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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_453/2010 
 
Urteil vom 3. September 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiber Nussbaumer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle Uri, Dätwylerstrasse 11, 6460 Altdorf, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
F.________, vertreten durch 
Rechtsanwalt Hans W. Stössel, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des 
Obergerichts des Kantons Uri 
vom 23. April 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
F.________ (geboren 6. Mai 1995) leidet an verschiedenen Geburtsgebrechen. Ab 1. Mai 1997 richtete ihm die IV-Stelle Uri Pflegebeiträge der Invalidenversicherung für Hilflosigkeit mittleren Grades aus. Mit Verfügung vom 30. Juli 2004 sprach ihm die IV-Stelle für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 30. Juni 2007 eine Entschädigung für Hilflosigkeit mittleren Grades zu. Diesen Anspruch bestätigte sie mit Verfügung vom 12. Juni 2007. Im Rahmen eines im Frühjahr 2009 eingeleiteten Revisionsverfahrens teilte sie dem Versicherten mit Vorbescheid vom 31. Juli 2009 mit, ab sofort bestehe Anspruch auf eine Entschädigung wegen leichter Hilflosigkeit. Am 16. Oktober 2009 erliess die IV-Stelle eine entsprechende Verfügung. 
 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Uri mit Entscheid vom 23. April 2010 gut mit der Feststellung, dass der Versicherte weiterhin Anspruch auf eine Entschädigung für Hilflosigkeit mittleren Grades habe. 
 
C. 
Die IV-Stelle Uri führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihre Verfügung vom 16. Oktober 2009 zu bestätigen. 
F.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Kantonales Gericht und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen; 133 III 545 E. 2.2 S. 550; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). 
 
1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung stellt eine vom Bundesgericht ebenfalls zu korrigierende Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG dar (SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007 N 24 zu Art. 97). 
 
1.3 Rechtsfrage ist die richtige Auslegung und Anwendung des Rechtsbegriffs der Hilflosigkeit (Art. 9 ATSG; Art. 42 Abs. 2 IVG; Art. 37 IVV), die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG sowie der Anforderungen an den Beweiswert von Abklärungsberichten an Ort und Stelle (Art. 69 Abs. 2 IVV; BGE 133 V 450 E. 11.1.1 S. 468). Die auf einen Abklärungsbericht gestützten Feststellungen über Einschränkungen in bestimmten Lebensverrichtungen sind - analog zu den medizinischen Angaben über gesundheitliche Beeinträchtigungen bzw. über das noch vorhandene funktionelle Leistungsvermögen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398 f.) - Sachverhaltsfeststellungen. Die konkrete Beweiswürdigung betrifft eine Tatfrage (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 135 V 306; Urteil 8C_310/2009 vom 24. August 2009 E. 4.1). 
 
2. 
2.1 Die IV-Stelle setzte mit Verfügung vom 16. Oktober 2009 die dem Beschwerdegegner ab 1. Januar 2004 ausgerichtete Hilflosenentschädigung von Hilflosigkeit mittleren Grades auf Hilflosigkeit leichten Grades herab. Sie kam im Rahmen des Revisionsverfahrens zum Schluss, der Beschwerdegegner sei in den Lebensverrichtungen "Verrichtung der Notdurft" und "Essen" nicht mehr hilflos. Dabei ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner in den drei Lebensverrichtungen "Ankleiden, Auskleiden", "Körperpflege" und "Fortbewegung (im oder ausser) Haus, Kontaktaufnahme" auf die Hilfe Dritter angewiesen ist. 
2.2 
2.2.1 Im Lebensbereich "Essen" ging das kantonale Gericht gestützt auf die E-Mail-Auskunft der Sonderschule vom 21. Januar 2010 davon aus, der Beschwerdegegner sei für das Zerschneiden von hartem Fleisch auf Dritthilfe angewiesen. Schneiden von Brot oder Fleisch sei jedoch nicht als regelmässige und erhebliche Hilfeleistung anerkannt worden, welche die Annahme einer erheblichen Hilfsbedürftigkeit im Bereich Essen rechtfertigen würde (Hinweis auf das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 318/01 vom 20. September 2001 E. 2b). Da jedoch der Beschwerdegegner nicht in der Lage sei, ein Butterbrot selber zu streichen und ein solches vielerorts täglich auf dem Menuplan stehe, sei es zum Frühstück oder zum Abendessen, könne von einer regelmässig benötigten Hilfe ausgegangen werden. Der Beschwerdegegner sei folglich beim Essen regelmässig auf die Hilfe Dritter angewiesen, weshalb die Hilflosigkeit in diesem Lebensbereich nach wie vor bestehe. 
2.2.2 Das kantonale Gericht hat in Würdigung des Abklärungsberichts, der Aussagen des Beschwerdegegners und seiner Eltern sowie der Auskunft der Sonderschule verbindlich festgestellt (Art. 105 Abs. 1 BGG), dass der Beschwerdegegner nur eine Hand ungehindert einsetzen kann und beim Zerschneiden von hartem Fleisch sowie beim Streichen von Brotscheiben regelmässig auf die Hilfe Dritter angewiesen ist. Die entsprechende Beweiswürdigung ist nicht willkürlich. Ebenso wenig lässt sich beanstanden, dass das kantonale Gericht nicht alleine auf den Abklärungsbericht abgestellt hat. Die Schlussfolgerung, unter diesen Umständen sei die Hilfe erheblich, ist angesichts der Rechtsprechung (BGE 121 V 88 E. 3c S. 91) nicht bundesrechtswidrig, da davon auszugehen ist, dass der Beschwerdegegner nach wie vor beim Zerkleinern von härteren Speisen jeglicher Art die Hilfe Dritter benötigt. 
 
2.3 Mit Bezug auf den Bereich "Verrichtung der Notdurft" stellte das kantonale Gericht in tatsächlicher Hinsicht fest, der Versicherte benötige gemäss Auskunft der Sonderschule vom 21. Januar 2010 im Zusammenhang mit dem Turn- und Schwimmunterricht beim An- und Ausziehen von Hosen, aber auch beim Schliessen von Knöpfen und Reissverschlüssen Hilfe. Zudem müsse kontrolliert werden, ob die Kleider richtig sitzen würden. Demzufolge benötige der Versicherte beim Ordnen der Kleider nach wie vor Hilfe. Da das Ordnen der Kleider bei der Notdurftverrichtung berücksichtigt werde (Hinweis auf das Kreisschreiben über die Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [KSIH, gültig ab 1. Januar 2008] Rz. 8021 und 8027), sei die Notwendigkeit regelmässiger Dritthilfe auch im Lebensbereich "Verrichtung der Notdurft" weiterhin gegeben. Auch diese Schlussfolgerung hält vor Bundesrecht stand, noch erweist sich die ihr zugrundeliegende Sachverhaltsfeststellung als offensichtlich unrichtig. Die nötige Hilfe beim Ordnen der Kleider im Zusammenhang mit der Notdurftverrichtung ist Teilfunktion dieser Lebensverrichtung, ungeachtet der Lebensverrichtung An- und Auskleiden (BGE 121 V 88; Urteil 8C_30/2010 vom 8. April 2010 E. 7.2.1 mit weiteren Hinweisen auf unveröffentlichte Entscheide). Auch eine nur kurze, regelmässige Nachkontrolle gilt als erheblich, da sie eine notwendige Teilfunktion der Lebensverrichtung "Notdurft" darstellt (BGE 121 V 88 E. 6b S. 94; erwähntes Urteil vom 8. April 2010). Dementsprechend nimmt die Verwaltungspraxis ebenfalls Hilflosigkeit an, wenn die Versicherte Person beim Verrichten der Notdurft für das Ordnen der Kleider der Hilfe Dritter bedarf (Rz. 8021 KSIH). 
 
2.4 Damit steht fest, dass der Beschwerdegegner in mindestens vier alltäglichen Lebensverrichtungen hilflos ist. An diesem Ergebnis ändern sämtliche Einwendungen in der Beschwerde nichts. Entgegen der Auffassung der IV-Stelle hat es das kantonale Gericht nicht unterlassen, zu prüfen, inwiefern sich die tatsächlichen Verhältnisse in Bezug auf die beiden strittigen Lebensverrichtungen verändert haben. Das kantonale Gericht ist eben gerade zum Schluss gekommen, der Versicherte sei "immer noch" in fünf Lebensverrichtungen hilflos, was nichts anderes bedeutet, als dass sie die Revisionsvoraussetzungen implizit verneint hat. 
 
3. 
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG) und hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle Uri auferlegt. 
 
3. 
Die IV-Stelle Uri hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 3. September 2010 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Nussbaumer