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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_176/2010 
 
Urteil vom 4. Mai 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Kernen, Seiler, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
D.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Laube, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Invalideneinkommen), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. Januar 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der seit 1996 als selbständiger Psychiater tätige D.________ meldete sich im Juli 2006 bei der Invalidenversicherung an und beantragte eine Rente. Die IV-Stelle des Kantons Zürich klärte die gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse ab. Unter anderem liess sie den Versicherten rheumatologisch untersuchen und begutachten. In seiner Stellungnahme zur Expertise vom 5. Februar 2007 machte D.________ eine Verschlimmerung des Gesundheitszustandes geltend. Mit Vorbescheid vom 26. April 2007 teilte ihm die IV-Stelle mit, er habe ab 1. Juli 2005 Anspruch auf eine Viertelsrente. Dagegen liess der Versicherte Einwände erheben, woraufhin die Verwaltung weitere Abklärungen vornahm. Mit Vorbescheid vom 7. März 2008 verneinte die IV-Stelle den Anspruch auf eine Invalidenrente. Am 21. Oktober 2008 erliess sie eine in diesem Sinne lautende Verfügung. 
 
B. 
Die Beschwerde des D.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 22. Januar 2010 ab. 
 
C. 
D.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 22. Januar 2010 sei aufzuheben und ihm eine Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen. 
 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde, während kantonales Gericht und Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichten. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Mit Vorbescheid vom 26. April 2007 habe ihm die IV-Stelle eine Viertelsrente zugesprochen, wogegen er Einwände erhoben habe. Mit einem zweitem Vorbescheid vom 7. März 2008 habe sie einen Rentenanspruch verneint, ohne vorgängig eine reformatio in peius anzudrohen und ihm Gelegenheit zu geben, seine Einwände zurückzuziehen. 
Die Vorinstanz hat sich zum selben Vorwurf geäussert und dargelegt, weshalb keine Gehörsverletzung vorliege. Der Beschwerdeführer tut nicht dar, inwiefern die diesbezüglichen Erwägungen Bundesrecht verletzen (Art. 95 lit. a BGG), womit er seiner Begründungspflicht nicht genügt (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Abgesehen davon ist die Rüge unbegründet. Die Auffassung des Beschwerdeführers bedeutete, dass ein Vorbescheid, gegen den keine Einwände erhoben werden, entweder wie eine Verfügung in formelle Rechtskraft erwüchse oder die IV-Stelle verpflichtete, entsprechend zu verfügen. Weder das Eine noch das Andere trifft jedoch zu, was mit Bezug auf die erste Variante das Vorbescheidverfahren wesentlich von dem in den anderen Sozialversicherungszweigen geltenden Einspracheverfahren (Art. 52 ATSG) unterscheidet. Die Einwände im Vorbescheidverfahren sind nicht ein Rechtsmittel, das zurückgezogen werden könnte mit der Konsequenz, dass der Vorbescheid rechtskräftig würde. Sie sind vielmehr die Äusserung im Rahmen des Gehörsanspruchs. Das Vorbescheidverfahren geht insoweit über den verfassungsrechtlichen Mindestanspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) hinaus, als die versicherte Person Gelegenheit erhält, sich nicht nur zur Sache, sondern auch zum vorgesehenen Endentscheid zu äussern (Art. 57a Abs. 1 IVG und Art. 73ter Abs. 1 IVV; BGE 134 V 97 E. 2.8.2 S. 107 mit Hinweisen; Urteil 9C_617/2009 vom 15. Januar 2010 E. 2.1). Die Verwaltung ist aber nicht verpflichtet, gemäss dem Vorbescheid zu verfügen. 
 
2. 
Die Vorinstanz hat einen Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28a Abs. 1 IVG) durchgeführt, welcher einen Invaliditätsgrad von 19 % ergab. Das Valideneinkommen (Fr. 268'619.-) hat sie aufgrund des durchschnittlichen Verdienstes der Jahre 1997-2003 gemäss den Eintragungen im Individuellen Konto (1997-2002) resp. der Erfolgsrechnung (2003) festgesetzt. Sie hat es insbesondere abgelehnt, einzig auf das Einkommen 2002 von Fr. 326'100.- abzustellen, u.a. weil der Gewinn 2003 von Fr. 244'812.77 sogar unter dem Durchschnitt der letzten sieben Jahre gelegen habe. Das Invalideneinkommen (Fr. 217'679.40) hat die Vorinstanz dem im Jahr 2005 ausgewiesenen Gewinn gemäss Erfolgsrechnung gleichgesetzt. Sie hat erwogen, die in einem Gewerbebetrieb realisierten Geschäftsergebnisse liessen zuverlässige Schlüsse auf die invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse zu, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne, dass sie durch invaliditätsfremde Faktoren beeinflusst worden seien. Dies sei vorliegend aufgrund der bei den Akten liegenden Jahresabschlüsse möglich. 
 
3. 
Der Beschwerdeführer bestreitet das Invalideneinkommen. Er bringt vor, indem die Vorinstanz einzig auf den Betriebsgewinn 2005 abstelle, lasse sie die rentenwirksamen Änderungen bis zum Erlass der Verfügung im Oktober 2008 ausser Acht. Auf Grund der medizinischen Akten habe sich der Gesundheitszustand seit Sommer 2006 verschlechtert und die verbliebene Arbeitsfähigkeit von 60 % auf 50 % abgenommen. Aussagekräftiger als die Betriebsergebnisse 2005 und 2006 seien daher die Jahre 2007 und 2008. 
 
3.1 Die Vorinstanz hat, was der Beschwerdeführer zu übersehen scheint, der aufgrund des Auftretens der weiteren Diskushernie L2/L3 gemäss MRI vom 17. Oktober 2006 geltend gemachten Verschlechterung des Gesundheitszustandes Rechnung getragen und ist von einer Arbeitsfähigkeit von 50 % im angestammten Beruf als selbständiger Psychiater ausgegangen. Im rheumatologischen Administrativgutachten vom 5. Februar 2007 wurde die Arbeitsfähigkeit auf 60 % beziffert. Insofern zielen die Vorbringen in der Beschwerde ins Leere. 
3.2 
3.2.1 Indessen erscheint es fragwürdig, beim Valideneinkommen auf die Betriebsergebnisse von sieben Geschäftsjahren abzustellen, was im Übrigen zu Recht nicht beanstandet wird (Urteile 8C_671/2009 vom 23. Dezember 2009 E. 5.2.1 und 9C_428/2009 vom 13. Oktober 2009 E. 3.2.1), beim Invalideneinkommen hingegen nur dasjenige eines einzigen Geschäftsjahres heranzuziehen. Denn als Invalidität gilt die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG; BGE 125 V 146 E. 5c/bb S. 157; AHI 1998 S. 119, I 83/97, E. 2c; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 342/95 vom 12. Juli 1996 E. 3c). Der nach Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit erzielte Verdienst kann grundsätzlich denn auch nur dann als Invalideneinkommen gelten, wenn die beruflich-erwerbliche Situation, in welcher die versicherte Person konkret steht, stabil ist (BGE 126 V 75 E. 3b/aa S. 76), insbesondere von voraussichtlich längerer Dauer sein wird. 
3.2.2 Nach Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung 2004 betrugen die Betriebsergebnisse Fr. 217'679.40 (2005), Fr. 207'327.48 (2006) sowie Fr. 115'653.16 (2007). In der vorinstanzlichen Beschwerde war ausgeführt worden, die Geschäftsentwicklung 2008 sei in ähnlichem Rahmen verlaufen wie im Vorjahr. Der Gewinn ging somit um beinahe die Hälfte zurück, was sich aufgrund der Akten allein mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht erklären lässt. Die Ergebnisse 2005 und 2006 entsprechen rund 80 %, das Ergebnis 2007 43 % des durchschnittlichen Gewinns 1997-2003. Werden invaliditätsfremde Faktoren, insbesondere allfällige konjunkturelle Einflüsse (Urteil 8C_503/2008 vom 21. November 2008 E. 3.2) ausgeblendet, wirkte sich somit die 2004 eingetretene gesundheitliche Beeinträchtigung in den beiden folgenden Jahren bedeutend weniger stark, im dritten Jahr dagegen stärker aus als die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 40 % resp. 50 % bei unveränderter Betriebsstruktur, konstanter Auftragslage und mindestens gleich hohen Honoraransätzen erwarten liess. Will unter diesen Umständen das Invalideneinkommen anhand der nach Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung 2004 erzielten Geschäftsergebnisse bestimmt werden, muss mit Bezug auf die zeitliche Basis zwingend auf einen längeren Beobachtungszeitraum abgestellt werden. 
 
3.3 Die Sache ist somit nicht spruchreif. Der vorinstanzliche Entscheid beruht in Bezug auf das Invalideneinkommen auf einem unvollständig abgeklärten Sachverhalt, was Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG; Urteil 9C_118/2010 vom 22. April 2010 E. 2). Die IV-Stelle wird im dargelegten Sinne weitere Abklärungen vorzunehmen haben. Ergibt sich, dass das Invalideneinkommen nicht zuverlässig ermittelt werden kann, muss allenfalls das ausserordentliche Bemessungsverfahren (erwerblich gewichteter Betätigungsvergleich; BGE 128 V 29 E. 1 S. 30; Urteil 8C_308/2008 vom 24. September 2008 E. 2.2) angewendet werden. Danach wird die IV-Stelle über den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente neu verfügen. 
 
4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die IV-Stelle die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine u.a. nach dem anwaltlichen Vertretungsaufwand bemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. Januar 2010 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 21. Oktober 2008 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie nach Abklärungen im Sinne der Erwägungen über den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Rente der Invalidenversicherung neu verfüge. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons Zürich auferlegt. 
 
3. 
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.- zu entschädigen. 
 
4. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hat die Gerichtskosten und die Parteientschädigung für das vorangegangenen Verfahren neu festzusetzen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 4. Mai 2010 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: 
 
Borella Fessler