Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_294/2023
Urteil vom 3. Dezember 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Hofmann,
Gerichtsschreiberin Sauthier.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Held,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, Büro SVG, Stauffacherstrasse 55, 8004 Zürich.
Gegenstand
Strafverfahren; Entsiegelung,
Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Zwangsmassnahmengericht, vom 25. April 2023 (GM190028-L / U_T2).
Sachverhalt:
A.
A.a. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat stellte am 13. Mai 2019 einen Antrag auf Entsiegelung im Strafverfahren gegen A.________ wegen qualifizierter Widerhandlungen gegen das SVG (Art. 90 Abs. 3 SVG, Geschwindigkeitsüberschreitung). Sie führte aus, A.________ werde vorgeworfen, am 5. November 2018 um 03.10 Uhr mit dem Personenwagen Audi RS7 auf der Autobahn in Uster in Fahrtrichtung Zürich bis auf eine Höchstgeschwindigkeit von 296 km/h bei einer zulässigen allgemeinen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h beschleunigt zu haben. Dabei soll er die Fahrt auf seinem Mobiltelefon aufgezeichnet haben.
A.b. Das Bezirksgericht Zürich als Zwangsmassnahmengericht schrieb mit Teilurteil und Verfügung vom 26. August 2019 das Entsiegelungsgesuch hinsichtlich der Fahrzeugteile als gegenstandslos ab und gab diese nach Eintritt der Rechtskraft zur weiteren Verwendung an die Staatsanwaltschaft frei. Es hiess das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Fahrzeugs Audi RS7 und der beiden Racelogic-Geräte gut und gab diese der Staatsanwaltschaft nach Eintritt der Rechtskraft zur Verwendung in der laufenden Strafuntersuchung frei. Die Gerichtsgebühr für das Teilurteil setzte es auf Fr. 700.-- fest und behielt die definitive Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen im Endentscheid vor.
In Bezug auf den Plastiksack mit den Asservatenklebern A012'610'445, A012'610'456, A012'610'478, A012'610'489, A012'610'490, A012'610'503, A012'610'514 und A012'610'570 verfügte das Bezirksgericht den Siegelbruch am 10. September 2019 um 09.00 Uhr.
In Bezug auf die Asservate A012'610'445 (Apple iPhone X), A012'610'456 (Computer), A012'610'478, A012'610'489, A012'610'490, A012'610'503, A012'610'514 und A012'610'570 (alles USB-Sticks) verfügte das Bezirksgericht Zürich als Zwangsmassnahmengericht, dass mit Hinblick auf das Anwaltsgeheimnis eine Triage durchzuführen sei.
Mit Verfügung vom 27. August 2019 wurde im Hinblick auf die Triage eine sachverständige Person ernannt.
Mit Verfügung vom 3. Oktober 2019 wurde A.________ aufgefordert, den Gerätesperrcode für das Apple iPhone X sowie ein allfällig vorhandenes iTunes-Backup-Passwort bekannt zu geben, mit dem Hinweis, dass bei Säumnis oder Stillschweigen eine Triage unter Umständen nicht möglich sei. A.________ verweigerte die Bekanntgabe des Codes und des Passwortes.
Mit Verfügung vom 12. November 2019 wurde eine Triageverhandlung auf den 16. Dezember 2019 um 14.00 Uhr angesetzt. Die Parteien wurden darauf aufmerksam gemacht, dass eine Triage des Apple iPhones X nicht möglich sei, bis das hierzu beauftragte Bundesamt für Polizei (fedpol) den Gerätesperrcode und das iTunes-Backup-Passwort ermittelt sowie die darauf befindlichen Daten extrahiert habe. Die Triageverhandlung wurde mit Verfügung vom 16. Dezember 2019 auf den 18. Dezember 2019 um 15.00 Uhr verschoben.
A.c. Gestützt auf die Anklage der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 30. März 2021 (übermittelt am 26. Juli 2021) verurteilte das Bezirksgericht Uster A.________ am 5. Mai 2022 wegen qualifizierter grober Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. d SVG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 28 Monaten, wovon 20 Monate bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschoben wurden. Es verfügte die Herausgabe der sichergestellten Gegenstände, so namentlich der unter A.b. erwähnten Gegenstände. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft.
B.
B.a. Mit Verfügung vom 29. März 2023 stellte das Bezirksgericht Zürich als Zwangsmassnahmengericht der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat in Aussicht, das Entsiegelungsverfahren als gegenstandslos abzuschreiben, nachdem auf die auf dem Mobiltelefon befindlichen Daten von A.________ definitiv nicht zugegriffen werden konnte. Es stellte weiter in Aussicht, die verschiedenen Asservate (A012'610'445 Apple iPhone X; A012'610'465 Computer Dell, A012'610'478 USB Memory Stick, A012'610'489 USB Memory Stick, A012'610'490 USB Memory Stick, A012'610'503 USB Memory Stick, A012'610'514 USB Memory Stick und A012'610'570 USB Memory Stick) A.________ auf erstes Verlangen herauszugeben und die Kosten definitiv auf die Staatskasse zu nehmen. Die Staatsanwaltschaft liess sich nicht vernehmen.
B.b. Mit Verfügung vom 25. April 2023 schrieb das Bezirksgericht Zürich als Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsverfahren als gegenstandslos ab und gab die unter B.a. erwähnten Asservate nach Eintritt der Rechtskraft an A.________ frei. Es auferlegte diesem die Kosten (Fr. 300.-- Gerichtsgebühren, Fr. 99.08 Kosten Kurierdienst, Fr. 4'939.65 Kosten Sachverständiger, total Fr. 5'338.73).
C.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt unter Aufhebung der betreffenden Dispositiv-Ziffer der angefochtenen Verfügung, die Verfahrenskosten seien auf die Staatskasse zu nehmen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die kantonalen Akten wurden beigezogen. Die Oberstaatsanwaltschaft verzichtet mit Eingabe vom 23. Juni 2023 auf eine Stellungnahme. Das Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht, liess sich nicht vernehmen. Mit Schreiben vom 28. Juli 2023 wurden die Parteien darüber orientiert, dass das Verfahren neu durch die II. Strafrechtliche Abteilung behandelt werde. Ebenso wurde A.________ die Eingabe der Oberstaatsanwaltschaft vom 23. Juni 2023 übermittelt.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist die Kosten- und Entschädigungsregelung in einem Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts, mit welchem das Entsiegelungsverfahren als gegenstandslos abgeschrieben und über die Kosten- und Entschädigungsfolgen entschieden wurde. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 BGG offen. Die Vorinstanz hat im vorliegenden Fall als einzige kantonale Instanz entschieden (aArt. 248 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit Art. 380 StPO), weshalb die Beschwerde im Sinne von Art. 80 BGG zulässig ist. Beschwerde führt der im Strafverfahren zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilte Beschwerdeführer. Der angefochtene Entscheid schliesst das Verfahren für den Beschwerdeführer ab. Eine Ergänzung des Endentscheids in der Sache mangels eines entsprechenden Vorbehalts des Bezirksgerichts Uster ist ausgeschlossen (vgl. Urteil 6B_779/2019 vom 9. August 2019 E. 2.3.2 mit Hinweis zu Art. 83 StPO). Insoweit liegt ein anfechtbarer Entscheid vor. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass; auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.
2.
2.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, weil sie ihm vor Erlass der angefochtenen Verfügung keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt habe (Art. 3 Ab. 2 lit. c, 107 Abs. 1 lit. d StPO, Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Weiter setze sie sich in Widerspruch zu ihrer prozessleitenden Verfügung und verstosse gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO, Art. 5 Abs. 3 und Art. 29 Abs. 1 BV ). Schliesslich verstosse die Auflage von Kosten des Entsiegelungsverfahrens nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens gegen Art. 81 Abs. 4 lit. b, Art. 421 ff. und Art. 437 Abs. 1 StPO . Allenfalls sei die Kostenauflage sogar nichtig.
2.2.
2.2.1. Nach der im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung geltenden Bestimmung von aArt. 248a StPO sind Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden (aArt. 248 Abs. 1 StPO, in der Fassung bis zum 31. Dezember 2023). Stellt die Strafbehörde nicht innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch, so werden die versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände der berechtigten Person zurückgegeben (aArt. 248 Abs. 2 StPO). Stellt sie ein Entsiegelungsgesuch, so entscheidet darüber innerhalb eines Monats endgültig: im Vorverfahren das Zwangsmassnahmengericht (aArt. 248 Abs. 3 lit. a StPO); in den anderen Fällen: das Gericht, bei dem der Fall hängig ist (aArt. 248 Abs. 3 lit. b StPO). Das Gericht kann zur Prüfung des Inhalts der Aufzeichnungen und Gegenstände eine sachverständige Person beiziehen (aArt. 248 Abs. 4 StPO).
2.2.2. Fehlerhafte amtliche Verfahrenshandlungen sind in der Regel nicht nichtig, sondern anfechtbar und werden durch Nichtanfechtung rechtsgültig (BGE 145 IV 1907 E. 1.3.2 mit Hinweisen). Nichtig ist ein fehlerhafter Entscheid nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wenn der ihm anhaftende Mangel besonders schwer und offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird (BGE 146 IV 145 E. 2.10). Inhaltliche Mängel eines Entscheids führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht (BGE 148 IV 445 E. 1.4.2; 145 IV 197 E. 1.3.2). Die Nichtigkeit eines Entscheides ist jederzeit und von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden von Amtes wegen zu beachten (BGE 145 IV 197 E. 1.3.2 mit Hinweisen).
2.3. Nachdem die Anklagebehörde die Anklageschrift dem erstinstanzlichen Gericht am 26. Juli 2021 übermittelt und damit das Vorverfahren beendet hatte (vgl. Art. 318 Abs. 1, 324 Abs. 1 StPO), ging die Zuständigkeit hinsichtlich der Frage der Entsiegelung auf das Bezirksgericht Uster über (Art. 328 Abs. 1 StPO in Verbindung mit aArt. 248 Abs. 3 lit. b StPO), denn damit wurde das Verfahren beim Gericht rechtshängig. Nichts daran ändert der Umstand, dass die Entsiegelung infolge technischer Schwierigkeiten in Bezug auf das Apple iPhone X bis zu jenem Zeitpunkt nicht vollzogen werden konnte. Der Entsiegelungsbehörde, d.h. dem Bezirksgericht Zürich als Zwangsmassnahmengericht, fehlte es im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung am 25. April 2023 an der Befugnis, über das Schicksal des Entsiegelungsverfahrens, die Freigabe der Gegenstände, die vom Siegelungsverfahren betroffen waren, und die dort angefallenen Kosten zu entscheiden. Über die Freigabe der von der Siegelung betroffenen Gegenstände wie auch über die Verfahrenskosten als solche hatte am 5. Mai 2022, ein knappes Jahr vor der angefochtenen Verfügung, das zuständige erstinstanzliche Sachgericht entschieden. Es liegt ein offensichtlicher, besonders schwerer und leicht erkennbarer Zuständigkeitsmangel des Bezirksgerichts Zürich als Zwangsmassnahmengericht vor. Die angefochtene Verfügung ist somit nichtig. Die weiteren Rügen brauchen bei diesem Ausgang des Verfahrens nicht beurteilt zu werden.
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Es ist die Nichtigkeit der Verfügung des Bezirksgerichts Zürich als Zwangsmassnahmengericht vom 25. April 2023 festzustellen. Es sind keine Verfahrenskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich ist zu verpflichten, dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Es wird festgestellt, dass die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich als Zwangsmassnahmengericht vom 25. April 2023 nichtig ist.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Zürich wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 3. Dezember 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier