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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.692/2006 /ggs 
 
Urteil vom 3. November 2006 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann, 
Gerichtsschreiber Kessler Coendet. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch 
Advokat Christian von Wartburg, 
 
gegen 
 
Bezirksstatthalteramt Liestal, 
Rheinstrasse 27, 4410 Liestal, 
Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft, Kanonengasse 20, 4410 Liestal. 
 
Gegenstand 
Art. 10 BV, Art. 5 EMRK (Haftverlängerung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss 
des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 14. September 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Bezirksstatthalteramt Liestal führt gegen X.________ seit dem 7. August 2006 eine Strafuntersuchung wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (BetmG; SR 812.121). Der Angeschuldigte wurde am 17. August 2006 verhaftet. Seine Beschwerde gegen die Verhaftung wies das Präsidium des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft am 30. August 2006 ab. Am 14. September 2006 verfügte das Präsidium des Verfahrensgerichts eine Verlängerung der Untersuchungshaft um acht Wochen bis zum 9. November 2006. 
B. 
X.________ legt am 16. Oktober 2006 staatsrechtliche Beschwerde gegen die Haftverlängerung ein. Er beantragt die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die unverzügliche Freilassung, eventualiter unter Anordnung von Ersatzmassnahmen. Ausserdem stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren. 
 
Das Bezirksstatthalteramt und das Verfahrensgericht ersuchen um Abweisung der Beschwerde. In der Replik hat der Beschwerdeführer auf Bemerkungen zu den Vernehmlassungen verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer beantragt neben der Aufhebung des angefochtenen Entscheids seine sofortige Haftentlassung. Dieses Begehren ist in Abweichung vom Grundsatz der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde zulässig; im Falle einer nicht gerechtfertigten strafprozessualen Haft kann die von der Verfassung geforderte Lage nicht schon mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern erst durch eine positive Anordnung hergestellt werden (BGE 132 I 21 E. 1 S. 22 mit Hinweisen). Ebenso kann der Beschwerdeführer den Antrag stellen, die kantonalen Behörden seien anzuweisen, ihn unter gewissen Bedingungen oder Auflagen freizulassen. 
2. 
Nach den Feststellungen des Verfahrensgerichts ist bereits seit Februar 2004 eine Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer hängig. Die Tatvorwürfe betreffen zur Hauptsache den Anbau von Hanfkraut und Cannabishandel, je in banden- und gewerbsmässiger Begehungsweise, sowie Cannabiskonsum; dabei geht es um die angebliche Führung eines Hanfladens in .... Das Strafverfahren ist nachträglich auf den Verdacht der Geldwäscherei ausgedehnt worden. Eine parallele Strafuntersuchung läuft gegen einen Mitbeschuldigten, dem eine Beteiligung am Hanfladen angelastet wird; dieser befindet sich ebenfalls in Untersuchungshaft (vgl. Urteil 1P.614/2006 vom 11. Oktober 2006). 
 
Gegen die beiden Angeschuldigten wurde am 7. August 2006 ein weiteres Verfahren betreffend Cannabisdelikten eröffnet. In diesem Rahmen wurden am 17. August 2006 im Hanfladen und bei den beiden Beschuldigten zu Hause Hausdurchsuchungen durchgeführt; diese wohnen zusammen. Dabei wurden an beiden Orten Hanfpflanzen und Cannabisprodukte sichergestellt. Nach Angaben der Untersuchungsbehörde sollen die beschlagnahmten Betäubungsmittel einen Marktwert von über Fr. 57'000.-- besitzen. 
 
Ausserdem ist der Beschwerdeführer einschlägig vorbestraft; mit Urteil des Strafgerichts Basel-Landschaft vom 10. Februar 2000 wurde er wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 15 Monaten verurteilt. 
 
Vor diesem Hintergrund wird die Haftverlängerung im angefochtenen Entscheid mit der Annahme eines dringenden Tatverdachts im Hinblick auf das am 7. August 2006 eröffnete Verfahren und von Fortsetzungsgefahr gerechtfertigt. 
3. 
3.1 Die Präventivhaft bildet einen schwerwiegenden Eingriff in das verfassungsmässige Recht auf persönliche Freiheit im Sinne von Art. 10 Abs. 2 BV. Sie bedarf nicht nur einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage, sondern sie muss auch im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK anerkennt ausdrücklich die Notwendigkeit, Angeschuldigte an der Begehung strafbarer Handlungen zu hindern, als Haftgrund (BGE 125 I 361 E. 4c S. 366; 123 I 268 E. 2c S. 270). Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die sich gegen die Anordnung oder Fortdauer von Haft richten, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 132 I 21 E. 3.2.3 S. 24 mit Hinweisen). 
3.2 Die Anordnung oder Verlängerung einer Untersuchungshaft ist gemäss § 77 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Juni 1999 (StPO/BL; SGS 251) nur zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem ein besonderer Haftgrund vorliegt. Der besondere Haftgrund der Fortsetzungsgefahr ist erfüllt, wenn aufgrund konkreter Indizien ernsthaft zu befürchten ist, der Beschuldigte werde die Freiheit zur Fortsetzung der deliktischen Tätigkeit benützen, sofern diese "eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder Eigentum anderer Personen" darstellt (§ 77 Abs. 1 lit. c StPO/BL). 
 
Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht, stellt aber das Vorliegen eines besonderen Haftgrundes in Abrede. 
4. 
Fehl geht der Beschwerdeführer, wenn er beanstandet, die Verhütung von Cannabisdelikten lasse sich in keinem Fall unter § 77 Abs. 1 lit. c StPO/BL einordnen. 
4.1 Das Bundesgericht hat die umstrittene Auslegung dieser Norm durch die kantonalen Behörden bereits im Entscheid vom 11. Oktober 2006 überprüft. Dort hat es festgehalten, die Bestimmung bilde von ihrem Sinn und Zweck her - unabhängig vom Wortlaut - eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Anordnung von Präventivhaft zur Abwendung schwerer Betäubungsmitteldelikte; dies gelte auch hinsichtlich befürchteter gewerbsmässiger Cannabisdelikte (Urteil 1P.614/2006, E. 4.4-4.6). 
4.2 Gegen dieses Ergebnis bringt der Beschwerdeführer ein Argument vor, das nicht bereits im Vorfeld des soeben genannten bundesgerichtlichen Urteils aufgeworfen worden war. Er führt aus, der Kanton Basel-Landschaft habe 1997 eine Standesinitiative zur Legalisierung des Cannabiskonsums eingereicht (vgl. AB 1999 N 2012). Nach dem Beschwerdeführer ist § 77 Abs. 1 lit. c StPO/BL im Lichte dieser Standesinitiative auszulegen. 
4.3 Es ist daran zu erinnern, dass in § 77 Abs. 1 lit. c StPO/BL überhaupt keine öffentlichen Rechtsgüter genannt werden. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers reicht die hohe Strafdrohung bei einem befürchteten Delikt aus, damit sich die Haftverfügung auf § 77 Abs. 1 lit. c StPO/BL stützen kann. Es ist daher nicht einzusehen, weshalb schwere Cannabisdelikte vom Geltungsbereich dieser Norm ausgenommen werden müssten. Jedenfalls könnte dafür allein der Umstand, dass die fragliche Standesinitiative bei Erlass der Bestimmung hängig war, nicht genügen. Im Übrigen sei angemerkt, dass die Standesinitiative am 8. Oktober 2004 abgeschrieben worden ist (vgl. AB 2004 N 1738). 
5. 
Weiter ist die Verhältnismässigkeit der angefochtenen Haftverlängerung zu überprüfen. 
5.1 Der Beschwerdeführer bestreitet pauschal, dass ihm eine schlechte Rückfallprognose zu stellen sei. Nach seiner Meinung ist keineswegs erstellt, dass er gewerbsmässig Cannabisdelikte begehen könnte. Diese Vorbringen sind nicht geeignet, die gegenteilige Würdigung der Indizien im angefochtenen Entscheid als willkürlich erscheinen zu lassen. Für das Verfahrensgericht war wesentlich, dass der Beschwerdeführer trotz einschlägiger Vorstrafe und des seit 2004 gegen ihn laufenden Strafverfahrens erneut Hanfstecklinge aufgezogen hat. Dabei weist der angefochtene Entscheid auf den mutmasslich hohen Wert der am 17. August 2006 sichergestellten Betäubungsmittel und auf den Umstand hin, dass der Hanfanbau nun auch beim Beschwerdeführer zu Hause stattgefunden habe. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Gericht aus diesen im Einzelnen unbestrittenen Indizien auf eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Verübung gewerbsmässiger Cannabisdelikte geschlossen hat. Folglich ist der Antrag des Beschwerdeführers, unverzüglich freigelassen zu werden, abzuweisen. 
5.2 Anstelle der Aufrechterhaltung der Präventivhaft verlangt der Beschwerdeführer eventualiter die Anordnung von Ersatzmassnahmen. 
5.2.1 Einerseits könne die Verhinderung neuer Cannabisdelikte hinreichend sichergestellt werden, wenn ihm die Auflage erteilt werde, auf jeglichen Hanfanbau zu verzichten und den Hanfladen geschlossen zu halten. Diese Massnahme könne mit der Anordnung regelmässiger amtlicher Kontrollen, so einer Meldepflicht oder periodischer amtlicher Hausbesuche, verbunden werden. In der Vernehmlassung erläutert das Verfahrensgericht, es sei im angefochtenen Entscheid auf diese Vorschläge nicht näher eingegangen, weil es sie für untauglich erachte. Ausserdem habe es sich insbesondere zur Auflage, vom Hanfanbau abzusehen, bereits im Haftbeschwerdeentscheid vom 30. August 2006 geäussert. Dort hatte es dargelegt, dass sich der Beschwerdeführer weder von der Vorstrafe noch dem seit 2004 hängigen Strafverfahren habe beeindrucken lassen; im Übrigen sei der Hanfanbau zur Gewinnung von Betäubungsmitteln ohnehin strafbar. 
 
Zwar kann die Auflage, keine Cannabisprodukte herzustellen oder zu vertreiben, nicht in jedem Fall als ungeeignete Ersatzmassnahme betrachtet werden (vgl. unveröffentlichtes Urteil 1P.733/1999 vom 13. Januar 2000, E. 2c). Mit Blick auf den konkreten Fall ist aber der Auffassung des kantonalen Gerichts beizupflichten. Sofern sich der Verdacht der Untersuchungsbehörde, die gegen ihn ermittelt, bestätigt, lässt das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers auf grosse Uneinsichtigkeit schliessen. Es ist nicht anzunehmen, dass eine derartige Auflage den Beschwerdeführer wirksam von der befürchteten Deliktsbegehung abhalten würde. 
5.2.2 Anderseits soll nach dem Beschwerdeführer auch eine ambulante Therapie als Ersatzmassnahme genügen; auf diese Weise könne er die Problematik des Eigenkonsums in den Griff bekommen. Es ist nachvollziehbar, dass eine derartige Massnahme nicht unbesehen gestützt auf die vom Beschwerdeführer geäusserte Therapiebereitschaft verfügt worden ist. Gemäss Angaben des Bezirksstatthalteramts in der Vernehmlassung sind derzeit Abklärungen im Hinblick auf mögliche Ersatzmassnahmen im Gang. Es darf somit erwartet werden, dass im Zeitraum der umstrittenen Haftverlängerung erste Abklärungsergebnisse erhältlich sind. Unter diesen Umständen hält die Verlängerung der Präventivhaft auch im zeitlichen Umfang gemäss der angefochtenen Verfügung vor der Verfassung stand. 
6. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Die Voraussetzungen von Art. 152 OG sind erfüllt. Dem Begehren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann entsprochen werden. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen. 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
2.2 Advokat Christian von Wartburg wird als amtlicher Rechtsvertreter bestellt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit einem Honorar von Fr. 1'500.-- entschädigt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bezirksstatthalteramt Liestal und dem Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 3. November 2006 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: