Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5C.296/2005 /blb
Urteil vom 4. Mai 2006
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Hohl, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Möckli.
Parteien
X.________,
Kläger und Berufungskläger,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler,
gegen
Versicherung V.________,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
vertreten durch Rechtsanwalt Lorenzo Marazzotta.
Gegenstand
Forderung aus Versicherungsvertrag,
Berufung gegen das Urteil des Handelsgerichts
des Kantons Zürich vom 20. September 2005.
Sachverhalt:
A.
X.________ hatte mit der Versicherung T.________, Rechtsvorgängerin der nunmehr eingeklagten Versicherung V.________ (...), eine gemischte Lebensversicherung abgeschlossen.
Am 5. November 2001 reichte X.________ eine Schadenanzeige zur Anmeldung von Leistungen für Erwerbsunfähigkeit ein, wobei er der Versicherung V.________ mitteilte, dass er seit ca. 1998 unter zunehmenden Rückenbeschwerden leide, seit 13. Juli 2000 eine teilweise Arbeitsunfähigkeit bestehe und er am 20. Februar 2001 am Rücken habe operiert werden müssen, wonach er bis zum 13. August 2001 vollständig und anschliessend zu 80 % arbeitsunfähig gewesen sei.
Am 13. November 2001 trat die Versicherung V.________ wegen Anzeigepflichtverletzung vom Versicherungsvertrag zurück. Diesen Rücktritt bestätigte sie mit Schreiben vom 18. April 2002. Sie teilte X.________ mit, dass der Versicherungsvertrag aufgrund einer weiteren Anzeigepflichtverletzung auch unter anderen Bedingungen nicht aufrecht erhalten werden könne.
In der Folge suchten die Parteien nach einer vergleichsweisen Einigung. Mit Schreiben vom 25. September 2002 teilte die Versicherung V.________ mit, dass sie definitiv am Vertragsrücktritt vom 13. November 2001 festhalte. Gleichzeitig erklärte sie sich bereit, dem Kläger die einbezahlten Prämien unpräjudiziell und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zurückzuerstatten. Dafür legte sie ein Formular für die Abwicklung der Prämienrückerstattung bei, welches X.________ ausfüllte und unterzeichnet zurücksandte.
B.
Mit Klage vom 10. Juni 2004 verlangte X.________ die Feststellung, dass der Rücktritt wegen Anzeigepflichtverletzung vom 13. November 2001 ungültig sei und der Lebensversicherungsvertrag weiterhin bestehe. Mit (zugelassener) Klageänderung vom 9. Dezember 2004 wandelte er die Feststellungsklage in eine Leistungsklage um.
Mit Urteil vom 20. September 2005 wies das Handelsgericht des Kantons Zürich die Klage ab.
C.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 21. Oktober 2005 eine Berufung eingereicht, im Wesentlichen mit den Begehren um Verurteilung der Beklagten zu Fr. 20'288.-- für Prämienbefreiungsleistungen vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2004 und zu Fr. 36'440.-- als Restbetrag für die versicherten monatlichen Renten aus Erwerbsunfähigkeit vom 1. Juli 2002 bis 31. Dezember 2004. Es wurde keine Berufungsantwort eingeholt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitobjekt bildet zunächst die Frage, ob der Versicherungsvertrag durch Parteivereinbarung aufgehoben worden ist.
1.1 Nach den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen steht fest, dass die Parteien im Anschluss an das Rücktrittsschreiben der Beklagten vom 13. November 2001 nach einer vergleichsweisen Einigung suchten.
Im Schreiben vom 18. April 2002, mit welchem die Beklagte den Vertragsrücktritt bestätigte, wurde festgehalten:
- ... Mit Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir Ihren bestehenden Versicherungsvertrag aufgrund der uns nun bekannten Tatsachen auch zu anderen Bedingungen nicht wieder in Kraft setzen können.
- Um Ihnen jedoch den Verlust der wertvollen Vorsorge sowie der bisher einbezahlten Prämien zu ersparen, können wir Ihnen als Ersatz für den vom Rücktritt betroffenen Vertrag eine fondsgebundene Leibrentenversicherung - Tarif LRA - offerieren. Es handelt sich dabei um eine Sparversicherung ohne Todesfallrisiko und ohne Zusatzversicherungen. Ihre bisherige Halbjahresprämie von Fr. 2'356.00 bleibt unverändert. Die entsprechende Offerte erhalten sie in der Beilage.
