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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_611/2023  
 
 
Urteil vom 5. Januar 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiber Wüest. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Alexander R. Lecki, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 14. August 2023 (IV.2023.00164). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1996 geborene A.________ absolvierte vom 1. August 2013 bis 31. Juli 2017 bei der B.________ AG eine Berufsausbildung zum Anlagen- und Apparatebauer EFZ. Im August 2015 wurde bei ihm eine Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert. Es folgte eine vom 1. September bis 31. Dezember 2017 befristete Anstellung als Aufzugsmonteur beim Lehrbetrieb. Ab 1. Februar 2018 war er als Anlagen- und Apparatebauer bei der C.________ AG beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde aber seitens der Arbeitgeberin innert der Probezeit per 30. März 2018 gekündigt. Seit 2019 arbeitete der Versicherte als "Springer" (ca. zweimal wöchentlich) in der Mittagsbetreuung einer Sekundarschule. Im September 2018 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich erteilte ihm Kostengutsprache für ein Aufbautraining (Mitteilung vom 18. März 2019). Da eine Steigerung der Präsenzzeit nicht möglich war, tätigte die IV-Stelle im Hinblick auf die Rentenprüfung weitere Abklärungen. Mit Verfügungen vom 16. Juni 2020 und 1. Juli 2020 sprach sie A.________ ab 1. September 2019 eine ganze Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad 100 %).  
 
A.b. Am 20. Juli 2020 ersuchte A.________ um berufliche Massnahmen. Die IV-Stelle erteilte Kostengutsprache für eine Abklärung in der beruflichen Abklärungs- und Ausbildungsstätte (BEFAS) vom 30. August bis 26. September 2021 (Mitteilung vom 26. Juli 2021, ersetzt durch Mitteilung vom 19. August 2021). Mit Vorbescheid vom 8. November 2021 stellte sie dem Versicherten die Ablehnung seines Umschulungsbegehrens in Aussicht. Auf dessen Einsprache hin veranlasste sie ein neurologisches Gutachten bei Dr. med. D.________, Fachärztin für Neurologie, vom 6. Juni 2022. Mit Vorbescheid vom 16. August 2022 kündigte sie erneut die Ablehnung seines Gesuchs an. Daran hielt sie mit Verfügung vom 1. Dezember 2022 fest, was das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 26. April 2023 und das Bundesgericht mit heutigem Urteil 8C_421/2023 bestätigte.  
 
A.c. Mit Verfügung vom 13. Februar 2023 hob die IV-Stelle - nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren - die bisherige ganze Rente infolge eines seit April 2021 verbesserten Gesundheitszustandes per Ende März 2023 auf.  
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 14. August 2023 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, es sei das Urteil des Sozialversicherungsgerichts vom 14. August 2023 aufzuheben und die IV-Stelle zu verpflichten, ihm ab 1. April 2023 weiterhin eine Invalidenrente auszurichten. Eventualiter sei das Urteil des Sozialversicherungsgerichts aufzuheben und die Sache zur Anordnung eines neuropsychologischen Gutachtens an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Während die IV-Stelle mit Verweis auf das Urteil des Sozialversicherungsgerichts auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichten die Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, indem es die von der IV-Stelle verfügte Rentenaufhebung bestätigt hat. 
 
3.  
 
3.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535).  
Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging nach dem 1. Januar 2022 und betrifft eine Rentenaufhebung per März 2023. Entsprechend den allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGE 144 V 210 E. 4.3.1) beurteilt sich die Streitigkeit demnach nach der ab 1. Januar 2022 geltenden Rechtslage (vgl. Urteile 9C_23/2023 vom 21. August 2023 E. 2.2.1; 8C_658/2022 vom 30. Juni 2023 E. 3.2 mit Hinweis; vgl. auch Rz. 9102. des Kreisschreibens des BSV über Invalidität und Rente in der Invalidenversicherung [KSIR]). 
 
3.2. Im angefochtenen Urteil wurden die diesbezüglich massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze zutreffend dargelegt. Es betrifft dies insbesondere diejenigen über die Begriffe der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 und Art. 28b IVG [letztere Norm eingefügt per 1. Januar 2022]), die Revision derselben im Falle einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen (vgl. Art. 17 Abs. 1 ATSG in der seit 1. Januar 2022 geltenden Fassung), die ärztliche Aufgabe bei der Invaliditätsbemessung (BGE 140 V 193 E. 3.2; 132 V 93 E. 4) sowie den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a), namentlich von versicherungsinternen Ärztinnen und Ärzten (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3b/ee). Darauf wird verwiesen.  
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz stellte gestützt auf die medizinischen Akten fest, der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers habe sich seit den Verfügungen vom 16. Juni und 1. Juli 2020, mit denen ihm eine ganze Invalidenrente ab 1. September 2019 zugesprochen worden sei, wesentlich verbessert. So habe Dr. med. D.________ im neurologischen Gutachten vom 6. Juni 2022 eine (Teil-) Remission der seit August 2015 bestehenden MS festgestellt und der behandelnde Arzt Dr. med. E.________, Facharzt für Neurologie, habe in seinem Arztbericht vom 8. resp. 20. April 2021 verbesserte neuropsychologische Funktionsbereiche bis hin zu neu durchschnittlichen bis überdurchschnittlichen Leistungen angegeben. Das kantonale Gericht schloss daraus, das ein Revisionsgrund gegeben sei, was der Beschwerdeführer zu Recht nicht bestreitet.  
 
4.2. Weiter hielt die Vorinstanz fest, die Arbeitsfähigkeitsschätzung der neurologischen Gutachterin sei nicht nachvollziehbar. Insbesondere leuchte nicht ein, weshalb der Beschwerdeführer infolge der festgestellten Residualsymptomatik, bestehend aus einer einseitigen leichten Ataxie für das monopedale Hüpfen mit einer geringen Tonus- und Reflexsteigerung im Seitenvergleich, in einer unfall- und risikofreien Verweistätigkeit anhaltend zu 30 % arbeitsunfähig sein solle. Die subjektiv berichtete - wetterabhängige - Fatigue und Störung der Konzentrationsfähigkeit hätten sich weder im Rahmen der BEFAS-Abklärung noch anlässlich der neurologischen Begutachtung objektivieren lassen. Auf die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch Dr. med. D.________ könne deshalb nicht abgestellt werden. Hingegen überzeuge die Einschätzung der Ärztin des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD). Danach bestehe in der Tätigkeit als Liftmonteur bleibend eine Arbeitsunfähigkeit von 70 %. Eine optimal angepasste Verweistätigkeit sei jedoch ohne Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zumutbar. Im Rahmen der Invaliditätsbemessung ermittelte die Vorinstanz sodann ein Valideneinkommen von Fr. 62'979.80 (ausgehend vom zuletzt bei der F.________ AG erzielten Verdienst) und ein Invalideneinkommen von Fr. 65'815.- (LSE 2020, Tabelle TA1_tirage_skill_level, Total, Männer, Kompetenzniveau 1). Sie kam zum Schluss, dass selbst unter Berücksichtigung einer Einschränkung von 30 % in einer leidensangepassten Tätigkeit gemäss neurologischem Gutachten kein rentenbegründender Invaliditätsgrad mehr bestehen würde, weshalb die Rentenaufhebung zu Recht erfolgt sei.  
 
5.  
Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Er bringt vor, die Vorinstanz habe sich nicht mit seinem Argument auseinandergesetzt, wonach er zuerst eine Umschulung absolvieren müsse, bevor er ein rentenausschliessendes Einkommen erzielen könne. 
Die Rüge ist unbegründet. Die Vorinstanz hielt fest, die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei ohne Umschulung nicht in der Lage, einer adaptierten Verweistätigkeit nachzugehen, finde in den medizinischen Akten keine Stütze. Im Lichte der Schadenminderungspflicht seien ihm ausserdem sämtliche Verweistätigkeiten zumutbar, welche dem medizinischen Belastungsprofil entsprächen. Damit brachte das kantonale Gericht klar zum Ausdruck, dass dem Beschwerdeführer auch ohne vorgängige berufliche Massnahmen die Erzielung eines Einkommens gemäss statistischen Löhnen möglich ist. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nicht ersichtlich (zur Begründungspflicht als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV vgl. BGE 145 IV 99 E. 3.1 mit Hinweisen; Urteil 8C_322/2021 vom 19. Oktober 2022 E. 2.1). 
 
6.  
 
6.1. Sodann rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 28b IVG. Er macht geltend, die Vorinstanz habe das neurologische Gutachten der Dr. med. D.________ vom 6. Juni 2022 in willkürlicher Weise unbeachtet gelassen. Danach sei er nach wie vor in einem Masse in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt, das ihn zum Bezug einer Invalidenrente berechtige.  
 
6.2. Es ist unbestritten, dass dem Beschwerdeführer die bisherige Tätigkeit als Liftmonteur lediglich noch im Umfang von 30 % zumutbar ist. Soweit der Beschwerdeführer indessen davon ausgeht, Dr. med. D.________ habe auch für leidensangepasste Tätigkeiten eine Arbeitsunfähigkeit von 50 - 70 % attestiert, kann ihm nicht gefolgt werden. Wie die Vorinstanz willkürfrei (vgl. E. 1 hiervor) festgestellt hat, gab die Gutachterin in ihrer Stellungnahme vom 20. Juni 2022 auf entsprechende Rückfrage der IV-Stelle hin an, in einer optimal angepassten Verweistätigkeit bestehe andauernd eine 30%ige Arbeitsunfähigkeit. Das kantonale Gericht hat zudem richtig erkannt, dass selbst bei einer solchen Einschränkung kein Invaliditätsgrad resultiert, der zu einem Rentenanspruch berechtigen würde (vgl. Art. 28b Abs. 4 IVG; vgl. E. 4.2 hiervor). Denn auch in diesem Fall ergäbe sich aus der Gegenüberstellung eines - unbestritten gebliebenen - Valideneinkommens von Fr. 62'979.80 und eines Invalideneinkommens von Fr. 46'070.50.- (Fr. 65'815.- x 0,7 = Fr. 46'070.50) ein Invaliditätsgrad von weniger als 40 % ([Fr. 62'979.80 - Fr. 46'070.50] : Fr. 62'979.80 x 100 = 26,85 %). Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass an diesem Ergebnis auch ein Abzug vom Tabellenlohn in der Höhe von 10 % nichts ändern würde ([Fr. 62'979.80 - Fr. 41'463.45] : Fr. 62'979.80 x 100 = 34 %).  
Selbst wenn also mit dem Beschwerdeführer auf die Arbeitsfähigkeitsschätzung der neurologischen Gutachterin abzustellen wäre, könnte er daraus nach dem Gesagten nichts zu seinen Gunsten ableiten. 
 
6.3. Da es dem Beschwerdeführer gemäss - im Übrigen unbestritten gebliebener - Invaliditätsbemessung der Vorinstanz auch ohne vorgängige berufliche Eingliederungsmassnahmen möglich ist, ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen zu erzielen, war die IV-Stelle - entgegen seiner Auffassung - auch nicht gehalten, vor der Rentenaufhebung eine Frist zur Wahl und zum Antritt einer Umschulungsmassnahme zu setzen resp. allfällige berufliche Eingliederungsmassnahmen abzuwarten, bevor sie über den Rentenanspruch entschied (vgl. Urteile 9C_344/2012 vom 24. Oktober 2012 E. 2.1, 8C_696/2008 vom 3. Juni 2009 E. 12 und 9C_326/2007 vom 1. Oktober 2007 E. 2.2, wonach es den Grundsatz "Eingliederung vor Rente" nicht verletzt, vorab über den Rentenanspruch zu befinden, wenn er unabhängig von einer allfälligen Eingliederungsberechtigung zufolge Fehlens eines rentenbegründenden Invaliditätsgrades abzulehnen ist).  
 
6.4. Die Vorinstanz hat somit weder Art. 28b IVG noch sonst wie Bundesrecht verletzt, indem sie die von der IV-Stelle verfügte Rentenaufhebung bestätigt hat. Ebenso wenig war sie gehalten, in medizinischer Hinsicht weitere Abklärungen zu tätigen. Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt unbegründet.  
 
7.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 5. Januar 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Wüest