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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_396/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 3. Oktober 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiberin Oswald. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Thomann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Solothurn, 
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn 
vom 24. April 2017 (VSBES.2016.132). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren 1956, gelernter Auto- und Wagenlackierer, war seit August 1988 als Produktionsmitarbeiter bei der B.________ AG beschäftigt. Im April 2014 wurde er von seiner Arbeitgeberin bei der Invalidenversicherung zur Früherfassung gemeldet; im gleichen Monat meldete er sich unter Verweis auf Lungenbeschwerden (Berufskrankheit) zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Solothurn (fortan: IV-Stelle) nahm medizinische und erwerbliche Abklärungen vor und holte die Akten der Suva ein. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte sie mit Verfügung vom 9. Februar 2015 einen Rentenanspruch. Auf Intervention des Versicherten hin zog sie ihre Entscheidung am 3. März 2015in Wiedererwägung und nahm weitere Abklärungen vor. Insbesondere holte sie ein Verlaufsgutachten des Prof. Dr. med. C.________, Facharzt für Pneumologie und Allgemeine Innere Medizin, ein (Expertise vom 2. November 2015). Nach neuerlicher Durchführung des Vorbescheidverfahrens wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren (berufliche Eingliederungsmassnahmen und Invalidenrente) mit Verfügung vom 6. April 2016 ab. 
 
B.   
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 24. April 2017 ab. 
 
C.   
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid vom 24. April 2017 sowie die Verfügung der IV-Stelle vom 6. April 2016 seien aufzuheben, und es seien ihm eine ganze Invalidenrente ab wann rechtens sowie berufliche Massnahmen zu gewähren. 
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Unter den zweiten Tatbestand fällt u.a. die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG; Urteil 9C_153/2017 vom 29. Juni 2017 E. 1 mit Hinweisen). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Dies öffnet aber nicht die Tür zur freien Überprüfung der vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung. 
 
2.   
Streitgegenstand ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Rente der Invalidenversicherung, den die Vorinstanz in Bestätigung der Verfügung vom 6. April 2016 verneinte. Dabei stellt sich in erster Linie die Frage, ob die Arbeitsfähigkeit in einer dem Untersuchungsgrundsatz genügenden Weise abgeklärt wurde und ob dem Verlaufsgutachten des Prof. Dr. med. C.________ vom 2. November 2015 diesbezüglich Beweiskraft zukommt. Wie die Vorinstanz feststellte, ist der Anspruch auf berufliche Massnahmen trotz dispositivmässiger Abweisung in der Verfügung vom 6. April 2016 im Grundsatz anerkannt. Das diesbezügliche Leistungsbegehren in der Beschwerde wird denn auch nicht weiter begründet. 
 
3.   
Im angefochtenen Entscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze zum Invaliditätsbegriff (Art. 8 Abs. 1 ATSG), zum Anspruch auf eine nach dem Grad der Invalidität abgestuften Rente (Art. 28 IVG), zum Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG;) sowie zur Beweiswürdigung zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
 
4.   
Die Vorinstanz würdigte die medizinischen Akten und erwog, die angefochtene Verfügung werde vorwiegend auf das (zuhanden der SUVA erstellte) Gutachten des Prof. Dr. med. C.________ vom 3. Oktober 2014 und dessen (von der IV-Stelle in Auftrag gegebene) Verlaufsbegutachtung vom 2. November 2015 abgestützt. Diesen Expertisen komme Beweiswert zu. Der Gutachter habe sich sowohl zur pulmonalen als auch zur kardialen Problematik geäussert und die chronische arterielle Verschlusskrankheit an beiden Beinen berücksichtigt, die indes bloss zu einer kurzen Arbeitsunfähigkeit vom 4. bis 17. April 2016 geführt habe. Eine widersprechende Beurteilung der Arbeitsfähigkeit lasse sich im Bericht des Dr. med. D.________, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Kardiologie, nicht finden. Seine Einschätzung, wonach eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit als "Mitarbeiter" bestehe, beziehe sich auf die angestammte Tätigkeit; eine Arbeitsunfähigkeit zu 100% in jeglicher Verweistätigkeit lasse sich daraus nicht ableiten. Schliesslich liege auch darin kein Widerspruch, dass Prof. Dr. med. C.________ in seinem Verlaufsgutachten vom 2. November 2015 von einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit der Erstbegutachtung (Expertise vom 3. Oktober 2014) ausgehe, die Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit aber immer noch gleich hoch einschätze. Im Rahmen der Erstbegutachtung habe der Pneumologe noch eine körperlich leichte Tätigkeit zu 100% für zumutbar gehalten; nun attestiere er eine volle Arbeitsfähigkeit nur noch in einer sehr leichten Tätigkeit. Nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG i.V.m. Art. 28a Abs. 1 IVG) ermittelte die Vorinstanz - wie bereits die Verwaltung - einen nicht anspruchsbegründenden Invaliditätsgrad von 32%. 
 
5.   
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes. Der medizinische Sachverhalt sei in keiner Weise genügend abgeklärt. Indem die Vorinstanz allein auf die nicht beweiskräftige Expertise vom 2. November 2015 abstellte, habe sie diesen offensichtlich unrichtig festgestellt. Nebst der Lungenproblematik leide er auch an Herzproblemen. Der behandelnde Kardiologe Dr. med. D.________ habe im Bericht vom 25. August 2015 eine hypertensive Herzkrankheit sowie ein nicht valvuläres paroxysmales Vorhofflimmern diagnostiziert und sei basierend hierauf zum Schluss gelangt, dass er täglich zweieinhalb Stunden körperlich leichte Arbeit verrichten könne. Der Gutachter Prof. Dr. med. C.________ habe als Pneumologe die Auswirkungen des Herzproblems auf die Arbeitsfähigkeit weder diskutiert, noch hätte er dies gekonnt. Auch eine chronische arterielle Verschlusskrankheit an beiden Beinen bzw. deren Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit sei rechtswidrig nicht abgeklärt worden. Eine Operation habe diesbezüglich erst an einem Bein stattgefunden. 
 
6.  
 
6.1. Der Pneumologe Prof. Dr. med. C.________ schätzt die Arbeitsfähigkeit im Verlaufsgutachten vom 2. November 2015 auf 100% in einer sehr leichten Tätigkeit. Dabei stützt er sich einerseits auf seine eigenen pulmonalen Diagnosen (mittelschwere obstruktive Lungenkrankheit; schweres obstruktives Schlaf-Apnoe Syndrom), anderseits berücksichtigt er auch die für ihn fachfremden kardialen und angiologischen Befunde sowie die Gewichtszunahme, wobei die kardialen Diagnosen ohne weitere Befassung aus den Berichten des Dr. med. D.________ sowie der Klinik E.________ übernommen werden. Eine sitzende Arbeit, bei welcher der Versicherte intermittierend stehen und kleine Strecken herumgehen könne und keine Gewichte von über fünf Kilogramm heben oder tragen müsse, sei den Leiden angepasst und in vollem zeitlichem Ausmass zumutbar. Die aktuelle, angepasste Tätigkeit betrachtet Prof. Dr. med. C.________ als sehr leicht, regt er doch an, dass diese idealerweise zeitlich gesteigert werden könnte).  
Dr. med. D.________ äussert sich in seinem Bericht vom 25. August 2015 nicht zur Zumutbarkeit körperlich sehr leichter Arbeit, geht aber grundsätzlich davon aus, dass andere Tätigkeiten als die bisherige nicht zumutbar seien. Die aktuelle, adaptierte Tätigkeit (die er als leicht einschätzt) sei aus rein kardialer Sicht im Umfang von zwei bzw. zweieinhalb Stunden pro Tag zumutbar. Nachher sei der Patient erschöpft. Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit hätten die hypertensive Herzkrankheit, das nicht valvuläre paroxysmale Vorhofflimmern, ein bifaszikulärer Block, arbeitsplatzabhängiges Asthma bronchiale sowie ein sistierter Nikotinabusus. Anamnestisch könnten schwere Arbeiten aufgrund von Dyspnoe nicht mehr verrichtet werden. 
 
6.2. Aus den fachärztlichen Berichten ergibt sich jedenfalls - entgegen der Ansicht des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) -, dass sich auch die kardialen Einschränkungen auf die Arbeitsfähigkeit auswirken und nicht etwa, wie vom RAD postuliert, in den pulmonalen gleichsam aufgehen. Wenn Dr. med. D.________ aus rein kardialer Sicht noch eine Beschäftigung von 2,5 Stunden pro Tag in der als leicht eingestuften angepassten Tätigkeit als zumutbar erachtet, so liegt hierin offensichtlich eine dem Verlaufsgutachten widersprechende fachärztliche Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Diese ist grundsätzlich geeignet, an jenem Zweifel zu wecken, zumal am Gutachten kein Kardiologe beteiligt war, sondern Prof. Dr. med. C.________ bloss kardiale Diagnosen übernommen hat, ohne deren Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit näher zu diskutieren oder seine Abweichung von der Ansicht des behandelnden Kardiologen zu begründen. Die vorinstanzliche Feststellung, wonach sich dem Bericht des Dr. med. D.________ keine widersprechenden Beurteilung der Arbeitsfähigkeit entnehmen lasse, ist durch die Akten nicht gestützt und insofern offensichtlich unrichtig.  
 
7.   
Die Sache ist nicht spruchreif. Die Beantwortung der entscheidwesentlichen Tatfrage nach der in Anbetracht der gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch vorhandenen Arbeitsfähigkeit (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 f. mit Hinweisen) beruht auf einer unvollständigen Beweislage (Urteil 9C_323/2009 E. 3 mit Hinweisen, in: SVR 2009 IV Nr. 56 S. 174). Der angefochtene Entscheid und die Verwaltungsverfügung sind folglich aufzuheben und es ist die Angelegenheit zur Neubeurteilung und zu neuem Entscheid nach Durchführung der gebotenen Abklärungen (insbesondere fachärztliche Abklärung der erwerblichen Auswirkungen der kardialen Problematik) an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. 
 
8.   
Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung zu erneuter Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 Satz 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG. Demgemäss sind die Prozesskosten der Beschwerdegegnerin zu überbinden, die ferner dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer eine Parteientschädigung auszurichten hat (Urteil 9C_89/2017 vom 19. Mai 2017 E. 7 mit Hinweisen). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 24. April 2017 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 6. April 2016 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die IV-Stelle zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 3. Oktober 2017 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Oswald