 4A_81/2020 vom 2. April 2020 E. 3.2; 4A_521/2015 vom 7. Januar 2016 E. 2.5; so denn auch ausdrücklich die von der Vorinstanz zitierten Besonderen Versicherungsbedingungen: "Bei der Anmeldung im Schadenfall entfällt der Nachweis von Erwerbsausfall [...].").  
Sie hat vielmehr im Rahmen der Schadenminderungsobliegenheit und in Anwendung der einschlägigen Versicherungsbedingungen der Arbeitsfähigkeit in einer zumutbaren leidensangepassten Tätigkeit - mithin nach einem Berufswechsel - Rechnung getragen und mit Rücksicht auf Ziffer 21 AVB für die Berechnung des Taggelds auf den versicherten Jahreslohn abgestellt. Dies ist konform mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (siehe im Übrigen JEAN-MAURICE FRÉSARD, in: Commentaire romand, Loi sur le contrat d'assurance, 2022, N. 52 zu Art. 38a VVG; STEPHAN FUHRER, Anmerkungen zu privatversicherungsrechtlichen Entscheidungen des Bundesgerichts, HAVE 2013, S. 144 f.; HÄBERLI/HUSMANN, Krankentaggeld, versicherungs- und arbeitsrechtliche Aspekte, 2015, Rz. 564 S. 178). 
 
3.4. Das angefochtene Urteil hält der bundesgerichtlichen Überprüfung stand.  
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung, da sie im bundesgerichtlichen Verfahren nicht durch einen externen Anwalt vertreten ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, I. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. Mai 2023 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jametti 
 
Der Gerichtsschreiber: Stähle