Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_1134/2022
Urteil vom 4. November 2022
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Denys,
Bundesrichter Muschietti,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
1. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern,
2. Sicherheitsdirektion des Kantons Bern (SID), Kramgasse 20, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerinnen.
Gegenstand
Aufschub des Strafvollzugs,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 22. August 2022 (SK 22 305).
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte den Beschwerdeführer am 22. September 2020 zweitinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten, einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen und einer Übertretungsbusse von Fr. 100.--. Eine dagegen erhobene Beschwerde an das Bundesgericht blieb erfolglos (Urteil 6B_141/2021 vom 23. Juni 2021).
2.
Die Bewährungs- und Vollzugsdienste des Amts für Justizvollzug des Kantons Bern (BVD) boten den Beschwerdeführer am 23. September 2021 zum Vollzug der Freiheitsstrafe auf den 15. November 2021 auf.
Am 12. Oktober 2021 ersuchte der Beschwerdeführer um Vollzugsaufschub bis zum ordentlichen Abschluss der Erstausbildung seiner am 26. September 2005 geborenen Tochter bzw. bis zu deren Volljährigkeit. Aufgrund dieses Gesuchs wurde der Strafantrittstermin vom 15. November 2021 vorerst abgenommen.
Am 1. Februar 2022 wiesen die BVD das Gesuch des Beschwerdeführers vom 12. Oktober 2021 ab und boten ihn auf den 2. Mai 2022 zum Strafantritt auf.
Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Beschwerde wies die Sicherheitsdirektion (SID) des Kantons Bern am 6. April 2022 ab. Eine dagegen gerichtete Beschwerde wies auch das Obergericht des Kantons Bern mit Beschluss vom 22. August 2022 ab. Der Beschwerdeführer wendet sich am 20. September 2022 (Poststempel) mit Beschwerde an das Bundesgericht.
3.
Der Vollzug von Strafen und somit auch der hier fragliche Strafantritt richten sich nach kantonalem Recht (Art. 372 Abs. 1 StGB; Art. 439 Abs. 1 und 2 StPO ).
Das Bundesgericht überprüft die Anwendung kantonalen Rechts - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - nur auf Willkür (vgl. Art. 95 BGG; BGE 141 IV 305 E. 1.2 mit Hinweisen). Die Feststellung des Sachverhalts kann vor Bundesgericht ebenfalls nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig und damit willkürlich ist (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 143 IV 241 E. 2.3.1; 143 I 310 E. 2.2; je mit Hinweis). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten - einschliesslich Willkür bei der Anwendung kantonalen Rechts und bei der Sachverhaltsfeststellung - gilt eine qualifizierte Rügepflicht. Das Bundesgericht prüft Rügen nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden sind (Art. 106 Abs. 2 BGG).
4.
Gemäss Art. 23 Abs. 1 der bernischen Verordnung über den Justizvollzug (Justizvollzugsverordnung [JVV]; BSG 341.11) sollen Freiheitsstrafen spätestens innert sechs Monaten seit Bestimmung der Vollzugsform angetreten werden. Aus wichtigen Gründen kann der Vollzug einer Freiheitsstrafe aufgeschoben oder unterbrochen werden (Art. 17 Abs. 1 des bernischen Gesetzes über den Justizvollzug [Justizvollzugsgesetz (JVG)]; BSG 341.1). Als wichtige Gründe gelten gemäss Art. 17 Abs. 2 JVG ausserordentliche persönliche, familiäre oder berufliche Verhältnisse (lit. a) sowie vollständige Hafterstehungsunfähigkeit (lit. b). Beim Entscheid sind die voraussichtliche Vollzugsdauer, die Entweichungs- und Wiederholungsgefahr sowie allfällige Beurteilungen von Sachverständigen zu berücksichtigen (Art. 17 Abs. 3 JVG).
5.
Die Vorinstanz begründet im angefochtenen Beschluss umfassend, weshalb sie einen Strafaufschub verneint. Sie räumt ein, der Vollzug der Freiheitsstrafe von 36 Monaten sei für den alleinerziehenden Beschwerdeführer und seine Tochter, die allfällig auf eine altersgerechte Fremdbetreuung angewiesen sein werde, belastend; indessen sei die Trennung vom eigenen Kind eine zwangsläufige und unmittelbar gesetzmässige Folge des Vollzugs der Freiheitsstrafe, die sich der Beschwerdeführer spätestens nach Rechtskraft des obergerichtlichen Urteils vom 22. September 2020 vor Augen habe führen müssen. Im Folgenden würdigt die Vorinstanz bei der Gesuchsprüfung alle relevanten Gesichtspunkte im Einzelnen eingehend, namentlich die voraussichtliche Vollzugsdauer, die Situation des Beschwerdeführers als alleinerziehender Vater einer am 26. September 2005 geborenen Tochter, die Vorladung zum Strafantritt auf den 2. Mai 2022 mit einem Zeitraum von 3 Monaten zur Sicherstellung einer allfälligen Fremdbetreuung seiner Tochter, den vom Beschwerdeführer zusätzlich geltend gemachten, indessen unbelegt gebliebenen Umstand der Aufnahme eines verwandten Minderjährigen aus der Ukraine und seine berufliche Neuorientierung mit offenbarer Gründung eines Unternehmens im Jahr 2021. Die Vorinstanz kommt zum Schluss, dass das Institut des Vollzugsaufschubs nur in Ausnahmefällen zum Zug komme und es nicht dazu diene, den gesetzlichen Konsequenzen - auch wenn sie für den Betroffenen und die Angehörigen noch so unangenehm seien - möglichst lange zu entgehen. Der Beschwerdeführer habe genügend Zeit gehabt, seine persönlichen und finanziellen Angelegenheiten zu regeln bzw. insbesondere eine geeignete Betreuung für seine Tochter (und allenfalls auch für den angeblich aufgenommenen Sohn seines Stiefbruders aus der Ukraine) zu organisieren.
6.
Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde nichts vor, was die Erwägungen der Vorinstanz als willkürlich, rechts- oder ermessensfehlerhaft erscheinen liesse. Soweit er auf seine familiäre Situation mit "2 Minderjährigen" hinweist, für die er zu sorgen habe, und er insofern (sinngemäss) geltend macht, bei ausserordentlichen familiären Verhältnissen habe jeder das Recht auf eine "Fristverlängerung", verkennt er, dass das geltende Recht selbst bei Vorliegen wichtiger Gründe im Sinne von Art. 17 JVG keinen Anspruch auf Gewährung eines Aufschubs des Vollzugs einer Haftstrafe einräumt. Die entscheidende Behörde verfügt vielmehr auch diesbezüglich über einen Ermessensspielraum. Inwiefern diese bzw. konkret die Vorinstanz den Sachverhalt in Bezug auf die familiäre Situation des Beschwerdeführers willkürlich festgestellt und/oder das ihr zustehende Ermessen in Bezug auf die Frage des Vollzugsaufschubs vorliegend verletzt haben könnte, zeigt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht auf. Er macht insbesondere nicht geltend, eine allfällige Fremdbetreuung seiner Tochter (und eventuell des Sohnes seines Stiefbruders, den er bei sich aufgenommen haben will) liesse sich in angemessener Weise nicht gewährleisten oder sei generell ausgeschlossen oder unzumutbar. Zudem wendet er namentlich auch nicht ein, es sei ihm insgesamt zu wenig Zeit zu deren Organisation und Sicherstellung eingeräumt worden. Dies ist auch nicht ersichtlich. Die Erwägungen der Vorinstanz stehen mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang (BGE 146 IV 267 E. 3.2.2 insbesondere mit dem Hinweis auf das Urteil 6B_540/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 1.4.2), wonach der Straf- und Massnahmenvollzug für die betroffene Person, das Kind sowie die Partnerschaft zwar unbestreitbar eine Belastung darstellt, die Trennung vom Kind und eine allenfalls erforderliche Fremdbetreuung desselben während des Strafvollzugs jedoch eine unvermeidbare Konsequenz der freiheitsentziehenden Sanktion bildet. Darauf kann verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG). Eine Verletzung von Bundesrecht ist nicht auszumachen.
Im Übrigen befasst sich der Beschwerdeführer nicht mit der Begründung der Vorinstanz. Stattdessen äussert er sich zu seinem Gesundheitszustand. Losgelöst von den vorinstanzlichen Erwägungen bringt er vor, mittlerweile an einer Depression erkrankt zu sein; er könne nicht mehr arbeiten, und es seien ihm fachärztliche Behandlung und Medikamente verschrieben worden. An Belegen reicht er eine vom 12. September 2022 datierende Zuweisung an eine Fachperson für fachärztliche/psychologische Hilfe ein sowie eine Fotografie der Verpackung eines rezeptpflichtigen Medikaments, das auf ihn ausgestellt wurde. Damit macht der Beschwerdeführer, erstmals vor Bundesgericht, sinngemäss geltend, nicht (mehr) hafterstehungsfähig zu sein. Seine tatsächlichen Vorbringen zu seiner gesundheitlichen Verfassung sind neu. Dass und inwiefern sie durch den vorinstanzlichen Beschluss veranlasst worden wären und es sich damit um zulässige Noven handelte, legt der Beschwerdeführer indessen nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Sie haben daher, weil im bundesgerichtlichen Verfahren unzulässig, unbeachtlich zu bleiben (Art. 99 Abs. 1 BGG).
Aus dem pauschalen Hinweis auf eine offenbar anhängig gemachte Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vermag der Beschwerdeführer schliesslich nichts für sich abzuleiten.
Die Beschwerde ist damit im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann.
7.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das sinngemässe Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen. Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. November 2022
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill