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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
5A_338/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 3. Oktober 2013  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter von Werdt, Präsident, 
Bundesrichterin Hohl, 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann, Schöbi, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Fürsprecher Dr. Vincenzo Amberg, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Y.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Suter, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Ehescheidung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, vom 27. März 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Y.________ und X.________ heirateten am 17. Juni 2000 in Deutschland. Sie leben getrennt, wobei die Trennung frühestens am 21. Mai 2010 erfolgt ist. 
 
B.   
Am 18. Mai 2012 reichte die Ehefrau beim Bezirksgericht Brugg gestützt auf Art. 114 ZGB eine Scheidungsklage gemäss Art. 290 ZPO ein. Der Eingang wurde beiden Parteien mit Verfügung vom 21. Mai 2012 bestätigt. 
 
 Mit Eingabe vom 4. Juni 2012 beantragte der Ehemann, das Verfahren sei auf die Einhaltung der Frist gemäss Art. 114 ZGB zu beschränken und die Klage sei wegen fehlender Einhaltung der Frist abzuweisen. Er wies darauf hin, dass er am 2. Juni 2012 seinerseits gestützt auf Art. 114 ZGB beim Regionalgericht Bern-Mittelland eine Scheidungsklage eingereicht habe. 
 
 Mit Verfügung vom 12. Juni 2012 beschränkte das Bezirksgericht Brugg das Verfahren auf die Frage der Einhaltung der Trennungsfrist gemäss Art. 114 ZGB. Nach erfolgloser Einigungsverhandlung stellte es mit Zwischenentscheid vom 25. September 2012 fest, dass die Prozessvoraussetzungen zur Durchführung des Ehescheidungsverfahrens vor dem Bezirksgericht Brugg erfüllt seien, weil der Ehemann seinerseits gestützt auf Art. 114 ZGB eine Scheidungsklage eingereicht und damit seinen Scheidungswillen zum Ausdruck gebracht habe, womit das Verfahren gemäss Art. 292 Abs. 1 ZPO nach den Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren fortzuführen sei. 
 
 Gegen diesen Zwischenentscheid erhob der Ehemann eine Berufung, welche das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 27. März 2013 abwies. 
 
C.   
Gegen dieses Urteil hat der Ehemann am 7. Mai 2013 Beschwerde erhoben, mit den Begehren um dessen Aufhebung und Abweisung der Scheidungsklage vom 18. Mai 2013 sowie Neuverlegung der Kosten. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 und Art. 75 Abs. 1 BGG), mit welchem das Scheidungsverfahren nicht abgeschlossen worden ist. Es handelt sich mithin um einen (selbständig eröffneten) Zwischenentscheid, gegen welchen die Beschwerde in Zivilsachen u.a. zulässig ist, wenn deren Gutheissung einen Endentscheid herbeiführen und damit ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). 
 
 Mit Bezug auf die letzte Eintretensvoraussetzung hält der Beschwerdeführer fest, dass die Vorstellungen der Parteien insbesondere betreffend Unterhalt und Güterrecht weit auseinander lägen. Zwar würde der betreffende Beweisaufwand in dem vor Regionalgericht Bern-Mittelland anhängig gemachten Verfahren in identischer Weise anfallen. Indes ist von der formellen Betrachtung auszugehen, dass der Aufwand im vorliegend umstrittenen Verfahren in Brugg nicht anfallen würde (vgl. Urteil 5A_523/2007 vom 10. April 2008 E. 1.1 a.E. betreffend die analoge Konstellation im internationalen Verhältnis). 
 
2.   
In der Sache geht es um die Auslegung von Art. 292 Abs. 1 ZPO. Gemäss dieser Norm wird die einseitig eingereichte Scheidungsklage nach den Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren fortgesetzt, wenn die Ehegatten bei Eintritt der Rechtshängigkeit noch nicht seit mindestens zwei Jahren getrennt gelebt haben und mit der Scheidung einverstanden sind. Der Beschwerdeführer stellte sich im kantonalen Verfahren auf den Standpunkt, mit seinem Begehren um Abweisung der Scheidungsklage habe er klar zum Ausdruck gebracht, mit dieser nicht einverstanden zu sein. 
 
 Das Obergericht hat befunden, mit der eigenen Scheidungsklage habe der Ehemann unmissverständlich seine Absicht zum Ausdruck gebracht, die Auflösung der ehelichen Gemeinschaft zu erwirken. Er habe damit der Scheidung dem Grundsatz nach zugestimmt. Zumal Art. 292 Abs. 1 ZPO im Unterschied zu aArt. 116 ZGB nur noch voraussetze, dass die Ehegatten mit der Scheidung einverstanden seien, rechtfertige es sich vor dem Hintergrund der zu aArt. 116 ZGB ergangenen bundesgerichtlichen Rechtsprechung umso mehr, das Verfahren auch vorliegend nach den Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren fortzusetzen. Im Übrigen könne der Ehefrau nicht eine Art Rechtsmissbrauch wegen verfrühter Klageeinreichung vorgeworfen werden, nachdem auch der Ehemann die Scheidung wünsche und die Ehefrau durch das Verfahren in Brugg in keiner Weise begünstigt werde. 
 
3.   
Art. 292 Abs. 1 ZPO ist die Nachfolgenorm von aArt. 116 ZGB. Dieser sah die sinngemässe Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Scheidung auf gemeinsames Begehren vor, wenn der eine Ehegatte die Scheidung nach Getrenntleben oder wegen Unzumutbarkeit verlangte und der andere Ehegatte ausdrücklich zustimmte oder Widerklage erhob. Sinn dieser Norm war, dass nicht mehr über die Einhaltung der zweijährigen Frist gemäss Art. 114 ZGB oder über die Unzumutbarkeit der Einhaltung im Sinn von Art. 115 ZGB gestritten werden soll, sobald mit Bezug auf den Scheidungspunkt materielle Einigkeit besteht (vgl. STECK, Basler Kommentar, N. 3 zu aArt. 116 ZGB). 
 
 In Übereinstimmung mit der Lehre ging das Bundesgericht davon aus, dass die Zustimmung aufgrund des Wortlautes von aArt. 116 ZGB ausdrücklich und im betreffenden Verfahren gegenüber dem Gericht, vor dem die Scheidungsklage hängig war, erfolgen musste (vgl. Urteil 5A_523/2007 vom 10. April 2008 E. 5.1 am Ende). Verweigerte der beklagte Ehegatte die Zustimmung formell, hatte er aber an einem anderen Gerichtsstand - d.h. nicht im Rahmen einer Widerklage, wie sie in aArt. 116 ZGB als Alternative zur formellen Zustimmung erwähnt war - selbst auf Scheidung geklagt, konnte aArt. 116 ZGB keine direkte Anwendung finden (Urteil 5A_523/2007 E. 5.1). Das Bundesgericht ging aber davon aus, dass der beklagte Ehegatte mit seinem andernorts vorgebrachten eigenen Scheidungsbegehren unmissverständlich zum Ausdruck bringe, dass auch er die Auflösung der Ehe anstrebe bzw. materiell die Scheidung wolle, weshalb aArt. 116 ZGB analog anzuwenden sei (Urteil 5A_523/2007 E. 5.2; sodann BGE 137 III 421). 
 
 Diese Rechtsprechung ist - in Übereinstimmung mit der Lehre, soweit sie sich dazu äussert (z.B. SPYCHER, in: Berner Kommentar, N. 6 zu Art. 292 ZPO; SIEHR/BÄHLER, in: Basler Kommentar, N. 7 zu Art. 292 ZPO) - auf Art. 292 Abs. 1 ZPO zu übertragen, wobei die Nachfolgenorm aufgrund der Änderungen im Wortlaut nunmehr direkt und nicht bloss analog Anwendung finden kann: Anders als bei aArt. 116 ZGB ist nicht mehr von einer ausdrücklichen Zustimmung, sondern davon die Rede, dass der beklagte Ehegatte "mit der Scheidung einverstanden" sein muss. Dieses Einverständnis kann sich durchaus auch in einer eigenen Scheidungsklage manifestieren. Ausschlaggebend ist, dass kein Zweifel daran besteht - der Ehemann hat im erstinstanzlichen Verfahren selbst vorgebracht, dass er andernorts auf Scheidung geklagt hat -, dass beide Ehegatten die Scheidung wollen, mithin über den Scheidungspunkt als solchen materiell Einigkeit besteht (dahingehend auch SUTTER-SOMM/LAZIC, in: Schulthess-Kommentar, N. 6 zu Art. 292 ZPO; FANKHAUSER, Das Scheidungsverfahren nach neuer ZPO, in: FamPra 2010, S. 776). 
 
 Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ändert daran nichts, dass es im Unterschied zur zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht um einen internationalen Sachverhalt geht, im Gegenteil: Während es im internationalen Verhältnis gute Gründe für die Begründung eines bestimmten Gerichtsstandes geben kann bzw. die Ehegatten divergierende Interessen mit Bezug auf spezifische Gerichtsstände haben können (Vertrautheit mit den Verhältnissen; rechtliche Auswirkungen auf die Nebenfolgen der Scheidung; Belegenheit von güterrechtsrelevanten Vermögensgegenständen; Teilung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche; weite Anreise zum Gericht; sprachliche Verständigungsschwierigkeiten mit dem Gericht und/oder dem lokalen Anwalt; etc.), treten diese Momente im Binnenverhältnis stark in den Hintergrund. 
 
 Insofern ist auch der vom Beschwerdeführer lediglich in pauschaler Weise behauptete Rechtsmissbrauch seitens der Ehefrau nicht zu erkennen, zumal das Bezirksgericht Brugg für das Verfahren unabhängig vom Scheidungsgrund in gleicher Weise zuständig ist wie das Regionalgericht Bern-Mittelland (vgl. Art. 23 Abs. 1 ZPO). Zwar ist nicht undenkbar, dass eine verfrühte Klage gemäss Art. 114 ZGB auch im binnenstaatlichen Verhältnis unter bestimmten Voraussetzungen als missbräuchlich erscheinen könnte. Dafür fehlt es aber im angefochtenen Entscheid an einer für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhaltsbasis (Art. 105 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführer macht auch nirgends geltend, dass er im kantonalen Verfahren irgendwelche tatsächlichen Vorbringen gemacht hätte, diese aber in willkürlicher Weise nicht oder falsch festgestellt worden wären (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). 
 
4.   
Angesichts des vorstehend Gesagten fällt die Rüge in sich zusammen, das Obergericht habe die Begründungspflicht als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs verletzt, indem es sich ungenügend mit seinen Vorbringen auseinandergesetzt habe (die Ehefrau habe ihm mit ihrer verfrühten Klage zuvorkommen wollen und sich rechtsmissbräuchlich verhalten; der vorliegende Sachverhalt weise keinen internationalen Bezug auf und sei deshalb nicht mit den bisherigen bundesgerichtlichen Urteilen vergleichbar; beide Parteien seien Schweizer Bürger, weshalb unabhängig von der Zuständigkeit schweizerisches Recht zur Anwendung komme). Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf den Vorwurf, die Ehefrau habe die Klage bewusst zu früh und damit missbräuchlich eingereicht: Angesichts der fehlenden Substanziierung dieses Vorwurfes konnte das Obergericht hierzu keine Feststellungen treffen. In abstrakter Weise ist es aber auf die Behauptung des Beschwerdeführers eingegangen (angefochtener Entscheid E. 2.3). Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers trifft dies auch auf die anderen Vorbringen zu. 
 
5.   
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde in der Sache abzuweisen ist, soweit auf sie eingetreten werden kann, womit die Begehren um Neuverteilung der kantonalen Kosten gegenstandslos werden. 
 
 Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Gegenseite ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. Oktober 2013 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: von Werdt 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli