Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
5A_501/2024
Urteil vom 3. September 2024
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Herrmann, Präsident,
Bundesrichter Hartmann, Bundesrichterin De Rossa,
Gerichtsschreiber Möckli.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Franziska Mulle,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Silvan Fahrni,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Aufschiebende Wirkung (Obhutszuteilung),
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 30. Juli 2024 (LZ240026-O/Z02).
Sachverhalt:
A.
Die Parteien sind die nicht miteinander verheirateten Eltern der 2020 geborenen C.________. Bis Mai 2023 übernahmen beide Elternteile einen gewichtigen Anteil an der Betreuung des Kindes, wobei auch die Grossmutter väterlicherseits regelmässig betreute.
Am 26. Mai 2023 reichte die Mutter bei der KESB eine Gefährdungsmeldung und am 5. Juni 2023 eine Strafanzeige bei der Kantonspolizei Zürich ein. In der Folge eröffnete die Staatsanwaltschaft gegen den Vater ein Strafverfahren wegen Verdachts auf sexuellen Missbrauch und die KESB ordnete an, dass er das Kind nur noch vier Mal pro Monat für jeweils vier Stunden im Rahmen von individuell begleiteten Besuchen sehen dürfe. Am 16. Oktober 2023 wurde das Strafverfahren gegen den Vater eingestellt und die KESB ordnete mit Verfügung vom 30. November 2023 die Betreuung des Kindes durch den Vater jeweils von Freitag- bis Montagabend an.
B.
Nachdem die KESB mit Schreiben vom 10. April 2024 eine Obhutszuteilung an den Vater in Aussicht gestellt hatte, reichte die Mutter am 29. April 2024 beim Gericht eine Klage betreffend Unterhalt und die weiteren Kindesbelange ein.
Mit vorsorglichem Massnahmeentscheid vom 2. Juli 2024 ordnete das Bezirksgericht Uster an, dass sich der Wohnsitz des Kindes beim Vater befindet. Sodann stellte es das Kind per 1. August 2024 unter die alleinige Obhut des Vaters und regelte die Betreuung dahingehend, dass noch bis Ende Juli 2024 die Mutter von Montag- bis Freitagabend und der Vater von Freitag- bis Montagabend betreut und nach dem Obhutswechsel ab August 2024 bis Januar 2025 die Mutter das Kind jede Woche und ab Februar 2025 jede zweite Woche von Freitagmittag bis Sonntagabend zu Besuch hat, unter Begleitung der Übergaben bis mindestens November 2024.
Hiergegen reichte die Mutter eine Berufung ein; im Wesentlichen verlangte sie, die Obhut sei ihr zuzuteilen, das Besuchsrecht des Vaters sei zu sistieren und er dürfe das Kind nur einmal pro Woche für vier Stunden im Rahmen begleiteter Besuche sehen. Ferner beantragte sie, der Berufung sei die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Mit ausführlich begründetem Entscheid vom 30. Juli 2024 wies das Obergericht des Kantons Zürich das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab, soweit es darauf eintrat.
C.
Gegen diesen Entscheid hat die Mutter am 6. August 2024 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit den Begehren, dieser sei aufzuheben und der Berufung sei die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Ferner verlangte sie auch für das bundesgerichtliche Verfahren die aufschiebende Wirkung. Dieses Gesuch wurde am 7. August 2024 abgewiesen.
Weil die Sache dringlich und sogleich spruchreif ist, wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
Erwägungen:
1.
Beschwerdegegenstand bildet ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über die aufschiebende Wirkung (Art. 72 Abs. 1 und Art. 75 Abs. 1 BGG ). Er ist, da nicht verfahrensabschliessend, ein Zwischenentscheid (vgl. BGE 134 II 192 E. 1.5), der nur unter den besonderen Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG mit Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden kann, wobei diese in der Beschwerde darzutun sind (BGE 137 III 324 E. 1.1; 141 IV 289 E. 1.3).
Sodann ist der Entscheid über die aufschiebende Wirkung - wie vorliegend auch die zugrunde liegende Hauptsache - eine vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 98 BGG (BGE 134 II 192 E. 1.5; 137 III 475 E. 2), weshalb nur verfassungsmässige Rechte als verletzt gerügt werden können, wofür das strikte Rügeprinzip gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG gilt und bloss appellatorische Ausführungen ungenügend sind (zu den diesbezüglichen Begründungsvoraussetzungen namentlich BGE 134 II 244 E. 2.2; 142 II 369 E. 2.1; 142 III 364 E. 2.4).
2.
Die Beschwerdeführerin erwähnt den - auch in der Rechtsmittelbelehrung verwiesenen - Art. 93 Abs. 1 BGG zwar (Beschwerde, S. 2 unten), geht aber mit keinem Wort darauf ein. Ob die Beschwerde bereits an der fehlenden Darlegung der speziellen Eintretensvoraussetzungen scheitert, kann insofern offen bleiben, als der nicht wiedergutzumachende Nachteil, welcher der Beschwerdeführerin entstehen kann, an sich evident ist, jedoch der Beschwerde in der Sache selbst ohnehin kein Erfolg beschieden sein kann, zumal über weite Strecken keine hinreichend substanziierten Verfassungsrügen erhoben werden (dazu E. 4 und 5).
3.
Die obergerichtlichen Erwägungen gehen zusammengefasst dahin, dass an sich beide Elternteile gut zu C.________ schauen, jedoch die Bindungstoleranz der Mutter stark eingeschränkt ist. Während der seinerzeitigen Betreuung, aber auch noch während der wegen des Strafverfahrens begleiteten Besuche habe sich C.________ stets auf den Vater gefreut und es sei ihr auch immer gut gegangen. Im Rechtsmittelverfahren vor dem Bezirksrat betreffend die von der KESB verfügten Wiederaufnahme der Wochenendbesuche beim Vater nach Einstellung des Strafverfahrens habe die Mutter zum Ausdruck gebracht, dass sie zu unbegleiteten Besuchen oder gar zu Übernachtungen nicht Hand bieten könne, und kurz nach der tatsächlichen Wiederaufnahme habe sie plötzlich einen verschlechterten Zustand des Kindes verlauten lassen, welcher aber offensichtlich auf die grossen Spannungen zurückzuführen sei, denen sie C.________ aussetze. Nachdem die KESB mit Schreiben vom 10. April 2024 den Abschluss des Verfahrens mit allfälliger Obhutszuteilung an den Vater angekündigt habe, habe C.________ anlässlich der Übergaben plötzlich den Wunsch geäussert, nicht mehr zum Vater gehen zu wollen, und schliesslich habe die Mutter aufgehört, sie überhaupt zu den vereinbarten Übergaben mitzunehmen. Aus den Übergabeprotokollen Urk. 21 und 22 ergebe sich, dass sie das Kind mehr und mehr in die Entscheidungen einbezogen habe, ob das Besuchsrecht überhaupt stattfinden soll, und den Entscheid letztlich C.________ überlassen habe. Aufgrund des mütterlichen Verhaltens sei das erst 4½-jährige Kind mittlerweile in einen Loyalitätskonflikt geraten, welchen es nicht auflösen könne. Wenn C.________ nicht mehr zu beiden Elternteilen normalen Kontakt pflegen könne, sei das Kindeswohl gefährdet. Eine Obhutszuteilung an den Vater - eine alternierende Obhut ist aufgrund der Distanz der elterlichen Haushalte nicht möglich - verspreche eine höhere Stabilität und garantiere, dass C.________ zu beiden Elternteilen den nötigen Kontakt haben könne. Die (sich aus dem Kontaktunterbruch wegen des von der Mutter iniziierten Strafverfahrens und aus der sich anschliessenden Besuchsrechtsobstruktion ergebende) Eingewöhnungsphase beim Vater sei mit Blick auf die künftige Entwicklung des Kindes in Kauf zu nehmen.
4.
Die Mutter macht eine gehörsverletzende und willkürliche Würdigung der Übergabeprotokolle act. 21 und 22 geltend; sie habe jeweils versucht, C.________ zu überzeugen, zum Vater zu gehen, aber das Kind habe dies stets und von sich aus abgelehnt. Dabei reisst sie einzelne Passagen aus den Protokollen aus dem Gesamtkontext. Erstens ergibt sich aus diesen, dass die Mutter das erst 4½-jährige Kind stark in den Entscheidprozess einbezog, nach bereits erfolgten Übergaben wieder zu diesem hinging und es in die Arme nahm und es mehrmals ins freie Belieben des Kindes stellte, ob es jetzt zum Vater auf Besuch möchte oder nicht, so dass verschiedene Übergaben scheiterten; die entsprechende Beweiswürdigung ist folglich nicht willkürlich. Zweitens erfolgen keine substanziierten Willkürrügen in Bezug auf die obergerichtliche Gesamtwürdigung; diese besteht darin, dass die Mutter das Kind im Vorfeld der Besuche negativ beeinflusst und schliesslich gar nicht mehr zu den Übergaben mitgebracht hat, wobei der Loyalitätskonflikt, welchen sie beim Kind erzeugt hat, daran erkennbar sei, dass dieses immer gerne zum Vater gegangen und es auch körperlich in guter Verfassung gewesen sei bis zum Punkt, als Wochenendbesuche und schliesslich eine Obhutsumteilung zur Debatte gestanden hätten. Allein aus der abstrakten Behauptung der Mutter, sie nehme keinen Einfluss auf das Kind, ergibt sich keine Willkür in der Beweiswürdigung; ebenso wenig aus dem Vorbringen, zum Loyalitätskonflikt gebe es bislang keine Expertenmeinung, denn das Gericht kann auch anderweitig zu diesem Schluss gelangen.
Nicht zu folgen ist sodann dem Vorbringen, das Übergabeprotokoll vom 19. Juli 2024 beziehe sich auf ein nach dem erstinstanzlichen Entscheid eingetretenes Ereignis und es sei deshalb willkürlich, auf dieses abzustellen. Beim Entscheid über die aufschiebende Wirkung geht es nicht um eine Überprüfung des erstinstanzlichen Entscheides, sondern um die Frage, ob die darin enthaltenen Anordnungen schon während des hängigen Rechtsmittelverfahrens zu vollziehen sind. Dabei geht es nicht um Novenfragen und auf eine Zwischenverfügung über die aufschiebende Wirkung kann bei veränderten Tatsachen auch jederzeit instruktionsrichterlich zurückgekommen werden (BGE 115 Ia 321 E. 3e; Verfügung 5A_975/2020 vom 23. März 2021 E. 3.2 m.w.H.).
Ebenfalls keine Willkür ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, in ihrem Partner habe das Kind bereits eine vaterähnliche Bezugsperson, und der mehrfachen Wiederholung der Behauptung, ein Obhutswechsel schade dem Kind, zumal der Vater seit Mai 2023 keine wesentlichen Betreuungsanteile mehr gehabt und C.________ folglich zu ihm keine stabile Beziehung mehr habe. Das Obergericht hat auf die gute Beziehung des Kindes zum Vater verwiesen, bevor es von der Mutter negativ beeinflusst wurde, und erwogen, dass das langfristige Wohl des Kindes, welches dann am besten gewährt sei, wenn es zu beiden Elternteilen eine normale Beziehung haben könne, wichtiger sei als allfällige mit einem Obhutswechsel verbundene anfängliche Anpassungsschwierigkeiten. In diesen Erwägungen sind keine Verfassungsverletzungen im Zusammenhang mit der Frage der aufschiebenden Wirkung zu erkennen. Im Übrigen betreffen die Behauptungen in erster Linie die Sache selbst und sind für den Entscheid über die aufschiebende Wirkung nur indirekt, nämlich im Rahmen der Mitberücksichtigung der Hauptsachenprognose relevant (dazu E. 5).
Ins Leere stösst schliesslich die Berufung auf Art. 11 BV, welchen die Mutter deshalb für verletzt hält, weil das 4½-jährige Kind nicht angehört wurde: Abgesehen davon, dass beim Entscheid über die aufschiebende Wirkung schon von der Dringlichkeit her keine Anhörung geboten ist, ergibt sich die Anhörung des Kindes nicht abstrakt aus Art. 11 BV, sondern ist sie vielmehr mit einschlägigen Normen, deren willkürliche Anwendung zu rügen wäre, in den anwendbaren Verfahrensrechten umgesetzt. Diesbezüglich geht das Bundesgericht davon aus, dass Kinder ab dem vollendeten sechsten Lebensjahr - zur Sache, nicht zur Frage der aufschiebenden Wirkung - anzuhören sind (BGE 131 III 553 E. 1.2.3).
5.
Kern der Anfechtungsthematik bildet die Frage der Handhabung der aufschiebenden Wirkung bei einer Obhutsumteilung. Das Obergericht hat diesbezüglich auf die einschlägige bundesgerichtliche Rechtsprechung verwiesen und in der Folge begründet, wieso vorliegend in Abweichung vom Grundsatz keine aufschiebende Wirkung zu geben ist.
Die Mutter rügt in diesem Kontext eine willkürliche Ermessensausübung und macht geltend, das Kind habe in der jüngeren Zeit ausschliesslich bei ihr gelebt und wolle nicht zum Vater. Indem das Obergericht keine aufschiebende Wirkung gewähre, nehme es den Sachentscheid vorweg, obwohl dieser nicht präjudiziert werden sollte.
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zu Art. 315 ZPO ist bei Aufenthaltswechseln und Obhutsfragen - unter Einbezug der Hauptsachenprognose - im Sinn des Kontinuitätsprinzips und zur Vermeidung einer Präjudizierung des Sachentscheides während eines Rechtsmittelverfahrens die bisherige Obhutslage in der Regel aufrechtzuerhalten, soweit nicht besondere Gründe etwas anderes gebieten (BGE 138 III 565 E. 4.3.2; 143 III 193 E. 4; 144 III 469 E. 4.1, 4.2 und 4.2.1; Urteil 5A_271/2024 vom 23. Mai 2024 E. 3). Weil das Kindeswohl den elterlichen Wünschen und Interessen bei der Obhutsregelung stets vorgeht (BGE 142 III 612 E. 4.2; 142 III 617 E. 3.2.3; Urteile 5A_164/2019 vom 20. Mai 2020 E. 3.1, nicht publ. in BGE 146 III 203; 5A_488/2021 vom 4. Februar 2022 E. 3.4), ist jedoch das Abweichen vom genannten Grundsatz bei gegebenen Ausnahmegründen nicht nur eine Option, sondern Pflicht; Obhutswechsel sind m.a.W. durch Entzug oder Nichtgewährung der aufschiebenden Wirkung sofort zu vollziehen, wenn Dringlichkeit besteht und das Kindeswohl dies erfordert (BGE 143 III 193 E. 4; Urteil 5A_594/2022 vom 13. Oktober 2022 E. 2).
Vorliegend sind Gründe für ein Abweichen von der Regel nach dem Gesagten gegeben und der Vollzug der Obhutsumteilung scheint dringlich, was das Obergericht im Übrigen einlässlich begründet hat. Die Mutter setzt das Kind einem starken Loyalitätskonflikt aus und sie versucht, den von ihr geschaffenen Zustand, wonach der Vater das Kind während langer Zeit nur sehr eingeschränkt und seit Mai 2024 überhaupt nicht mehr sehen konnte, zu perpetuieren. Die Berufung hat wenig Aussicht auf Erfolg und die Eingewöhnung im väterlichen Haushalt dürfte zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund der weiter fortgeschrittenen Entfremdungsversuche durch die Mutter eher schwieriger sein als heute. Sodann stand aus dem Blickwinkel des Obergerichts die (zwischenzeitlich am 19. August 2024 vermutlich erfolgte) Einschulung von C.________ im Kindergarten an und es würde mit Blick auf die Hauptsachenprognose wenig Sinn machen, wenn C.________ nach kurzer Zeit aufgrund des Berufungsurteils bereits wieder den Kindergarten wechseln müsste.
Vor dem Hintergrund des Gesagten sind - soweit diesbezüglich überhaupt substanziierte Rügen erfolgen - keine Verfassungsverletzungen erkennbar, wenn das Obergericht der Berufung keine aufschiebende Wirkung erteilt hat.
6.
Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, konnte der Beschwerde von Anfang an kein Erfolg beschieden sein, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das entsprechende Gesuch abzuweisen ist.
7.
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, mitgeteilt.
Lausanne, 3. September 2024
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Herrmann
Der Gerichtsschreiber: Möckli