Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_778/2023
Urteil vom 4. Dezember 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterinnen Heine, Viscione, Bundesrichter Métral,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.
Verfahrensbeteiligte
Ersatzkasse UVG, c/o Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Richtiplatz 1, 8304 Wallisellen,
Beschwerdeführerin,
gegen
AXA Versicherungen AG, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 14. September 2023 (UV.2023.00050).
Sachverhalt:
A.
Die A.________ AG wurde am 15. Juli 2015 (damals unter der Firma B.________ AG) im Handelsregister des Kantons Zug eingetragen. Die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG (nachfolgend: Allianz) teilte der A.________ AG am 3. März 2022 mit, sie werde die Versicherungsbeziehungen mit ihr nicht mehr weiter führen, weshalb sie - unter anderem - den Versicherungsvertrag "Unfallversicherung gemäss UVG" mit der A.________ AG per 1. Januar 2023 kündigte. Der Versicherungsbroker der A.________ AG gelangte am 20. Dezember 2022 an die Ersatzkasse UVG (nachfolgend: Ersatzkasse), nachdem die Gesellschaft von verschiedenen Versicherern abgewiesen worden war, und machte geltend, es wäre doch sinnvoll, wenn die Ersatzkasse eine Zuweisung an die Allianz machen würde. Der Anmeldung zur Zuweisung legte er unter anderem das am 18. Dezember 2022 ausgefüllte "Zuweisungsformular zur Erstellung Zuweisungsverfügung" bei, in welchem die Absagen von fünf angefragten UVG-Versicherern aufgeführt werden. Mit Verfügung vom 27. Dezember 2022 wies die Ersatzkasse die A.________ AG gestützt auf Art. 73 Abs. 2 UVG, Art. 95 UVV und Art. 4 des Verwaltungsreglements der Ersatzkasse vom 18. Juni 2008 der AXA Versicherungen AG (nachfolgend: AXA) als UVG-Versicherer zu. Daran hielt sie auf Einsprache der AXA hin fest (Einspracheentscheid vom 17. Februar 2023).
B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die von der AXA dagegen erhobene Beschwerde gut, soweit es darauf eintrat, hob den Einspracheentscheid auf und wies die Sache an die Ersatzkasse zurück, damit sie neu verfüge (Urteil vom 14. September 2023).
C.
Die Ersatzkasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und stellt das Rechtsbegehren, das Urteil des kantonalen Gerichts sei aufzuheben und der Einspracheentscheid sei zu bestätigen. Mit Eingabe vom 22. März 2024 reicht die Ersatzkasse "zur zusätzlichen Untermauerung" ihrer Argumente das von der Allianz in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von Prof. Dr. iur. C.________ zu Fragen des Verhältnisses von Art. 73 UVG zum Notstandsabkommen vom 1. Februar 2024 zu den Akten.
Die AXA beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei; eventualiter sei die Angelegenheit im Sinne der materiellen Ausführungen in der Vernehmlassung an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es weitere Abklärungen tätige, sich zur Rechtsauffassung der Ungültigkeit des Notstandsabkommens äussere und zur Frage verbindlich Stellung beziehe, ob die von der Ersatzkasse neu postulierte Zuweisungspraxis unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes und der Rechtsgleichheit "rückwirkend" auf das vorliegende Zuweisungsverfahren Anwendung finden solle. Das kantonale Gericht und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichten auf eine Stellungnahme.
Die Ersatzkasse hält replizierend an ihrem in der Beschwerde ans Bundesgericht gestellten Rechtsbegehren fest.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren) Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 149 II 476 E. 1; 146 V 331 E. 1 Ingress mit Hinweis). Dies ändert freilich nichts daran, dass der Beschwerdeführer nach Art. 42 Abs. 1 BGG gehalten ist, die Erfüllung der Eintretensvoraussetzungen darzutun, wenn diese nicht offensichtlich gegeben sind (vgl. BGE 141 IV 1 E. 1.1; 141 IV 289 E. 1.3, je mit Hinweisen).
2.
2.1. Gegen Entscheide der kantonalen Versicherungsgerichte kann nach Massgabe des Bundesgerichtsgesetzes beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden (Art. 62 Abs. 1 ATSG). Die Beschwerdelegitimation ist in Art. 89 BGG geregelt.
2.2. Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Auf diese in erster Linie auf Privatpersonen zugeschnittene Beschwerdebefugnis kann sich auch ein Gemeinwesen berufen, sofern es nicht nur ein öffentliches Interesse an der richtigen Durchführung des Bundesrechts, sondern wie ein Privater ein bestimmtes, eigenes finanzielles Interesse verfolgt oder aber in schutzwürdigen eigenen hoheitlichen Interessen berührt ist (anstelle vieler: BGE 138 V 339 E. 2.1, wo allerdings unzutreffend von einer "Behörde" die Rede ist; vgl. KIENER/RÜTSCHE/KUHN, Öffentliches Verfahrensrecht, 3. Aufl. 2021, S. 319). Gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG sind Gemeinwesen nur restriktiv zur Beschwerdeführung zuzulassen (BGE 147 II 227 E. 2.3.2; 146 V 121 E. 2.3.1; 141 II 161 E. 2.1; Urteile 2C_709/2022 vom 25. Juli 2024 E. 1.3.1; 2C_557/2023 vom 1. Mai 2024 E. 3.5.1). Zur Beschwerdelegitimation einer IV-Stelle hielt das Bundesgericht fest, dass der Umstand allein, im Rechtsmittelverfahren unterlegen zu sein, nicht ausreiche (BGE 134 II 45 E. 2.2.1 mit Hinweisen). Heisse ein kantonales Versicherungsgericht die Beschwerde gegen die Verfügung einer IV-Stelle gut, indem es einen Rentenanspruch bejahe oder eine höhere Rente zuspreche, könne diese den betreffenden Entscheid mangels eines schutzwürdigen Interesses im Sinn von Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG daher nicht ans Bundesgericht weiterziehen (zum Ganzen: BGE 138 V 339 E. 2, wo die Beschwerdelegitimation jedoch gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG anerkannt wurde). Ohne Weiteres bejaht wurde und wird die Beschwerdelegitimation gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG (bzw. Art. 103 aOG [BS 3 531]) bei obligatorischen Unfallversicherern in Streitigkeiten mit den Versicherten betreffend Versicherungsleistungen, sofern die Voraussetzungen der lit. a bis c dieser Bestimmung erfüllt waren und sind (Urteil U 337/05 vom 16. Oktober 2006 E. 2, nicht publ. in: BGE 133 V 96, aber in: SVR 2007 UV Nr. 7 S. 22; vgl. auch BGE 138 V 161 E. 2.5.1).
3.
3.1. Die Ersatzkasse hat einerseits die Aufgabe, gesetzliche Versicherungsleistungen an verunfallte Arbeitnehmer zu erbringen, für deren Versicherung nicht die Suva zuständig ist und die von ihrem Arbeitgeber nicht versichert worden sind (Art. 73 Abs. 1 UVG). Andererseits ist sie gemäss Art. 73 Abs. 2 UVG verpflichtet, Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer nicht oder nicht mehr versichert haben, einem anderen Versicherer gemäss Art. 68 UVG zuzuweisen (Art. 73 Abs. 2 UVG). Dabei achtet sie auf eine ausgewogene Risikoverteilung und trägt den Interessen der betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer angemessen Rechnung (Art. 95 Abs. 1 UVV). Sie teilt die Zuweisung den betroffenen Versicherern in Form einer Verfügung im Sinne von Art. 49 ATSG mit (Art. 95 Abs. 2 erster Satz UVV). Art. 52 ATSG (Einsprache) ist anwendbar (Art. 95 Abs. 2 zweiter Satz UVV).
In unfallversicherungsrechtlichen Leistungsstreitigkeiten nach Art. 73 Abs. 1 UVG kann sich die Ersatzkasse in der Regel auf die allgemeine Legitimationsklausel des Abs. 1 von Art. 89 BGG berufen (E. 2.2 hiervor am Ende mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Hier richtet sich die Beschwerde jedoch nicht gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Leistungen der Unfallversicherung, wie nachfolgend in Erwägung E. 3.2 erörtert wird.
3.2. Zur Debatte steht hier in materieller Hinsicht, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die Ersatzkasse verpflichtete, im Rahmen der kantonalgerichtlich angeordneten Rückweisung eine Zuweisung gestützt auf das Notstandsabkommen vorzunehmen.
3.2.1. Im angefochtenen Urteil wird festgestellt, die durch die Ersatzkasse in Anwendung ihres Verwaltungsreglements erfolgte Zuweisung der A.________ AG an die AXA sei nicht rechtmässig. Vielmehr hätte das Versicherungsnotstandsabkommen, in Kraft seit 9. Juli 2013 (nachfolgend: Notstandsabkommen), bei der Zuweisung angewendet werden müssen. Da das kantonale Gericht eine Zuweisung nicht selbst vornehmen könne, werde die Sache an die Ersatzkasse zurückgewiesen, damit sie neu verfüge (vorinstanzliche E. 3.5 und 3.7).
3.2.2. Die Ersatzkasse rügt vor Bundesgericht, die Vorinstanz verletze Schweizerisches Bundesrecht. Mit Art. 73 Abs. 2 UVG in der ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung bestehe eine klare gesetzliche Grundlage, die die Beschwerdeführerin dazu verpflichte, säumige Arbeitgeber einem anderen Versicherer nach Art. 68 UVG zuzuweisen. Eine Zuweisung an den vorherigen Versicherer sei nicht vorgesehen. Der gesetzgeberische Wille sei unmissverständlich. Die Kontrahierungsfreiheit sei bei Zuweisungen im Rahmen von Art. 73 Abs. 2 UVG von Gesetzes wegen aufgehoben. Ein Wahlrecht, den Versicherungsvertrag wieder in Kraft setzen zu lassen, würde der ausgewogenen Risikoverteilung zuwiderlaufen, wie sie in Art. 95 Abs. 1 UVV normiert sei. Spätestens ab 1. Januar 2017 bestehe damit für die anderen Versicherer kein Spielraum mehr, nach Art. 68 UVG das aussergesetzliche Versicherungsnotstandsabkommen anzuwenden. Das kantonale Gericht habe diese Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht geklärt und sei stattdessen zu Unrecht und in Verletzung von Bundesrecht davon ausgegangen, dass das Notstandsabkommen Anwendung finde. Die von der Ersatzkasse per 1. Januar 2023 erfolgte Zuweisung der A.________ AG an die AXA erweise sich vor diesem Hintergrund als rechtens.
3.3. Die vorliegende Streitigkeit um eine Zuweisung nach Art. 73 Abs. 2 UVG hat zwar eine grundsätzliche Bedeutung bezüglich des Vorgehens bei Zuweisungen, was für ein schutzwürdiges Interesse der Ersatzkasse gemäss Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG spricht. Das öffentliche Interesse daran, ob der eine oder der andere Versicherer einen Arbeitgebenden zu versichern hat, liegt jedoch nicht auf der Hand. Allein mit einer Zuweisung im Einzelfall hat die Ersatzkasse nämlich ihre gesetzliche Zuweisungsaufgabe bereits erfüllt. Durch eine nach ihrem Dafürhalten fehlerhafte Zuweisung auf Anordnung eines Gerichts hin erwächst ihr selber weder ein eigener finanzieller noch ein anderweitiger Nachteil. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich der Versicherer, dem ein Arbeitgeber zugewiesen wird, jeweils klarerweise auf ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des ihn belastenden erstinstanzlichen Gerichtsurteils berufen kann. Auch im vorliegenden Fall wird der Versicherungsträger, an den die Ersatzkasse nach den Anweisungen des kantonalen Gerichts eine Zuweisung vorzunehmen hat, den Rechtsweg beschreiten können. In diesem Verfahren können die hier aufgeworfenen materiellen Streitpunkte grundsätzlich auch vom Bundesgericht geprüft werden. Eine erhebliche Betroffenheit der Ersatzkasse in wichtigen öffentlichen Interessen muss mit Blick auf diese Umstände verneint werden, soweit es um Zuweisungsfragen geht. Denn die Beschwerde der Ersatzkasse ans Bundesgericht würde in diesem Bereich letztlich allein dem allgemeinen Interesse an der richtigen Rechtsanwendung dienen, was zur Bejahung eines schutzwürdigen Interesses im Sinne von Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG nicht ausreicht. Die Legitimation der Ersatzkasse gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG ist folglich nicht gegeben.
4.
4.1. Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG zur Beschwerde an das Bundesgericht legitimiert ist. Lit. a bis c dieser Bestimmung fallen von vornherein ausser Betracht.
4.2.
4.2.1. Nach Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG sind Personen, Organisationen und Behörden, denen ein anderes Bundesgesetz dieses Recht einräumt, berechtigt, Beschwerde einzureichen. Art. 62 Abs. 1
bis ATSG ermächtigt den Bundesrat, das Beschwerderecht der Durchführungsorgane der einzelnen Sozialversicherungen vor dem Bundesgericht zu regeln. Diese Vorschrift ermöglicht es ihm, die Organe der Sozialversicherung auf Verordnungsstufe zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zuzulassen (BGE 146 V 121 E. 2.4.1 mit Hinweisen). Entsprechend ist die Beschwerdebefugnis der Durchführungsorgane in verschiedenen Sozialversicherungszweigen auf Verordnungsstufe explizit geregelt (vgl. z.B. Art. 201 Abs. 1 AHVV, Art. 41 lit. i IVV [vgl. dazu BGE 138 V 339 E. 2.3], Art. 38 Abs. 1 ELV, Art. 42 EOV und Art. 19 Abs. 1 FamZV).
4.2.2. Eine gesetzliche Grundlage im Sinn von Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG in Verbindung mit Art. 62 Abs. 1bis ATSG, die die Ersatzkasse ausdrücklich zur Beschwerde an das Bundesgericht ermächtigen würde, findet sich weder auf Gesetzes- noch auf Verordnungsstufe. Daher fällt eine Beschwerdelegitimation gestützt auf Art. 89 Abs. 2 BGG hier ebenfalls ausser Betracht.
5.
Ist das Beschwerderecht der Ersatzkasse nach Art. 89 BGG nicht gegeben, so kann auf ihre Beschwerde nicht eingetreten werden. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob nicht bereits aufgrund einer Verletzung der Begründungspflicht (Art. 42 BGG; vgl. E. 1 hiervor) auf die Beschwerde nicht eingetreten werden kann, nachdem sich die Ersatzkasse letztinstanzlich mit der Frage der Beschwerdelegitimation gemäss Art. 89 BGG nicht befasst hat.
6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die (in Anbetracht des formellen Urteils reduzierten) Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen ( Art. 65 und 66 Abs. 1 BGG ). Die Beschwerdegegnerin hat als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 4. Dezember 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz