Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_719/2022
Urteil vom 5. März 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichter Maillard, Métral,
Gerichtsschreiberin Durizzo.
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.A.________, handelnd durch
ihre Eltern B.A.________ und C.A._ _______, und diese
vertreten durch Lexplanation GmbH,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Hilflosenentschädigung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. Oktober 2022
(IV 2022/58).
Sachverhalt:
A.
A.A.________, geboren 2015, wurde von ihrem Vater im Juli 2021 bei der Invalidenversicherung zum Bezug einer Hilflosenentschädigung angemeldet. Im September 2019 war ein Diabetes mellitus Typ 1 diagnostiziert worden. Noch im gleichen Jahr wurde eine Blutzuckerüberwachung mittels Glukosesensor installiert. Im Juli 2021 erfolgte, nach anfänglicher Therapie mit Spritzen, die Umstellung auf eine Insulinpumpe. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen veranlasste eine Abklärung vor Ort am 28. Oktober 2021. Mit Verfügung vom 9. März 2022 lehnte sie den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung ab.
B.
Die dagegen von A.A.________ erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 27. Oktober 2022 gut. Unter Aufhebung der Verfügung vom 9. März 2022 sprach es A.A.________ eine Entschädigung bei einer Hilflosigkeit leichten Grades ab 1. Juli 2020 zu und wies die Sache zu deren Festsetzung an die IV-Stelle zurück. Auf das Begehren um Zusprache eines Intensivpflegezuschlages trat das Versicherungsgericht nicht ein.
C.
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid vom 27. Oktober 2022 sei aufzuheben und ihre Verfügung vom 9. März 2022 zu bestätigen.
A.A.________ und die Vorinstanz schliessen im Wesentlichen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beantragt deren Gutheissung. A.A.________ lässt dazu mit einer weiteren Eingabe Stellung nehmen.
D.
Mit Verfügung vom 2. Juni 2023 gibt der Instruktionsrichter dem Gesuch der IV-Stelle um Gewährung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde statt.
Erwägungen:
1.
Das kantonale Gericht wies die Sache an die Beschwerdeführerin zurück zur Festsetzung der von ihm der Beschwerdegegnerin zugesprochenen Hilflosenentschädigung bei einer Hilflosigkeit leichten Grades in betraglicher Höhe. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist grundsätzlich nur zulässig gegen Endentscheide (Art. 90 BGG), bei Zwischenentscheiden, insbesondere auch bei Rückweisungen, bedarf es besonderer Voraussetzungen (Art. 92 BGG, Art. 93 Abs. 1 lit. a und lit. b BGG). Wenn die Rückweisung indessen, wie hier, bloss noch der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient, der unteren Instanz, an welche zurückgewiesen wird, also kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt (BGE 135 V 141 E. 1.1; 134 II 124 E. 1.3), liegt materiell betrachtet kein Zwischen-, sondern ein Endentscheid vor (BGE 140 V 282 E. 4.2; SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131, 9C_684/2007 E. 1.1). Es ist daher auf die Beschwerde einzutreten.
2.
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG ; BGE 145 V 57 E. 4).
3.
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie der Beschwerdegegnerin ab 1. Juli 2020 eine Hilflosenentschädigung bei einer Hilflosigkeit leichten Grades zusprach. Zur Frage steht die Beurteilung des einen entsprechenden Anspruch auslösenden Bedarfs an ständiger und besonders aufwändiger Pflege der zu jenem Zeitpunkt knapp fünfjährigen Beschwerdegegnerin wegen ihres Diabetes.
Das kantonale Gericht hat die entsprechende Bestimmung von Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen. Da sich in Bezug auf diese Regelung mit der Revision von IVG und IVV per 1. Januar 2022 keine Änderungen ergeben haben, erübrigen sich Ausführungen dazu in intertemporaler Hinsicht (vgl. AS 2021 706).
4.
4.1. Die Vorinstanz stellte zunächst fest, dass ein Hilfsbedarf in den alltäglichen Lebensverrichtungen bloss beim Essen gegeben sei. Sie verwarf daher einen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung bei einer mittelschweren oder leichten Hilflosigkeit unter diesem Titel (Art. 37 Abs. 2 lit. a beziehungsweise Art. 37 Abs. 3 lit. a IVV.). Auch bestehe kein Bedarf an dauernder persönlicher Überwachung (Art. 37 Abs. 3 lit. b IVV).
Bezüglich der Anspruchsvoraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung wegen erforderlicher ständiger und besonders aufwändiger Pflege nach Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV erwog das kantonale Gericht, bei den gesetzlich vorgesehenen Ansätzen laufe ein entsprechender (Mindest-) Aufwand von zwei Stunden täglich, wie in den Kreisschreiben des BSV über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung KSIH (gültig ab 1. Januar 2015) beziehungsweise über Hilflosigkeit KSH (gültig ab 1. Januar 2022) vorgesehen, auf einen Stundenlohn im einstelligen Frankenbereich hinaus. Stossenderweise könne die Entschädigung damit gleich hoch (beziehungsweise tief) ausfallen wie bei einer Einschränkung in zwei Lebensverrichtungen nach Art. 37 Abs. 3 lit. a IVV. Müssten einem Versicherten beispielsweise eine Brotscheibe mit Butter beschmiert und ihm jeweils Socken und Schuhe an- und ausgezogen werden, bestehe Anspruch auf die gleiche Entschädigung bei einem Aufwand von insgesamt zehn Minuten pro Tag statt der erforderlichen zwei Stunden beim Pflegebedarf nach Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV. Damit würden pflegebedürftige hilflose Versicherte ungerechtfertigterweise diskriminiert. Unter ökonomischen Gesichtspunkten müsse, so das kantonale Gericht, ein Zeitaufwand von einer halben Stunde genügen für eine Anspruchsberechtigung nach Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV. Die im KSIH Rz. 8058 beziehungsweise im KSH Rz. 2065 ff. vorgesehenen Konkretisierungen von Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV erwiesen sich als gesetzeswidrig.
Gemäss Abklärungsbericht bestehe im vorliegenden Fall, so die Vorinstanz weiter, ein Pflegeaufwand von 88,5 Minuten. Gestützt auf die Angaben der behandelnden Ärztin nach einer Konsultation im Januar 2022 seien einige Korrekturen anzubringen. Im Ergebnis belief sich der zeitliche Pflegebedarf gemäss kantonalem Gericht auf insgesamt etwas mehr als 90 Minuten. Da damit ein Aufwand von weit mehr als einer halben Stunde, nach Auffassung der Vorinstanz der zeitliche Mindestbedarf für eine Hilflosenentschädigung im Sinne von Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV, gegeben war, erachtete sie die Voraussetzungen für die entsprechende Anspruchsberechtigung als erfüllt.
4.2. Die beschwerdeführende IV-Stelle macht geltend, angesichts des täglich erforderlichen zeitlichen Aufwands von weniger als zwei Stunden sei praxisgemäss nicht von einer besonders aufwändigen Pflege auszugehen. Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung nach Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV seien nicht erfüllt.
4.3. Auch das BSV erinnert an die seinen Verwaltungsweisungen zugrunde liegende Rechtsprechung des früheren Eidgenössischen Versicherungsgerichts. Die Hilflosenentschädigung habe zwar behinderungsbedingte Mehrkosten, aber keinen konkreten wirtschaftlichen Schaden abzudecken. Die Ausrichtung erfolge unabhängig von den effektiv anfallenden Kosten oder einer allfälligen Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter. Vielmehr handle es sich um eine pauschalisierte Leistung und sei der von der Vorinstanz angestellte ökonomische Vergleich daher unzulässig. Selbst wenn gestützt auf die vorinstanzlichen Erwägungen unter teilweiser Berücksichtigung auch des von der behandelnden Ärztin im Einzelnen geltend gemachten höheren Zeitaufwands von 116,5 Minuten pro Tag ausgegangen werde, sei die Grenze von zwei Stunden noch immer nicht erreicht. Zudem trete nur ein erschwerendes Element hinzu, sodass die Voraussetzungen für eine Anspruchsberechtigung nicht gegeben seien.
4.4. Die Vorinstanz räumt in ihrer Vernehmlassung ein, dass ihrer Berechnung des Stundenlohnes für helfende oder pflegende Personen falsche Ansätze zugrunde lägen, was aber am Ergebnis nichts ändern könne.
5.
Das von der Beschwerdegegnerin angerufene, nach dem vorinstanzlichen Entscheid erstattete Gutachten des PD Dr. med. B.________ muss als echtes Novum im Verfahren vor dem Bundesgericht unberücksichtigt bleiben (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 143 V 19 E. 1.2).
6.
6.1. Gemäss kantonalem Gericht steht ein zeitlicher Aufwand von etwas mehr als 90 Minuten zur Beurteilung. Inwiefern die diesbezüglichen vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen offensichtlich unrichtig wären, ist nicht erkennbar. Entsprechendes wird auch nicht dargetan, soweit das BSV einen höheren Wert von 116,5 Minuten ins Spiel bringt, und kann daher entgegen der Beschwerdegegnerin nicht als unbestritten gelten.
Eine diesbezügliche offensichtliche Unrichtigkeit des angefochtenen Entscheides vermag auch die beschwerdeführende IV-Stelle nicht aufzuzeigen, indem sie einwendet, dass zu Unrecht beim Pflegeaufwand Einschränkungen berücksichtigt worden seien, die bereits bei der erforderlichen Hilfe bei der Lebensverrichtung "Essen" miteinbezogen worden seien. Eine rechtlich relevante unzulässige Doppelanrechnung hat nicht stattgefunden, nachdem Art. 37 Abs. 3 lit. a IVV nicht zum Zuge kommt. Zudem ist nicht erkennbar, dass im Abklärungsbericht Bemühungen, die von der Sache her der Hilfe im Rahmen der Lebensverrichtung "Essen" zugeschlagen werden müssten, bei der zu beurteilenden pflegerischen Hilfeleistung berücksichtigt worden wären und die Vorinstanz bei der Ermittlung des zeitlichen Aufwands von etwas mehr als 90 Minuten insoweit unrichtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen hätte.
6.2. Zu erinnern ist zunächst daran, dass bei Minderjährigen gemäss Art. 37 Abs. 4 IVV für alle Hilflosigkeitsgrade nur der Mehrbedarf an Hilfeleistung und persönlicher Überwachung im Vergleich zu nicht behinderten Minderjährigen gleichen Alters zu berücksichtigen ist. Im Übrigen bezieht sich die hier zu beurteilende Frage der ständigen und besonders aufwändigen Pflege im Sinne von Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV (bis 31. Dezember 2003: Art. 36 Abs. 3 lit. c IVV; AS 1976 2650 ff, 2656; 2003 3859 ff., 3866 f.) praxisgemäss begrifflich nicht auf die alltäglichen Lebensverrichtungen (Ankleiden, Auskleiden; Aufstehen, Absitzen, Abliegen; Essen; Körperpflege; Verrichtung der Notdurft; Fortbewegung; Kontaktaufnahme, vgl. BGE 133 V 450 E. 7.2). Vielmehr wird sie - gleich wie das in anderem Zusammenhang verwendete Erfordernis der dauernden persönlichen Überwachung (Art. 37 Abs. 2 lit. b und Abs. 3 lit. b IVV) - als eine Art medizinische oder pflegerische Hilfeleistung verstanden, die infolge des physischen oder psychischen Zustandes der versicherten Person notwendig ist (SVR 2017 IV Nr. 43 S. 128, 8C_663/2016 E. 2.2 mit Hinweisen). Das Eidgenössische Versicherungsgericht, später I. und II. sozialrechtliche Abteilung, heute III. und IV. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts, erachtete die von Gesetzes wegen verlangten Voraussetzungen jedenfalls bei einem Pflegeaufwand von täglich zwei bis zweieinhalb Stunden als gegeben, zumal die Therapie in jenem Fall teilweise auch nachts erfolgen musste (nicht veröffentlichtes Urteil G. vom 25. Mai 1987 E. 4d, I 142/86, auszugsweise wiedergegeben in Urteil I 565/04 vom 31. Mai 2005 E. 4.2.1). In der Folge verneinte das Bundesgericht einen Anspruch auf Hilflosenentschädigung, wenn entweder der entsprechende zeitliche Aufwand oder dann ein hinzutretendes erschwerendes qualitatives Merkmal nicht gegeben waren (nicht veröffentlichtes Urteil S. vom 28. Januar 1993, I 314/92; Urteile I 633/00 vom 7. November 2001; 9C_384/2013 vom 10. Oktober 2013; SVR 2017 IV Nr. 43 S. 128, 8C_663/2016; vgl. auch Urteil 8C_920/2013 vom 17. Juli 2014 E. 2 mit Hinweisen).
6.3. Nach der Verwaltungspraxis gemäss KSIH beziehungsweise KSH wird für den Anspruch kumulativ ein zeitlicher Aufwand von mehr als zwei Stunden und das Vorliegen erschwerender qualitativer Momente vorausgesetzt, wobei auf die erwähnten Urteile I 142/86 sowie 8C_663/2016 Bezug genommen wird. Zudem wird weitergehend präzisiert, dass ab einem täglichen Pflegeaufwand von drei Stunden mindestens ein qualitatives Moment (z.B. pflegerische Hilfeleistung in der Nacht) gegeben sein müsse, ab einem Aufwand von vier Stunden bedürfe es keiner weiteren qualitativen Momente (Ziff. 8058 KSIH und Ziff. 2065 ff. KSH).
6.4. Art. 9 ATSG, welche Bestimmung die Hilflosigkeit definiert, nimmt einerseits den Hilfsbedarf in den alltäglichen Lebensverrichtungen, anderseits die Überwachung in den Blick. Art. 42 IVG unterscheidet sodann die drei verschiedenen Grade (Abs. 2) und bezieht die lebenspraktische Begleitung mit ein (Abs. 3). In Art. 37 IVV werden die verschiedenen Grade hinsichtlich des Hilfsbedarfs wie auch die Überwachung konkretisiert für die Anwendung auf mannigfache Sachverhalte mit einer Vielzahl an Konstellationen. Es resultiert eine abstrakte und pauschalierte Bedarfsdeckung, die einen gewissen Schematismus erfordert und den realen Bedürfnissen aus ökonomischer Sicht nicht zwingend entspricht (vgl. dazu auch Robert Ettlin, Die Hilflosigkeit als versichertes Risiko in der Sozialversicherung, Diss. Freiburg 1998, S. 228). Da kein eigentlicher Schadensausgleich erfolgt, soll das im Rahmen von Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV praxisgemäss verwendete quantitative Element auch nicht danach beurteilt werden, welchen Lohn die Hilflosenentschädigung für die aufgebrachte Zeit abwerfen würde, wie das BSV zu Recht vorbringt. Dass die mit Art. 37 IVV bezweckte Abgeltung in sich in einer Weise ausgestaltet wäre, dass sie gerichtlich korrigiert werden müsste, zeigt auch die Vorinstanz nicht auf. Ebenso wenig tut sie dar, dass die Verwendung einer quantitativen Limite bei dem im vorliegenden Fall von ihr selbst erhobenen Bedarf von gut anderthalb Stunden zu einem unhaltbaren Ergebnis führe. Es kann hier somit letztlich offen bleiben, wie im Einzelnen zu verfahren wäre, wenn die von der bisherigen Rechtsprechung mehrfach bestätigte Zeitlimite nur sehr knapp unterschritten wird, dafür aber qualitative Momente ausgeprägt vorhanden sind. Dass die Rechtsprechung seit längerem und mit ihr die Verwaltungspraxis bei der Anwendung von Art. 37 Abs. 3 lit. c IVV nicht allein auf qualitative, sondern kumulativ auch auf quantitative Anforderungen im Sinne einer Zeitlimite abstellt, ist nicht zu beanstanden, sondern in der Sache angelegt und insofern zu rechtfertigen. Das gilt ebenfalls für die Zeitgrenze von zwei Stunden an sich, dies auch mit Blick auf die übrigen leistungsbegründenden Tatbestände ( Art. 37 Abs. 3 lit. a und b IVV ) sowie darauf, dass es im Rahmen von lit. c auch noch eines qualitativen Erfordernisses bedarf. Der Umstand, dass es in einzelnen Fällen betreffend Zeitaufwand und Entschädigung zu Inkongruenzen oder Missverhältnissen kommen kann, gibt keinen Anlass, die bisherige Praxis in grundsätzlicher Hinsicht umzustossen.
6.5. Mit dem für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Aufwand von etwas mehr als 90 Minuten fehlt es am praxisgemäss erforderlichen Zeitlimit von zwei Stunden für die Anspruchsberechtigung. Es kann daher offenbleiben, ob auch - von der Vorinstanz nicht erhobene - qualitative Elemente gegeben seien.
6.6. Die Beschwerdegegnerin bringt schliesslich - im Rahmen des Streitgegenstands einer Hilflosenentschädigung bei einer Hilflosigkeit leichten Grades nach Art. 37 Abs. 3 IVV zulässigerweise - vor, es bestehe Bedarf an dauernder Überwachung (lit. b). Sie beruft sich dabei auf das Urteil 8C_272/2022 vom 28. Oktober 2022. Zu beurteilen war in jenem Fall eine schwere Form einer Glykogenspeicherkrankheit. Der Überwachungsbedarf manifestierte sich bedingt durch eine strikte galaktose- und fruktosefreie Ernährung mit Glukosezufuhr via Sonde, wobei die Versicherte zur Verhinderung von metabolischen Entgleisungen auf regelmässige Blutzuckerkontrollen angewiesen war. Das Bundesgericht schützte die Annahme eines anspruchsbegründenden Überwachungsbedarfs als willkürfrei, was aber nicht ohne Weiteres den gleichen Schluss in Bezug auf die Betreuung eines an Diabetes erkrankten Kindes zulässt. Gleiches gilt bezüglich der vom Bundesgericht ebenfalls als anspruchsbegründend erachteten nächtlichen Überwachung des Beatmungsgeräts einer am Undine-Syndrom (kongenitales zentrales Hypoventilationssyndrom) leidenden Versicherten, die während der ganzen Überwachungsdauer die stete Aufmerksamkeit der Spitexfachkraft erforderte (BGE 142 V 144). Dass die Vorinstanz bei der Beurteilung des Überwachungsbedarfs von einem zu engen Verständnis ausgegangen wäre, wird von der Beschwerdegegnerin nicht dargetan. Soweit sie geltend macht, es bedürfe in der Nacht einer 12-stündigen Überwachung beziehungsweise Pflege, ist auf die für das Bundesgericht verbindliche vorinstanzliche Feststellung zu verweisen, wonach im Normalfall, in vier Nächten pro Woche, ein Zeitaufwand für Kontrollen von jeweils acht Minuten anfällt. Zusätzliche Korrekturen (zusätzliche Insulingabe mittels Pen, wozu die Beschwerdegegnerin geweckt werden muss) mit nachfolgend erforderlichen erneuten Kontrollen, die zwei bis drei Mal pro Woche erforderlich seien, benötigen gemäss kantonalem Gericht, in Abweichung von der Abklärungsperson, umgerechnet auf einen Durchschnitt pro Tag zusätzlich sieben Minuten. Auch damit lässt sich, entgegen der Beschwerdegegnerin und anders als in dem von ihr angerufenen Urteil 8C_272/2022 (E. 4) zugrunde liegenden Fall, kein Bedarf an dauernder Überwachung begründen.
6.7. Zusammengefasst erweist sich die Beschwerde der IV-Stelle als begründet. Es besteht kein Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung.
7.
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der obsiegenden Beschwerdeführerin steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. Oktober 2022 wird aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 9. März 2022 bestätigt.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 5. März 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo