Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
1B_149/2017
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Urteil vom 5. Mai 2017
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Stohner.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Buttliger,
gegen
Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, Untere Grabenstrasse 32, 4800 Zofingen.
Gegenstand
Haftentlassungsgesuch,
Beschwerde gegen den Entscheid vom 20. März 2017 des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen.
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm führt gegen A.________ ein Strafverfahren wegen versuchten Mordes oder versuchter vorsätzlicher Tötung oder versuchter schwerer Körperverletzung sowie wegen Drohung. A.________ wird vorgeworfen, am 1. September 2016 auf dem Aussenparkplatz eines Einkaufszentrums in Oftringen mit einem Messer auf B.________ eingestochen und diesen am Bein verletzt zu haben. Zudem soll er B.________ zuvor gedroht haben, ihn umzubringen.
A.________ wurde am 1. September 2016 festgenommen. Das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau ordnete mit Verfügung vom 3. September 2016 Untersuchungshaft bis zum 1. Dezember 2016 an. Die Haft wurde vom Zwangsmassnahmengericht mit Verfügung vom 29. November 2016 bis zum 1. März 2017 und in der Folge mit Verfügung vom 22. Februar 2017 bis zum 22. Mai 2017 verlängert. Das Obergericht des Kantons Aargau wies die von A.________ gegen die Verfügung vom 22. Februar 2017 erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 20. März 2017 ab, soweit es auf diese eintrat.
B.
Mit Eingabe vom 13. April 2017 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und seine unverzügliche Entlassung aus der Untersuchungshaft (eventualiter unter Auflagen).
Die Vorinstanz verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Beschwerdeabweisung. Der Beschwerdeführer hält an seinem Standpunkt und an seinen Anträgen fest.
Erwägungen:
1.
Der angefochtene Entscheid des Obergerichts ist als kantonal letztinstanzlicher Entscheid über die Verlängerung der Untersuchungshaf t beim Bundesgericht mit Beschwerde in Strafsachen anfechtbar (vgl. Art. 222 StPO und Art. 80 BGG). Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und hat als Inhaftierter und direkt betroffener Adressat des angefochtenen Entscheids ein aktuelles, rechtlich geschütztes Interesse an dessen Änderung bzw. Aufhebung. Er ist mithin nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt.
2.
Gemäss Art. 221 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ein im Gesetz genannter Haftgrund vorliegt. Nach Art. 221 Abs. 1 lit. a-c StPO ist Haft bei Flucht-, Fortsetzungs- oder Kollusionsgefahr zulässig.
Die Vorinstanz hat den dringenden Tatverdacht und den besonderen Haftgrund der Fluchtgefahr bejaht.
3.
3.1. Der Beschwerdeführer bestreitet, dass in Bezug auf den Tatbestand der versuchten vorsätzlichen Tötung ein dringender Tatverdacht besteht.
3.2. Das Bundesgericht hat bei der Überprüfung des dringenden Tatverdachts keine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse vorzunehmen. Zu prüfen ist vielmehr, ob genügend konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und eine Beteiligung des Beschwerdeführers daran vorliegen, die Untersuchungsbehörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften. Im Haftprüfungsverfahren genügt der Nachweis von konkreten Verdachtsmomenten, wonach das inkriminierte Verhalten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen könnte. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen lässt keinen Raum für ausgedehnte Beweismassnahmen. Zur Frage des dringenden Tatverdachts hat das Haftgericht weder ein eigentliches Beweisverfahren durchzuführen, noch dem erkennenden Strafgericht vorzugreifen. Vorbehalten bleibt allenfalls die Abnahme eines liquiden Alibibeweises (zum Ganzen: BGE 137 IV 122 E. 3.2 S. 126 f. mit Hinweisen).
3.3. Der Beschwerdeführer ist geständig, am 1. September 2016 mit einem Messer auf B.________ eingestochen und diesen am Bein verletzt zu haben. Gemäss den Akten soll der Beschwerdeführer B.________ bereits vor dem Angriff mit dem Tod bedroht haben, da er B.________ verdächtigte, ein Verhältnis mit seiner Ehefrau zu haben. Der Beschwerdeführer vereinbarte ein Treffen, um sich auszusprechen. Zur Verabredung führte er willentlich ein Messer mit, welches er zur Ausübung seiner Tat auch verwendete. Diese Tatumstände und der Tathergang werden vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde nicht bestritten. Ob der Beschwerdeführer mit einem Tötungsvorsatz handelte, wird vom Sachgericht zu entscheiden sein. Wie von der Vorinstanz dargelegt, lässt sich ein Tötungsvorsatz nicht bereits aufgrund der von B.________ erlittenen Verletzungen als unwahrscheinlich ausschliessen. Es ist naheliegend, dass ein Messerangriff mit den Extremitäten abgewehrt wird und diese daher als erstes verletzt werden. Gehen Dritte - wie offenbar vorliegend der Fall - dazwischen, kann daher nicht ohne Weiteres aus dem Verletzungsmuster geschlossen werden, dass ein Angreifer einen Angegriffenen nur an den Extremitäten verletzen wollte.
Die Bejahung eines dringenden Tatverdachts der versuchten vorsätzlichen Tötung verletzt kein Bundesrecht.
4.
4.1. Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen des besonderen Haftgrunds der Fluchtgefahr.
4.2. Beim Haftgrund der Fluchtgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO geht es um die Sicherung der Anwesenheit der beschuldigten Person im Verfahren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die beschuldigte Person, wenn sie in Freiheit wäre, dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland, denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Bei der Bewertung, ob Fluchtgefahr besteht, sind die gesamten konkreten Verhältnisse zu berücksichtigen. Es müssen Gründe bestehen, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwere der drohenden Strafe darf als Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden, genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62 mit Hinweisen). Miteinzubeziehen sind die familiären und sozialen Bindungen, die berufliche und finanzielle Situation und die Kontakte zum Ausland (vgl. Urteil 1B_400/2014 vom 8. Januar 2015 E. 2.2.1).
4.3. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, hat die ersten 20 Lebensjahre in seiner Heimat verbracht und dort sämtliche Schulen durchlaufen. Er lebt seit rund 10 Jahren in der Schweiz, pflegt aber nach wie vor eine intensive Beziehung zu seinen in der Türkei lebenden Eltern und reist jährlich in die Türkei. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder. Diese tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz werden vom Beschwerdeführer nicht bestritten.
Dem Beschwerdeführer droht im Falle eines Schuldspruchs eine längere Freiheitsstrafe, was einen gewichtigen Anreiz zur Flucht darstellt. Zudem könnte eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr zum Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung führen (vgl. hierzu BGE 139 I 31 E. 2 S. 32 ff.). Über das Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers wird zwar erst nach rechtskräftigem Strafurteil zu befinden sein, und der Entscheid der zuständigen Ausländerbehörde ist in keiner Weise zu präjudizieren. Dennoch ist der drohende Widerruf der Niederlassungsbewilligung bereits im laufenden Strafverfahren als Indiz für eine konkrete Fluchtgefahr zu werten (vgl. Urteil 1B_400/ 2014 vom 8. Januar 2015 E. 2.5.1).
Für das Vorliegen einer ausgeprägten Fluchtgefahr spricht auch, dass der Beschwerdeführer einen engen Bezug zu seiner Heimat aufweist. Zwar ist zu seinen Gunsten zu würdigen, dass er seit rund 10 Jahren seinen Lebensmittelpunkt in der Schweiz hat und seine Kernfamilie hier lebt. Allerdings stellt sich die private, berufliche und finanzielle Situation des Beschwerdeführers nicht stabil dar.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass eine Ehekrise bestand und dass er Scheidungsabsichten hegte. Auch wenn er und seine Ehefrau sich gemäss eigenen Angaben im Sommer 2016 wieder versöhnt haben, so hat doch der Kontakt der Ehefrau zu B.________ fortbestanden. Der Beschwerdeführer räumt ein, dass er die Tat vom 1. September 2016 aus Eifersucht verübte. Wenn die Vorinstanz vor diesem Hintergrund folgert, die Ehe erscheine nicht derart tragfähig, um den Beschwerdeführer von einer Flucht abhalten zu können, so ist dies nicht zu beanstanden.
In Bezug auf seine beruflichen Perspektiven bringt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde vor, dass er nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft die Lastwagenprüfung absolvieren werde und in der Folge eine Stelle als Lastwagenchauffeur in Aussicht habe, nachdem ihm vom bisherigen Arbeitgeber eine ausgezeichnete Referenz ausgestellt worden sei. Der Beschwerdeführer verfügt somit über keine gesicherte Arbeitsstelle. Zudem ist er mittellos und seine Familie bezieht Sozialhilfe.
Zusammenfassend überwiegen die für eine Fluchtgefahr sprechenden Gesichtspunkte vorliegend deutlich. Insbesondere in Anbetracht des drohenden längeren Freiheitsentzugs und der engen Verbindung des Beschwerdeführers zur Türkei verletzt der Schluss der Vorinstanz, es bestehe eine ausgeprägte Fluchtgefahr, kein Bundesrecht.
5.
5.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, eine allfällige Fluchtgefahr könne mit der Verpflichtung zur Bezahlung einer Sicherheitsleistung gebannt werden. Seine Familienangehörigen seien bereit, eine Kaution in der Höhe von Fr. 10'000.-- zu stellen.
5.2. Gemäss Art. 237 Abs. 1 StPO ordnet das zuständige Gericht anstelle der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen. Bei Fluchtgefahr kommt namentlich die Leistung einer Sicherheit nach Art. 238 StPO in Betracht. Aus Art. 240 Abs. 2 StPO ergibt sich, dass die Sicherheit auch von Drittpersonen geleistet werden kann.
Es besteht indes kein vorbehaltloser Anspruch, gegen Kaution aus der Haft entlassen zu werden. Nur wenn genügend Anzeichen dafür bestehen, dass eine Sicherheitsleistung ebenso geeignet ist wie eine Inhaftierung, um das Erscheinen vor Gericht oder den Antritt einer zu erwartenden Sanktion zu erreichen, muss die Kaution der beschuldigten Person angeboten werden. Eine Haftentlassung gegen Kaution kommt mithin nur in Frage, wenn die Sicherheitsleistung tatsächlich tauglich ist, die beschuldigte Person von einer Flucht abzuhalten. Bei mittellosen Beschuldigten fällt eine Haftkaution als wirksame Ersatzmassnahme grundsätzlich ausser Betracht (vgl. Urteil 1B_325/2014 vom 16. Oktober 2014 E. 3.5).
5.3. Dies gilt auch im vorliegenden Fall. In Anbetracht der dem Beschwerdeführer drohenden längeren Freiheitsstrafe und seinem intensiven Auslandbezug besteht eine ausgeprägte Fluchtgefahr. Eine Sicherheitsleistung von Fr. 10'000.-- durch Verwandte erscheint nicht tauglich, den Beschwerdeführer von einer Flucht abzuhalten.
6.
Der Beschwerdeführer behauptet schliesslich eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftfällen (vgl. Art. 5 Ziff. 3 EMRK, Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Abs. 2 StPO).
Die Rüge erweist sich als unbegründet. Der Tatvorwurf wiegt schwer und bedarf sorgfältiger Abklärung. Es wurden diverse Einvernahmen (Tatbeteiligte, Zeugen bzw. Auskunftspersonen) durchgeführt und weitere Beweise erhoben (bspw. Auswertung der Videoaufnahmen der Überwachungskamera beim Parkplatz des Einkaufszentrums). Die Untersuchung steht nach Angaben der Staatsanwaltschaft unmittelbar vor dem Abschluss. Die bisherige Verfahrensdauer von rund acht Monaten ist nicht als übermässig lang einzustufen.
7.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
2.2. Rechtsanwalt Marcel Buttliger wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. Mai 2017
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Merkli
Der Gerichtsschreiber: Stohner