Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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1C_161/2017
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Urteil vom 4. September 2017
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Mattle.
Verfahrensbeteiligte
Gemeinde Geuensee,
Beschwerdeführerin,
handelnd durch den Gemeinderat Geuensee,
Chäppelimatt 7, 6232 Geuensee,
und dieser vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Mischa Berner,
gegen
A.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Hess-Keller,
Weitere Beteiligte:
B. und C. D.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hess.
Gegenstand
Bau- und Planungsrecht,
Beschwerde gegen das Urteil vom 13. Februar 2017 des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung.
Sachverhalt:
A.________ ist Eigentümer mehrerer Stockwerkeigentumseinheiten auf dem Grundstück Nr. 852 in Geuensee. Auf dessen Nachbargrundstück Nr. 979 wurden durch die Eigentümer B. und C. D.________ ohne vorgängiges Baubewilligungsverfahren Terrainveränderungen und weitere Bauarbeiten vorgenommen, worauf A.________ einen Baustopp sowie die nachträgliche Durchführung eines Baubewilligungsverfahrens verlangte. Mit Verfügung vom 4. März 2016 stellte der Gemeinderat Geuensee unter anderem fest, die ausgeführten Arbeiten seien nicht bewilligungspflichtig.
Eine von A.________ gegen die Verfügung vom 4. März 2016 erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern am 13. Februar 2017 gut. Es hob die Verfügung vom 4. März 2016 auf und wies den Gemeinderat an, in der Sache ein nachträgliches Baubewilligungsverfahren durchzuführen.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 13. Februar 2017 hat die Gemeinde Geuensee am 16. März 2017 Beschwerde ans Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und ihr Entscheid bezüglich der Nichtbaubewilligungspflicht sei zu bestätigen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz und A.________ als Beschwerdegegner beantragen je die Abweisung der Beschwerde. B. und C. D.________ haben auf eine Stellungnahme verzichtet. Mit Eingabe vom 3. Juli 2017 hat die Beschwerdeführerin an ihrer Beschwerde festgehalten.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit (Art. 82 lit. a und Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG ). Die Vorinstanz hiess die Beschwerde des Beschwerdegegners gut und wies die Sache zur Durchführung eines Baubewilligungsverfahrens an die Gemeinde zurück. Fraglich ist, ob es sich beim angefochtenen Urteil - wie die Beschwerdeführerin annimmt - um einen anfechtbaren Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG oder um einen Vor- oder Zwischenentscheid handelt, zumal das angefochtene Urteil zwar das Verfahren um Prüfung der Baubewilligungspflicht abschliesst (vgl. Urteil 1C_47/2008 vom 8. August 2008 E. 1.1), gleichzeitig aber die Durchführung eines Baubewilligungsverfahrens verlangt. Auch wenn man das angefochtene Urteil als Vor- oder Zwischenentscheid qualifiziert, kann die Gemeinde es nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG anfechten, zumal ihr nicht zuzumuten ist, entgegen ihrer Rechtsauffassung ein Baubewilligungsverfahren durchzuführen, um später geltend zu machen, es habe gar keine Baubewilligungspflicht bestanden (vgl. BGE 133 II 409 E. 1.2 S. 412 mit Hinweisen; Urteil 1C_68/2014 vom 15. August 2014 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 140 II 378). Die Beschwerdeführerin ist befugt, mit Beschwerde eine Verletzung ihrer Gemeindeautonomie geltend zu machen (Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG). Ob die beanspruchte Autonomie tatsächlich besteht, ist keine Frage des Eintretens, sondern der materiellen Beurteilung. Dasselbe gilt für die Frage, ob die Autonomie im konkreten Fall tatsächlich verletzt wurde (BGE 140 I 90 E. 1.1 S. 92 mit Hinweisen). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde vorbehältlich zulässiger und genügend begründeter Rügen (vgl. Art. 42 Abs. 2 sowie Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 95 BGG) einzutreten.
2.
Wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen (vgl. E. 3.2 sowie 3.3.3 hiernach) ergibt, sind die tatsächlichen Vorbringen der Beschwerdeführerin für den Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens nicht wesentlich. Die Rüge, die Vorinstanz habe den entscheidwesentlichen Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt, vermag der Beschwerdeführerin daher nicht zu helfen (vgl. Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 1 BGG).
3.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der Gemeindeautonomie. In der Frage, ob die vorgenommenen Bauarbeiten baubewilligungspflichtig seien, komme ihr nach kantonalem und eidgenössischem Recht ein gemeindefreiheitsbezogener Ermessensspielraum zu, der durch den Entscheid der Vorinstanz verletzt worden sei.
3.1. Art. 50 Abs. 1 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts. Nach der Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (BGE 141 I 36 E. 5.3 S. 42 f. mit Hinweisen).
3.2. Besteht in diesem Sinne Autonomie, kann sich die Gemeinde dagegen zur Wehr setzen, dass eine kantonale Behörde im Rechtsmittelverfahren die den betreffenden Sachbereich ordnenden kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Normen falsch anwendet oder ihre Prüfungsbefugnis überschreitet. Die Gemeinden können in diesem Rahmen auch geltend machen, die kantonalen Instanzen hätten verfassungsrechtliche Verfahrensrechte verletzt oder die Tragweite eines Grundrechts verkannt und dieses zu Unrecht als verletzt erachtet (BGE 131 I 91 E. 1 S. 93; 128 I 3 E. 2b S. 9). Nur wenn Autonomie besteht, kann sich die nach Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG legitimierte Gemeinde in Anwendung von Art. 97 Abs. 1 BGG auf eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts berufen (vgl. Urteil 1C_131/2015 vom 16. Oktober 2015 E. 2.2).
3.3. Zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführerin im Rahmen der aufgeworfenen Streitfrage eine im Sinne der Rechtsprechung relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zukommt.
3.3.1. Nach § 68 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Luzern vom 17. Juni 2007 (KV/LU; SR 131.213) ist die Autonomie der Gemeinden gewährleistet (Satz 1). Die Gesetzgebung bestimmt ihren Umfang und gewährt einen möglichst grossen Handlungsspielraum (Satz 2).
Gemäss Art. 22 Abs. 1 RPG dürfen Bauten und Anlagen nur mit behördlicher Bewilligung errichtet oder geändert werden. Bauten und Anlagen im Sinne dieser Bestimmung sind künstlich geschaffene und auf Dauer angelegte Einrichtungen, die in fester Beziehung zum Erdboden stehen und geeignet sind, die Vorstellung über die Nutzungsordnung zu beeinflussen, sei es, dass sie den Raum äusserlich erheblich verändern, die Erschliessung belasten oder die Umwelt beeinträchtigen. Massstab dafür, ob eine bauliche Massnahme erheblich genug ist, um sie dem Baubewilligungsverfahren zu unterwerfen ist dabei die Frage, ob mit der Realisierung der Baute oder Anlage im Allgemeinen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, so wichtige räumliche Folgen verbunden sind, dass ein Interesse der Öffentlichkeit oder der Nachbarn an einer vorgängigen Kontrolle besteht. Die Baubewilligungspflicht soll es mithin der Behörde ermöglichen, das Bauprojekt in Bezug auf seine räumlichen Folgen vor seiner Ausführung, auf die Übereinstimmung mit der raumplanerischen Nutzungsordnung und der übrigen einschlägigen Gesetzgebung zu überprüfen (BGE 139 II 134 E. 5.2. S. 139 f. mit Hinweisen). Der bundesrechtliche Begriff der bewilligungspflichtigen Bauten und Anlagen kann von den Kantonen weiter, nicht aber enger gefasst werden (Urteil 1C_424/2016 vom 27. März 2017 E. 2.1.1 mit Hinweis). Es bleibt den Kantonen vorbehalten, über den bundesrechtlichen Mindeststandard hinauszugehen und weitere Vorgänge der Bewilligungspflicht zu unterstellen. Hingegen können sie nicht von der Bewilligungspflicht ausnehmen, was nach Art. 22 RPG einer Bewilligung bedarf (Urteil 1C_509/2010 vom 16. Februar 2011 E. 2.3.1 mit Hinweis).
Nach dem Recht des Kantons Luzern gelten im Wesentlichen die gleichen Anforderungen wie nach Art. 22 Abs. 1 RPG. Gemäss § 184 des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Luzern vom 7. März 1989 (PBG; SRL 735) hat, wer eine Baute oder Anlage erstellen, baulich oder in ihrer Nutzung ändern will, dafür eine Baubewilligung einzuholen (Abs. 1). Ausgenommen sind Bauten und Anlagen oder Änderungen derselben, für die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge kein Interesse der Öffentlichkeit oder der Nachbarn besteht, die Übereinstimmung mit den öffentlich-rechtlichen Bau- und Nutzungsvorschriften vorgängig zu kontrollieren. Dazu zählen insbesondere Reparatur- und Unterhaltsarbeiten (Abs. 2). Der Regierungsrat bestimmt in der Verordnung jene Bauten und Anlagen und jene Änderungen derselben, die in einem vereinfachten Verfahren nach § 198 PBG bewilligt werden können oder in der Regel keiner Baubewilligung bedürfen (Abs. 3). In der Planungs- und Bauverordnung des Kantons Luzern vom 29. Oktober 2013 (PBV; SRL 736) wird in einer nicht abschliessenden Liste konkretisiert, welche Bauten und Anlagen in der Regel baubewilligungspflichtig sind (§ 53). Gemäss § 54 Abs. 1 PBV sind Bauten und Anlagen oder Änderungen derselben von der Baubewilligungspflicht ausgenommen, für die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge kein Interesse der Öffentlichkeit oder der Nachbarn besteht, die Übereinstimmung mit den öffentlich-rechtlichen Bau- und Nutzungsvorschriften vorgängig zu kontrollieren. So bedürfen gemäss § 54 Abs. 2 PBV in der Regel keiner Baubewilligung namentlich Mauern und Einfriedungen bis 1,5 m Höhe ab massgebendem Terrain (lit. h) oder innerhalb der Bauzonen Terrainveränderungen wie Böschungen, Abgrabungen und Aufschüttungen bis 1,5 m Höhe ab massgebendem Terrain, welche nicht mehr als 150 m³ umfassen (lit. i).
Nach der Praxis der Vorinstanz steht der kommunalen Baubehörde bei der Frage, ob ein Baubewilligungsverfahren einzuleiten sei, zwar ein gewisser Ermessensspielraum zu. Wenn allerdings Anhaltspunkte bestünden, dass ein bewilligungspflichtiger Sachverhalt vorliegen könnte, so habe diese im Zweifelsfall ein Bewilligungsverfahren einzuleiten (vgl. E. 4.2 des angefochtenen Urteils).
3.3.2. Soweit die Baubewilligungspflicht durch Art. 22 Abs. 1 RPG unmittelbar bundesrechtlich definiert wird, steht den Luzerner Gemeinden kein relativ erheblicher Entscheidungsspielraum und damit keine Autonomie zu. Aber auch bei der Anwendung der erwähnten kantonalen Bestimmungen besteht kein relativ grosser Beurteilungsspielraum für die Gemeinden (vgl. Urteil 1C_47/2008 vom 8. August 2008 E. 2.5.2), zumal die kantonale Regelung relativ detailliert ist und die Beschwerdeführerin auch keine kommunalen Normen anführt, welche die Vorinstanz zu beachten gehabt hätte. Wenn bestimmte Bauarbeiten nach dem kantonalen Recht in Verbindung mit Art. 22 RPG bewilligungspflichtig sind, ist ein Baubewilligungsverfahren durchzuführen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Gemeinde über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen mag bei der Beurteilung der Frage, ob mit dem Bauvorhaben so wichtige räumliche Folgen verbunden sind, dass ein Interesse der Öffentlichkeit oder der Nachbarn an einer vorgängigen Kontrolle besteht.
3.3.3. Bei der Beurteilung der Frage, ob die vorliegend bereits ausgeführten Bauarbeiten baubewilligungspflichtig sind oder nicht, besteht nach dem Ausgeführten keine im beschriebenen Sinn geschützte Autonomie für die Gemeinde. Damit dringt die Beschwerdeführerin mit der Rüge, das angefochtene Urteil verletze die Gemeindeautonomie, nicht durch. Unter diesen Umständen kann sie sich im Übrigen von vornherein nicht auf eine unrichtige Feststellung des Sachverhalts berufen (vgl. E. 3.2 hiervor).
4.
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Die Beschwerdeführerin hat dem anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung auszurichten ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'250.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Beschwerdegegner, den weiteren Beteiligten und dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. September 2017
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Merkli
Der Gerichtsschreiber: Mattle