Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.775/2003 /grl 
 
Urteil vom 4. März 2004 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Aeschlimann, Eusebio, 
Gerichtsschreiberin Scherrer. 
 
Parteien 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt 
lic. iur. Herbert H. Scholl, 
 
gegen 
 
Aargauisches Versicherungsamt (AVA), Abteilung Brandschutz, Bahnhofstrasse 101, Postfach, 
5001 Aarau, 
Gemeinderat X.________, 
Regierungsrat des Kantons Aargau, 5000 Aarau, 
handelnd durch das Baudepartement des Kantons 
Aargau, Entfelderstrasse 22, 5001 Aarau, 
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 3. Kammer, Obere Vorstadt 40, 5000 Aarau. 
 
Gegenstand 
Brandschutzbewilligung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des 
Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer, vom 21. Oktober 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 30. Mai 2000 erteilte der Gemeinderat X.________ der A.________ AG die Bewilligung für den Umbau und die Erweiterung des Geschäftshauses Gebäude Nr. 1553. Die dafür notwendige kantonale Brandschutzbewilligung vom 15. Mai 2000 des Aargauischen Versicherungsamtes (AVA) enthielt Vorschriften über Brandschutzmassnahmen an den süd- und ostseitigen Doppelfassaden. Die Baubewilligung erwuchs in Rechtskraft. 
B. 
Auf Wunsch der Bauherrin wurden ihr anlässlich eines Augenscheins vom 27. März 2001 von Vertretern des AVA zwei alternative Varianten zum Brandschutz vorgelegt, u.a. der Einbau einer Sprinkleranlage. Das AVA sagte der Bauherrin zu, die ursprünglich verfügten Brandschutzmassnahmen auf entsprechendes Gesuch hin in Wiedererwägung zu ziehen. 
 
Hierauf stellte die A.________ AG am 30. April 2001 ein Wiedererwägungsgesuch an das AVA mit folgendem Wortlaut: 
"Im Auftrag der Bauherrschaft teilen wir Ihnen mit, dass die Variante II gemäss Besprechungsprotokoll vom 6. April 2001 als geeignetere Lösung angesehen wird. Dadurch entfallen die von Ihnen verfügten Brandschutzmassnahmen der Position 11.4 (horizontale und vertikale F-60-Abschottungen). 
Wir bitten Sie daher um eine neue Verfügung (...) 
 
Die Firma A.________ AG stellt den Antrag, auf die verfügten Brandschutzmassnahmen der Pos. 11.4 zu Gunsten der Variante II gemäss Besprechungsprotokoll vom 6. April 2001 zu verzichten." 
Mit Verfügung vom 12. Juni 2001 entsprach das AVA dem Wiedererwägungsgesuch und erteilte der Bauherrin eine neue Brandschutzbewilligung. Verfügt wurde die am 6. April 2001 besprochene Variante II, die Erstellung einer Sprinkleranlage. Als Frist zur Fertigstellung der Installationen wurde - wie am Augenschein vereinbart - der 30. Dezember 2002 festgesetzt. Der Gemeinderat X.________ eröffnete der A.________ AG die Brandschutzbewilligung mit Verfügung vom 26. Juni 2001 und setzte den Ausführungstermin für die Sprinkleranlage auf den 30. Dezember 2001 fest. 
C. 
Hiegegen erhob die Bauherrin Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Aargau, mit den Anträgen, die Verfügungen des Gemeinderates und des AVA vom 12. und 26. Juni 2001 seien aufzuheben. Sie wandte sich einerseits gegen die vom Gemeinderat um ein Jahr verkürzte Ausführungsfrist und andererseits gegen die Sprinkleranlage selbst. Diese sei weder erforderlich noch verhältnismässig. Überdies wurde angeführt, dass inzwischen eine Brandmeldeanlage eingebaut worden sei. 
D. 
Der Regierungsrat wies die Beschwerde mit Beschluss vom 4. September 2002 vollumfänglich ab. Er warf die Frage auf, ob überhaupt auf die Beschwerde einzutreten sei, weil dem Wiedererwägungsgesuch stattgegeben worden war. Indes wurde im inzwischen erfolgten freiwilligen Einbau der Brandmeldeanlage eine neue Ausgangslage erblickt, weshalb der Regierungsrat auf die Rechtsbegehren eintrat. 
E. 
Mit Eingabe vom 3. Oktober 2002 gelangte die A.________ AG ans Aargauische Verwaltungsgericht und beantragte die Aufhebung des Regierungsratsbeschlusses. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 21. Oktober 2003 ab. Ziff. 1 und 2 des Dispositivs lauten: 
1.a) Ziffer 1 im Dispositiv des angefochtenen Entscheids des Regierungsrats vom 4. September 2002 wird von Amtes wegen aufgehoben und durch folgende Formulierung ersetzt: 
1.a) In Gutheissung des Berichtigungsbegehrens wird die Frist für die Ausführung der Sprinkleranlage auf den 30. Dezember 2002 festgesetzt. 
b) Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten". 
"1. a) -:- 
b) Das AVA wird angewiesen, die Frist für die Ausführung der Sprinkleranlage neu festzusetzen. 
2. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Entscheid des Regierungsrats vom 4. September 2002 wird abgewiesen." 
F. 
Die A.________ AG erhebt mit Schreiben vom 22. Dezember 2003 staatsrechtliche Beschwerde. Sie beantragt die Aufhebung des Verwaltungsgerichtsurteils und die Rückweisung an das Verwaltungsgericht zur materiellen Behandlung wegen willkürlicher Anwendung des kantonalen Rechts. 
Das AVA stellt Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Der Gemeinderat X.________ weist nochmals darauf hin, dass es sich bei seiner Fristsetzung auf den 30. Dezember 2001 um einen Schreibfehler gehandelt habe. Im Namen des Regierungsrates beantragt das instruierende Baudepartement des Kantons Aargau Abweisung der Beschwerde. Auch das Verwaltungsgericht schliesst auf Beschwerdeabweisung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde wegen der Verletzung verfassungsmässiger Rechte erhoben werden kann (Art. 86 Abs. 1 und Art. 87 in Verbindung mit Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Die Beschwerdeführerin ist durch den für sie negativ lautenden Entscheid des Verwaltungsgerichtes in ihren rechtlich geschützten Interessen berührt und damit zur Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass, so dass auf die Beschwerde einzutreten ist. 
2. 
Das Verwaltungsgericht hat die Beschwerde gegen den Regierungsratsbeschluss zwar abgewiesen, hat sich indes materiell nicht zu den Vorbringen der Beschwerdeführerin geäussert, da es deren formelle Beschwer in Abrede gestellt hat. Den Entscheid des Regierungsrates hat es - unter Abänderung von dessen Dispositiv - aufgehoben. Die Beschwerdeführerin erachtet dies als willkürliche Anwendung von § 38 des Aargauischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRPG; AGS 271.100). 
2.1 Gemäss Art. 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst dann, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56; 123 I 1E. 4a S. 5, je mit Hinweisen). 
2.2 Dem Entscheid des Verwaltungsgerichtes liegt die Rechtsauffassung zu Grunde, die Beschwerdeführerin sei gar nicht zur Beschwerde an den Regierungsrat legitimiert gewesen, da sie durch den Entscheid des AVA nicht formell beschwert sei. Das AVA habe ihrem Wiedererwägungsgesuch vollumfänglich entsprochen. Wer mit seinen im vorinstanzlichen Verfahren gestellten Anträgen durchgedrungen sei, sei im Rechtsmittelverfahren nicht beschwerdebefugt, gleichgültig, ob er durch den Entscheid in materieller Hinsicht beschwert sei oder nicht. 
 
Wer ein schutzwürdiges eigenes Interesse geltend macht, kann Verfügungen und Entscheide anfechten (§ 38 Abs. 1 VRPG). Das Aargauer Verwaltungsgericht hat die so umschriebene Beschwerdebefugnis in einem Grundsatzentscheid derjenigen in Art. 103 lit. a OG und Art. 48 lit. a VwVG gleichgestellt (Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege, Kommentar zu den §§ 38 - 72 VRPG, Zürich 1998, N. 125 zu § 38, mit Hinweis auf AGVE 1979 S. 254 ff.). Gemäss Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert, wer durch den angefochtenen Entscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Dieses Interesse kann rechtlicher oder bloss tatsächlicher Natur sein und braucht mit dem Interesse, das durch die vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichneten Normen geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin muss der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid stärker als jedermann betroffen sein und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehen (BGE 118 Ib 356 E. 1a S. 358 f.; 116 Ib 321 E. 2a S. 323; 115 Ib 387 E. 2a S. 389). Ein Interesse ist grundsätzlich nur schutzwürdig, wenn es im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch aktuell ist (BGE 111 Ib 56 E. 2a S. 58 f. mit Hinweisen). Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann in der Regel schliesslich nur führen, wer formell beschwert erscheint, das heisst wer am Verfahren vor der unteren Instanz teilgenommen hat und mit seinen dort gestellten Anträgen ganz oder teilweise unterlegen ist. Das Bundesgericht verzichtet indessen auf dieses Erfordernis, wenn der Beschwerdeführer, ohne sein Verschulden, an jenem Verfahren nicht teilnehmen konnte (BGE 118 Ib 356 E. 1a S. 358 f. mit Hinweis; Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 155; vgl. auch André Grisel, Traité de droit administratif, Bd. II, S. 900, b). 
2.3 Ob die Legitimation als Sachurteilsvoraussetzung gegeben ist, ist von der Rechtsmittelinstanz von Amtes wegen zu prüfen (sinngemäss BGE 118 Ib 356 E. 1a S. 358). Die obere Rechtsmittelinstanz hat gleichermassen von Amtes wegen zu prüfen, ob die Prozessvoraussetzungen bei der Vorinstanz gegeben waren. Hat Letztere trotz Fehlens einer Prozessvoraussetzung materiell entschieden, so ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und unter Beachtung des Prozessmangels neu zu befinden; gegebenenfalls ist der angefochtene Entscheid nur aufzuheben (vgl. BGE 122 V 372 E. 1 S. 373; Gygi, a.a.O., S. 73; Alfred Kölz/Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Auflage, Zürich 1998, Rz. 412; Thomas Merkli/Arthur Aeschlimann/Ruth Herzog, Kommentar zum Gesetz vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern [VRPG; BSG 155.21], Bern 1997, Art. 51 N. 13; Alfred Kölz/Jürg Bosshart/Martin Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zürich 1999, Vorbemerkungen zu §§ 19 - 28 N. 96; Merker, a.a.O., Vorbemerkungen zu § 38 N. 4). Würde die obere Rechtsmittelinstanz lediglich auf Nichteintreten schliessen, ohne den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben, erwüchse dieser in Rechtskraft, obwohl die Sachurteilsvoraussetzungen nicht gegeben waren. 
2.4 Kommt das Verwaltungsgericht zum Schluss, die Beschwerdeführerin sei mit ihrem Wiedererwägungsantrag an das AVA vollumfänglich durchgedrungen und hätte gar nicht mehr erreichen können, weshalb der Beschwerdeantrag auf Aufhebung des Wiedererwägungsentscheides unzulässig sei, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Selbst wenn die Beschwerdeführerin geltend macht, ihr Architekt habe im Wiedererwägungsgesuch nur geschrieben, die Variante II gemäss Besprechungsprotokoll vom 6. April 2001 werde "als die geeignetere" angesehen, ist die rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichtes nicht willkürlich. Der Wortlaut des Gesuches (lit. B hiervor) zeigt, dass das AVA diesem inhaltlich entsprochen hat: Auf die ursprünglich in Ziff. 11.4 der Brandschutzbewilligung vom 15. Mai 2000 geforderte vertikale und horizontale Brandabschnittsbildung im Hohlraum der Doppelfassade wurde verzichtet und dem Einbau der Sprinkleranlage zugestimmt. Nichts anderes hatte die Beschwerdeführerin verlangt. Ein schutzwürdiges Interesse durfte darum schon im Verfahren vor dem Regierungsrat mangels Beschwer verneint und der angefochtene Entscheid demzufolge aufgehoben werden. Folgerichtig wurde das AVA angewiesen, die Frist für die Ausführung der Sprinkleranlage neu festzusetzen. Ob indes die von Amtes wegen vorgenommene Korrektur des regierungsrätlichen Dispositivs im Falle einer Aufhebung zulässig und sinnvoll ist, kann hier offen bleiben. Im Ergebnis hält das Urteil des Verwaltungsgerichtes den verfassungsrechtlichen Anforderungen jedenfalls stand. 
 
Was die vom Gemeinderat versehentlich um ein Jahr verkürzte Frist zur Erstellung der Sprinkleranlage anbelangt, ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass deren Abänderung ohne Weiteres in einem Berichtigungsbegehren hätte beantragt werden können. 
3. 
Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen. Dies hat zur Folge, dass der Entscheid des AVA vom 12. Juni 2001 rechtskräftig und die Sprinkleranlage zu erstellen ist. Gemäss Urteil des Verwaltungsgerichtes vom 21. Oktober 2003 wird das AVA der Beschwerdeführerin noch eine angemessene Frist für die Ausführung der Sprinkleranlage anzusetzen haben. 
4. 
Bei diesem Verfahrensausgang hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Aargauischen Versicherungsamt (AVA), Abteilung Brandschutz, dem Gemeinderat X.________, dem Regierungsrat und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 4. März 2004 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: