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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_391/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 4. November 2016  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Deecke, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 31. März 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1978 geborene A.________, diplomierte Maschineningenieurin ETH, arbeitete zuletzt in einem Pensum von 80 % als Sachverständige Anlagebetreiber Suppor. Ab August 2011 war sie während eines Jahres in einem Umfang von 40 % als Dozentin an einer Fachhochschule beschäftigt und baute daneben eine selbstständige Erwerbstätigkeit im Bereich Web- und Printdesign auf. Am 25. Februar 2014 meldete sich A.________ unter Hinweis auf Angst-, Panikstörung und Depression bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen in erwerblicher und medizinischer Hinsicht lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich das Leistungsgesuch mit Verfügung vom 18. Dezember 2014 ab. 
 
B.   
A.________ liess Beschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung der Verfügung sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihr eine Invalidenrente auszurichten. Eventuell sei ein Gerichtsgutachten zur Frage nach der Zumutbarkeit einer psychopharmakologischen Behandlung einzuholen. Mit Entscheid vom 31. März 2016 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt die Versicherte das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren um Zusprechung einer Invalidenrente erneuern. 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Die Vorinstanz verneinte das Vorliegen einer rechtserheblichen Invalidität. Sie würdigte die verschiedenen Berichte und Gutachten, welche der Versicherten eine durch ein psychisches Leiden verursachte volle Arbeitsunfähigkeit bescheinigten. Laut Erwägungen der Vorinstanz ist der Umstand, dass aus psychiatrischer Sicht eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit von 100 % besteht, nicht entscheidend. Den Ärzten komme hinsichtlich der Bemessung der Arbeitsunfähigkeit bzw. für die Beantwortung der Frage, ob auch eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit im rechtlichen Sinn vorliege, keine abschliessende Beurteilungskompetenz zu. Die Diagnose der akzentuierten Persönlichkeit mit zwanghaften und emotional instabilen Zügen erreiche nicht die Qualität, welche die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung rechtfertige. Sodann könne nicht eine verselbstständigte depressive Störung angenommen werden. Vielmehr fänden sich deutliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die invaliditätsfremden Elemente nicht klar vom medizinischen Leiden selbst trennen lassen, sondern die depressive Störung in der psychosozialen Belastungssituation und der daraus folgenden Angststörung aufgeht. Mit Bezug auf die Angststörung mit gravierenden Folgen für die Arbeitsfähigkeit sei ausschlaggebend, dass die Beschwerdeführerin eine Psychopharmakotherapie verweigert, obwohl ihr diese nach einhelliger Auffassung der berichtenden Ärzte zumutbar wäre und ohne eine solche Behandlung eine ungünstige Prognose gestellt werde. Ferner spreche auch das dokumentierte Aktivitätsverhalten der Versicherten nicht für ein ausgeprägtes psychisches Leiden. Da die medikamentöse Behandlung nicht durchgeführt wurde, könne ein Rentenanspruch rechtsprechungsgemäss nicht entstehen. Solange durch eine tatsächlich realisierbare Veränderung der für die gesundheitliche Situation bedeutsamen Rahmenbedingungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine wesentliche Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes und damit der dadurch eingeschränkten Arbeitsfähigkeit bewirkt werden kann, liege kein invalidisierender Gesundheitsschaden vor.  
 
2.2. Die Beschwerdeführerin wendet im Wesentlichen ein, indem sie sich keiner Psychopharmakotherapie unterzogen hat, habe sie ihre Selbsteingliederungspflicht nicht verletzt. Es lägen Gründe vor, die für die Unzumutbarkeit der Behandlung mit Psychopharmaka sprechen. So habe der behandelnde Psychiater mit Rücksicht auf die Empfehlung des Endokrinologen Prof. Dr. med. B.________ auf eine solche Therapie verzichtet. Die Beschwerdeführerin unterziehe sich zwecks Behandlung der Depression einer Psychotherapie sowie einer Bewegungs-, Mal- und Tanztherapie. Wenn die Beschwerdegegnerin von ihr eine über die Behandlungsempfehlung der behandelnden Ärzte hinausgehende Therapie verlangt, habe sie die versicherte Person dazu nach Massgabe von Art. 21 Abs. 4 ATSG aufzufordern. Eine solche Aufforderung habe sie nie erhalten. Der angefochtene Entscheid missachte Art. 21 Abs. 4 ATSG, indem eine Verpflichtung zur Aufnahme einer medikamentösen Therapie angenommen worden sei, ohne dass die Versicherte je dazu aufgefordert wurde. Schliesslich habe das kantonale Gericht den rechtserheblichen Sachverhalt willkürlich und unvollständig festgestellt, insbesondere was die Führung des Haushalts und das Aktivitätsniveau betrifft.  
 
3.  
 
3.1. Entzieht oder widersetzt sich eine versicherte Person einer zumutbaren Behandlung oder Eingliederung ins Erwerbsleben, die eine wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit oder eine neue Erwerbsmöglichkeit verspricht, oder trägt sie nicht aus eigenem Antrieb das ihr Zumutbare dazu bei, so können ihr die Leistungen vorübergehend oder dauernd gekürzt oder verweigert werden. Sie muss vorher schriftlich gemahnt und auf die Rechtsfolgen hingewiesen werden; ihr ist eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen. Behandlungs- oder Eingliederungsmassnahmen, die eine Gefahr für Leben und Gesundheit darstellen, sind nicht zumutbar (Art. 21 Abs. 4 ATSG). Eine Leistungsverweigerung oder -kürzung mit der Begründung, die versicherte Person verweigere eine zumutbare Therapie, die eine wesentliche Verbesserung verspricht, setzt voraus, dass die IV-Stelle nach Art. 21 Abs. 4 ATSG vorgeht. Die medizinische oder erwerbliche Vorkehr muss geeignet sein, eine erhebliche Minderung des versicherten Schadens zu bewirken. Eines strikten Beweises, die verweigerte Massnahme hätte tatsächlich zum erwarteten Erfolg geführt, bedarf es nicht; vielmehr genügt es, wenn die Vorkehr mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgreich gewesen wäre. Die Anforderungen an die Schadenminderungspflicht sind dort strenger, wo eine erhöhte Inanspruchnahme der Invalidenversicherung in Frage steht, namentlich wenn der Verzicht auf schadenmindernde Vorkehren Rentenleistungen auslöst (Urteil 9C_82/2013 vom 20. März 2013 E. 3).  
 
3.2. Die IV-Stelle, deren Verfügung vom 18. Dezember 2014 das kantonale Gericht bestätigt hat, hat von der Durchführung eines Mahn- und Bedenkzeitverfahrens im Sinne von Art. 21 Abs. 4 ATSG abgesehen. Die Vorinstanz wiederum hat ein solches ebenfalls nicht als erforderlich erachtet, obwohl sie im angefochtenen Entscheid davon ausgegangen ist, dass die Beschwerdeführerin nicht gewillt sei, sich einer zumutbaren Psychopharmakotherapie zu unterziehen, jedoch ihre Arbeits- und Erwerbsfähigkeit mittels einer solchen medikamentösen Behandlung wieder erlangen könnte; dabei hat das kantonale Gericht seine Auffassung mit den Angaben mehrerer Ärzte untermauert. So hielt es fest, aus psychiatrischer Sicht bestehe eine Indikation für eine medikamentöse Behandlung und die aktuell attestierte Arbeitsunfähigkeit von 100 % müsste nach Ansprechen auf die einzuleitende Pharmakotherapie gemäss Stellungnahmen der beteiligten Ärzte revidiert werden.  
 
3.3. Da gemäss den vorstehenden Erwägungen angenommen werden muss, dass sich die Versicherte einer zumutbaren Behandlung mittels Psychopharmaka widersetzt, welche eine wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit verspricht, wäre ein Mahn- und Bedenkzeitverfahren durchzuführen, wie es Art. 21 Abs. 4 ATSG vorsieht.  
 
3.4. Bei seitens der Ärzte bescheinigter Arbeitsunfähigkeit von 100 % kann ohne vorherige medikamentöse Behandlung entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht von einer rentenausschliessenden Erwerbsfähigkeit der Beschwerdeführerin ausgegangen werden, auch wenn es zu beachten gilt, dass dem Arzt oder der Ärztin hinsichtlich der Festsetzung des Arbeitsunfähigkeitsgrades nach der Rechtsprechung (BGE 140 V 193 E. 3.1 und 3.2 S. 194 ff.) keine abschliessende Beurteilungskompetenz zukommt. Soweit das kantonale Gericht unter dem Blickwinkel der Rechtsanwendung eine erhebliche Arbeitsunfähigkeit verneint, kann ihm nicht beigepflichtet werden. Nachdem gerade darauf verzichtet wurde, die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 21 Abs. 4 ATSG zu einer medikamentösen Therapie zu verpflichten, kann ihr nicht entgegengehalten werden, sie habe keine konsequente Depressionstherapie befolgt, deren Scheitern das Leiden als resistent ausweisen würde. Auch die weiteren Ausführungen der Vorinstanz vermögen es nicht, die medizinisch bestätigte volle Arbeitsunfähigkeit aus rechtlicher Sicht als unerheblich erscheinen zu lassen, zumal gemäss angefochtenem Entscheid hauptsächlich die bislang unterbliebene Psychopharmakotherapie der depressiven und ängstlichen Symptomatik für das Fortbestehen der psychischen Beeinträchtigung verantwortlich ist. Ob das dokumentierte Aktivitätsverhalten der Versicherten gegen ein ausgeprägtes psychisches Leiden spricht, wie das kantonale Gericht annimmt, kann offenbleiben. Dass die Angststörung wesentliche Einschränkungen bewirkt, stellt die Vorinstanz nicht in Frage. Sie hält auch in diesem Zusammenhang dafür, dass eine Pharmakotherapie wahrscheinlich erfolgreich wäre. Dieses Argument hätte sich die Beschwerdeführerin jedoch - wie dargelegt - erst entgegenhalten zu lassen, wenn sie sich nach durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren einer entsprechenden Behandlung widersetzte. Hingegen kann diese Begründung nicht dazu dienen, den invalidisierenden Charakter der Angststörung zu verneinen.  
 
3.5. Aus rechtlicher Sicht litt die Beschwerdeführerin im massgeblichen Zeitpunkt des Verfügungserlasses (18. Dezember 2014) entgegen den Ausführungen der Vorinstanz an einem Gesundheitsschaden, der den Anspruch auf eine Invalidenrente begründet. Die Argumente, welche das Sozialversicherungsgericht anführt, um trotz fachärztlich bescheinigter voller Arbeitsunfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit und Fehlens zumutbarer Verweisungstätigkeiten das Vorliegen einer Invalidität zu verneinen, sind, wie vorstehend dargelegt (E. 3.4 hievor), nicht stichhaltig. Gestützt auf die von der Verwaltung getroffenen erwerblichen und medizinischen Abklärungen ist bei einer Arbeitsunfähigkeit von 100 % von einem Invaliditätsgrad in gleicher Höhe auszugehen, da der Versicherten auch in einer Verweisungstätigkeit keine verwertbare Leistungsfähigkeit attestiert wird. Laut Verlaufsgutachten vom 22. Dezember 2014, das der Psychiater Dr. med. C.________ zuhanden der Personalvorsorge D.________ erstattet hat, ist die Beschwerdeführerin seit 18. Juli 2012 durchgehend voll arbeitsunfähig. Nach Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG entstand der Rentenanspruch somit am 1. Juli 2013, nachdem sie während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch zu mindestens 40 % arbeitsunfähig und weiterhin in mindestens gleichem Ausmass invalid war. Da sie sich jedoch erst am 25. Februar 2014 für berufliche Integration/Rente bei der Invalidenversicherung angemeldet hat, kann die Versicherte die Invalidenrente ab 1. August 2014, sechs Monate nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs nach Art. 29 Abs. 1 ATSG, beanspruchen (Art. 29 Abs. 1 IVG). Mit Blick auf die vorliegende Invalidität fällt eine Verweigerung der Invalidenrente erst in Betracht, wenn sich die Beschwerdeführerin nach korrekt durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren gemäss Art. 21 Abs. 4 ATSG weigert, sich einer zumutbaren Psychopharmakotherapie zu unterziehen.  
 
4.   
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. März 2016 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 18. Dezember 2014 werden aufgehoben. Die Beschwerdeführerin hat ab 1. August 2014 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 4. November 2016 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Glanzmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Widmer