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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_223/2013 
 
Urteil vom 5. April 2013 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Denys, Oberholzer, 
Gerichtsschreiber C. Monn. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
2. A.________, 
3. B.________, 
4. C.________, 
5. D.________, 
6. E.________, 
7. F.________, 
8. G.________, 
9. H.________, 
10. I.________, 
Nrn. 2-10 vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Höchli, 
Beschwerdegegner. 
Gegenstand 
Wiederherstellung der Frist, Willkür, 
 
Beschwerde gegen den Nichteintretensbeschluss 
des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 
1. Kammer, vom 17. Januar 2013. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Das Obergericht des Kantons Aargau trat am 17. Januar 2013 auf eine Berufung des Beschwerdeführers gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 8. November 2011 nicht ein, weil er das Rechtsmittel verspätet eingereicht hatte. 
 
Der Beschwerdeführer beantragt mit Beschwerde beim Bundesgericht, der Beschluss vom 17. Januar 2013 sei aufzuheben. Eventualiter sei das Verfahren zur Durchführung eines Beweisverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
2. 
2.1 Es ist unbestritten, dass das Bezirksgericht Baden das begründete Urteil am Freitag, 21. September 2012, an den Verteidiger des Beschwerdeführers adressierte und der Post übergab. Am Montag, 24. September 2012, wurden um 12.04 Uhr die beiden Ereignisse "Nicht erfolgreiche Zustellung" und "Zur Abholung gemeldet" im "Track & Trace" vermerkt. Unter diesen Umständen wird, wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, (widerlegbar) vermutet, dass der Postangestellte die Abholungseinladung ordnungsgemäss in den Briefkasten des Verteidigers gelegt hat. Dann aber wäre die Berufungserklärung vom 26. Oktober 2012 unbestrittenermassen verspätet. 
 
2.2 Der Verteidiger des Beschwerdeführers macht geltend, er habe bis zum 17. Oktober 2012, als er aus den Herbstferien kam und seine Sekretärin den Umschlag mit dem Entscheid auf der Post erhielt, nicht gewusst, dass das begründete Urteil offenbar während dreier Wochen irgendwo herumgelegen hatte. Das Problem liege darin, dass die Kanzlei zwischen 12.00 und 13.00 Uhr geschlossen habe. Erfahrene Postboten brächten die Post vor 12.00 Uhr in die Kanzlei, da zwischen 12.00 und 13.00 Uhr eine Liftsperre bestehe, um unerwünschte Besucher fernzuhalten. Wenn ein Postbote, wie im vorliegenden Fall, zu spät komme, so müsse er für jedes einzelne Einschreiben eine Abholungseinladung schreiben. Dies bedeute bei sieben Anwälten, dass er während einer Viertelstunde oder zwanzig Minuten solche Zettel fertigen müsste, was für einen Postboten, der aufgrund seines Zeitplans sehr gestresst sei, kaum möglich sei. Es sei zu vermuten, wobei dies eine reine Vermutung darstelle, dass der Postbote die Einschreiben wieder mitgenommen und sie auf dem Postamt deponiert habe, in der Absicht, sie beispielsweise in der nächsten Woche zuzustellen, weil der Zustellversuch an einem Freitag erfolgt sei. Ob der Postbote die Zustellung danach vergessen bzw. ob er eigentlich die Absicht gehabt habe, die Einschreiben einem anderen Postboten mitzugeben, der die Woche darauf das Anwaltsbüro bediene, entziehe sich seiner Kenntnis. Tatsächlich sei der in Frage stehende Brief nie in seinen Einflussbereich gekommen (Beschwerde S. 6). 
 
2.3 Es ist nicht völlig klar, welches Fehlverhalten der Verteidiger dem Postboten genau vorwirft. Er behauptet nirgendwo ausdrücklich, dieser habe gar keine Abholungseinladung ausgestellt. Es steht denn auch fest, dass der Postbote um 12.04 Uhr in "Track & Trace" die Information "Zur Abholung gemeldet" eingab. Es würde eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen, wenn der Postbote trotz des Eintrags in "Track & Trace" es unterlassen hätte, eine Abholungseinladung auszustellen und in den Briefkasten zu legen. 
 
Nach der Vermutung des Verteidigers soll der Postbote die Einschreiben für eine spätere Zustellung während der Öffnungszeiten des Anwaltsbüros wieder mitgenommen und auf dem Postamt deponiert haben. Ein solches Verhalten ergäbe von vornherein nur einen Sinn, wenn der Postbote es tatsächlich entgegen seinem "Track & Trace"-Eintrag unterlassen hätte, eine Abholungseinladung im Briefkasten des Anwaltsbüros zu hinterlegen. Der Verteidiger vermutet, der Postbote könnte die auf dem Postamt deponierten Einschreiben in der Folge vergessen und die spätere Zustellung unterlassen haben. Dass sich der Postbote nach einem wahrheitswidrigen Eintrag in "Track & Trace" auch noch pflichtwidrig nicht mehr um die im Postamt deponierten Einschreiben gekümmert haben sollte, ist jedoch sehr unwahrscheinlich. 
 
Der Verteidiger begründet das von ihm vermutete Fehlverhalten des Postboten damit, dass dieser für alle Einschreiben, die am fraglichen Tag an das Anwaltsbüro gingen, während rund zwanzig Minuten hätte Abholungseinladungen ausfüllen müssen, wofür die Zeit nicht gereicht habe. In zwanzig Minuten hätte der Postbote eine grosse Anzahl von Abholungseinladungen ausfüllen können. Wenn er dies unterlassen hätte, bedeutete es, dass er auch eine ebenso grosse Anzahl von Einschreiben für die sieben Anwälte pflichtwidrig wieder auf dem Postamt deponiert hätte. Der Verteidiger nennt jedoch keinen einzigen anderen Fall, in dem es zu den Unregelmässigkeiten gekommen wäre, die er für die vorliegend interessierende Zustellung behauptet. 
Gesamthaft gesehen vermag der Verteidiger die Zustellvermutung nicht zu widerlegen. Es spricht einiges dagegen, dass seine Annahmen den Tatsachen entsprechen könnten. Viel eher ist davon auszugehen, dass der Postbote für das Einschreiben in Übereinstimmung mit dem Eintrag in "Track & Trace" ordnungsgemäss eine Abholungseinladung ausfüllte und diese mit der übrigen Post in den Briefkasten des Verteidigers legte. Dass dieser die Abholungseinladung in der Folge nicht oder jedenfalls nicht rechtzeitig zur Kenntnis nahm, hat er selber zu vertreten. 
 
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
3. 
Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG abzuweisen, weil die Rechtsbegehren aussichtslos erschienen. Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). Den Beschwerdegegnern ist keine Entschädigung auszurichten, weil sie vor Bundesgericht keine Umtriebe hatten. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 5. April 2013 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Der Gerichtsschreiber: Monn