Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C_142/2023
Urteil vom 3. August 2023
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
Bundesrichter Donzallaz,
Bundesrichterin Hänni,
Bundesrichter Hartmann,
Bundesrichterin Ryter,
Gerichtsschreiber Hongler.
Verfahrensbeteiligte
A.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Lea Hungerbühler,
diese substituiert durch Frau MLaw Mei Yi Lew,
gegen
Migrationsamt des Kantons Thurgau,
Langfeldstrasse 53a, 8510V.________,
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau, Staubeggstrasse 8, 8510V.________.
Gegenstand
Haftüberprüfung im Rahmen des Dublin-Verfahrens,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 25. Januar 2023 (VG.2022.80/E).
Sachverhalt:
A.
A.________ (geb. 1997) ist türkische Staatsangehörige. Sie stellte am 23. Oktober 2021 in der Schweiz ein Asylgesuch. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) trat auf dieses am 19. Januar 2022 nicht ein und wies A.________ in den zuständigen Dublin-Staat Malta weg. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht am 7. Februar 2022 ab.
B.
B.a. Am 20. Juni 2022 nahm das Migrationsamt Thurgau A.________ für eine Maximaldauer von sechs Wochen in eine Dublin-Ausschaffungshaft (Art. 76a Abs. 3 lit. c AIG [SR142.20]). Hiergegen gelangte A.________ am gleichen Tag mit einem Haftprüfungsgesuch an das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau, welches ihre Festhaltung am 24. Juni 2022 für rechtmässig und angemessen befand, gleichzeitig aber festhielt, dass A.________ mangels Hafterstehungsfähigkeit aus der Haft zu entlassen sei, sobald ihre adäquate medizinische Betreuung bzw. Begleitung in Freiheit sichergestellt erscheine. Am 28. Juni 2022 wurde A.________ aus der Haft entlassen und dabei verpflichtet, sich bis zu ihrer Rückführung nach Malta im Durchgangsheim U.________ aufzuhalten und sich wöchentlich am Schalter des Migrationsamtes zu melden.
B.b. Am 7. Juli 2022 beauftragte das Migrationsamt die Kantonspolizei Thurgau mit dem Vollzug der Wegweisung von A.________ mit einem für den 12. Juli 2022 organisierten Flug nach Malta. Auf diesem Auftrag war vermerkt, dass A.________ "am Montag, 11. Juli 2022, durch die KAPO TG abgeholt und gemäss Auskunft der KAPO TG anschliessend ärztlich untersucht [wird]. Die DEPA Rückführung findet am Dienstag, 12. Juli 2022, statt."
Am Morgen des 11. Juli 2022 führte die Kantonspolizei A.________ einem Arzt zu, und inhaftierte sie in der Folge im Kantonalgefängnis V.________ (Eintrittszeit 09.30 Uhr). Auf dem Vollzugsausweis des Kantonalgefängnisses (ebenfalls vom 11. Juli 2022) war als Haftform "Dublin-Haft Art. 76a AIG" und als einweisende Behörde das Migrationsamt Thurgau angegeben. Noch am Tag ihrer Inhaftnahme stellte A.________ beim Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau ein Gesuch um dublinrechtliche Haftprüfung, wobei sie die Aufhebung der Haftanordnung des Migrationsamts vom 11. Juli 2022 und ihre umgehende Haftentlassung beantragte.
Auf dieses Haftprüfungsgesuch trat das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau - nach telefonischen Erkundigungen beim zuständigen Migrationsamt, welches bestritt, Dublin-Haft angeordnet zu haben - mit Urteil vom 12. Juli 2022 aufgrund fehlender Zuständigkeit nicht ein.
B.c. Am 12. Juli 2022 (Austrittszeit 04.00 Uhr) wurde A.________ aus der Haft entlassen und direkt nach Malta überstellt.
B.d. Am 26. Juli 2022 korrigierte das Kantonalgefängnis den Vollzugsausweis nach einem Telefonat mit dem Migrationsamt Thurgau; auf dem neuen Vollzugsausweis wurde als Haftform "Polizeihaft" und als einweisende Behörde die Kantonspolizei Thurgau genannt. Das Kantonalgefängnis begründete den Fehler damit, dass es einfach von Dublin-Haft ausgegangen sei, weil diese das letzte Mal schon angeordnet worden sei und anschliessend eine Dublin-Rückführung stattgefunden habe.
B.e. A.________ erhob gegen den Nichteintretensentscheid des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Thurgau vom 12. Juli 2022 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau. Gegenüber dem Verwaltungsgericht bestritt das Migrationsamt Thurgau am 2. August 2022, vom 11. bis zum 12. Juli 2022 Dublin-Haft angeordnet zu haben; die Beschwerdeführerin sei "durch die Polizei zwecks Sicherstellung der Rückführung in polizeilichen Gewahrsam genommen" worden. Dieser sei von der ausländerrechtlichen Administrativhaft zu unterscheiden (das Migrationsamt Thurgau verwies diesbezüglich auf das Urteil des Bundesgerichts 1C_355/2018 vom 18. November 2018).
B.f. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die gegen den Nichteintretensentscheid vom 12. Juli 2022 erhobene Beschwerde am 25. Januar 2023 ab, soweit es darauf eintrat; gleichzeitig überwies es das Haftprüfungsgesuch nach Rechtskraft seines Urteils "als Gesuch um Überprüfung der Rechtmässigkeit des polizeilichen Gewahrsams" an das Präsidium des Verwaltungsgerichts zur Eröffnung eines Haftprüfungsverfahrens. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass sich A.________ bis zu ihrer Überstellung nicht in einer Dublin-Haft, sondern im polizeilichen Gewahrsam befunden habe.
C.
A.________ beantragt dem Bundesgericht, Ziff. 1 des Urteils des Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau vom 25. Januar 2023 (Abweisung der Beschwerde gegen das Urteil des Zwangsmassnahmengerichts, soweit darauf eingetreten wurde) aufzuheben; zudem sei die Rechtswidrigkeit der Dublin-Haft vom 11. Juli 2022 bis zum 12. Juli 2022 festzustellen. Allenfalls sei festzustellen, dass sie sich vom 11. Juli 2022 bis z um 12. Juli 2022 in Dublin-Haft gemäss Art. 76a AIG befunden habe, und es sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, mit der Anordnung, auf den Antrag auf Haftprüfung einzutreten.
Die Vorinstanz und das kantonale Migrationsamt beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau verzichtet auf eine Stellungnahme. Das SEM hat sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen:
1.
1.1. Welcher Rechtsweg vor dem Bundesgericht eröffnet ist, hängt von der Natur der Sache ab und nicht davon, welches Verfahren durchgeführt wurde oder welche Behörde zuvor entschieden hat (BGE 137 II 399 E. 1.8; Urteil 2C_849/2021 vom 17. Januar 2023 E. 1.1). War die Art des Verfahrens jedoch bereits vor der Vorinstanz streitig und hat diese ihre Zuständigkeit verneint, so bestimmt sich der Rechtsweg vor Bundesgericht nach dem kantonal geführten Verfahren (BGE 135 V 124; Urteile 2C_849/2021 vom 17. Januar 2023 E. 1.1; 2C_261/2017 vom 2. November 2017 E. 1.1).
Im vorliegenden Fall rügt die Beschwerdeführerin die ihrer Ansicht nach fehlerhafte Qualifikation der von ihr als rechtswidrig beurteilten Inhaftierung (und des damit verbundenen Rechtsmittelwegs) durch die Vorinstanz, welche das Vorliegen einer Dublin-Haft und somit ihre Zuständigkeit verneinte, und stattdessen auf den Rechtsweg betreffend polizeilichen Gewahrsam nach kantonalem Recht verwies. Der Rechtsweg vor Bundesgericht bestimmt sich damit vorliegend nach dem kantonalen Verfahren.
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid betreffend Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht gegeben (Art. 82 i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG; BGE 147 II 49 E. 1 mit Hinweisen; Urteil 2C_610/2021 vom 11. März 2022 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 148 II 169). Es handelt sich bei der Dublin-Haft praxisgemäss auch nicht um einen Entscheid "auf dem Gebiet des Asyls" im Sinne von Art. 83 lit. d BGG (BGE 142 I 135 E. 1.1.3; Urteil 2C_610/2021 vom 11. März 2022 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 148 II 169). Die Beschwerde steht somit auch gegen den hier angefochtenen Nichteintretensentscheid offen (BGE 137 I 371 E. 1.1; Urteil 2C_336/2022 vom 29. November 2022 E. 1). Die Beschwerdeführerin hat - auch wenn sie sich nicht mehr in Haft befindet - ein aktuelles Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung (vgl. BGE 147 II 49 E. 1.2.1 mit Hinweisen).
Die Beschwerde der hierzu legitimierten Beschwerdeführerin (Art. 89 Abs. 1 BGG) wurde frist- und formgerecht eingereicht (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG ).
Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.
1.2. Die Vorinstanz beurteilte im angefochtenen Urteil nur, ob das Zwangsmassnahmengericht seinerseits zu Recht nicht auf das Haftprüfungsgesuch betreffend eine Dublin-Haft nach Art. 76a AIG eingetreten war. Streitgegenstand ist somit einzig, ob das Verwaltungsgericht die bei ihm erhobene Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid der Vorinstanz zu Recht abgewiesen hat. Trifft dies zu, so hat es bei diesem Nichteintretensentscheid sein Bewenden. Erweist er sich hingegen als bundesrechtswidrig, so ist die Sache an die Vorinstanz zur weiteren Beurteilung des Falles zurückzuweisen (BGE 144 II 184 E. 1.1; 139 II 233 E. 3.2; 135 II 38 E. 1.2; Urteil 2C_37/2023 vom 16. Februar 2023 E. 4.2).
Die Vorinstanz ist ihrerseits insofern auf die bei ihr erhobene Beschwerde nicht eingetreten, als die Beschwerdeführerin die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Dublin-Haft (mithin die materielle Beurteilung derselben) verlangt hatte (vgl. Urteil der Vorinstanz E. 1.3). Soweit die Beschwerdeführerin auch im vorliegenden Verfahren beantragt, die Widerrechtlichkeit der Dublin-Haft - resp. des Haft-Regimes - festzustellen, geht ihre Beschwerde deshalb über den Verfahrensgegenstand hinaus und ist darauf nicht weiter einzugehen, zumal sich die Vorinstanz auch nicht im Rahmen einer Eventualbegründung mit diesen Punkten auseinandergesetzt hat (BGE 144 II 184 E. 1.1; 139 II 233 E. 3.2).
2.
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann namentlich die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und lit. b BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 mit Hinweis). Die Verletzung von Grundrechten untersucht das Bundesgericht in jedem Fall nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 II 404 E. 3; 139 I 229 E. 2.2).
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie ihn die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann von Amtes wegen oder auf Rüge hin berichtigt oder ergänzt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig resp. willkürlich erfolgt ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ; BGE 139 II 373 E. 1.6).
3.
Bei der vorliegend zu beurteilenden Streitsache stellt sich insbesondere die Frage, ob die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013 S. 31 ff.; nachfolgend: Dublin-III-Verordnung) und deren Umsetzung in Art. 76a und Art. 80a AIG die Inhaftnahme zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs gestützt auf andere innerstaatliche Hafttitel ausschliessen, wie dies die Beschwerdeführerin geltend macht. Ist das der Fall, konnte gar kein polizeilicher Gewahrsam angeordnet werden, und wäre die Haftprüfung im vorliegenden Verfahren zu behandeln gewesen.
3.1. Zu diesem Zweck sind vorab die im Rahmen der sog. Dublin-Haft anwendbaren Rechtsgrundlagen zu klären:
3.1.1. Die Inhaftierung einer Person im Rahmen eines Dublin-Verfahrens ist erlaubt, wenn sie die Sicherstellung des Überstellungsverfahrens in den zuständigen Dublin-Staat bezweckt (vgl. Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung in Verbindung mit dem Bundesbeschluss vom 26. September 2014 über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung [EU] Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist [AS 2015 1841 ff.]). Die Voraussetzungen dazu bestimmen sich im Rahmen von Art. 28 der Dublin-III-Verordnung nach Art. 76a AIG (BGE 148 II 169 E. 2.1 mit Hinweisen).
3.1.2. Nach Art. 28 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung dürfen die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Haft nehmen, weil sie dem durch die Dublin-III-Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt. Die Staaten können zur Sicherung des Überstellungsverfahrens eine gesuchstellende Person im Rahmen einer Einzelfallprüfung festhalten, wenn (1) eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, (2) die freiheitsentziehende Massnahme sich als verhältnismässig erweist und (3) weniger einschneidende Massnahmen unwirksam erscheinen (Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung). Als Fluchtgefahr bezeichnet die Dublin-III-Verordnung das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zur Annahme Anlass geben, dass sich ein Gesuchsteller, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem durch Flucht entziehen könnte (Art. 2 Bst. n Dublin-III-Verordnung). Die einzelnen Staaten sind verpflichtet, in einer zwingenden Vorschrift mit allgemeiner Geltung die Kriterien zu nennen, auf denen die Gründe beruhen, die zu dieser Annahme Anlass geben (BGE 148 II 169 E. 2.2 mit Hinweisen).
3.1.3. Für die Haftbedingungen und die verfahrensrechtlichen Garantien von Personen in Dublin-Haft verweist Art. 28 Abs. 4 Dublin-III-Verordnung auf Artikel 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABI. L 180 vom 29. Juni 2013 S. 96 ff.); diese Bestimmungen sind durch Inkorporation Teil der Dublin-III-Verordnung und als solche als Teil des acquis auch im Verhältnis zur Schweiz anwendbar (BGE 143 II 361 E. 3.3 mit Hinweisen). Insbesondere sieht Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2013/33/EU vor, dass die Haft von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde schriftlich angeordnet werden muss, wobei die sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft anzugeben sind. Nach Abs. 4 derselben Verordnung sind die Inhaftierten zudem unverzüglich schriftlich und in einer ihnen verständlichen Sprache über die Gründe der Haft, Anfechtungsmöglichkeiten, sowie die Möglichkeit der Inanspruchnahme von unentgeltlicher Rechtsberatung und -vertretung zu informieren; auf Letzteres haben sie bei der erstmaligen Haftprüfung zudem Anspruch (Art. 9 Abs. 6 der Richtlinie 2013/33/EU; vgl. BGE 143 II 361 E. 3). Schliesslich kommen die Bestimmungen zu den Haftbedingungen (Art. 10 der Richtlinie 2013/33/EU; vgl. auch Urteil 2C_781/2022 vom 8. November 2022 E. 3.2) zur Anwendung und ist den Umständen besonders schutzbedürftiger Personen Rechnung zu tragen (Art. 11 der Richtlinie 2013/33/EU).
3.1.4. Die Schweiz hat die Dublin-III-Haftregeln in Art. 76a (materielles Recht) bzw. Art. 80a (Verfahren) AIG umgesetzt. Die Gründe für die Annahme einer erheblichen Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung sind in Art. 76a Abs. 2 AIG gesetzlich umschrieben ( Art. 76a Abs. 2 lit. a-j AIG ); diese Aufzählung ist abschliessend (BGE 142 I 135 E. 4.1 mit Hinweisen; Urteil 2C_199/2018 vom 9. Juli 2018 E. 4.1). Zur Anordnung von Haft gestützt auf Art. 76a AIG sind die Kantone zuständig (Art. 80a Abs. 1 AIG). Die Anzeichen dafür, dass eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, dürfen nicht nur gestützt auf die gesetzlichen Haftgründe vermutet, sondern müssen im Einzelfall geprüft und begründet werden (Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung; vgl. CHATTON/MERZ, in Nguyen/Amarelle, Code annoté de droit des migrations, 2017, N 14 ff. zu Art. 76a LEtr). In gleicher Weise zu prüfen und zu begründen ist, ob nicht bereits eine weniger einschneidende Massnahme hinreichend wirksam wäre (Art. 76a Abs. 1 lit. c AIG) und die Festhaltung sich insgesamt als verhältnismässig erweist (Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 2 und Abs. 3 BV ; Art. 76a Abs. 1 lit. b AIG). Die Haft muss aufgrund sämtlicher Umstände geeignet und erforderlich sein, um die Überstellung an den zuständigen Dublin-Staat sicherzustellen; zudem hat sie in einem sachgerechten und zumutbaren Verhältnis zum angestrebten Zweck zu stehen (BGE 142 I 135 E. 4.1 mit Hinweisen). Die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft wird auf Antrag der inhaftierten Person in einem schriftlichen Verfahren überprüft; diese Überprüfung kann jederzeit beantragt werden (Art. 80a Abs. 3 AIG). Ferner kann die inhaftierte Person jederzeit ein Haftentlassungsgesuch einreichen; über ein solches hat die richterliche Behörde innert acht Arbeitstagen in einem schriftlichen Verfahren zu entscheiden (Art. 80a Abs. 4 AIG).
3.1.5. Nach Einleitung des Dublin-Verfahrens sind grundsätzlich nur die für dieses vorgesehenen Haftbestimmungen unter Ausschluss allfälliger weiterer administrativer Haftarten nach dem nationalen Recht anwendbar (Urteil 2C_199/2018 vom 9. Juli 2018 E. 4.2; CHATTON/MERZ, a.a.O., N. 6
in fine zu Art. 76a LEtr). Diese Bestimmungen sind in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen im Sinne des zu übernehmenden bzw. übernommenen Sekundärrechts der Europäischen Union auszulegen, in Bezug auf die Dublin-III-Haftregeln also in Übereinstimmung mit den Vorgaben von Art. 28 Dublin-III-Verordnung in Berücksichtigung der Praxis des EuGH zu dieser Bestimmung (vgl. Art. 1 Abs. 3 DAA; BGE 148 II 169 E. 3.1; 143 I 437 E. 3.1; 142 I 135 E. 4.1; 140 II 74 E. 2.3). Ist eine solche Auslegung nicht möglich, geht Art. 28 Dublin-III-Verordnung dem nationalen Recht vor (BGE 148 II 169 E. 5.2 mit Hinweisen).
3.2.
Demgegenüber richtet sich der polizeiliche Gewahrsam grundsätzlich nach kantonalem Recht, wobei für die Zwangsanwendung im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts auch eine bundesrechtliche Rechtsgrundlage besteht:
3.2.1. Im Kanton Thurgau ist der Polizeigewahrsam in §§ 33 ff. des Polizeigesetzes des Kantons Thurgau vom 9. November 2011 (PolG/TG; RB 551.1) geregelt. Er darf namentlich in Fällen schwerwiegender Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (Ziff. 1), bei Selbst- oder Fremdgefährdung (Ziff. 2), bei voraussichtlichem Bedarf fürsorgerischer Hilfe (Ziff. 3), bei Flucht vor einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Massnahme (Ziff. 4), wenn dies zur Sicherstellung einer Vor-, Zu- oder Rückführung notwendig ist (Ziff. 5) oder zur Sicherung des Vollzugs einer polizeilichen Gewaltschutzmassnahme (Ziff. 6) angeordnet werden. Der Polizeigewahrsam dauert lediglich bis zum Wegfall seines Grundes, längstens jedoch 24 Stunden (§ 35 Abs. 1 PolG/TG). Die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs wird auf Antrag der betroffenen Person richterlich überprüft, wofür das Präsidium des Verwaltungsgerichts zuständig ist (§ 35 Abs. 2 und 3 PolG/TG). Nach § 38 Abs. 1 PolG/TG vollzieht die Kantonspolizei die in die Zuständigkeit des Kantons Thurgau fallenden Rückführungen von ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern. Grundsätzlich dient der Polizeigewahrsam der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und der Gefahrenabwehr (JÜRG MARCEL TIEFENTHAL, Kantonales Polizeirecht der Schweiz, 2018, S. 265; betreffend die Polizeigesetzgebung im Kanton Zürich: PATRICE MARTIN ZUMSTEG, Der Polizeigewahrsam nach Zürcher Recht - Anmerkungen aus grundrechtlicher Sicht, sui generis 2023 S. 83; OPPLIGER/HEIMGARTNER, in: Kommentar zum Polizeigesetz des Kantons Zürich, 2018, N 2 zu § 25). Dieser Zweck kommt in den in § 33 Abs. 1 PolG/TG aufgezählten Haftgründen zum Ausdruck.
3.2.2. Nach § 33 Abs. 1 Ziff. 5 PolG/TG darf die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies zur Sicherstellung einer Vor-, Zu-, oder Rückführung notwendig ist. Die Bestimmung bezweckt, die weggewiesene Person unmittelbar zur Sicherstellung der bereits organisierten Rückführung in Gewahrsam zu nehmen, und erlaubt - im Rahmen der für alle Freiheitsentzüge geltenden Vorgaben im Gesetzes-, Verfassungs- und Konventionsrecht, namentlich Art. 5 EMRK - grundsätzlich eine Festhaltung (von max. 24 Stunden) bis zum erfolgreichen Wegweisungsvollzug (vgl. zur identischen Regelung im Polizeigesetz des Kantons Zürich: BGE 136 I 87 E. 7; Urteil 1C_355/2018 vom 14. November 2018 E. 4.3). Weil es sich beim Vollzug von asyl- und ausländerrechtlichen Wegweisungen um Zwangsmassnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts handelt, stützt sich die Festhaltung in diesem Kontext zudem auf das Bundesgesetz vom 20. März 2008 über die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes (Zwangsanwendungsgesetz, ZAG [SR 364]). Bundesrechtlich ist vorgesehen, dass die mit dem Vollzug beauftragten Behörden polizeiliche Zwangsmassnahmen nach Art. 7, 9 und 26 ff. ZAG anwenden. Der zulässige polizeiliche Zwang richtet sich nach Art. 5 und 13 ff. ZAG ; für allfällige weitere polizeiliche Massnahmen gelten die Art. 6 und 19 ff. ZAG . Ausdrücklich genannt wird im Gesetz insbesondere das kurzfristige Festhalten von Personen ( Art. 6 und 19 ZAG ), ebenfalls bis max. 24 Stunden (Art. 19 Abs. 2 ZAG). Nach Art. 2 Abs. 1 lit. b ZAG gilt das Zwangsanwendungsgesetz unter anderem für alle kantonalen Behörden, die im Bereich der Ausländer- und Asylgesetzgebung polizeilichen Zwang oder polizeiliche Massnahmen anwenden müssen; die entsprechenden Kompetenzen bestehen namentlich, aber nicht ausschliesslich zur Erfüllung eines Zu- bzw. Rückführungsauftrags gemäss § 33 Abs. 1 Ziff. 5 und § 38 Abs. 1 PolG/TG (vgl. das Urteil 1C_355/2018 vom 14. November 2018 E. 4.4 zu den gleichlautenden Regelungen des Kantons Zürich).
3.2.3. Im Urteil 1C_355/2018 vom 14. November 2018 hatte das Bundesgericht die kurzzeitige Festhaltung einer Person zu beurteilen, die auf gerichtliche Anordnung aus einer Ausschaffungshaft gestützt auf Art. 77 AuG (heute: AIG) hatte entlassen werden müssen, in der Folge aber im Hinblick auf eine gleichentags geplante Wegweisung in einen Drittstaat weiterhin festgehalten wurde. In diesem Kontext und im Hinblick auf die bereits organisierte Ausschaffung konnte die im dortigen Verfahren betroffene ausländische Person gestützt auf das kantonale Polizeirecht und das ZAG im Hinblick auf die für den gleichen Tag geplante Rückführung für einige Stunden festgehalten werden, wobei insbesondere Art. 6 und 19 ff. ZAG als gesetzliche Grundlage ausreichten, die Haft nicht willkürlich war, im öffentlichen Interesse lag und sich insgesamt als verhältnismässig erwies (Urteil 1C_355/2018 vom 14. November 2018 E. 4.7). Auf die dort zu beurteilende Festhaltung waren die Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung allerdings nicht anwendbar, zumal es sich um einen Wegweisungsvollzug in einen Drittstaat (Marokko) und nicht um eine Rückführung im Rahmen des Dublin-Verfahrens handelte.
3.3. Nach dem Gesagten stellt sich die Frage, ob und inwiefern es zulässig ist, Personen im Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung zwecks Sicherstellung der Überstellung in Polizeigewahrsam zu nehmen; es ist zu klären, ob die Dublin-III-Verordnung und deren Umsetzung im nationalen Recht - wie das die Beschwerdeführerin geltend macht - die Inhaftierung zwecks Rückführung im Dublin-Verfahren abschliessend und ausschliesslich regeln.
3.3.1. Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung regelt die Voraussetzungen für die Inhaftnahme einer dem Dublin-Verfahren unterworfenen Person "[...] [z]wecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren [...]". Die Bestimmung regelt nach ihrem klaren Wortlaut die Inhaftnahme von Personen, die (allein) dem Zweck der Sicherstellung der Überführung in den zuständigen Dublin-Staat dient. Wie das Bundesgericht in einem früheren Verfahren bereits festgehalten hat, sind nach Einleitung des Dublin-Verfahrens grundsätzlich nur noch die für dieses vorgesehenen Haftbestimmungen anwendbar, unter Ausschluss allfälliger weiterer administrativer Haftarten (vgl. vorne E. 3.1.5; Urteil 2C_199/2018 vom 9. Juli 2018 E. 4.2). Offen ist, ob sich diese Auslegung nur auf die anderen Bestimmungen zur ausländerrechtlichen Administrativhaft in Art. 73 ff. AIG bezieht, oder ob nach Einleitung des Dublin-Verfahrens auch eine Inhaftierung im Rahmen des polizeilichen Gewahrsams gestützt auf kantonales Polizeirecht und das ZAG zwecks Sicherstellung einer Rückführung in einen anderen Dublin-Staat grundsätzlich ausgeschlossen ist.
3.3.2. Aus den europäischen Materialien - die von der Beschwerdeführerin zitiert werden - ergibt sich, dass mit den Haftbestimmungen der Dublin-III-Verordnung die Rechtsgarantien und der Rechtsschutz von Personen im Dublin-Verfahren gestärkt werden sollten; dazu wurde eine begrenzte Zahl von Gründen für die Ingewahrsamnahme von Asylbewerbern vorgeschlagen, um sicherzustellen, dass diese im Rahmen des Dublin-Verfahrens nicht willkürlich erfolgt (Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 3. Dezember 2008 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist [Neufassung], KOM [2008] 820 endg., S. 7).
Aus der Botschaft des Bundesrates betreffend die Übernahme der Dublin-III-Verordnung ergibt sich ebenfalls, dass die Einführung von besonderen Haftbestimmungen bei Dublin-Verfahren die Stärkung der Rechtsgarantien für Personen, die dem Dublin-Verfahren unterliegen, bezweckte (Botschaft vom 7. März 2014 über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen [EU] Nr. 603/2013 und [EU] Nr. 604/2013 [Weiterentwicklungen des Dublin/Eurodac-Besitzstands], BBl 2014 2675, S. 2687 ff. [im Weiteren: Botschaft Dublin III]). Konkret hielt der Bundesrat fest, dass die Dublin-III-Verordnung die Möglichkeiten zur Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft im Dublin-Verfahren einschränke, indem sie namentlich das Vorliegen einer erheblichen Untertauchensgefahr für die Anordnung der Dublin-Haft voraussetze (Botschaft Dublin III, a.a.O, S. 2692). In Bezug auf dieses Kriterium bestehe kein Handlungsspielraum (Botschaft Dublin III, a.a.O., S. 2695). Dasselbe ergibt sich auch aus den Beratungen der eidgenössischen Räte (Voten Bundesrätin Sommaruga, AB 2014 N 1252 und N 1319; Votum Nationalrat W. Müller, AB 2014 N 1318; Votum Nationalrat Pfister, AB 2014 N 1320; Berichterstatter Pfister äusserte sich zu einem Minderheitsantrag, der die Möglichkeit einer Inhaftierung ohne zusätzliche Gründe verlangte, wie folgt: "Hier ist es aber wesentlicher Bestandteil der neuen Verordnung, dass dies nicht mehr genügt, sondern dass eine Untertauchensgefahr bestehen muss; es ist künftig nicht mehr möglich, jemanden in Haft zu nehmen, nur weil er ein Dublin-Fall ist. Die Spezialausschaffungshaft wird nicht abgeschafft, aber die Spezialausschaffungshaft ohne Angabe von Gründen. Das ist zwingender Bestandteil der neuen Verordnung. Wer das nicht will, muss konsequenterweise die ganze Verordnung ablehnen.").
3.3.3. Diese Grundidee schlägt sich auch in der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH nieder: Dieser hat betreffend Art. 28 Dublin-III-Verordnung in
Al-Chodor festgehalten, dass die Bestimmung insbesondere auch in Bezug auf die Inhaftierung ein hohes Schutzniveau für die Antragsteller bezweckt (Urteil des EuGH vom 15. März 2017 C-528/15
Al Chodor, Randnr. 33 f.). Der EuGH entschied ferner, dass Art. 28 Dublin-III-Verordnung die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Inhaftnahme erheblichen Beschränkungen unterwirft: Insbesondere sei in ihrem Anwendungsbereich eine Inhaftnahme zur Sicherstellung von Überstellungsverfahren nur möglich, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, deren Beurteilung auf einer Einzelfallprüfung beruhen muss; die Haft muss zudem verhältnismässig sein, es dürfen keine wirksamen milderen Mittel möglich sein, und sie muss so kurz wie möglich dauern (Urteil
Al Chodor, Randnr. 34).
In einem vor kurzem ergangenen Urteil der grossen Kammer hielt der Gerichtshof zudem fest, dass der Haftzweck der Inhaftierung gestützt auf die Dublin-III-Verordnung im Erreichen der mit diesem Instrument im Bereich der Rückkehr, der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz und der Überstellung von Drittstaatsangehörigen verfolgten Ziele und nicht in der Verfolgung oder Ahndung von Straftaten bestehe; angesichts der Schwere des mit einer Inhaftierung verbundenen Eingriffs in das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf Freiheit sei die "[...] den zuständigen nationalen Behörden zuerkannte Befugnis, Drittstaatsangehörige in Haft zu nehmen, eng begrenzt." Eine Inhaftierung könne "[...] nur unter Beachtung der allgemeinen und abstrakten Regeln, die deren Voraussetzungen und Modalitäten festlegen, angeordnet oder verlängert werden [...]." (Urteil des EuGH [Grosse Kammer] vom 8. November 2022 C-704/20 und C-39/21
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid [Von Amts wegen erfolgende Prüfung der Haft], Randnr. 74 f.). Diese "allgemeinen und abstrakten Regeln" - so der EuGH - finden sich unter anderem in Art. 28 Abs. 2, 3 und 4 der Dublin-III-Verordnung (Urteil
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid [Von Amts wegen erfolgende Prüfung der Haft], Randnr. 76); sie stellen gemeinsam mit den nationalen Regeln zu ihrer Umsetzung (in der Schweiz: Art. 76a und Art. 80a AIG ) "[...] die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Normen dar, die die Voraussetzungen für die Rechtmässigkeit der Haft, auch unter dem Blickwinkel von Art. 6 der Charta [der europäischen Union], festlegen." (Urteil
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid [Von Amts wegen erfolgende Prüfung der Haft], Randnr. 77).
3.3.4. In der Schweizer Lehre wird grossmehrheitlich vertreten, dass neben den Bestimmungen der Dublin-Haft insbesondere andere Formen der ausländerrechtlichen Administrativhaft im Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung nicht mehr angewendet werden dürfen (THOMAS HUGI YAR, in: Uebersax et al., Praxishandbuch Ausländerrecht, 3. Aufl. 2022, insb. Rz. 12.147; ZÜND, in: OFK-Migrationsrecht, 5. Aufl. 2019, insb. N 1 zu Art. 76a AIG; CHATTON/MERZ, a.a.O., insb. N 1 und 6 zu Art. 76a LEtr; BAHAR IREM CATAK KANBER, Die ausländerrechtliche Administrativhaft, 2017, insb. S. 128, 132; HRUSCHKA/NUFER, Erste Erfahrungen mit der neuen Dublin-Haft, Jusletter vom 22. Mai 2017, insb. Rz. 5; CONSTANTIN HRUSCHKA, Die rechtliche Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben für die Haft in Schengen- und Dublin-Fällen in der Schweiz, in: Schengen und Dublin in der Praxis, Aktuelle Fragen, Breitenmoser/Gless/Lagodny [Hrsg.], 2015, insb. S. 341; MARTIN BUSINGER, Ausländerrechtliche Haft, 2015, S. 133, 135). Zur Zulässigkeit von Polizeigewahrsam äussert sich die Doktrin jedoch nicht.
Auch wird im europäischen Schrifttum festgehalten, dass neben der Haftnorm von Art. 28 Dublin-III-Verordnung kein Raum für dessen Voraussetzungen unterschreitende nationale Regelungen mehr verbleibt (HRUSCHKA/MAIANI, in: Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law: Article-by-Article Commentary, 3. Auflage 2022, Dublin III Regulation, Art. 28, S. 1730, die ausdrücklich statuieren, dass Einschränkungen der Freiheitsrechte von Personen im Dublin-Verfahren nicht über die von der Verordnung vorgesehenen hinausgehen dürfen, und dass insbesondere kein Raum für weitergehendes nationales Recht oder nationale Praxis besteht; ULRICH KOEHLER, Praxiskommentar zum europäischen Asylzuständigkeitssystem, 2018, insb. Rz. 4 und 6 f. zu Art. 28 Dublin-III-VO, der darauf hinweist, dass die Inhaftierung eines Gesuchstellers gemäss EuGH [Urteil C-601/15 vom 15. Februar 2016] rechtmässig sein kann, wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist; ebenfalls grenzt er "Asylhaft" [zwecks verwaltungsmässiger Durchsetzung des Regelwerks der Dublin-III-VO bzw. der Normen des Asyl- und Ausländerrechts, dem sich der Asylbewerber durch seine Flucht entziehen will] von Strafhaft [Verstoss gegen einen Straftatbestand als Haftgrund] ab. Für die "Asylhaft" gelten nach seiner Beurteilung die Voraussetzungen von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO; sowie FILZWIESER/SPRUNG, Kommentar Dublin-III-Verordnung, 2014, insb. N 1 zu Art. 28 Dublin-III-VO).
3.3.5. Aus dem vorgängig Gesagten (E. 3.3.1 - 3.3.4) ergibt sich, dass Art. 28 Dublin-III-Verordnung für die Inhaftierung von ausländischen Personen
zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren haftrechtliche Minimalgarantien aufstellt. Die Verordnung bezweckt, in ihrem Anwendungsbereich die Inhaftierung von Personen engen (einheitlichen) Grenzen zu unterwerfen; sie lässt deshalb keinen Raum für
innerstaatliche Regelungen, welche ihren Schutzzweck einschränken. Das bedeutet, dass jede Inhaftnahme von Personen im Dublin-Verfahren, die (ausschliesslich) zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren erfolgt, den (Mindest-) Voraussetzungen der Verordnung genügen muss. Dabei trifft die Dublin-III-Verordnung keine Unterscheidung zwischen unterschiedlichen innerstaatlichen Rechtsgrundlagen für die Inhaftierung: liegt eine Haft zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren vor, kommt die Dublin-III-Verordnung zur Anwendung. Wegen der besonderen Anforderungen der Dublin-III-Verordnung sowohl in Bezug auf die Voraussetzungen der Haftanordnung als auch die Haftbedingungen hat der Bundesgesetzgeber in Art. 76a AIG und Art. 80a AIG besondere Bestimmungen vorgesehen, welche diesen Anforderungen Rechnung tragen. Der Bundesgesetzgeber war sich bewusst, dass diese Regelung - insbesondere betreffend die Voraussetzung einer erheblichen Fluchtgefahr und die gesetzlich abschliessend umschriebenen Gründe für deren Annahme (Art. 76a Abs. 1 AIG) - die Möglichkeiten zur Inhaftnahme von Personen im Dublin-Verfahren beschränkt.
3.3.6. Art. 28 Dublin-III-Verordnung kommt nur zur Anwendung, wenn eine Person in
Haft genommen wird. Der EuGH verweist für den Haftbegriff der Dublin-Verordnung auf die Definition in Art. 2 lit. h der Richtlinie 2013/33: Haft ist demnach die räumliche Beschränkung einer Person auf einen bestimmten Ort; sie zwingt die betroffene Person, sich dauerhaft in einem eingeschränkten, geschlossenen Bereich aufzuhalten, wo sie von der übrigen Bevölkerung isoliert und ihr die Bewegungsfreiheit entzogen ist (Urteil
Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid [Von Amts wegen erfolgende Prüfung der Haft], Randnr. 73 mit Verweis auf das Urteil des EuGH [Grosse Kammer] vom 14. Mai 2020 C-924/19 und C-925/19
Országos Idegenrendészeti Foigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság, Randnr. 217 - 225). Im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung ist für die Auslegung des Haftbegriffs im Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung auf den Begriff des Freiheitsentzugs und die entsprechende Auslegung von Art. 31 BV sowie Art. 5 EMRK zurückzugreifen (vgl. dazu BGE 136 I 87 E. 6.5.3 mit Hinweisen [als Beispiele für Freiheitsentzug werden eine mehrstündige Festnahme unter Abnahme der persönlichen Utensilien, sowie eine Unterbringung in einer Zelle während 4 Stunden oder eine 20-stündige Zurückhaltung aufgeführt]).
3.3.7. Vor diesem Hintergrund bleibt für Polizeigewahrsam gestützt auf kantonales Recht in Verbindung mit dem ZAG kein Raum, wenn dieser die Schwelle eines Freiheitsentzugs erreicht und die Inhaftnahme
einzig zum Zweck erfolgt, eine Rückführung im Dublin-Verfahren sicher zu stellen. Diese Rechtslage bedeutet (selbstredend) nicht, dass es ausgeschlossen ist, Personen im Dublin-Verfahren gestützt auf andere, ausserhalb des Vollzugs der Rücküberstellung liegende, gesetzliche Gründe zu inhaftieren, wenn die dafür geltenden spezifischen Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung respektive Gefahrenabwehr erfüllt sind (vgl. hiervor E. 3.2.1). In solchen Fällen kommt Art. 28 Dublin-III-Verordnung nicht zur Anwendung; dieser begrenzt die Haftbefugnisse der nationalen Behörden dort, wo es um die Sicherung der Überstellung einer Person in den Dublin-Empfängerstaat geht.
4.
Angewendet auf den vorliegenden Fall bedeutet diese Rechtslage das Folgende:
4.1. Zu beurteilen ist einzig, ob die Vorinstanz das Nichteintreten des Zwangsmassnahmengerichts zu Recht oder zu Unrecht geschützt hat (vgl. vorne E. 1.2). Diesbezüglich ist entscheidend, welcher Hafttitel der Inhaftierung zugrunde lag. Umstritten ist, ob es sich bei der angeordneten Haft um eine Dublin-Haft nach Art. 76a AIG oder eine Polizeihaft gestützt auf §§ 33 ff. PolG/TG gehandelt hat. Je nachdem, auf welcher Rechtsgrundlage die angeordnete Haft beruht, unterscheidet sich der einzuschlagende Rechtsmittelweg. Ausländerrechtliche Zwangsmassnahmen gestützt auf Art. 70 Abs. 2 AIG und Art. 73 bis Art. 80a AIG prüft im Kanton Thurgau das Zwangsmassnahmengericht (§ 5 der Verordnung des Regierungsrates zum Ausländer- und Integrationsgesetz, zum Freizügigkeitsabkommen und zum Asylgesetz vom 8. September 2009 [RRV AIG/FZA/AsylG/TG; RB 142.211]); gegen dessen Entscheid kann Beschwerde an das Verwaltungsgericht geführt werden (§ 54 Abs. 1 Ziff. 2 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 23. Februar 1981 [VRG/TG]; RB 170.1). Die Rechtmässigkeit von polizeilichem Gewahrsam nach §§ 33 ff. PolG/TG wird hingegen - kantonal letztinstanzlich - vom Präsidium des Verwaltungsgerichts geprüft (§ 35 Abs. 3 PolG/TG). Verfahrensgegenstand bildet in beiden Verfahren die Rechtmässigkeit der Haft nach den jeweils geltenden Voraussetzungen.
4.2. Wie dargelegt ist eine Inhaftnahme im Rahmen des Polizeigewahrsams gestützt auf kantonales Recht und ZAG
ausschliesslich zwecks Sicherstellung der Überstellung in den Dublin-Empfängerstaat nicht zulässig (vorne E. 3.3.7); stattdessen muss ein solcher Freiheitsentzug gestützt auf - und unter den Voraussetzungen von - Art. 76a und Art. 80a AIG (respektive Art. 28 Dublin-III-Verordnung) erfolgen. Im vorliegend zu beurteilenden Fall liegen keinerlei Hinweise vor, dass andere, ausserhalb des Vollzugs der Dublin-Überstellung gelegene, Gründe für einen Polizeigewahrsam vorgelegen haben könnten; solche werden seitens des verfahrensbeteiligten Amtes auch nicht geltend gemacht. Im Gegenteil ergibt sich aus den Umständen der Inhaftierung ohne Weiteres, dass diese der Sicherung der Überstellung diente. Angesichts der Haftdauer von doch knapp 20 Stunden, zudem über Nacht im Kantonalgefängnis, handelte es sich sodann eindeutig um einen Freiheitsentzug resp. eine Haft im Sinne von Art. 28 Dublin-III-Verordnung, die nicht als bloss kurzfristige Festhaltung im Rahmen des Überstellungsvorgangs an sich betrachtet werden kann; dass es sich um Haft handelte, war auch im Verfahren vor der Vorinstanz nicht bestritten. Damit steht fest, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen des Dublin-Verfahrens und ausschliesslich zwecks Sicherstellung der Überstellung in den Dublin-Empfängerstaat Malta inhaftiert wurde. Wegen der grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Inhaftierung im Rahmen des Polizeigewahrsams in einer solchen Konstellation, ist materiell von einer Dublin-Haft im Anwendungsbereich von Art. 76a und Art. 80a AIG (respektive Art. 28 Dublin-III-Verordnung) auszugehen. Deren Rechtmässigkeit - namentlich hinsichtlich der Voraussetzungen der Inhaftierung, der Verfahrensgarantien sowie der Haftbedingungen (vorne E. 3.1) - wäre durch das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau zu beurteilen gewesen.
4.3. Der Nichteintretensentscheid des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Thurgau, und in der Folge auch das vorliegend angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts, erweisen sich unter diesen Umständen als rechtswidrig. Damit erübrigt sich auch die Prüfung der weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin.
5.
5.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist begründet und deshalb gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Urteil der Vorinstanz wird aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an sie zurückgewiesen.
5.2. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind keine Kosten zu erheben (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Thurgau hat die obsiegende Beschwerdeführerin zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird dadurch gegenstandslos. Die Vorinstanz hat über die Kosten- und Entschädigungsfrage in den kantonalen Verfahren neu zu befinden (Art. 66 Abs. 5 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen.
2.
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.
2.2. Der Kanton Thurgau hat die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
2.3. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird als gegenstandslos abgeschrieben.
3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt.
Lausanne, 3. August 2023
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
Der Gerichtsschreiber: D. Hongler