- Sollten Sie am Abschluss der neuen Versicherung kein Interesse haben, stehen Ihnen noch die nachfolgenden Möglichkeiten zur Verfügung:
- Rückkauf der Police
- Beim Rückkauf gelangt das Anteilguthaben (Sparteil) der Versicherung, gekürzt um einen Abzug für die nicht amortisierten Kosten, als Rückkaufswert zur Auszahlung. Der Rückkaufswert Ihrer Police beträgt per 01.12.2001 aufgrund dieses Berechnungsmodus somit Fr. 14'903.00.
- Umwandlung der Police
- Bei einer Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung wird der Rückkaufswert der Versicherung per Vertragsablauf (30.11.2011) aufgezinst, was den Umwandlungswert (prämienfreier Wert) ergibt, zu dem sich die Versicherung fortan in Kraft befindet. Im vorliegenden Fall beläuft sich dieser auf Fr. 20'144.00
" -:-
Gerne erwarten wir zu gegebener Zeit Ihren Bericht, für welche der Varianten Sie sich entschieden haben ...".
Mit Schreiben vom 25. September 2002 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sich am Sachverhalt der Anzeigepflichtverletzung im Sinn von Art. 4 VVG nichts geändert habe und diese bestehen bleibe, so wie im Schreiben vom 13. November 2001 geltend gemacht. Weiter schrieb sie:
- ... Entgegenkommenderweise, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unpräjudiziell sind wir bereit, die von Ihnen seit Vertragsbeginn einbezahlten Prämien zurück zu erstatten. Die Prämienrückerstattung vom 01.12.1996 - 30.11.2001 beträgt somit Fr. 23'560.-.
Wir bitten Sie, beiliegendes Formular datiert und unterschrieben zurückzusenden."
Das erwähnte Formular, das vom Kläger am 1. Oktober 2002 ausgefüllt und unterschrieben wurde, lautet wie folgt:
- ... Auszahlungsauftrag
- Ich wünsche den Rückkauf der oben erwähnten Versicherung - die Prämienrückerstattung ist auf das nachfolgende Bankkonto zu überweisen: ...".
1.2 Die Beklagte erblickt im Ausfüllen und Unterzeichnen des Prämienrückerstattungsformulars ein konkludentes Akzept der Vertragsauflösung. Demgegenüber stellt sich der Kläger auf den Standpunkt, die Beklagte habe ihm entgegenkommenderweise und unpräjudiziell die Prämien zurückerstattet; dabei könne es sich aber nicht um einen Rückkauf im versicherungstechnischen Sinn handeln, weil diesfalls ein bestimmter Betrag (nämlich Fr. 14'903.--) und nicht das bisher einbezahlte Prämienvolumen (von Fr. 23'560.--) zu erstatten gewesen wäre.
1.3 Wie der Kläger richtig festhält, hat das Handelsgericht nicht einen übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen festgestellt, sondern eine Auslegung der beidseitigen Willenserklärungen nach dem Vertrauensprinzip vorgenommen. Dieses gründet auf Bundesrecht und ist deshalb im Berufungsverfahren vom Bundesgericht frei überprüfbar (BGE 129 III 118 E. 2.5 S. 123; 130 III 417 E. 3.2 S. 425). Dabei ist eine Willenserklärung so auszulegen, wie sie von der andern Partei nach den gesamten Umständen in guten Treuen verstanden werden durfte und musste (BGE 126 III 59 E. 5b S. 68; 130 III 417 E. 3.2 S. 424).
1.4 Nach den vorinstanzlichen Erwägungen ist die Beklagte stets von einem verbindlichen Rücktritt ausgegangen und hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie den Vertrag als ausser Kraft gesetzt betrachte, wobei sie unterschiedliche Rückabwicklungsszenarien vorschlug. Während sie sich in ihrem Schreiben vom 18. April 2002 zur Zahlung des Rückkaufswertes von Fr. 14'903.-- bereit erklärt hatte, offerierte sie in demjenigen vom 25. September 2002 "entgegenkommenderweise, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unpräjudiziell" eine höhere, dem gesamten bislang bezahlten Prämienvolumen entsprechende Summe.
Wie das Handelsgericht zutreffend erwogen hat, durfte der Kläger daraus nicht ableiten, dass es sich hierbei um eine ausserhalb des Rücktrittskontextes bzw. der Vertragsaufhebung stehende Zahlung handle; angesichts der vorangehenden Vergleichsverhandlungen und des klaren, stets unveränderten Standpunktes der Versicherung konnte und durfte er deren "unpräjudizielles Entgegenkommen" nach dem Vertrauensprinzip nicht anders denn als Bereitschaft zur Zahlung einer höheren Summe als dem Rückkaufswert für die Folgen des Dahinfallens des Versicherungsvertrages verstehen. Umgekehrt konnte und durfte die Beklagte das vorbehalt- und kommentarlose Ausfüllen und Unterschreiben des Rückerstattungsformulars nach dem Vertrauensprinzip als Zustimmung zur vorgeschlagenen Liquidierung des Vertragsverhältnisses auffassen. Welchen anderen Sinn das Formular hätte haben können bzw. aus welchem anderen Grund die auf ihrem Rücktritt beharrende Beklagte zur Prämienrückerstattung hätte bereit sein sollen, vermag auch der Kläger nicht zu sagen.
1.5 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das Handelsgericht kein Bundesrecht verletzt hat, wenn es von einer vergleichsweisen Aufhebung des Versicherungsvertrags ausgegangen ist.
2.
Für den Fall des vorstehenden Resultates behauptet der Kläger hilfsweise, einem Grundlagenirrtum erlegen zu sein, weil die Beklagte die zur Entdeckung der Anzeigepflichtverletzung führenden Informationen unrechtmässig beschafft habe.
2.1 Zum einen bezieht der Kläger seinen "Irrtum" auf den Vorwurf, die Beklagte habe seine Vollmacht missbraucht und das Transparenz- sowie Verhältnismässigkeitsgebot gemäss Art. 4 Abs. 2 Datenschutzgesetz (DSG) verletzt; im Wissen, dass es der Beklagten nicht um die Feststellung der Leistungspflicht, sondern in Wahrheit um die Abklärung einer Anzeigepflichtverletzung gegangen sei, hätte er ihr die Vollmacht zur Einholung von Auskünften niemals erteilt.
Bei seiner Argumentation übergeht der Kläger, dass er im Zeitpunkt der vergleichsweisen Aufhebungsvereinbarung längst wusste, in welcher Art die Beklagte seine Vollmacht verwendet hatte. Dies schliesst einen Grundlagenirrtum nicht nur in Bezug auf deren konkrete Verwendung, sondern auch mit Bezug auf den Inhalt und die Tragweite der Aufhebungsvereinbarung von vornherein aus.
Nichts für seinen Standpunkt abzuleiten vermag der Kläger sodann aus BGE 129 III 510. In jenem Entscheid ging es um die Tragweite der Mitwirkungs- und Auskunftspflicht gemäss Art. 39 VVG. Vorliegend hat jedoch der Kläger keine Auskünfte verweigert, sondern im Gegenteil der Beklagten eine diesbezügliche Vollmacht erteilt.
2.2 Zum andern bezieht der Kläger seinen "Irrtum" auf den Vorwurf, die Beklagte habe die erhobenen Informationen zweckentfremdet und damit das Zweckbindungsgebot nach Art. 4 Abs. 3 DSG verletzt; er habe die Beklagte auf dem Formular zur Anmeldung von Leistungen für Erwerbsunfähigkeit nur zu Abklärungen im Zusammenhang mit der Leistungspflicht ermächtigt.
2.2.1 Hinsichtlich des Zweckbindungsgebotes macht der Kläger vom Sinn her einen Rechtsirrtum bezüglich datenschutzrechtlicher Bestimmungen geltend.
Auf Grundlagenirrtum kann sich zunächst berufen, wer sich beim Vertragsschluss über einen bestimmten Sachverhalt geirrt hat, den er nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als notwendige Vertragsgrundlage betrachten durfte. Der Grundlagenirrtum kann sich aber auch auf eine rechtliche Situation beziehen, wobei diese für beide Parteien subjektiv und objektiv eine unabdingbare Grundlage des Vertrages darstellen musste (BGE 109 II 319 E. 4 S. 324; 113 II 25 E. 1 S. 27; 127 V 301 E. 3c S. 308).
Ein auf dem Verkennen einer Rechtslage basierender Grundlagenirrtum liegt beispielsweise vor, wenn sich die Parteien beim Grundstückskauf über die (preisbestimmende) aktuelle Bebaubarkeit eines Grundstücks geirrt haben (BGE 98 II 15 E. 2 S. 19), während bereits dann nicht mehr von einem wesentlichen Irrtum ausgegangen werden kann, wenn die betreffende Parzelle später von einem Baustopp erfasst wird (vgl. BGE 107 II 343 E. 1b S. 347). Ebenso wenig hat das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Auflösung eines Arbeitsvertrages den Irrtum über das Recht auf bezahlten Mutterschaftsurlaub als wesentlich angesehen (BGE 118 II 58 E. 3b S. 63).
2.2.2 Der Kläger hat der Beklagten mit der Anmeldung seines Versicherungsfalles folgende schriftliche Vollmacht erteilt:
- Der/die Unterzeichnete entbindet hiermit die in Ziff. 4 aufgeführten Institutionen, alle Ärzte und Krankenhäuser sowie weitere in Betracht fallende Personen von der Wahrung des Berufs- bzw. Amtsgeheimnisses gegenüber der Versicherung V.________. Er/sie erklärt sich einverstanden mit der Erteilung jeder Auskunft an die Versicherung V.________, einschliesslich Gewährung der Akteneinsicht."
Auch wenn der Kläger mit dieser schriftlichen Erklärung geradezu eine Blankovollmacht ausgestellt hat, wurde sie von der Beklagten entgegen den Unterstellungen in der Berufung nicht für ein eigentliches Fishing missbraucht: Wie die an verschiedene Ärzte versandten Fragebogen (KB 14 und 15 sowie AB 5 bis 7) zeigen, hat die Beklagte nicht nach beliebigen Krankheiten und Unfällen, sondern in erster Linie nach einer Osteochondrose und damit nach derjenigen Diagnose gefragt, die der Kläger in der Schadenanzeige (KB 11) selbst angegeben hatte (Vervollständigung des Sachverhalts gestützt auf Art. 64 Abs. 2 OG).
Im Rahmen dieser Fragestellung hat sich aufgrund der Abklärungen ergeben, dass der Kläger bei Abschluss des Versicherungsvertrages bereits an den betreffenden Beschwerden litt und diesbezüglich auch in ärztlicher Behandlung stand. Nun war es der Versicherung aber weder möglich noch zumutbar, die aus den Fragebogen gewonnenen Informationen gewissermassen nur mit dem "Leistungspflichts-Auge" wahrzunehmen und gleichzeitig das "Anzeigepflichtverletzungs-Auge" zu verschliessen.
So oder anders würde es aber an dem für einen Grundlagenirrtum unabdingbaren Erfordernis gebrechen, dass die vom Kläger behauptete datenschutzmässige Rechtslage von beiden Parteien objektiv und subjektiv als notwendige Grundlage des Aufhebungsvertrages hätte angesehen werden müssen. Für die Beklagte könnte dies von vornherein nur dann zutreffen, wenn die datenschutzrechtliche Lage klar und zudem durch das Vorgehen der Versicherung augenfällig missachtet worden wäre, was beides nicht der Fall ist.
3.
Der Kläger behauptet schliesslich eine "Ungültigkeit des Rücktrittsschreibens vom 30. September 2003".
Abgesehen davon, dass keine Rücktrittserklärung vom 30. September 2003 aktenkundig ist, stiesse erstens die Behauptung eines nichtigen Rücktritts nach dem soeben Gesagten ins Leere und wäre zweitens die Frage des rechtmässigen Rücktrittes ohnehin gegenstandslos, da die Parteien gemäss E. 1 den Versicherungsvertrag durch Vergleich im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben haben.
4.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Berufung abzuweisen ist. Die Gerichtsgebühr ist somit dem Kläger aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Der Gegenpartei ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Berufung wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Kläger auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. Mai 2006
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: