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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 237/05 
 
Urteil vom 4. Juli 2005 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Ackermann 
 
Parteien 
M.________, 1985, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hardy Landolt, Abläschstrasse 88, 8750 Glarus, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Glarus, Zwinglistrasse 6, 8750 Glarus, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Glarus, Glarus 
 
(Entscheid vom 8. März 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
M.________, geboren 1985, meldete sich am 21. Juni 2004 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Glarus nahm in der Folge medizinische Abklärungen vor (Beizug je eines Berichtes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie X.________ vom 7. Juli 2004 sowie des Dr. med. R.________, Arzt für Allgemeine Medizin, vom 26. Juli 2004). Nachdem zusätzlich ein interner Bericht des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 6. August 2004 eingeholt worden war, lehnte die Verwaltung mit Verfügung vom 9. August 2004 den Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen ab, da die Arbeitsunfähigkeit vor allem durch das Abhängigkeitsverhalten (Cannabiskonsum) begründet sei und deshalb keine Invalidität im Sinne des Gesetzes vorliege. Im anschliessenden Einspracheverfahren nahm die IV-Stelle je einen Bericht des Dr. med. B.________, Kinder- und Jugendpsychiatrie - Psychotherapie FMH, vom 8. September 2004 sowie der Klinik X.________ vom 23. Januar 2004 zu den Akten und holte eine weitere Stellungnahme des RAD vom 17. September 2004 ein. Mit Einspracheentscheid vom 22. September 2004 bestätigte die Verwaltung ihre Verfügung von August 2004 und verneinte den Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung (berufliche und medizinische Massnahmen, Rente). 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus mit Entscheid vom 8. März 2005 ab. 
C. 
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides seien ihm medizinische und berufliche Eingliederungsmassnahmen zuzusprechen, eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er lässt je einen Bericht des Dr. med. B.________ vom 30. März 2005 sowie des PD Dr. med. S.________, Leitender Arzt der Psychiatrischen Klinik Y.________, vom 6. April 2005 einreichen. 
 
Die IV-Stelle schliesst sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Zutreffend sind die Erwägungen des kantonalen Gerichts über den Begriff der Invalidität (Art. 8 ATSG, Art. 4 IVG) sowie über die Rechtsprechung zu den geistigen Gesundheitsschäden, die zu einer Invalidität führen können (BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 V 298 Erw. 4c in fine), und bezüglich Drogensucht (AHI 2001 S. 228 f. Erw. 2b mit Hinweisen, Urteil M. vom 30. November 2004, I 163/04). Dasselbe gilt für die Ausführungen über den Anspruch auf berufliche und medizinische Eingliederungsmassnahmen (Art. 8 ff. IVG). Darauf wird verwiesen. 
2. 
Streitig ist der Anspruch auf berufliche und medizinische Eingliederungsmassnahmen und in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage, ob ein invalidisierender Gesundheitsschaden vorliegt. Nicht Streitgegenstand ist demgegenüber ein Rentenanspruch. 
2.1 Die Vorinstanz stellt auf die Auffassung der Klinik X.________ ab, woraus "mit aller wünschbaren Deutlichkeit" hervorgehe, dass der 1999 begonnene Cannabiskonsum am Anfang aller Probleme gestanden haben dürfte. Die Problematik des Versicherten liege im Suchtbereich und die psychotischen Episoden seien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, so dass primär eine Suchterkrankung vorliege, für welche die Invalidenversicherung keine Leistungen zu erbringen habe. 
 
Der Beschwerdeführer ist demgegenüber der Ansicht, dass bei ihm ein psychischer Gesundheitsschaden vorliege, der sich allmählich entwickelt habe; der "exzessive Cannabiskonsum" sei nur eine Begleiterscheinung dieser Krankheit. 
2.2 Die Ärzte der Klink X.________ diagnostizieren im Austrittsbericht vom 23. Januar 2004 - nach einer vom 29. August 2003 bis zum 7. Januar 2004 dauernden Hospitalisation - einen "Status nach sonstigen psychischen und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide: Paranoide Wahnvorstellungen (ICD-10: F12.8) Schädlicher Gebrauch von Cannabinoiden (ICD-10: F12.1)". In der Beurteilung halten sie fest, dass eine Besserung der paranoiden Symptomatik und der Stimmung eingetreten sei, der schädliche Cannabiskonsum jedoch weiterhin bestehe und der Versicherte von der Substanz psychisch abhängig zu sein scheine; eine psychiatrisch-psychotherapeutische Weiterbehandlung sei dringend indiziert, wobei die Drogenproblematik im Vordergrund stehen müsse. Im Bericht zuhanden der IV-Stelle von 7. Juli 2004 werden die Angaben des Austrittsberichts im Wesentlichen bestätigt. Es fällt auf, dass in den Berichten der Klinik X.________ jeweils nur die Drogensucht diagnostiziert und letztlich auch als im Vordergrund der Problematik stehend erachtet wird. Nicht gestellt wird dagegen eine davon abweichende psychiatrische Diagnose oder Beurteilung in dem Sinne, dass ein von der Drogensucht unabhängiger oder gar vorbestehender psychischer Gesundheitsschaden mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit vorliege oder dass die Drogensucht Folge einer vorbestehenden Erkrankung sei. 
 
Die Berichte der Klinik X.________ sind - insbesondere auch unter Berücksichtigung der gut viermonatigen Hospitalisation - umfassend, beruhen auf allseitigen Untersuchungen, berücksichtigen die geklagten Beschwerden, sind in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden und leuchten in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen Situation ein; die Schlussfolgerungen sind zudem begründet (BGE 125 V 352 Erw. 3a). Damit kommt diesen Ausführungen grundsätzlich voller Beweiswert zu (vgl. BGE 125 V 353 Erw. 3b/bb). Sie werden dadurch bestätigt, dass gemäss der - in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestätigten - Anamnese des Versicherten dieser ab Frühjahr 1999 mit dem Cannabiskonsum begonnen hat, ein Leistungsabfall aber erst zweieinhalb bis drei Jahre später im Herbst 2001/Frühling 2002 eingetreten ist. In den diversen bei den Akten liegenden Arztberichten wird denn auch nirgends ausgeführt, dass ein Leistungsabfall oder ein psychischer Gesundheitsschaden schon vor 1999 aufgetreten sei, vielmehr führt die Klinik X.________ im Bericht vom 7. Juli 2004 aus, der Gesundheitsschaden bestehe erst seit dem Frühjahr 2001, und auch Dr. med. B.________ legt mit Bericht vom 8. September 2004 den (schleichenden) Beginn der von ihm angenommenen psychischen Erkrankung auf das Jahr 2001. Damit ist klar erstellt, dass vor dem Cannabiskonsum keinerlei psychische Auffälligkeiten mit Krankheitswert bestanden haben, sondern dass die Drogensucht am Anfang der Probleme des Beschwerdeführers gestanden ist, weshalb auch die Diagnose der Klinik X.________ im Bericht vom 7. Juli 2004 überzeugt, wonach die psychischen Störungen durch Cannabionide ausgelöst worden sind. 
2.3 Die weiteren Arztberichte stellen keine konkreten Indizien dar, die gegen die Zuverlässigkeit der Einschätzung der Ärzte der Klinik X._______ sprechen (vgl. BGE 125 V 353 Erw. 3b/bb): 
- Dr. med. R.________ erwähnt in seinem Bericht vom 26. Juli 2004, dass seit Januar 2003 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bestehe. Weiter führt er aus, dass der Versicherte im Frühjahr 2004 den Widerstand gegen eine Medikation aufgegeben und wegen Geldmangels "das Grasrauchen stark reduzieren [musste], was die Situation weiter verbessert" habe. Schliesslich erwähnt der Arzt, dass eine intensive Betreuung notwendig sei, was sowohl die Psychose wie auch den Cannabiskonsum betreffe. Dr. med. R.________ macht jedoch keine Angaben darüber, ob die diagnostizierten psychischen Gesundheitsschäden Folge der Drogensucht sind und ob die Psychose nach Aufgabe des Drogenkonsums ohne weiteres abheilen werde. Gerade diese Fragen wären jedoch von entscheidender Bedeutung, so dass die - diesbezüglich offenen - Ausführungen des Dr. med. R.________ nicht gegen die Einschätzung der Klinik X.________ sprechen. 
- Auch Dr. med. B.________ äussert sich in seinem Bericht vom 8. September 2004 weder darüber, ob die Drogensucht zu einem Gesundheitsschaden geführt hat, noch über die zeitliche Differenz zwischen dem Beginn des Cannabiskonsums im Frühjahr 1999 und dem Beginn des Leistungsabfalls im Herbst 2001/Frühling 2002. Der Versicherte kann deshalb daraus nichts zu seinen Gunsten ableiten. 
- Beim letztinstanzlich eingereichten Bericht des PD Dr. med. S.________ vom 6. April 2005 handelt es sich um vom hier zu beurteilenden konkreten Fall losgelöste allgemeine Bemerkungen. Zudem kritisiert dieser Bericht zwar wissenschaftliche Studien über den Zusammenhang von Psychosen und Cannabiskonsum, hält sich aber für die eigenen Aussagen und Schlussfolgerungen nicht an die Anforderungen, die er selber an die kritisierten Untersuchungen stellt, und basiert denn auch auf keinerlei (eigenen oder fremden) Untersuchungen und Studien. Wenn in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestritten wird, Cannabiskonsum könne "zu einer Sucht im invalidenversicherungsrechtlichen Sinne führen", ist zudem darauf hinzuweisen, dass für eine solch allgemeine Feststellung kein Rechtschutzinteresse besteht. 
- Der ebenfalls letztinstanzlich aufgelegte Bericht des Dr. med. B.________ vom 30. März 2005 ist schon deshalb nicht massgebend, da er den Sachverhalt effektiv ab Oktober 2004 (behauptete Aufgabe des Cannabiskonsums) beschreibt und demzufolge nicht den Zeitraum bis zum Einspracheentscheid am 22. September 2004 beschlägt, welcher die Grenze richterlicher Überprüfungsbefugnis bildet (RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101). 
 
2.4 Damit ist nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt, dass die Drogensucht des Beschwerdeführers eine Krankheit bewirkt hat, in deren Folge ein geistiger, die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Gesundheitsschaden eingetreten ist, oder dass sie selber Folge eines körperlichen oder geistigen Gesundheitsschadens ist, dem Krankheitswert zukommt (AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen). Vielmehr basierte die Unmöglichkeit, einer Erwerbsfähigkeit nachzugehen oder eine Ausbildung zu absolvieren, allein auf dem Drogenkonsum, welchen der Beschwerdeführer bei Aufbietung allen guten Willens zu vermeiden vermöchte (vgl. BGE 102 V 165 und AHI 2001 S. 228 Erw. 2b). Mangels bestehenden Gesundheitsschadens liegt keine Invalidität vor, so dass auch kein Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung besteht. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus, der Kantonalen Ausgleichskasse Glarus und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 4. Juli 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: