Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_492/2023
Urteil vom 4. März 2024
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichterin Scherrer Reber,
Gerichtsschreiber Businger.
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Von Graffenried AG Treuhand,
Beschwerdeführerin,
gegen
Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG), Direktionsbereich Strafverfolgung,
Taubenstrasse 16, 3003 Bern,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Widerruf einer Ausfuhrveranlagung,
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2023 (A-4346/2020).
Sachverhalt:
A.
Am 12. Mai 2017 meldete das Speditionsunternehmen B.________ AG im elektronischen System "e-dec" bei der Zollstelle C.________ eine Armbanduhr der Marke D.________ zur Einlagerung ins Zollfreilager in U.________ zwecks anschliessender definitiver Ausfuhr in die USA an. Als zollrechtlicher Versender wurde die A.________ AG mit Sitz in V.________ und als Empfänger die E.________ in W.________ aufgeführt. Als Ausfuhrwert wurde der Betrag von Fr. 2'041'935.- deklariert. Basierend auf dieser Zollanmeldung stellte die Zollstelle am 13. Mai 2017 eine definitive elektronische Veranlagungsverfügung für die Ausfuhr der Uhr in die USA mit vorgängiger Einlagerung ins Zollfreilager aus. Der Anmeldung entsprechend wurde die A.________ AG als Versender (Expéditeur) und die E.________ als Empfänger (Destinataire) bezeichnet.
B.
B.a. Am 23. Oktober 2019 eröffnete die damalige Eidgenössische Zollverwaltung (seit 1. Januar 2022 Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit BAZG) aufgrund einer Meldung der Zollstelle F.________ eine Strafuntersuchung gegen G.________ wegen Verdachts auf Widerhandlungen gegen das Zoll- und Mehrwertsteuerrecht infolge Nichtanmeldung der Einfuhr verschiedener Uhren, welche zuvor in der Schweiz gekauft und - mutmasslich unter Rückerstattung der Inlandmehrwertsteuer - ins Ausland exportiert worden waren. Die folgenden Abklärungen ergaben, dass diverse Uhren bei der A.________ AG in der Schweiz gekauft worden seien.
B.b. Am 14. Mai 2020 wurde die elektronische Veranlagungsverfügung vom 13. Mai 2017 im System des BAZG annulliert. Mit Verfügung vom 21. Juli 2020 bestätigte die Zollverwaltung den Widerruf der Veranlagungsverfügung. Sie erwog, die Ausfuhr der Uhr sei weder im Auftrag noch auf Rechnung der A.________ AG erfolgt, sondern im Auftrag von G.________, weshalb dieser Versender bzw. Exporteur sei. Diese Verfügung bestätigte das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 23. Juni 2023.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 18. August 2023 beantragt die A.________ AG dem Bundesgericht, der Widerruf der Veranlagungsverfügung sei rückgängig zu machen.
Das Bundesverwaltungsgericht verweist auf das angefochtene Urteil.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein Endentscheid des Bundesverwaltungsgerichts in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG ). Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingereicht (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG ).
2.
2.1. Die Beschwerdelegitimation setzt ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Urteils voraus (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG). Dieses besteht im praktischen Nutzen, der sich ergibt, wenn die beschwerdeführende Partei mit ihrem Anliegen obsiegt und dadurch ihre tatsächliche oder rechtliche Situation unmittelbar beeinflusst werden kann; das Rechtsschutzinteresse muss daher grundsätzlich aktuell sein (BGE 147 I 478 E. 2.2; 141 II 14 E. 4.4).
Zwar ist die Beschwerdelegitimation vom Bundesgericht von Amtes wegen zu prüfen (Art. 29 Abs. 1 BGG); ist diese aber nicht ohne Weiteres ersichtlich, obliegt es der beschwerdeführenden Partei im Rahmen der ihr obliegenden Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG), ihre Legitimation substanziiert darzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, anhand der Akten oder weiterer Unterlagen nachzuforschen, ob die beschwerdeführende Partei allenfalls ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Urteils besitzt (BGE 139 II 328 E. 4.5; 133 II 249 E. 1.1).
2.2. Im vorliegenden Fall äussert sich die berufsmässig vertretene Beschwerdeführerin mit keinem Wort zu ihrer Legitimation, geschweige denn legt sie diese substanziiert dar. Sie macht lediglich Ausführungen zur Beschwerdefrist und zur Bevollmächtigung ihrer Vertreterin. Dies genügt vor dem Hintergrund, dass bereits die Vorinstanz das schutzwürdige Interesse angezweifelt hat (vgl. E. 1.6 des angefochtenen Urteils), nicht. Wie die nachfolgenden Erwägungen zeigen, kann denn auch keine Rede davon sein, dass das Rechtsschutzinteresse ohne Weiteres ersichtlich ist.
2.3.
2.3.1. Ausgangspunkt des vorliegenden Verfahrens ist der Widerruf der Ausfuhrveranlagung betreffend eine Uhr. Wie die Vorinstanz erwogen hat, ist die Ausfuhr der Uhr erfolgt und hat die Widerrufsverfügung der Zollverwaltung zu keiner Leistungs- bzw. Rückleistungspflicht der Beschwerdeführerin geführt (vgl. E. 1.6.2 des angefochtenen Urteils) und war auch nicht mit Kosten verbunden. Die Beschwerdeführerin hat im vorinstanzlichen Verfahren denn auch nicht geltend gemacht, dass sie ein zollrechtliches Interesse am vorliegenden Verfahren besitze. Sie hat ihr Rechtsschutzinteresse damit begründet, dass sie wegen des Widerrufs über keinen Nachweis für eine steuerbefreite Lieferung i.S.v. Art. 23 MWSTG (SR 641.20) mehr verfüge, weshalb die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) als direkte Folge des Widerrufs aus dem Verkauf der Uhr Inlandmehrwertsteuern nachgefordert habe (vgl. E. 1.6.3 des angefochtenen Urteils). Ihr Interesse am vorliegenden Verfahren ist damit ausschliesslich mehrwertsteuerrechtlicher Natur.
2.3.2. Die Vorinstanz hat die Beschwerdelegitimation trotz des fehlenden zollrechtlichen Interesses bejaht, weil die ESTV in der Begründung der Einschätzungsmitteilung ausdrücklich auf die Ausfuhrveranlagungsverfügung Bezug genommen und die Nachforderung der Inlandmehrwertsteuer damit begründet habe, dass infolge Widerrufs der Verfügung die Ausfuhr der Uhr nicht mehr nachgewiesen sei. Zudem weise die ESTV in der Publikation "MWST-Info 04 Steuerobjekt" darauf hin, dass die zollrechtlichen Bestimmungen zu beachten und die Zolldokumente für die Belange der Mehrwertsteuer aufzubewahren seien. Schliesslich habe die ESTV wegen des vorliegenden Verfahrens einen Zahlungsaufschub gewährt. Es könne nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Gutheissung der Beschwerde als Indiz gelte, das zu einer Neubeurteilung (oder einem Erlass der Nachforderung) der Inlandmehrwertsteuern führen könnte (vgl. E. 1.6.4 des angefochtenen Urteils).
2.4.
2.4.1. Mit dem Rechtsschutzinteresse bei behaupteter Reflexwirkung des Verfahrens auf ein anderes Rechtsgebiet hat sich das Bundesgericht namentlich bei den direkten Steuern befasst. Es hat ein schutzwürdiges Interesse verneint, als die Betroffene nicht die Steuerfaktoren infrage gestellt, sondern sich gegen eine Meldung der Steuerbehörden an die AHV-Ausgleichskasse betreffend Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit gewehrt hatte, weil über die Konsequenzen der Meldung im entsprechenden Verfahren von den örtlich, sachlich und funktionell zuständigen Behörden zu befinden sei (Urteil 2C_306/2009 vom 25. Januar 2010 E. 3.2). Weiter verneinte es ein Rechtsschutzinteresse, als der Betroffene eine Reflexwirkung der steuerrechtlichen Beurteilung auf eine erbrechtliche Auseinandersetzung geltend machte, weil der steuerrechtlichen Beurteilung für das Erbrecht von vornherein nur eine beschränkt präjudizielle Wirkung zukomme (Urteil 9C_611/2022 vom 14. März 2023 E. 2.3.5). Folglich ist nur zurückhaltend von einem Rechtsschutzinteresse auszugehen, wenn mit dem Rechtsmittel ausschliesslich Interessen im Hinblick auf ein anderes Rechtsgebiet verfolgt werden. Zu verlangen ist, dass im betreffenden Rechtsgebiet zwingend auf die steuerrechtliche Beurteilung abgestellt wird, so dass der Betroffene auf das steuerrechtliche Verfahren angewiesen ist, um seine Rechte wahren zu können (vgl. FELIX RICHNER/ WALTER FREI/STEFAN KAUFMANN/TOBIAS F. ROHNER, Handkommentar zum DBG, 4. Aufl. 2023, N. 13 zu Art. 132).
2.4.2. Im vorliegenden Fall wurde das Ausfuhrverfahren nach Art. 61 des Zollgesetzes vom 18. März 2005 (ZG; SR 631.0) mit der Ausfuhr der Uhr unstreitig abgeschlossen. Der Widerruf der elektronischen Ausfuhrveranlagungsverfügung hat indessen zu einer Amtshilfemeldung der Zollverwaltung an die ESTV betreffend allfälliger Auswirkungen auf die Mehrwertsteuer geführt. In der Folge hat die ESTV am 3. September 2020 eine Einschätzungsmitteilung an die Beschwerdeführerin erlassen und unter Hinweis auf die annullierte Verfügung erwogen, die Uhr sei an G.________ und nicht ins Ausland verkauft worden, weshalb eine steuerbare Inlandlieferung vorliege. Es stellt sich somit in Analogie zur Rechtsprechung bei den direkten Steuern die Frage, ob die Beschwerdeführerin die Ausfuhrveranlagungsverfügung der Zollbehörden benötigt, um ihre Rechte im Mehrwertsteuerverfahren wahren zu können.
2.4.3. Wie bereits die Vorinstanz erwogen hat, ist die Ausfuhrveranlagungsverfügung der Zollbehörden keine zwingende materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung nach Art. 23 Abs. 2 Ziff. 1 und Abs. 3 MWSTG. Aufgrund des im Mehrwertsteuerverfahren geltenden Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (Art. 81 Abs. 3 MWSTG) kann der Ausfuhrnachweis auch anders als mit einer Verfügung erbracht werden (vgl. REGINE SCHLUCKEBIER, in: Zweifel/Beusch/ Glauser/Robinson [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, MWSTG, 2015, N. 49 ff. zu Art. 23; REGINE SCHLUCKEBIER, in: Geiger/Schluckebier [Hrsg.], Kommentar MWSTG, 2. Aufl. 2019, N. 41 ff. zu Art. 23). Dies ergibt sich auch ausdrücklich aus dem von der Vorinstanz zitierten "MWST-Info 04 Steuerobjekt". Zwar empfiehlt die ESTV dort, die Zolldokumente für die Belange der Mehrwertsteuer aufzubewahren, weist aber darauf hin, dass die Ausfuhrbefreiung wegen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung auch anderweitig geltend gemacht werden kann (Ziff. 8.2.1). Weiter hat die Vorinstanz zutreffend erwogen, dass im zollrechtlichen Verfahren nicht zu prüfen sei, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf Befreiung von der Inlandmehrwertsteuer infolge direkter Auslandlieferung habe bzw. ob die Verweigerung der Befreiung durch die ESTV zu Recht erfolgt sei. Diese Beurteilung finde im mehrwertsteuerrechtlichen Verfahren statt (vgl. E. 3 des angefochtenen Urteils).
2.4.4. Vor diesem Hintergrund kann keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführerin auf die Ausfuhrveranlagungsverfügung angewiesen ist, um ihre Rechte im Mehrwertsteuerverfahren wahren zu können. Zwar ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass sich nicht von vornherein ausschliessen lässt, dass die Gutheissung der Beschwerde indirekt Auswirkungen auf die mehrwertsteuerrechtliche Beurteilung haben könnte (vgl. E. 1.6.4 des angefochtenen Urteils). Dies genügt indessen nicht, um von einem Rechtsschutzinteresse bezüglich des Zollverfahrens auszugehen. Nachdem das Vorliegen einer Ausfuhrveranlagungsverfügung wie erwähnt nicht notwendig ist für eine Steuerbefreiung nach Art. 23 MWSTG, ist nicht ersichtlich, welches Interesse die Beschwerdeführerin daran hat, den Nachweis der Ausfuhr der Uhr im zollrechtlichen Rechtsmittelverfahren zu erbringen, damit sie im mehrwertsteuerrechtlichen Verfahren über ein entsprechendes Dokument verfügt, obwohl sie den Nachweis auch direkt im mehrwertsteuerrechtlichen Verfahren erbringen könnte. Ausser einer Verzögerung des Verfahrens gewinnt die Beschwerdeführerin dadurch nichts, gerade weil im zollrechtlichen Verfahren nicht beurteilt wird, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf Befreiung von der Inlandmehrwertsteuer hat. Insoweit ist kein aktuelles Interesse am zollrechtlichen Ausfuhrverfahren ersichtlich; die Beschwerdeführerin hat im mehrwertsteuerrechtlichen Verfahren den Nachweis zu erbringen, dass sie die Uhr nicht an G.________, sondern ins Ausland verkauft hat.
2.4.5. Ebenso ist kein aktuelles Interesse an der Frage ersichtlich, ob das Ausfuhrverfahren mit der Ausfuhr der Uhr
ordnungsgemäss abgeschlossen wurde und ein Widerruf bereits deshalb und ungeachtet der Frage nach dem Versender unzulässig war (Art. 61 Abs. 4 ZG). Denn die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass die ESTV im Mehrwertsteuerverfahren an eine inhaltlich falsche, aber formell nicht mehr widerrufbare Ausfuhrveranlagungsverfügung der Zollbehörden gebunden wäre.
Auf die Beschwerde ist folglich mangels eines Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten.
3.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen werden nicht zugesprochen ( Art. 68 Abs. 1-3 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 4. März 2024
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Der Gerichtsschreiber: Businger