Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_32/2021
Urteil vom 5. April 2022
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichterin Moser-Szeless, Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.
Verfahrensbeteiligte
Ausgleichskasse des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Strehler,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung (Rückforderung; Auslösung der Verwirkungsfrist),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 18. November 2020 (VV.2020.21/E).
Sachverhalt:
A.
A.a. Der 1970 geborene A.________ bezog ab 1. November 2009 eine ordentliche Witwerrente (Verfügung vom 23. Dezember 2009). Am 13. Mai 2019 sprach ein Herr B.________ am Schalter der Ausgleichskasse des Kantons Thurgau (nachfolgend: Ausgleichskasse) vor und teilte mit, er komme im Auftrag des A.________; dieser habe am 11. Juni 2015 wieder geheiratet. Nach Abklärungen, welche die erneute Eheschliessung bestätigten, forderte die Ausgleichskasse Rentenleistungen von insgesamt Fr. 38'340.- (vom 1. Juli 2015 bis 31. Mai 2019) zurück (Verfügung vom 21. Mai 2019).
A.b. Auf Einsprache des A.________ hin reduzierte die Ausgleichskasse ihre Rückforderung auf Fr. 14'670.-. Sie hielt fest, die AHV-Zweigstelle der Gemeinde C.________ (nachfolgend: AHV-Zweigstelle) habe bereits am 23. Dezember 2016 von der Wiederverheiratung erfahren; am 27. Dezember 2016 sei eine entsprechende Mutationsmeldung erfolgt. Da sich die Verwaltung dieses Wissen anrechnen lassen müsse, sei der am 21. Mai 2019 verfügte Rückforderungsanspruch verwirkt. Indessen habe A.________ seine Meldepflicht verletzt, indem er die Zivilstandsänderung verspätet gemeldet habe. Daher könnten immerhin die vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2016 bezogenen Leistungen zurückgefordert werden (Einspracheentscheid vom 18. Dezember 2019).
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde des A.________ hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 18. November 2020 teilweise gut. Es änderte den Einspracheentscheid vom 18. Dezember 2019 dahingehend ab, dass A.________ zur Rückzahlung zu viel ausgerichteter Witwerrenten von lediglich Fr. 9815.- verpflichtet werde. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
C.
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Rückforderung der Witwerrenten für die Periode vom 1. Juli 2015 bis 31. Mai 2019 auf Fr. 38'340.- festzulegen.
A.________ lässt beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen; eventualiter sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau verlangt ebenfalls Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (nachfolgend: BSV) schliesst auf deren Gutheissung.
D.
Die II. und die I. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts haben ein Verfahren nach Art. 23 BGG durchgeführt.
Erwägungen:
1.
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Indes prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1).
2.
2.1. Unrechtmässig bezogene Leistungen sind zurückzuerstatten (Art. 25 Abs. 1 erster Satz ATSG). Nach Art. 25 Abs. 2 erster Satz ATSG (in der hier anwendbaren, bis Ende Dezember 2020 geltenden Fassung, welche in der Folge in dieser Version wiedergegeben wird; vgl. dazu: BGE 144 V 210 E. 4.3.1 mit Hinweisen) erlischt der Rückforderungsanspruch mit Ablauf eines Jahres, nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Jahren nach der Entrichtung der einzelnen Leistung. Es handelt sich um Verwirkungsfristen (BGE 140 V 521 E. 2.1 mit Hinweisen).
2.2. Ob resp. inwieweit die Rückforderung verwirkt ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage dar (Urteil 9C_290/2021 vom 22. Oktober 2021 E. 2.2 mit Hinweis).
3.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Rückforderungsanspruch der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt seiner Geltendmachung am 21. Mai 2019 verwirkt war, insbesondere ab wann die einjährige relative Verwirkungsfrist nach Art. 25 Abs. 2 erster Satz ATSG einsetzte.
3.1. Das kantonale Gericht hat diesbezüglich erwogen, das erstmalige unrichtige Handeln der Verwaltung habe in der Weiterausrichtung der Witwerrente nach der Wiederverheiratung des Beschwerdegegners am 11. Juni 2015 bestanden. Sodann sei das Verhalten der AHV-Zweigstelle, deren Kenntnis der Ausgleichskasse anzurechnen sei, vom 23. bis 27. Dezember 2016 als sog. "zweiter Anlass" zu qualifizieren. Die Verwirkungsfrist für die Rückforderung der vom 11. Juni 2015 bis 23. Dezember 2016 zu Unrecht ausgerichteten Witwerrente habe somit ab letzterem Datum zu laufen begonnen. Da diese Rentenleistungen jedoch erst mit Verfügung vom 21. Mai 2019 zurückverlangt worden seien, müsse die Rückforderung als verwirkt gelten. Demgegenüber sei betreffend die ab 1. Januar 2017 ausgerichteten Leistungen insoweit von "rollenden" Verwirkungsfristen auszugehen, als mit der Ausrichtung jedes einzelnen monatlichen Rentenbetreffnisses ein separater, neuer Fristenlauf begonnen habe. Auch die Rückforderung dieser Renten sei im Mai 2019 verwirkt, mit Ausnahme der nicht länger als ein Jahr vor Verfügungserlass zurückliegenden Leistungen. Somit könnten lediglich die in den letzten zwölf Monaten vor dem 21. Mai 2019 ausgerichteten Witwerrenten von Fr. 9815.- ([7 x Fr. 815.- = Fr. 5705.-] + [5 x Fr. 822.- = Fr. 4110.-]) zurückgefordert werden.
3.2. Die Beschwerdeführerin hält dem im Wesentlichen entgegen, die relative einjährige Verwirkungsfrist sei nicht bereits im Zeitpunkt der Wiederverheiratung des Beschwerdegegners ausgelöst worden. Es stelle sich vielmehr die Frage, wann der Fehler aus "zweitem Anlass" in zumutbarer Weise habe erkannt werden können und müssen. Dies sei erst am 13. Mai 2019 der Fall gewesen, als sich der Bekannte des Beschwerdegegners in dessen Auftrag gemeldet und die Wiederverheiratung thematisiert habe. Mit Erlass der Rückforderungsverfügung vom 21. Mai 2019 sei die relative Verwirkungsfrist demnach gewahrt, sodass sämtliche vom 1. Juli 2015 bis 31. Mai 2019 zu Unrecht ausgerichteten Witwerrenten von Fr. 38'340.- zurückzubezahlen seien.
4.
Nachdem auch das BSV geltend macht, die (Weiter-) Ausrichtung der unrechtmässigen Leistung werde nur in gewissen, hier nicht einschlägigen Fällen als erster Fehler betrachtet, rechtfertigt sich ein Überblick über die Rechtsprechung zum Beginn der einjährigen relativen Verwirkungsfrist nach Art. 25 Abs. 2 erster Satz ATSG.
4.1. Das Eidgenössische Versicherungsgericht (heute und im Folgenden: Bundesgericht) ging in diesem Zusammenhang ursprünglich vom Wortlaut des aArt. 47 Abs. 2 erster Satz AHVG aus, wonach der Rückforderungsanspruch "mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Ausgleichskasse davon Kenntnis erhalten hat" verwirkt. In BGE 100 V 162 zog es gestützt darauf für den Beginn des Fristenlaufs den Zeitpunkt heran, in welchem sich die Verwaltung über die irrtümliche Leistung effektiv Rechenschaft gibt.
4.2. In BGE 110 V 304 änderte das Bundesgericht diese Rechtsprechung rund zehn Jahre später und formulierte den Grundsatz, dass nicht mehr die tatsächliche, sondern die zumutbare Kenntnis der leistungsausrichtenden Behörde über den zur Rückforderung Anlass gebenden Sachverhalt für die Auslösung der relativen einjährigen Verwirkungsfrist ausschlaggebend ist. Um die den Versicherungsträgern eingeräumte Möglichkeit, zu Unrecht ausbezahlte Leistungen zurückzufordern, wenn die Rückerstattung auf einem Irrtum der Verwaltung beruht, nicht "illusorisch" zu machen ("Per non rendere illusoria la possibilità conferita agli organi dell'assicurazione di esigere la restituzione di prestazioni [...]"), nahm es in dessen Erwägung 2b Abstand davon, den Fristbeginn auf den Tag festzulegen, an welchem der Fehler gemacht wurde. Vielmehr stellte es neu auf den Moment ab, in dem die Verwaltung zu einem späteren Zeitpunkt mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt von der unrichtigen Leistungsausrichtung hätte Kenntnis erlangen müssen (zum Ganzen: ULRICH MEYER-BLASER, Die Rückerstattung von Sozialversicherungsleistungen, in: ZBJV 131/1995 S. 479 f.).
5.
5.1. Angesichts dieser Rechtsprechungsänderung, welche in Anwendung des Art. 25 Abs. 2 erster Satz ATSG nach wie vor zu beachten ist (vgl. BGE 130 V 318), bestehen zwei Grundprinzipien.
5.1.1. Einerseits ist, wie erwähnt, unter der Wendung "nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat" der Zeitpunkt zu verstehen, in welchem die Verwaltung bei Beachtung der gebotenen und zumutbaren Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass die Voraussetzungen für eine Rückerstattung bestehen, oder mit anderen Worten, in welchem sich der Versicherungsträger über Grundsatz, Ausmass und Adressat des Rückforderungsanspruchs hätte Rechenschaft geben müssen (BGE 146 V 217 E. 2.1; 122 V 270 E. 5a; 119 V 431 E. 3a).
5.1.2. Beruht die unrechtmässige Leistungsausrichtung andererseits auf einem Fehler der Verwaltung, so wird die einjährige relative Verwirkungsfrist nicht durch das erstmalige unrichtige Handeln der Amtsstelle ausgelöst, sondern es bedarf eines sog. "zweiten Anlasses". Danach ist erst auf jenen Tag abzustellen, an dem das Durchführungsorgan später - beispielsweise anlässlich einer Rechnungskontrolle oder aufgrund eines zusätzlichen Indizes - unter Anwendung der ihm zumutbaren Aufmerksamkeit seinen Fehler hätte erkennen müssen (BGE 146 V 217 E. 2.2; 139 V 570 E. 3.1; 124 V 380 E. 1; 122 V 270 E. 5b/aa; zum Ganzen: UELI KIESER, Kommentar zum ATSG, 4. Aufl. 2020, N. 85 zu Art. 25 ATSG; JOHANNA DORMANN, in: Basler Kommentar, Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts, 2020, N. 53 zu Art. 25 ATSG; SYLVIE PÉTREMAND, in: Commentaire romand, Loi sur la partie générale des assurances sociales, 2018, N. 93 zu Art. 25 ATSG).
5.2.
5.2.1. Was das Verhältnis dieser beiden Grundsätze betrifft, so verschob sich die Gewichtung zusehends zum Prinzip des "zweiten Anlasses" hin, welches in der Folge zum Regelfall wurde (vgl. BGE 124 V 380 E. 1; 122 V 270 E. 5b/aa; RtiD 2013 II 342, 9C_744/2012 E. 6.3; Urteil I 308/03 vom 22. September 2003). Dem liegt die bereits in BGE 110 V 304 erkannte Entwicklung zugrunde (vgl. E. 4.2 hievor), dass es der verfügenden Amtsstelle mit Blick auf die zunehmende Masse der von ihr vorzunehmenden Verwaltungshandlungen immer weniger zumutbar ist, jeden einzelnen ihrer Schritte im Detail zu überprüfen und ihre Fehler zeitnah erkennen zu können (so auch: MICHAEL E. MEIER, Bemerkungen zum Urteil 9C_625/2019 vom 18. Mai 2020 = BGE 146 V 217, in: SZS 2021, S. 150). Im hier interessierenden Kontext ist eine Privilegierung der Verwaltung in diesem Sinne insbesondere dort anzunehmen, wo die unrichtige Leistungsausrichtung zwar aus den Akten ersehen werden kann oder könnte, eine Rückforderung aber daran scheitert, dass hinsichtlich deren Umfang oder anderer relevanter Aspekte nähere Abklärungen notwendig sind (statt vieler: Urteile 9C_200/2021 vom 1. Juli 2021 E. 6.3 und 9C_132/2018 vom 14. Mai 2018 E. 4). Demnach genügt es für den Beginn der relativen einjährigen Verwirkungsfrist nicht, dass bloss Umstände bekannt sind, die möglicherweise zu einem Rückforderungsanspruch führen können, oder dass der Anspruch nur dem Grundsatz nach, nicht aber in masslicher Hinsicht feststeht. Die Frist beginnt vielmehr erst dann, wenn der Versicherungsträger über sämtliche für die Ermittlung der Rückforderung wesentlichen Umstände Kenntnis hat bzw. unter Anwendung der zumutbaren Aufmerksamkeit haben müsste ("zweiter Anlass"), indem vor allem die Gesamtsumme der unrechtmässig ausbezahlten Leistungen bereits vor Erlass der Rückerstattungsverfügung feststellbar ist (vgl. dazu schon: BGE 112 V 180 E. 4a; ferner: Urteile 9C_544/2018 vom 5. Februar 2019 E. 8.2 und 8C_349/2015 vom 2. November 2015 E. 6).
5.2.2. Parallel dazu hat das Bundesgericht stets daran festgehalten, dass die einjährige relative Verwirkungsfrist im Zeitpunkt der zumutbaren Kenntnisnahme einsetzen kann (vgl. etwa: BGE 119 V 431 E. 3b; Urteile 9C_241/2018 vom 2. April 2019 E. 3 und 9C_534/2009 vom 4. Februar 2010 E. 3.4). Die Verwaltung soll zwar eine angemessene Zeit für nähere Abklärungen (betreffend Grundsatz, Ausmass oder Adressat) erhalten, wenn und soweit sie über hinreichende, aber noch unvollständige Hinweise auf einen möglichen Rückforderungsanspruch verfügt. Unterlässt sie dies, so ist der Beginn der relativen Verwirkungsfrist auf den Zeitpunkt festzusetzen, in welchem die rückfordernde Behörde ihre unvollständige Kenntnis mit dem erforderlichen und zumutbaren Einsatz derart zu ergänzen im Stande war, dass der Rückforderungsanspruch hätte geltend gemacht werden können (statt vieler: BGE 112 V 180 E. 2b; SVR 2001 IV Nr. 30 S. 93, I 609/98 E. 2e; Urteil 9C_511/2017 vom 6. September 2017 E. 2). Ergibt sich jedoch die Unrechtmässigkeit der Leistungserbringung direkt aus den Akten, so beginnt die einjährige Frist in jedem Fall sofort, ohne dass Zeit für eine weitere Abklärung zugestanden würde (Urteile 9C_454/2012 vom 18. März 2013 E. 4, nicht publiziert in: BGE 139 V 106, aber in: SVR 2013 IV Nr. 24 S. 66; K 70/06 vom 30. Juli 2007 E. 5.1, nicht publiziert in: BGE 133 V 579, aber in: SVR 2008 KV Nr. 4 S. 11; 9C_589/2020 vom 8. Juli 2021 E. 2.2 mit Hinweis). Im Urteil 9C_241/2018 vom 2. April 2019 hielt das Bundesgericht denn auch explizit fest, dass sich Änderungen im Zivilstand (Wiederverheiratung eines Witwerrentenbezügers respektive Scheidung eines IV-Rentners mit Zusatzrente für die Ehefrau) offenkundig auf den Rentenanspruch auswirken und somit einen unmittelbar zur Rentenrückforderung Anlass gebenden Sachverhalt bilden.
6.
6.1. Angewandt auf den konkreten Fall steht in tatsächlicher Hinsicht fest, dass das zuständige Amt der Gemeinde C.________, auf dessen Verhalten die Vorinstanz für den Beginn des Fristenlaufs abgestellt hat, am 23. Dezember 2016 von der (erneuten) Heirat des Beschwerdegegners erfuhr. Nach grundsätzlich verbindlicher (E. 1.1 hievor) Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts erging drei Tage später, am 27. Dezember 2016, eine Mutationsmeldung an die AHV-Zweigstelle.
Die AHV-Zweigstelle untersteht, wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, der direkten Aufsicht und Weisungsbefugnis der kantonalen Ausgleichskasse (vgl. § 6 Abs. 3 des Einführungsgesetzes des Kantons Thurgau zu den Bundesgesetzen über die Alters- und Hinterlassenenversicherung und über die Invalidenversicherung [EG AHVG/IVG; RB 831.1]). Daher muss sich die Beschwerdeführerin das Wissen der AHV-Zweigstelle über die Wiederverheiratung des Beschwerdegegners unbestritten anrechnen lassen ("Was die Zweigstelle weiss, das weiss auch die Ausgleichskasse."; BGE 140 V 521 E. 6).
6.2. Die Beschwerdeführerin sprach dem Beschwerdegegner in der Verfügung vom 23. Dezember 2009, welche unangefochten in Rechtskraft erwuchs, eine Witwerrente zu. Mit der Wiederverheiratung des Beschwerdegegners am 11. Juni 2015 erlöschte der an sich berechtigte Rentenanspruch (vgl. Art. 23 Abs. 4 lit. a AHVG), womit die Leistungsausrichtung (nachträglich) objektiv unrechtmässig wurde. Dannzumal konnte der Beschwerdeführerin jedoch kein allfälliger erster Fehler vorgeworfen werden, indem sie die Rentenleistungen weiterhin ausrichtete, war doch eine Meldung über die Wiederverheiratung seitens des Beschwerdegegners noch gar nicht erfolgt. Sodann kommt dem Zivilstandsregister, welches aus Sicht der Verwaltung eine Informationsquelle hätte bilden können, keine mit dem Handelsregister vergleichbare Publizitätswirkung zu. Von einem entsprechenden Eintrag musste die Beschwerdeführerin somit nicht wissen (BGE 139 V 6 E. 5.1; SVR 2002 IV Nr. 2 S. 5, I 678/00 E. 3b). Indessen fand die Zivilstandsänderung des Beschwerdegegners, welche grundsätzlich einen unmittelbar zur Rentenrückforderung Anlass gebenden Sachverhalt bilden kann (vgl. E. 5.2.2 hievor), aufgrund der von den Parteien thematisierten Meldepflichtverletzung erst - aber immerhin - im Dezember 2016 Eingang in die Akten. Ab diesem Zeitpunkt waren betreffend den von Gesetzes wegen bereits im Juni 2015 weggefallenen Anspruch auf eine Witwerrente keine ungeklärten Aspekte (mehr) offen, welche die Rückforderung respektive den Beginn der einjährigen relativen Verwirkungsfrist um eine angemessene Zeit nach hinten hätten verschieben können (vgl. Urteil 9C_454/2012 vom 18. März 2013 E. 4, nicht publ. in: BGE 139 V 106, aber in: SVR 2013 IV Nr. 24 S. 66). Mit anderen Worten ergab sich der Rückforderungstatbestand schon Ende Dezember 2016 in jeder Hinsicht direkt aus den Akten, ohne dass weiterer Abklärungsbedarf bestanden hätte. Die somit in diesem Moment vorhandene zumutbare Kenntnisnahme muss sich die Beschwerdeführerin anrechnen lassen, was nach dem Gesagten unmittelbar zur Auslösung der relativen Verwirkungsfrist nach Art. 25 Abs. 2 erster Satz ATSG führt (vgl. E. 5.2.2 hievor). Eines "zweiten Anlasses" bedarf es unter diesen Umständen nicht.
6.3. Zusammenfassend ist die Rückforderung der seit 11. Juni 2015 unrechtmässig ausgerichteten Rentenleistungen im Zeitpunkt der Verfügung vom 21. Mai 2019 bereits verwirkt. Da es der Beschwerdegegner vorliegend unterlassen hat, den vorinstanzlichen Entscheid innert der Beschwerdefrist selber anzufechten, bleibt es bei der vom kantonalen Gericht auf Fr. 9815.- festgesetzten Rückforderung (vgl. Art. 107 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde ist unbegründet.
7.
Dem Verfahrensausgang entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 erster Satz BGG). Diese hat dem Beschwerdegegner überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ). Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 5. April 2022
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder