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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_591/2024  
 
 
Urteil vom 4. Dezember 2024  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichterinnen Moser-Szeless, Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiberin Fleischanderl. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Martin Dumas, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse Arbeitgeber Basel, Viaduktstrasse 42, 4051 Basel, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung (Hinterlassenleistungen; Witwerrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 3. Juli 2024 (AH.2024.1). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1968 geborene A.________ ist Vater eines am 13. Juni 2001 geborenen Sohnes. Nachdem seine Ehefrau am 25. August 2011 verstorben war, sprach ihm die Ausgleichskasse Arbeitgeber Basel (nachfolgend: Ausgleichskasse) mit Wirkung ab 1. September 2011 eine Witwerrente zu (Verfügung vom 7. September 2011). Am 7. Juni 2019 teilte die Ausgleichskasse A.________ mit, dass sie die Auszahlung der Witwerrente per Ende Juni 2019 einstelle, da sein Sohn am 13. Juni 2019 volljährig werde. 
A.________ gelangte am 21. Oktober 2022 erneut an die Ausgleichskasse und beantragte, es sei ihm in Wiedererwägung des Schreibens vom 7. Juni 2019 die bisherige Witwerrente rückwirkend und bis auf Weiteres auszurichten; er bezog sich dabei auf das Urteil 78630/12 Beeler gegen Schweiz des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 11. Oktober 2022 (nachfolgend: Urteil 78630/12). Mit Verfügung vom 27. Oktober 2023 trat die Ausgleichskasse auf das Gesuch um Wiedererwägung nicht ein und wies den Antrag auf (Weiter-) Ausrichtung einer Witwerrente ab 1. Juli 2019 ab. Die daraufhin erhobene Einsprache wurde abschlägig beschieden (Einspracheentscheid vom 11. Dezember 2023).  
 
B.  
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Urteil vom 3. Juli 2024 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und den Antrag stellen, in Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Einspracheentscheids der Ausgleichskasse vom 11. Dezember 2023 sei ihm ab 1. Juli 2019, eventualiter ab 1. November 2022 eine monatliche Witwerrente in der Höhe von mindestens Fr. 1'561.- zuzüglich 5 % Verzugszins ab jeweiliger Fälligkeit zuzusprechen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Indes prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1).  
 
2.  
 
 
2.1. Strittig und zu prüfen ist, ob Bundesrecht verletzt wurde, indem die Vorinstanz die (Weiter-) Ausrichtung der dem Beschwerdeführer auf 1. September 2011 zugesprochenen und auf Ende Juni 2019 eingestellten Witwerrente bestätigt hat.  
 
2.2. Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente haben Witwen oder Witwer, sofern sie im Zeitpunkt der Verwitwung Kinder haben. Der Anspruch erlischt mit der Wiederverheiratung, dem Tod der Witwe oder des Witwers und - im Fall von Witwern, nicht aber von Witwen - wenn das letzte Kind das 18. Altersjahr vollendet hat (Art. 23 Abs. 1 und 4, Art. 24 Abs. 2 AHVG).  
 
2.2.1. Mit Urteil 78630/12 entschied die Grosse Kammer des EGMR, dass durch Art. 24 Abs. 2 AHVG Witwer diskriminiert werden, indem ihre Hinterlassenenrente, anders als jene von Witwen, mit der Volljährigkeit des jüngsten Kindes erlischt. Es wurde in diesem Zusammenhang eine Verletzung von Art. 14 (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) festgestellt. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist daher zwecks Herstellung eines konventionskonformen Zustands in vergleichbaren Konstellationen fortan darauf zu verzichten, die Witwerrente allein auf Grund der Volljährigkeit des jüngsten Kindes aufzuheben (vgl. BGE 143 I 50 E. 4.1 und 4.2, 60 E. 3.3; ferner Urteile 9C_644/2023 vom 10. Juni 2024 E. 3.2.2, 9C_491/2023 vom 3. April 2024 E. 2.2, je mit Hinweisen).  
 
2.2.2. Nach Erlass des Urteils 78630/12 statuierte das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) in den Mitteilungen Nr. 460 vom 21. Oktober 2022 an die AHV-Ausgleichskassen und EL-Durchführungsstellen eine "Übergangsregelung für Witwerrenten der AHV in Folge Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) " mit Gültigkeit vom 11. Oktober 2022 bis zum Inkrafttreten einer nächsten Revision des AHVG betreffend die Hinterlassenenrenten (nachfolgend: Mitteilungen Nr. 460, abrufbar unter: www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ahv/grundlagen-gesetze/witwerrente.html, besucht am 19. November 2024). Diese sehen übergangsrechtlich unter anderem für Witwer mit Kindern, welche die Rentenaufhebungsverfügung angefochten haben und deren Fall am 11. Oktober 2022 noch hängig ist, vor, dass die auf der Grundlage von Art. 23 AHVG gewährte Witwerrente nicht mehr mit Vollendung des 18. Altersjahres des jüngsten Kindes enden soll (Mitteilungen Nr. 460, S. 2 f.; analoge Vorgaben finden sich in Rz. 3401 ff. der Wegleitung des BSV über die Renten in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung [RWL], Stand: 1. Januar 2023, Version 18, resp. in Rz. 3138 und 3147 RWL der Version 19, Stand: 1. Januar 2024).  
Demgegenüber haben Witwer, deren Rente auf Grund des Umstands, dass das jüngste Kind volljährig geworden war, bereits vor dem 11. Oktober 2022 rechtskräftig aufgehoben wurde, - unter Vorbehalt der Rückkommenstitel der prozessualen Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) und der Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) - auch im Nachgang zum zitierten Urteil 78630/12 keinen Anspruch auf Wiederaufnahme der Rentenzahlungen; sie sind von dessen Geltungsbereich ausgenommen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Rente formlos aufgehoben wurde und sich der betroffene Witwer dagegen nicht innert eines Jahres wehrte (Mitteilungen Nr. 460, S. 2 f., bestätigt durch Urteile 9C_543/2023 vom 29. Februar 2024 E. 3.3 und 9C_281/2022 vom 28. Juni 2023 E. 4; ferner Urteil 9C_491/2023 vom 3. April 2024 E. 4.4). 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Gehörsverletzung, weil das kantonale Gericht nicht geprüft habe, ob die Voraussetzungen gemäss BGE 135 V 201 erfüllt seien und die auf Grund des Urteils 78630/12 geänderte Rechtsprechung ausnahmsweise eine Änderung formell rechtskräftiger Entscheide über Dauerleistungen rechtfertige.  
 
3.2.  
 
3.2.1. Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Sie muss wenigstens kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sie sich hat leiten lassen (vgl. BGE 142 I 135 E. 2.1; 136 I 229 E. 5.2). Die Behörde kann sich dabei auf die für den Entscheid zentralen Punkte beschränken, soweit die Begründung so abgefasst ist, dass sich die betroffene Person über dessen Tragweite Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann (vgl. BGE 142 II 49 E. 9.2; 138 I 232 E. 5.1; 136 I 229 E. 5.2; Urteil 9C_132/2020 vom 7. Juni 2021 E. 4.1 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 147 V 234, aber in: SVR 2021 IV Nr. 61 S. 206).  
 
3.2.2. Diesen Vorgaben genügt das angefochtene Urteil. Die Vorinstanz hat sich darin eingehend mit dem Urteil 78630/12 und der damit - vorerst im Sinne einer Übergangsregelung - modifizierten Rechtslage befasst. Angeführt wurde in diesem Zusammenhang auch, dass eine geänderte Gerichtspraxis grundsätzlich kein Zurückkommen auf rechtskräftig entschiedene Fälle rechtfertigt. Der Umstand, dass dieser Hinweis im Kontext der Rückkommenstitel von prozessualer Revision und Wiedererwägung (Näheres dazu nachstehend) und nicht explizit gestützt auf BGE 135 V 201 (E. 6) erfolgt ist, schliesst die sachgerechte Anfechtung des vorinstanzlichen Urteils infolge ungenügender Begründung nicht aus. Vielmehr ergibt sich aus der vom Beschwerdeführer angerufenen Rechtsprechung ohne Weiteres, dass sich diese auf rechtskräftig verfügte laufende Renten bezieht. Eine solche ist hier gerade nicht gegeben, sodass sich eingehendere Erläuterungen hierzu durch das kantonale Gericht erübrigten. Eine Gehörsverletzung ist nicht erkennbar.  
 
4.  
 
4.1. Vorliegend war die Witwerrente des Beschwerdeführers mit Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 7. Juni 2019 formlos aufgehoben worden, nachdem dessen Sohn das 18. Altersjahr vollendet hatte. Dagegen interveniert wurde seitens des Beschwerdeführers erst am 21. Oktober 2022.  
Dass die diesbezüglichen vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen offensichtlich unrichtig (unhaltbar, willkürlich: BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 144 V 50 E. 4.2; 135 II 145 E. 8.1) sein sollen, wird nicht substanziiert geltend gemacht und ist auch nicht auszumachen. Ebenso wenig beruhen sie auf einer Rechtsverletzung, weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich bleiben (vgl. vorangehende E. 1). 
 
4.2. Die hier zu beurteilende Situation entspricht insoweit derjenigen, die dem Urteil 78630/12 zugrunde lag, als auch die Witwerrente des Beschwerdeführers allein auf Grund der Volljährigkeit seines Sohnes aufgehoben wurde. Die Konstellationen divergieren indessen dahingehend entscheidend, dass der Beschwerdeführer die Renteneinstellung unangefochten hat in Rechtskraft erwachsen lassen. Damit ergibt sich, wie hiervor dargelegt, unmittelbar aus dem Urteil 78630/12 keine ihn diskriminierende Ungleichbehandlung. Nach Massgabe der aufgeführten Rechtslage - zu deren Überprüfung kein Anlass besteht (vgl. zu den Erfordernissen einer Praxisänderung etwa BGE 149 II 381 E. 7.3.1; 147 V 342 E. 5.5.1) - ist somit kein Anspruch auf eine Wiederaufnahme der auf Ende Juni 2019 eingestellten Rentenzahlungen gegeben. Vielmehr kann ein rückwirkender Leistungsanspruch in derartigen Konstellationen nur bejaht werden, wenn sich ein Rückkommen gestützt auf eine prozessuale Revision oder eine Wiedererwägung rechtfertigt (vgl. dazu BGE 127 V 10 E. 4b; E. 2.2.2 hiervor).  
 
4.2.1. Wie das kantonale Gericht einlässlich ausgeführt hat, sind die Voraussetzungen für eine prozessuale Revision nach Massgabe von Art. 53 Abs. 1 ATSG, wonach formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide in Revision gezogen werden müssen, wenn die versicherte Person oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war, in casu zu verneinen. Ebenso wenig ist nach den ebenfalls überzeugenden Erwägungen im angefochtenen Urteil der Rückkommenstitel der Wiedererwägung nach Art. 53 Abs. 2 ATSG zu bejahen, gemäss welcher Bestimmung der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen kann, wenn diese zweifellos unrichtig sind und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist.  
 
4.2.2. Dagegen opponiert der Beschwerdeführer letztinstanzlich nicht. Da keine offensichtlichen Mängel ersichtlich sind (in diesem Sinne vielmehr bereits Urteile 9C_543/2023 vom 29. Februar 2024 E. 4 und 9C_281/2022 vom 28. Juni 2023 E. 4.2 f.), erweisen sich Weiterungen dazu als nicht erforderlich (vgl. E. 1.2 hiervor).  
 
4.3. Nach dem Dargelegten ist ein rückwirkender Leistungsanspruch in Ermangelung eines entsprechenden Rückkommenstitels ausgeschlossen. Die Beschwerde ist abzuweisen.  
 
5.  
Die Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 4. Dezember 2024 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl