Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C_345/2022
Urteil vom 4. Juli 2022
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
Bundesrichter Beusch,
Bundesrichterin Ryter,
Gerichtsschreiber Kocher.
Verfahrensbeteiligte
A.________ SA,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Visar Keraj,
gegen
Steuerverwaltung des Kantons Appenzell Ausserrhoden,
Gutenberg-Zentrum, 9102 Herisau.
Gegenstand
Direkte Bundessteuer, Steuerperioden 2016 und 2017,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden, 2. Abteilung, vom 8. März 2022 (O2V 21 86).
Sachverhalt:
A.
Die A.________ SA (nachfolgend: die Steuerpflichtige) wurde am 7. Februar 2013 ins Handelsregister eingetragen und hat seither statutarischen Sitz in U.________/AR. Ihr Zweck besteht im Handel mit Immobilien sowie im Erbringen von Dienstleistungen im Immobilienbereich. Sie hält u.a. Liegenschaften, die im Kanton St. Gallen gelegen sind.
B.
In den hier interessierenden Steuerperioden 2016 und 2017 reichte die Steuerpflichtige im Kanton Appenzell Ausserrhoden, trotz Mahnung und Androhung der gesetzlichen Folgen, keine Steuererklärungen ein. Aus diesem Grund schritt die dortige Steuerverwaltung (KSTV/AR; nachfolgend: die Veranlagungsbehörde), sowohl bezüglich der Staats- und Gemeindesteuern als auch der direkten Bundessteuer, zur Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen. Soweit die hier interessierende direkte Bundessteuer betreffend, setzte die Veranlagungsbehörde den steuerbaren Gewinn auf Fr. 75'700.-- (2016) bzw. Fr. 99'000.-- (2017) fest. Die Veranlagungsverfügungen vom 16. Juli 2019 erwuchsen unangefochten in Rechtskraft.
C.
Aus nicht näher bekannten Gründen kam es im Kanton St. Gallen ebenso zur Veranlagung der direkten Bundessteuer zu den Steuerperioden 2016 und 2017, wobei auch die dortige Veranlagungsbehörde zur Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen schreiten musste (Veranlagungsverfügungen vom 24. Oktober 2019). Hier erhob die Steuerpflichtige Einsprache, was zur Anpassung der Steuerfaktoren anhand der nunmehr eingereichten Steuererklärung führte. Die Einspracheentscheide vom 14. Januar 2020 erwuchsen in Rechtskraft.
D.
Am 9. April 2020 unterbreitete die Steuerpflichtige der Steuerverwaltung des Kantons Appenzell Ausserrhoden ein Revisionsgesuch betreffend die beiden rechtskräftigen Veranlagungsverfügungen vom 16. Juli 2019. Sie argumentierte dahingehend, dass ein Verstoss gegen das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung vorliege, wozu sie sich auf die im Kanton St. Gallen eingereichten Steuererklärungen und die Einspracheentscheide des Steueramts des Kantons St. Gallen vom 14. Januar 2020 stützte. Mit Entscheiden vom 23. Juni 2020 trat die Veranlagungsbehörde hinsichtlich der Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Appenzell Ausserrhoden auf das Revisionsgesuch nicht ein, was sie damit begründete, dass die Revision nicht dazu dienen könne, etwaige prozessuale Versäumnisse nachzuholen. Das Revisionsverfahren hinsichtlich der direkten Bundessteuer sistierte die Veranlagungsbehörde einstweilen.
E.
Die Steuerpflichtige erhob Beschwerde an das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden, dies auch bezüglich der direkten Bundessteuer. Sie machte geltend, die am Nebensteuerdomizil festgesetzten Steuerfaktoren seien wesentlich niedriger ausgefallen als jene, von denen das Hauptsteuerdomizil ausgegangen sei. Die Veranlagungsverfügungen des Kantons Appenzell Ausserrhoden seien zu revidieren, um den Verstoss gegen Art. 127 Abs. 3 BV abzuwenden. Das Obergericht trat, was die direkte Bundessteuer betrifft, einzelrichterlich auf die Sache nicht ein (Verfügung vom 17. Mai 2021 im Verfahren O2V 20 38). Grund hierfür war, dass die Veranlagungsbehörde zur direkten Bundessteuer noch gar keinen Revisionsentscheid getroffen habe. Betreffend die Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Appenzell Ausserrhoden, Steuerperioden 2016-2017, wies das Obergericht die Beschwerde mit Urteil vom 12. Mai 2021 im Verfahren O2V 20 36 ab.
F.
Dagegen gelangte die Steuerpflichtige an das Bundesgericht, das die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 2C_514/2021 / 2C_516/2021 vom 5. August 2021 abwies. Bezüglich der direkten Bundessteuer erwog es, die angebliche Nichtigkeit der angefochtenen Verfügung solle nach Meinung der Steuerpflichtigen darin zum Ausdruck kommen, dass der Kanton St. Gallen einen Gewinn von Fr. 20'706.-- (statt Fr. 65'700.--) für die Steuerperiode 2016 und einen solchen von Fr. 14'820.-- (statt Fr. 89'000.--) für die Steuerperiode 2017 beanspruche. Allein dies vermöge aber keine Nichtigkeit zu begründen, stelle die Frage der interkantonalen Steuerausscheidung sich hier doch gar nicht. Der statutarische Sitz der Steuerpflichtigen liege unstreitig im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Dass der Ort der tatsächlichen Verwaltung sich im Kanton St. Gallen befinde, mache die Steuerpflichtige nicht geltend. Folglich könne dem Kanton St. Gallen von vornherein keine Zuständigkeit zur Veranlagung der direkten Bundessteuer zukommen. Diese Kompetenz stehe einzig dem Kanton Appenzell Ausserrhoden zu (dortige E. 2.2).
G.
In der Folge nahm die Veranlagungsbehörde das zur direkten Bundessteuer sistierte Revisionsverfahren wieder auf. Mit Entscheid vom 21. September 2021 wies sie das Gesuch ab, was sie damit begründete, dass kein Revisionsgrund vorliege. Die dagegen erhobene Einsprache seitens der Steuerpflichtigen vom 22. Oktober 2021 wies die Veranlagungsbehörde mit Einspracheentscheid vom 9. November 2021 ab.
H.
Hierauf rief die Steuerpflichtige das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden an, wobei sie dartat, dass die Veranlagung im Kanton St. Gallen als rechtserhebliche Tatsachen und/oder entscheidende Beweismittel im Sinne von Art. 147 DBG anzuerkennen sei. Aus diesem Grund sei die Veranlagungsbehörde in Aufhebung des Einspracheentscheids anzuweisen, materiell auf die Sache einzutreten. Es sei eine ungerechtfertigte direkte Bundessteuer von rund Fr. 10'100.-- veranlagt worden. Dies habe sie, die Steuerpflichtige, erst aufgrund der Einspracheentscheide des Kantons St. Gallen vom 14. Januar 2020 entdeckt.
Mit Urteil O2V 21 86 vom 8. März 2022 wies das Obergericht die Beschwerde ab. Die Begründung ging im Wesentlichen dahin, dass der geltend gemachte Revisionsgrund (Art. 147 Abs. 1 lit. a DBG) schon daran scheitere, dass die Steuerpflichtige sich nun auf ihre Steuererklärung berufe. Diese hätte, so das Obergericht, bei Beachtung der zumutbaren Sorgfalt schon im Veranlagungsverfahren geltend gemacht werden können (Art. 147 Abs. 2 DBG). Das Revisionsverfahren könne nicht dazu dienen, nachträglich die von der steuerpflichtigen Person zu verantwortenden prozessualen Nachlässigkeiten zu bereinigen.
Ungeachtet dessen, ob ein derart begründetes Revisionsgesuch zum Nichteintreten oder zur Abweisung zu führen habe, stehe fest, dass die Veranlagungsbehörde bundesrechtskonform keine Revision der streitbetroffenen Veranlagungsverfügungen vorgenommen habe.
I.
Mit Eingabe vom 2. Mai 2022 erhebt die Steuerpflichtige beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die Sache zur revisionsweisen Neuveranlagung an die Veranlagungsbehörde zurückzuweisen. Eventualiter sei die Steuer in Aufhebung des angefochtenen Entscheids revisionsweise neu zu veranlagen. Subeventualiter sei die Sache zur revisionsweisen Neuveranlagung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Steuerpflichtige spricht vom "Sitzkanton" und vom "Zweitkanton", wobei sie dem Sitzkanton vorwirft, mit seinen Veranlagungsverfügungen "verfrüht" gehandelt zu haben. Darin erblickt sie ein überspitzt formalistisches Vorgehen bzw. eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Tatsache, dass keine interkantonale Koordination zwischen "Sitzkanton" und "Zweitkanton" vorliege und unterschiedliche Fristen bestünden, erschwere die "Position des in mehreren Kantonen steuerpflichtigen Steuersubjekts". Schon aus diesem Grund müsse die Veranlagungsverfügung in einem Zweitkanton "als Revisionsgrund für die direkte Bundessteuer per se schon zugelassen werden". Komme es nicht zur Revision, hält die Steuerpflichtige abschliessend fest, erscheine dies als "willkürlich, zumindest für das Steuersubjekt als äusserst nachteilig, und sogar nicht bundesrechtskonform".
J.
Die Instruktionsrichterin (Art. 32 Abs. 1 BGG [SR 173.110]) hat von Instruktionsmassnahmen, insbesondere von einem Schriftenwechsel (Art. 102 Abs. 1 BGG), abgesehen.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten liegen vor (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 146 DBG [SR 642.11]).
1.2. Das Bundesgericht wendet das Bundesgesetzesrecht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und prüft es mit uneingeschränkter (voller) Kognition (Art. 95 lit. a BGG; BGE 148 V 21 E. 2; 147 II 300 E. 1). Bei aller Rechtsanwendung von Amtes wegen werden aber, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ), nur die geltend gemachten Rügen geprüft, es sei denn, die rechtlichen Mängel lägen geradezu auf der Hand (zum Ganzen: BGE 146 IV 88 E. 1.3.2).
1.3. Im Unterschied zum Bundesgesetzesrecht geht das Bundesgericht der Verletzung verfassungsmässiger Individualrechte (einschliesslich der Grundrechte) nur nach, falls und soweit eine solche Rüge in der Beschwerde überhaupt vorgebracht und ausreichend begründet worden ist (qualifizierte Rüge- und Begründungsobliegenheit gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 147 I 194 E. 3.4; 147 II 44 E. 1.2; 147 V 156 E. 7.2.3).
1.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 147 V 124 E. 1.1).
2.
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob der Umstand, dass der Kanton St. Gallen mit rechtskräftigen Einspracheentscheiden vom 14. Januar 2020 die direkte Bundessteuer veranlagt und dabei zu tieferen Steuerfaktoren gelangt ist, als der Kanton Appenzell Ausserrhoden dies in seinen rechtskräftigen Veranlagungsverfügungen vom 16. Juli 2019 tat, einen Revisionsgrund setzt.
2.2.
2.2.1. Die Steuerpflichtige beruft sich auf Art. 147 Abs. 1 lit. a DBG. Danach kann eine rechtskräftige Verfügung oder ein rechtskräftiger Entscheid auf Antrag oder von Amtes wegen zugunsten der steuerpflichtigen Person revidiert werden, wenn erhebliche Tatsachen oder entscheidende Beweismittel entdeckt werden. Aufgrund von Art. 147 Abs. 2 DBG gilt indes, dass die Revision ausgeschlossen ist, wenn die um Revision ersuchende Person als Revisionsgrund vorbringt, was sie bei der ihr zumutbaren Sorgfalt schon im ordentlichen Verfahren hätte geltend machen können. Darin äussert sich die Subsidiarität der Revision gegenüber den ordentlichen Rechtsmitteln (Urteile 2C_889/2019 vom 14. November 2019 E. 3.2.1; 2C_245/2019 vom 27. September 2019 E. 5.3; 2C_212/2016 vom 6. September 2016 E. 5.2).
2.2.2. Art. 147 Abs. 2 DBG bzw. der gleichlautende Art. 51 Abs. 2 StHG spielen insbesondere auch dann eine Rolle, wenn es um die Revision einer Veranlagungsverfügung geht, die nach pflichtgemässem Ermessen getroffen wurde (Urteile 2C_1022/2020 vom 18. Mai 2021 E. 3.3; 2C_720/2018 vom 11. September 2018 E. 3.2.3). Wer nach Ermessen veranlagt wird, weil er nicht rechtzeitig die zur Veranlagung notwendigen Angaben gemacht und Unterlagen vorgelegt hat (Art. 130 Abs. 2 DBG), handelt nicht mit der nötigen Sorgfalt (Urteile 2C_754/2015 vom 14. September 2015 E. 2.3; 2A.587/2002 vom 11. März 2003 E. 1.3; 2A.55/2002 vom 30. Oktober 2002 E. 3;; Hugo Casanova/Claude-Emmanuel Dubey, in: CR-LIFD, N. 15 zu Art. 147 DBG; Martin E. Looser, in: Martin Zweifel/Michael Beusch [Hrsg.], Kommentar DBG, 3. Aufl. 2017, N. 24 zu Art. 147 DBG; Locher, a.a.O., N. 32 zu Art. 147 DBG).
2.2.3. Die Steuerpflichtige hat mir ihrem Verhalten den Ausschlussgrund von Art. 147 Abs. 2 DBG erfüllt: An ihrem Sitz im Kanton Appenzell Ausserrhoden, der für die Veranlagung und den Bezug der direkten Bundessteuer zuständig ist (Art. 105 Abs. 3 DBG; BGE 146 II 111 E. 2.3.1; Urteil 2C_514/2021 / 2C_516/2021 vom 5. August 2021 E. 2.2.2), reichte sie, wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG; vorne E. 1.4), trotz Mahnung und Androhung der gesetzlichen Folgen, für die beiden streitbetroffenen Steuerperioden keine Steuererklärungen ein. Entsprechend hatte es zur Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen zu kommen. Auch dann noch blieb die Steuerpflichtige untätig, indem sie - wie die Vorinstanz weiter festgehalten hat - die beiden Veranlagungsverfügungen unangefochten in Rechtskraft erwachsen liess (Sachverhalt, lit. B). Mit ihrer Pflichtvergessenheit hat die Steuerpflichtige selbstverschuldet Fakten geschaffen, die sie nicht heute revisionsweise an ihre Vorstellungen zur Höhe des "richtigen" Gewinns anpassen lassen kann. Ob der Sitzkanton tatsächlich einen zu hohen Gewinn veranlagt hat, wie die Steuerpflichtige mit Blick auf die Einspracheentscheide des Kantons St. Gallen vorbringt, und ob diese nicht ohnehin zufolge örtlicher Unzuständigkeit des Kantons St. Gallen an Nichtigkeit leiden (BGE 142 II 182 E. 2.3.3 und 2.5; Urteil 2C_946/2019 vom 14. Mai 2020 E. 2.3), bedarf daher keiner Prüfung. So oder anders ist vor dem Hintergrund von Art. 147 Abs. 2 DBG keine nähere materielle Prüfung der die Veranlagungsverfügung beeinflussenden Sachumstände anzustellen.
2.3. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet. Sie ist abzuweisen.
3.
Nach dem Unterliegerprinzip (Art. 65 in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG) sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der Steuerpflichtigen aufzuerlegen. Dem Kanton Appenzell Ausserrhoden, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, steht keine Entschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, 2. Abteilung, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung mitgeteilt.
Lausanne, 4. Juli 2022
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
Der Gerichtsschreiber: Kocher