Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
H 134/05
Urteil vom 4. April 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin Durizzo
Parteien
D.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten
durch Rechtsanwältin Petra Ducksch, Bahnhofplatz 9, 8001 Zürich,
gegen
Ausgleichskasse des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin,
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
(Entscheid vom 5. Juli 2005)
Sachverhalt:
P.________ und ihr Ehemann betreuen als Pflegeeltern gemäss Vereinbarung mit der Firma D.________ AG seit Januar 2002 Jugendliche, welche der genannten Gesellschaft von Amtsvormundschaften, Jugendanwaltschaften, Beratungsstellen und anderen Institutionen zugewiesen werden. Die Ausgleichskasse des Kantons Aargau qualifizierte P.________ als Unselbstständigerwerbende (Verfügung vom 5. Mai 2003) und verlangte von der D.________ AG mit Verfügung vom 15. Juli 2003 die Nachzahlung von bundes- und kantonalrechtlichen Sozialversicherungsbeiträgen für das Jahr 2002. Auf Einsprache hin hielt sie an ihrer Auffassung fest (Einspracheentscheid vom 14. Mai 2004).
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 5. Juli 2005 ab.
Die D.________ AG lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die Aufhebung des angefochtenen Entscheides beantragen; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Während die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, verzichtet die als Mitinteressierte beigeladene P.________ auf eine Vernehmlassung.
Die Firma nimmt am 29. November 2005 Stellung zu den Ausführungen des BSV.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden, als Sozialversicherungsbeiträge kraft Bundesrechts streitig sind. Nicht zu prüfen ist daher, wie es sich bezüglich der Beitragsschuld gegenüber der Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen verhält (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).
1.2 Streitig und zu prüfen ist einzig die nach Art. 4 Abs. 1 AHVG relevante Frage, ob P.________ einer selbstständigen Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 AHVG nachgeht oder in einem unselbstständigen Erwerbsverhältnis (gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG) mit der D.________ AG steht. Die zur Beurteilung dieser Frage erforderlichen Rechtsgrundlagen hat das kantonale Gericht zutreffend dargelegt. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat im Urteil betreffend die Sozial- und Gesundheitsdirektion der Stadt X. vom 8. Oktober 2004, H 74/04, entschieden, dass die private Pflegekindbetreuung AHV-rechtlich als unselbstständige Erwerbstätigkeit zu qualifizieren ist, wobei das Gericht erwog: Von einem Unternehmensrisiko der Pflegemutter kann nicht die Rede sein, muss die Pflegemutter doch weder Investitionen tätigen, noch trägt sie das Inkassorisiko. Sie erhält vielmehr die vereinbarte Pauschalentschädigung so lange, als sich das Kind bei ihr (und ihrem Ehemann) in Pflege befindet. Was das zweite Hauptkriterium der betriebswirtschaftlichen und arbeitsorganisatorischen (Un-) Abhängigkeit anbelangt, ist dieses stets unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten des zu beurteilenden Erwerbsverhältnisses zu konkretisieren. Es kann daher nicht entscheidend sein, dass sich die Vormundschaftsbehörde nicht in die tagtägliche Betreuungsarbeit einmischt, welche die Pflegemutter am Kind verrichtet, welches sich unter ihrer Obhut befindet. Dies ist nicht nur wegen der örtlichen Distanz, sondern wegen den dem Pflegeverhältnis inhärenten praktischen Gegebenheiten gar nicht möglich. Entscheidend ist vielmehr, dass die Pflegemutter in allen Belangen, welche über die tägliche Betreuung des ihr anvertrauten Kindes hinausgehen, klar an die Weisungen der Vormundschaftsbehörde gebunden ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem tatsächlich abgeschlossenen Pflegevertrag, sondern den übergeordneten Rechtsnormen, welche für ein Pflegeverhältnis massgebend sind (Art. 316 ZGB).
2.
Der Fall der Beschwerdeführerin unterscheidet sich von dem im erwähnten Urteil H 74/04 insofern, als es hier nicht um das Vertragsverhältnis zwischen einer Behörde und der mit der Betreuung betrauten Person geht, sondern eine AG als Vermittlerin auftritt, welche aus ihrer Sicht geeignete und den formulierten Kriterien entsprechende Familien zur kurz- oder längerfristigen Platzierung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auswählt, diese Familien bei der Betreuung begleitet und die entsprechende Infrastruktur Fürsorgeämtern und anderen Institutionen anbietet.
Diese Gegebenheiten ändern jedoch an der AHV-rechtlichen Qualifikation der geleisteten Erwerbstätigkeit im Wesentlichen nichts, wie das BSV zutreffend festhält. So fehlt es auch hier, wie im zitierten Urteil vom 8. Oktober 2004, an einem Unternehmensrisiko, da P.________ weder Investitionen tätigen muss noch das Inkassorisiko trägt. Entgegen der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung kann die mit BGE 110 V 78 Erw. 4b eingeleitete Rechtsprechung, wonach das Unternehmerrisiko bei investitionsschwachen Dienstleistungen in den Hintergrund tritt, nicht dahingehend verstanden werden, dass es in solchen Fällen überhaupt jegliche Bedeutung verliert. Die Beschwerdeführerin erhält die vereinbarte Pauschalentschädigung so lange, als sich die bei ihrer Familie platzierten Jugendlichen in ihrer Pflege befinden. Was das zweite Hauptkriterium der betriebswirtschaftlichen und arbeitsorganisatorischen (Un-) Abhängigkeit betrifft, gelten die Erwägungen im Urteil H 74/04 analog. Die Pflegekindbetreuung hat mit Blick auf die behördliche Weisungsgebundenheit an sich unselbstständigen Charakter, woran das Dazwischenschalten einer privaten Vermittlungsorganisation nichts ändert. Zwar mischt sich die D.________ AG nicht in die tägliche Betreuungsarbeit ein. Entscheidend ist jedoch, dass P.________ in allen Belangen, welche über die tägliche Betreuung der ihr anvertrauten Jugendlichen hinausgehen, an die Weisungen der D.________ AG gebunden ist. Denn entgegen den Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist die genannte Gesellschaft sehr wohl weisungsbefugt; es besteht von Gesetzes wegen die Pflicht, der Betreuungsperson Weisungen zu erteilen, steht die Gesellschaft selber doch unter Aufsicht der zuweisenden Behörde (Art. 316 ZGB). Wie die D.________ AG in ihrem Prospekt festhält, tritt sie als Ansprechpartnerin der zuweisenden Instanz auf; ein direkter Kontakt zwischen Betreuungsfamilie und Behörde ist nicht vorgesehen. Bezüglich der Aufsicht über die Betreuung bedeutet dies einzig, dass hier zwischen Behörde und Betreuungsperson eine Vermittlerin steht. Die Weisungsbefugnis der für die Platzierung zuständigen Behörde schliesst eine Dienstleistung der Pflegefamilie "nach freiem Ermessen", wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht, und damit eine Qualifikation als selbstständige Erwerbstätigkeit aus. Im Hinblick darauf, dass nicht wie sonst üblich die Behörde der Pflegefamilie die Entschädigung auszahlt, sondern dass dies die mit der Platzierung betraute Beschwerdeführerin übernimmt, haben Verwaltung und Vorinstanz zu Recht letztere als Arbeitgeberin im AHV-rechtlichen Sinne betrachtet (vgl. ZAK 1990 S. 130 Erw. 3b mit Hinweis; SZS 1997 S. 53).
3.
Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich die Berechnung des massgebenden Lohns. Sie bezieht sich dabei auf eine Nachzahlungsverfügung vom 1. Juli 2003, in welcher eine Lohnsumme von Fr. 6300.- festgesetzt wird. Nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des kantonalen Gerichts wurde indes diese Verfügung in der Folge durch die hier im Streit liegende vom 15. Juli 2003 (im vorinstanzlichen Entscheid ist fälschlicherweise vom 15. Juli 2004 die Rede) ersetzt, welche neu von einer Lohnsumme von Fr. 3000.- ausgeht. Dieser Betrag wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht nicht in Frage gestellt, entspricht er doch der Betreuungsentschädigung, wogegen die Ausgleichskasse die weiteren Fr. 3300.- zu Recht als Spesenersatz betrachtet hat, auf dem keine Beiträge geschuldet sind (Art. 7 Ingress, Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 zweiter Satz AHVV).
4.
Bei diesem Verfahrensausgang gehen die Gerichtskosten zu Lasten der unterliegenden Beschwerdeführerin (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, dem Bundesamt für Sozialversicherung und P.________ zugestellt.
Luzern, 4. April 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
i.V.