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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_68/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 4. September 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marino Di Rocco, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Rückerstattung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. Dezember 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 21. November 2014 meldete die B.________ GmbH der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva), ihr Angestellter A.________, geboren 1962, habe am 13. November 2014 auf einer Baustelle einen Berufsunfall erlitten. Die Suva anerkannte zunächst ihre Leistungspflicht und erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Mit Verfügung vom 22. Oktober 2015 und Einspracheentscheid vom 20. Juni 2016 forderte die Suva diese im Umfang von Fr. 92'140.70 zurück, da A.________ im Unfallzeitpunkt nicht Arbeitnehmer der B.________ GmbH und damit nicht bei ihr versichert gewesen, jedenfalls aber der Lohn in der Unfallmeldung bewusst zu hoch deklariert worden sei. 
 
B.   
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entschied vom 15. Dezember 2016 in dem Sinne gut, als es den Einspracheentscheid der Suva mit der Feststellung aufhob, die bereits erbrachten Versicherungsleistungen könnten nicht zurückgefordert werden. 
 
C.   
Mit Beschwerde beantragt die Suva, es sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides ihr Einspracheentscheid zu bestätigen, eventuell sei die Sache an sie oder an das kantonale Gericht zurückzuweisen. 
 
Während sich A.________ nicht innert Frist hat vernehmen lassen, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht - anders als in den übrigen Sozialversicherungsbereichen (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) - nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). Soweit vorliegend streitig ist, ob der Beschwerdegegner im Zeitpunkt des Unfalls bei der Beschwerdeführerin versichert war, handelt es sich um eine als Vorfrage zu prüfende Voraussetzung des Rückerstattungsanspruchs. Obwohl von der Beurteilung dieser Streitfrage letztlich auch Ansprüche auf Geldleistungen der obligatorischen Unfallversicherung abhängen, kommt die Ausnahmeregelung von Art. 105 Abs. 3 BGG (in Verbindung mit Art. 97 Abs. 2 BGG) hier somit nicht zur Anwendung (vgl. BGE 135 V 412 E. 1.2.2 S. 414). Soweit die Beurteilung von Sachverhaltsfeststellungen abhängt, gilt daher die eingeschränkte Kognition (Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 140 V 130 E. 2.1 S. 132; 135 V 412). Demnach legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Urteil 8C_637/2016 vom 13. Dezember 2016 E. 2 mit Hinweis).  
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat, dass der Suva eine Rückforderung der bereits erbrachten Versicherungsleistungen verwehrt ist. 
 
 
3.   
 
3.1. Gemäss Art. 1a Abs. 1 lit. a UVG sind die in der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmer, einschliesslich der Heimarbeiter, Lernende, Praktikanten, Volontäre sowie der in Lehr- oder Invalidenwerkstätten tätigen Personen obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Als Arbeitnehmer nach Art. 1a Abs. 1 UVG gilt nach Art. 1 UVV, wer eine unselbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne der Bundesgesetzgebung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ausübt. Dabei sind bei der Suva unter anderem die Arbeitnehmer der Betriebe des Bau- und Installationsgewerbes sowie des Leitungsbaus obligatorisch versichert (Art. 66 Abs. 1 lit. b UVG).  
 
3.2. Formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide müssen nach Art. 53 Abs. 1 ATSG in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war. Unrechtmässig bezogene Leistungen sind in Anwendung von Art. 25 Abs. 1 ATSG zurückzuerstatten. Wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, muss sie nicht zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt.  
 
3.3. Der Versicherer kann gemäss Art. 46 Abs. 2 UVG jede Leistung um die Hälfte kürzen, wenn ihm der Unfall oder der Tod infolge unentschuldbarer Versäumnis des Versicherten oder seiner Hinterlassenen nicht binnen dreier Monate gemeldet worden ist; er kann die Leistung verweigern, wenn ihm absichtlich eine falsche Unfallmeldung erstattet worden ist.  
 
3.4. Taggelder und Renten werden gemäss Art. 15 Abs. 1 UVG nach dem versicherten Verdienst bemessen. Als versicherter Verdienst gilt in Anwendung von Art. 15 Abs. 2 UVG für die Bemessung der Taggelder der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, für die Bemessung der Renten der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn.  
 
4.  
 
4.1. Am 21. November 2014 meldete die B.________ GmbH, ein Bauunternehmen mit Sitz in V.________, einer ihrer Mitarbeiter - der Beschwerdegegner - habe am 13. November 2014 auf einer Baustelle in U.________ einen Unfall erlitten. Gemäss dieser Unfallmeldung war der Beschwerdegegner seit dem 3. März 2014 bei diesem Unternehmen tätig gewesen und hat dabei einen Bruttolohn von monatlich Fr. 11'150.- erzielt. Die Suva erbrachte zunächst gestützt auf diese Angaben die gesetzlichen Leistungen. Die Suva tätigte weitere Abklärungen zur Natur des geltend gemachten Arbeitsverhältnisses und zur Höhe des vom Beschwerdegegner erzielten Lohns und stiess in der von der B.________ GmbH aufgelegten Dokumentation auf erhebliche Ungereimtheiten. Soweit diese den Schluss zulassen, die Angaben in der Unfallmeldung seien in entscheidrelevanter Weise zumindest teilweise objektiv unzutreffend, liegt ein Revisionsgrund im Sinne von Art. 53 Abs. 1 ATSG vor, so dass die Suva auch rückwirkend auf die bereits erbrachten Leistungen zurückkommen konnte.  
 
4.2. Das kantonale Gericht hat in umfassender Würdigung der vorhandenen Akten erwogen, insgesamt sprächen mehr Elemente für ein Arbeitsverhältnis zwischen der B.________ GmbH und dem Beschwerdegegner als gegen ein solches. Was die Suva gegen diese Erwägungen vorbringt, vermag sie nicht als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Insbesondere ergeben sich - bei grundsätzlich nachgewiesenem Geldfluss von der B.________ GmbH zum Beschwerdegegner - aus den Ungereimtheiten bezüglich der Lohnhöhe noch keine hinreichenden Indizien gegen das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdegegner unbestrittenermassen auf einer Baustelle verunfallte. Sein Aufenthalt auf derselben lässt sich nur unter Annahme eines Arbeitsverhältnisses zu einem der dort tätigen, bei der Suva versicherten Betriebe plausibel erklären, zumal auch von der Suva nicht geltend gemacht wird, der Beschwerdegegner sei auf dieser Baustelle als selbstständig Erwerbender tätig geworden. Soweit die Versicherungsdeckung betreffend erweist sich die Beschwerde damit als unbegründet.  
 
4.3. Das kantonale Gericht hat aus dem Bestehen der Versicherungsdeckung ohne Weiteres geschlossen, die von der Suva verfügte Rückforderung sei unzulässig gewesen. Wie die Beschwerdeführerin indessen zutreffend geltend macht, greift dieser Schluss zu kurz: Die Suva hat ihre Rückforderung stets auch mit dem Umstand begründet, dass der Beschwerdegegner jedenfalls nicht die in der Unfallmeldung angegebenen Fr. 11'150.- pro Monat verdient habe. Soweit aufgrund einer Falschangabe in der Unfallmeldung ein Taggeld gestützt auf einen zu hohen versicherten Verdienst und damit ein frankenmässig zu hohes Taggeld ausbezahlt wurde, hat der Versicherte die Differenz grundsätzlich in Anwendung von Art. 25 Abs. 1 ATSG zurückzuerstatten. Darüber hinausgehend kann die Beschwerdeführerin auch - im Sinne einer Sanktion (vgl. Alfred Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl. 1989, S. 239 f. und zur Sanktionsbestimmung des IVG: BGE 138 V 63 E. 4.3 S. 65 f.) - in Anwendung von Art. 46 Abs. 2 UVG ihre Leistungen verweigern und bereits erbrachte Leistungen zurückfordern. Voraussetzung für eine solche Sanktionierung ist indessen, dass die falsche Angabe in der Unfallmeldung absichtlich erfolgte und sich die Absicht gerade darauf bezog, die Suva zur Auszahlung nicht geschuldeter oder zu hoher Leistungen zu veranlassen (vgl. GHÉLEW/RAMELET/RITTER, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents [LAA], 1992, S. 176 und Maurer, a.a.O.). Dabei reicht jede falsche Angabe in der Unfallmeldung aus, sofern sie zur Entrichtung einer höheren als der aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse geschuldeten Leistung führt. Unter diese Bestimmung fällt somit auch die absichtliche Angabe eines zu hohen Lohnes, führt eine solche doch zur Ausrichtung von Geldleistungen aufgrund eines zu hohen versicherten Verdienstes (vgl. E. 3.4 hievor). Eine Sanktionierung der versicherten Person kommt aber nur dann in Frage, wenn die absichtliche Falschmeldung mit ihrem Wissen und Willen erfolgte. Bei einer allfälligen Sanktionierung ist im Weiteren der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren (RKUV 1996 Nr. U 250, S. 181 ff. E. 2a/cc, vgl. auch JEAN-MAURICE FRÉSARD/MARGIT MOSER-SZELESS, L'assurance-accidents obligatoire, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl., Basel 2016, S. 1063, N 594 f.).  
 
4.4. Die Vorinstanz hat sich mit der Frage, ob bezüglich des Lohnes eine im Sinne der vorstehenden Erwägung absichtlich falsche Unfallmeldung vorliegt und dem Beschwerdegegner angelastet werden kann, und damit zur Anwendbarkeit von Art. 46 Abs. 2 UVG führt, nicht auseinandergesetzt. Die Beschwerde ist demnach teilweise gutzuheissen. Da auch der Einspracheentscheid in diesem Punkt nur rudimentär begründet ist, rechtfertigt es sich, sowohl diesen als auch den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben und die Sache an die Suva zurückzuweisen, damit diese prüfe, ob und inwieweit der Versicherte die empfangenen Leistungen gestützt auf Art. 25 Abs. 1 ATSG und Art. 46 Abs. 2 UVG zurückzuerstatten hat.  
 
5.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. Dezember 2016 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) vom 20. Juni 2016 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Suva zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 4. September 2017 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold