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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.418/2003 /mks 
 
Urteil vom 4. November 2003 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Féraud, Catenazzi, 
Gerichtsschreiberin Scherrer. 
 
Parteien 
A. und L. X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Untersuchungsrichteramt des Kantons Solothurn, Prisongasse 1, 4502 Solothurn, 
Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, Amthaus 1, 4502 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Art. 29 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK (unentgeltliche Rechtspflege), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 21. Mai 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Anzeige vom 17. September 2002 gelangte L. X.________ ans Untersuchungsrichteramt des Kantons Solothurn in Olten und machte geltend, sein Sohn, L. X.________ junior, werde im Kinderhaus Y.________ körperlich misshandelt; man habe ihm "Psychoschläge" versetzt, um seinen Willen zu brechen. Beigelegt waren der Anzeige ein Bericht des Kantonsspitals Olten über die ambulante Behandlung des Sohnes vom 1. August 2002 sowie eine vom Kind unterschriebene schriftliche Schilderung der Vorfälle. 
B. 
Auf das Gesuch L. X.________s um unentgeltliche Rechtspflege hin, befreite ihn der Untersuchungsrichter von der Leistung einer Prozesskostensicherheit. 
 
Der vom Strafantragssteller beauftragte Rechtsanwalt beantragte hierauf mit Schreiben vom 6. März 2003 die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsvertretung durch ihn. Mit Verfügung vom 20. März 2003 wies der Untersuchungsrichter das Gesuch ab. Es sei nicht zu erwarten, dass dem Geschädigten Gerichtskosten auferlegt würden. Auch mangle es an der sachlichen Notwendigkeit eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, nachdem der Sachverhalt alles andere als komplex sei. 
C. 
Gegen diesen Entscheid gelangten L. und A. X.________ am 28. März 2003 ans Solothurner Obergericht. Sie beantragten einen unentgeltlichen Opfervertreter oder alternativ die Opfervertretung durch den Vater und eine Begleitperson für den Sohn. Mit Eingabe vom 5. April 2003 zogen sie die Anträge auf Übernahme der Opfervertretung durch den Vater sowie auf eine Begleitperson zurück. Stattdessen stellten sie Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Verfügung und auf Einsetzung des Rechtsanwaltes Tim Walker als unentgeltlichen Rechtsbeistand im Untersuchungsverfahren vor dem Untersuchungsrichter. Für das obergerichtliche Beschwerdeverfahren beantragten sie ebenfalls die unentgeltliche Rechtspflege und die unentgeltliche Verbeiständung durch den genannten Rechtsanwalt. 
D. 
Die Strafkammer des Solothurner Obergerichtes wies die Beschwerde am 21. Mai 2003 ab. Die unentgeltliche Rechtspflege für das obergerichtliche Verfahren wurde gewährt. 
E. 
Mit Eingabe vom 7. Juli 2003 erheben A. und L. X.________ staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichtes. Sie beantragen sinngemäss, die Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtsvertretung sei aufzuheben und es sei ihnen für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsvertretung zu gewähren. Gleichzeitig stellen sie Antrag auf Ergänzung der Beschwerde durch ihren Rechtsvertreter nach Gutheissung des Gesuches um unentgeltliche Rechtsvertretung. 
 
Das Obergericht des Kantons Solothurn und das Untersuchungsrichteramt schliessen auf Abweisung der Beschwerde. 
 
Die Beschwerdeführer halten in ihrer unaufgefordert zugestellten Replik vom 4. Oktober 2003 sinngemäss an ihren Anträgen fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Die Beschwerdeführer vertreten die Interessen ihres minderjährigen Sohnes als Geschädigtem im kantonalen Strafverfahren. In dieser Stellung wurde ihnen die unentgeltliche Rechtsvertretung versagt. Kantonale Entscheide betreffend (Nicht-)Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege werden nach ständiger Praxis des Bundesgerichtes grundsätzlich als Zwischenentscheide mit drohendem nicht wiedergutzumachendem Nachteil im Sinne von Art. 87 OG behandelt (BGE 111 Ia 276 E. 2b S. 278 f.). Da es sich beim angefochtenen Entscheid - bezüglich der Frage der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung - um einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid handelt (Art. 86 OG) und auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde - unter Vorbehalt von E. 1.2 hiernach - einzutreten. 
1.2 Die Vorwürfe gegenüber dem Untersuchungsrichteramt, der Polizei, der Vormundschaftsbehörde und den Heim-Mitarbeitern sind nicht zu hören (Ziff. 7 der Beschwerdeschrift). Das Verhalten dieser Personen ist nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens, in welchem einzig die Frage der unentgeltlichen Rechtsvertretung zu beantworten ist. 
2. 
Die Beschwerdeführer rügen u.a. eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Beide Bestimmungen gewährleisteten, dass sich auch das bedürftige Opfer anwaltlich vertreten lassen könne. Zudem erblicken die Beschwerdeführer im angefochtenen Urteil einen Verstoss gegen Art. 124 BV
2.1 Weil die Solothurnische Strafprozessordnung vom 13. März 1977 (StPO; BGS 321.1) in § 9 die Vertretung durch einen amtlichen Verteidiger ausschliesslich für den Beschuldigten vorsieht und § 16 lediglich die unentgeltliche Rechtspflege und den unentgeltlichen Rechtsbeistand für den Verletzten im Zivilpunkt regelt, wurde die Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes im Strafpunkt regelmässig abgelehnt (dazu SOG 1994 Nr. 23). Die Anklagekammer des Obergerichtes beschloss hierzu am 4. Januar 1999 eine Praxisänderung und stützte sich fortan direkt auf die Bestimmungen der BV (SOG 1999 Nr. 23). Dies hat das Obergericht auch im vorliegenden Fall getan und die Voraussetzungen zur Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes gemäss Art. 29 Abs. 3 BV geprüft. Zwar erachtete es die Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin als gegeben und ging davon aus, die Strafanzeige sei nicht aussichtslos. Es verneinte indes eine besondere Schwierigkeit der Materie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht. 
2.2 Die wirksame Wahrung von Rechten soll nach heutiger rechtsstaatlicher Auffassung nicht davon abhängen, ob ein Verfahrensbeteiligter vermögend ist oder nicht. Unter gewissen Voraussetzungen garantiert der von der Lehre und Praxis bereits aus Art. 4 aBV abgeleitete Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege dem Bedürftigen daher die zur Rechtsverfolgung (in nicht zum Vornherein aussichtslosen Prozessen) notwendigen Mittel. In der unentgeltlichen Rechtspflege sind in der Regel sowohl die kostenfreie Prozessführung als auch (soweit notwendig) die unentgeltliche Rechtsverbeiständung eingeschlossen. In gewissen Grenzen hat das Bundesgericht den verfassungsmässigen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege sowohl im Straf- und Zivilprozess als auch für das Verwaltungsverfahren anerkannt (BGE 125 I 161 ff.; 125 V 32 ff.; 123 I 145 ff., 275 ff.; 122 I 8 E. 2c S. 9 f., 49 ff; 121 60 E. 2a/bb S. 62, je mit Hinweisen). 
2.3 Die Bundesverfassung gewährleistet nun in Art. 29 Abs. 3 ausdrücklich, dass jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint; soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. 
 
Auch bei direkt auf die Bundesverfassung gestützten Gesuchen um unentgeltliche Rechtsverbeiständung von mutmasslichen Opfern einer Straftat bzw. von Geschädigten verlangt das Bundesgericht grundsätzlich das Erfülltsein von drei kumulativen Voraussetzungen, nämlich der Bedürftigkeit des Gesuchstellers, der Notwendigkeit der unentgeltlichen Rechtspflege (insbesondere der anwaltlichen Verbeiständung) sowie der Nichtaussichtslosigkeit der verfolgten Rechtsansprüche (BGE 123 I 145 E. 2b/bb S.147 mit Hinweisen; Urteil 1A.225/1999 vom 13. März 2000 in ZBl 2001 E. 2c S.49). Was den Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung betrifft, räumt das OHG dem unter den Opferbegriff von Art. 2 Abs. 1 OHG fallenden Geschädigten keine über die dargelegte bundesgerichtliche Praxis hinausgehenden Rechte ein (Urteil des Bundesgerichtes 1P.697/1994 vom 15. März 1995 i.S. M., E. 3a/aa = ZBJV 131 [1995] 243 ff.; Urteil des Bundesgerichtes 1A.225/1999 vom 13. März 2000 in ZBl 2001 E. 2c S.49). 
2.4 Hinsichtlich der Notwendigkeit der unentgeltlichen Rechtsvertretung, stellt das Strafuntersuchungsverfahren in der Regel eher bescheidene juristische Anforderungen an die Wahrung der Mitwirkungsrechte des Geschädigten. Es geht im Wesentlichen darum, allfällige Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche (relativ formlos) anzumelden sowie an Verhören von Angeschuldigten und allfälligen Zeugen teilzunehmen und eventuell Ergänzungsfragen zu stellen. Ein durchschnittlicher Bürger sollte in der Lage sein, seine Interessen als Geschädigter in einer Strafuntersuchung selber wahrzunehmen (BGE 123 I 145 E. 2b)bb) S. 147; 116 Ia 459 E. 4e S. 461). In diesem Zusammenhang berücksichtigt das Bundesgericht insbesondere das Alter, die soziale Situation, die Sprachkenntnisse und die gesundheitliche und geistig-psychische Verfassung des Geschädigten sowie die Schwere und Komplexität des Falles (BGE 123 I 145 E. 2b/cc S. 147; vgl. auch ZBJV 131 [1995] 244). Das Bundesgericht hat einen direkt aus der Bundesverfassung fliessenden Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung namentlich bei minderjährigen Opfern von Sexualverbrechen in Strafprozessen gegen ihre Väter oder bei erwachsenen aber psychisch stark beeinträchtigten Notzuchtsopfern bejaht, sofern die Geschädigten nicht amtlich verbeiständet bzw. nicht ausreichend juristisch beraten sind. Zugestanden wurde die unentgeltliche Rechtspflege auch einer nicht verbeiständeten und nur schlecht Deutsch sprechenden Türkin, welche von ihrem Ehemann mit dem Messer schwer verletzt worden war. Die Notwendigkeit einer unentgeltlichen Rechtsverbeiständung wird vom Bundesgericht insbesondere dann verneint, wenn bereits eine ausreichende (z.B. fürsorgerechtliche) Verbeiständung des Opfers gewährleistet ist (BGE 123 I 145 E. 2b/cc S. 147 f., E. 3a/aa - 3b S. 149 f.; 116 Ia 459, S. 460 f., je mit Hinweisen; siehe auch ZBJV 131 (1995) 244). 
2.5 Im vorliegenden Fall handelt es sich um kein komplexes, schwierige Rechtsfragen aufwerfendes Strafverfahren. Wird der mutmasslich Geschädigte bei allfälligen Einvernahmen oder Zeugenbefragungen durch seine Eltern begleitet, ist eine genügende Vertretung gewährleistet. Das Argument der Beschwerdeführer, die Mutter sei der deutschen Sprache nicht mächtig, vermag nicht zu überzeugen. Der Vater des Opfers ist deutscher Staatsangehöriger und durchaus in der Lage, dem Sohn im Strafverfahren in rechtsgenügender Weise beizustehen. Zu Recht weist das Obergericht darauf hin, dass keine glaubhaften Anhaltspunkte für eine Erschwerung des Verfahrens durch zweifelhafte Machenschaften des Untersuchungsrichters vorliegen. Die unsachlichen Verdächtigungen der Beschwerdeführer entbehren jeder Grundlage. Sofern sich die Eltern nicht kooperativ zeigen, lässt sich daraus kein Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsvertreter ableiten. Die Argumentation des Obergerichtes leuchtet ein und ist zu schützen. 
3. 
Inwiefern sich aus Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (SR 0.107; UNO-Kinderrechtskonvention) ein Recht auf einen unentgeltlichen Rechtsvertreter begründen lassen soll, wird von den Beschwerdeführern nicht dargetan. Im Unterschied etwa zu einem Scheidungsverfahren sind vorliegend die Kindesinteressen nicht gefährdet, wenn die Eltern selber den Sohn vertreten. 
4. 
Demzufolge ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Da sich die Beschwerde als von vornherein aussichtslos erweist, ist auch das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung abzuweisen (vgl. Art. 152 OG). Die Gerichtskosten sind beiden Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 156 Abs. 7 OG). Der Antrag auf Ergänzung der Beschwerde durch den Rechtsvertreter wird infolgedessen gegenstandslos. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Untersuchungsrichteramt und dem Obergericht, Strafkammer, des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 4. November 2003 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: