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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1419/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 5. Mai 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Gerichtsschreiberin Siegenthaler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Luzi Bardill, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Erster Staatsanwalt, Sennhofstrasse 17, 7000 Chur, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Widerhandlung gegen das kantonale Jagdgesetz; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, I. Strafkammer, vom 18. November 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Gemäss Strafbefehl vom 10. April 2015 beschoss X.________ am 18. September 2014 um ca. 18.48 Uhr auf dem Gebiet der Gemeinde Davos ein Hirschtier unweidmännisch aus einer Distanz von rund 217 Metern. Das Tier lag nicht im Feuer. Nach einer kurzen Flucht blieb der Hirsch stehen, worauf X.________ einen weiteren Schuss aus einer Distanz von ca. 219 Metern abgab. Beide Schüsse trafen das Tier weidwund. Dieses legte sich im Bereich einer Arve nieder, worauf X.________ einen dritten Schuss abgab, das Ziel jedoch verfehlte. Der Hirsch setzte daraufhin seine Flucht fort. Schliesslich konnte er durch einen anderen Jäger, der mit zwei Jagdkameraden eine Treibjagd durchführte und als Treiber fungierte, erlöst werden. 
Die Staatsanwaltschaft Graubünden sprach X.________ schuldig der Widerhandlung gegen das kantonale Jagdgesetz gemäss Art. 15 Abs. 1 und 2 KJG/GR (BR 740) und Art. 20a Abs. 1 lit. a der Regierungsrätlichen Jagdverordnung (RJV/GR; BR 740.020) in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 KJG/GR, indem er vorschriftswidrig die unter optimalen Bedingungen maximal zulässige Schussdistanz von 200 Metern überschritten habe. Sie verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 600.-- sowie zu einem bedingten Entzug des Jagdpatents für die Dauer von einem Jahr bei einer Probezeit von zwei Jahren. 
 
B.  
Nach Einsprache durch X.________ erfolgten Ergänzungen der Strafuntersuchung. Das Bezirksgericht Prättigau/Davos verurteilte X.________ am 28. Januar 2016 schliesslich zwar ebenfalls wegen Widerhandlung gegen das kantonale Jagdgesetz gemäss Art. 15 Abs. 1 und 2 KJG/GR und Art. 20a Abs. 1 lit. a RJV/GR in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 KJG/GR. Bezüglich der ersten beiden Schüsse sprach es ihn jedoch vom betreffenden Vorwurf frei, da es zu seinen Gunsten von seiner Sachverhaltsdarstellung ausging, dergemäss diese Schussabgaben aus einer Distanz von unter 200 Metern und weidgerecht erfolgten. Es verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 200.--. Gegen dieses Urteil legte X.________ Berufung ein. 
Das Kantonsgericht von Graubünden hatte nur noch die dritte Schussabgabe zu beurteilen, die X.________ unbestrittenermassen aus einer Distanz von 219 Metern vorgenommen hatte, und erkannte am 18. bzw. 22. November 2016 ebenfalls auf einen Schuldspruch und eine Busse von Fr. 200.--. 
 
C.  
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 18. November 2016 sei aufzuheben und er vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das kantonale Jagdgesetz vollumfänglich freizusprechen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Qualifikation seines jagdlichen Verhaltens als unweidmännisch sei willkürlich und nicht haltbar (Beschwerde, S. 3).  
 
1.2. Gemäss Art. 15 Abs. 1 KJG/GR hat sich der Jäger bei der Ausübung der Jagd weidgerecht zu verhalten. Insbesondere hat er sich vor der Schussabgabe zu vergewissern, dass das Wild jagdbar, die Schussdistanz und die Stellung des Tieres weidgerecht und eine Gefährdung von Menschen und Dritteigentum ausgeschlossen sind; liegt das Wild nicht im Feuer, ist eine gründliche Nachsuche durchzuführen (Art. 15 Abs. 2 KJG/GR). Art. 20a Abs. 1 lit. a RJV/GR legt die Schussdistanz für Kugelschüsse unter optimalen Bedingungen auf höchstens 200 Meter fest.  
 
1.3. Das Bundesgericht überprüft die Auslegung und Anwendung kantonalen Gesetzesrechts grundsätzlich nur auf Willkür und Vereinbarkeit mit anderen bundesverfassungsmässigen Rechten (BGE 142 IV 70 E. 3.3.1 S. 79 mit Hinweis). Willkür in der Rechtsanwendung liegt nur vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Für die Rüge der Willkür gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 141 IV 305 E. 1.2 S. 309 mit Hinweisen).  
 
1.4. Die Vorinstanz erwägt (Urteil, S. 8 ff.), auszugehen sei von einer Schussdistanz von rund 219 Metern. Schüsse aus über 200 Metern könnten nach der Legaldefinition von Art. 20a Abs. 1 lit. a RJV/GR auch unter optimalen Bedingungen nicht mehr als weidmännisch qualifiziert werden. Der objektive Tatbestand von Art. 15 Abs. 1 und 2 KJG/GR sei damit erfüllt. Da die Schussabgabe willentlich und im klaren Wissen um die zu weite Schussdistanz erfolgt sei, habe der Beschwerdeführer vorsätzlich im Sinne von Art. 12 Abs. 2 StGB gehandelt. Der Beschwerdeführer mache geltend, es habe sich um einen sogenannten Fangschuss gehandelt, weshalb sich die Frage stelle, ob auch bei einem Fangschuss die Schussdistanz von höchstens 200 Metern zwingend einzuhalten sei. Dies verneine er mit der Begründung, dass es die Pflicht eines jeden Jägers sei, ein krankgeschossenes Tier von seinen Qualen zu erlösen, selbst wenn dabei die maximal zulässige Distanz von 200 Metern überschritten werde. Gegenstand des Berufungsverfahrens sei somit die Frage, ob für den dritten Schuss, der eingestandenermassen über eine widerrechtliche Distanz abgegeben worden sei, ein Rechtfertigungsgrund bestanden habe.  
Die Vorinstanz führt aus, als möglicher Rechtfertigungsgrund könne der allgemeine Grundsatz von Art. 4 Abs. 2 des Tierschutzgesetzes (TSchG; SR 455) herangezogen werden, wonach niemand ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten darf und das Misshandeln, Vernachlässigen oder unnötige Überanstrengen von Tieren verboten ist. Die Tötung eines angeschossenen Wildes sei e contrario immer dann zulässig und allenfalls geboten, wenn dadurch das Leiden des Tieres mit Sicherheit oder doch zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit beendet werde und durch das gewählte Vorgehen die Schmerzen oder auch der Stress des Tieres nicht oder doch nur in unbedeutendem Ausmass erhöht werde. Zu beachten sei auch Art. 15 Abs. 2 KJG/GR, wonach eine Suche einzuleiten sei, wenn ein Tier nicht unmittelbar nach dem Anschuss liegen bleibe. Falls das Tier unmittelbar nach dem Anschuss liegen bleibe, habe sich der Jäger diesem so weit zu nähern, dass er einen sicheren Fangschuss abgeben könne. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass die Gefahr für neues Leiden oder Angstzustände des Tieres nicht erhöht werde. Der Fangschuss dürfe deshalb nicht bloss auf eine weitere Verletzung ausgerichtet sein, sondern es müsse eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass lebenswichtige Organe unmittelbar verletzt würden. So sollte ein Schuss in den Kopf das Gehirn und nicht den Kiefer treffen, und bei einem Schuss in den Hals sollte ebenfalls wenn immer möglich das zentrale Nervensystem tödlich getroffen werden. Diese Voraussetzungen seien in aller Regel nur bei einem Schuss aus der Nähe gegeben. 
Vorliegend stehe ausser Frage, dass auf eine Distanz von über 200 Metern kein Fangschuss im dargelegten Sinne abgegeben werden könne. Die gesetzlich festgelegten Schussdistanzen für Kugelschüsse betrügen bei optimalen Verhältnissen maximal 200 Meter. Unter weniger günstigen Bedingungen (schlechte Sicht, Regen, Wind, Tier in Bewegung usw.) gälten aus weidmännischer Sicht deutlich kürzere Schussdistanzen. Sei bereits ein Schuss auf das vollständig erkennbare Wildtier aus einer Distanz von mehr als 200 Metern nicht mehr weidgerecht (wie dies im Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden SB 08 2 vom 23. April 2008 erwogen worden sei), so gelte dies umso mehr für den Fall, in dem wie vorliegend nur noch Kopf und Hals des Tieres sichtbar gewesen seien und der Schuss abends um 18.48 Uhr abgegeben worden sei. Unter solchen Bedingungen und auf eine Distanz von 219 Metern bestehe nur eine sehr geringe Möglichkeit für einen unmittelbar tödlich wirkenden Treffer. Bezeichnenderweise habe der Beschwerdeführer das relativ kleine Ziel denn auch nicht getroffen. Weidgerechtes Verhalten hätte bedeutet, dass sich der Beschwerdeführer dem verletzten Tier so weit genähert hätte, bis er einen sicheren Fangschuss hätte abgeben können, oder dass er eine Suche nach dem Tier eingeleitet hätte. Die Schussabgabe aus rund 219 Metern sei unter den gegebenen Umständen im Hinblick auf eine Verkürzung des Tierleidens wenig erfolgversprechend gewesen, habe aber andererseits die Wahrscheinlichkeit weiterer nicht letaler Leiden durch Verletzungen und Stress erhöht. 
Daran ändere das vom Beschwerdeführer vorgebrachte Urteil des Kantonsgerichts Appenzell Innerhoden K1/97 vom 8. April 1997 nichts, in dem ein Fangschuss über 296,6 Meter als vertretbar angesehen wurde. Denn einerseits sei die rechtliche Definition des weidgerechten Verhaltens in beiden Kantonen nicht dieselbe, und auch die waffenrechtlichen Voraussetzungen (Waffe, Kaliber, Munition) unterschieden sich. Hinzu komme, dass die im erwähnten Urteil vertretene Auffassung, wonach ein an sich nicht weidgerechter Schuss über 296,6 Meter "im Grenzbereich" dann gerechtfertigt sei, wenn "eine gewisse Möglichkeit" bestehe, dass dadurch das verletzte Hirschtier "kränker" werde, vom Kantonsgericht Graubünden nicht geteilt werde. Wie bereits dargelegt, müsse der Fangschuss mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod des angeschossenen Wildes führen; die blosse Möglichkeit, dass das Tier "kränker" werde, erlaube kein Abweichen vom normativ korrekten Jagdverhalten. Dass ein Fangschuss nicht aus einer Distanz abgegeben werden dürfe, die normalerweise auch bei besten Bedingungen nicht zulässig wäre, ergebe sich nicht nur aus Gründen des Tierschutzes und der Gefahrenerhöhung, die mit einer zu langen Schussdistanz regelmässig einhergehe, sondern auch aus präjudiziellen Überlegungen. Könnte ein (vermeintlich oder wirklich) angeschossenes Tier unter Missachtung aller Distanzvorschriften unbeschränkt unter Feuer genommen werden, so wäre die Durchsetzung der Jagdgesetzgebung in zentralen Punkten kaum mehr gewährleistet. 
Da kein Rechtfertigungsgrund vorliege, sei die erstinstanzliche Schuldigsprechung des Beschwerdeführers wegen Verletzung von Art. 15 Abs. 1 und 2 KJG/GR und Art. 20a Abs. 1 lit. a RJV/GR in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 KJG/GR zu Recht erfolgt. 
 
1.5.  
 
1.5.1. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag keine Willkür in der vorinstanzlichen Rechtsanwendung zu begründen. Seine Ausführungen enthalten grösstenteils lediglich seine eigene Interpretation seines inkriminierten Verhaltens (Beschwerde, S. 8 ff.). Dass diese Auffassung allenfalls auch vertretbar oder von einem anderen Gericht möglicherweise als zutreffend erachtet würde, genügt nicht, um das Ergebnis des vorinstanzlichen Entscheids als unhaltbar erscheinen zu lassen.  
 
1.5.2. Unzutreffend ist der Vorwurf des Beschwerdeführers, wonach die Vorinstanz fälschlicherweise absolut geltend festhalte, dass ein Fangschuss "nur aus der Nähe" abgegeben werden dürfe. Die Vorinstanz erwägt vielmehr, die Voraussetzungen für einen zulässigen Fangschuss seien "in aller Regel" nur bei einem Schuss aus der Nähe gegeben (vgl. Urteil, S. 11).  
 
1.5.3. Der Auffassung des Beschwerdeführers, wonach die Vorinstanz willkürlich auf "eine sehr geringe Möglichkeit für einen unmittelbar tödlich wirkenden Treffer" schliesse (Beschwerde, S. 11), kann nicht gefolgt werden. Angesichts der Umstände, dass er einerseits das Tier bereits aus geringerer Distanz unter zweimaliger Schussabgabe nicht tödlich zu treffen vermocht hatte und dass andererseits bei der dritten Schussabgabe nur noch Kopf und Hals des Tieres sichtbar waren, ist der Vorinstanz keine Willkür vorzuwerfen, wenn sie von einer niedrigen Wahrscheinlichkeit ausgeht, dass er aus noch grösserer Entfernung nun auf einmal besser getroffen hätte.  
 
1.5.4. Soweit sich die Vorbringen des Beschwerdeführers gegen das erstinstanzliche Urteil richten (vgl. Beschwerde, S. 4 ff.), ist darauf nicht einzutreten, da dieses nicht Verfahrensgegenstand bildet.  
 
1.5.5. Insgesamt erweist sich die Rüge als unbegründet, soweit sie den Begründungsanforderungen überhaupt genügt.  
 
2.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Kosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. Mai 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler