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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_724/2023  
 
 
Urteil vom 5. Juli 2024  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Stadelmann, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterinnen Moser-Szeless, Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiber Williner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
KPT Krankenkasse AG, Wankdorfallee 3, 3014 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin, 
 
A.________, 
handelnd durch seine Eltern B.________ und C.________, 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 29. September 2023 (VBE.2023.109). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 2022 geborene A.________ leidet an einer angeborenen Atresie und Hypoplasie der Gallenwege (Geburtsgebrechen Ziffer 291). Seine Eltern meldeten ihn am 2. Mai 2022 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau (nachfolgend: IV-Stelle) erteilte am 24. Januar 2023 Kostengutsprache für medizinische Massnahmen im Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen Ziffer 291 für den Zeitraum vom 15. April 2022 bis zum 28. Februar 2042. 
 
B.  
Die von der KPT Krankenkasse AG dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 29. September 2023 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
Die KPT Krankenkasse AG führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, die IV-Stelle sei unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu verurteilen, die Kosten für die diagnostischen Massnahmen und Abklärungen im Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen Ziffer 291 im Umfang von Fr. 5'225.90 zu übernehmen; eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 8. Dezember 2023 inkl. Beilage ist unbeachtlich, da deutlich nach Eingang der Beschwerde datierend.  
 
1.2. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Unter Berücksichtigung der Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1; 138 I 274 E. 1.6).  
 
2.  
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Grundlagen zum Anspruch auf medizinische Massnahmen der Invalidenversicherung (Art. 12 ff. IVG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
2.1. Zu wiederholen ist, dass im kantonalen verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren grundsätzlich nur diejenigen Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen sind, zu welchen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig in Form einer Verfügung Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn keine Verfügung ergangen ist (BGE 144 I 11 E. 4.3 mit Hinweis).  
 
2.2. Gemäss Art. 45 Abs. 1 ATSG übernimmt der Versicherungsträger die Kosten der Abklärung, soweit er die Massnahmen angeordnet hat (Satz 1). Hat er keine Massnahmen angeordnet, übernimmt er deren Kosten dennoch, wenn die Massnahmen für die Beurteilung des Anspruchs unerlässlich waren oder Bestandteil nachträglich zugesprochener Leistungen bilden (Satz 2; Urteile 9C_608/2020 vom 18. Juni 2021 E. 4.2; 9C_567/2015 vom 13. April 2016 E. 7; vgl. auch Urteil 9C_764/2014 vom 21. Juli 2015 E. 3.2.2 [zu aArt. 78 Abs. 3 IVV in der bis 31. Dezember 2021 in Kraft gewesenen Fassung]).  
Gemäss Art. 3novies Abs. 2 lit. b IVV vergütet die Invalidenversicherung auch diagnostische Massnahmen, die der Diagnose oder Behandlung eines Geburtsgebrechens und seiner Folgen dienen. 
 
3.  
Der Versicherte war vom 12. bis zum 14. April 2022 im Spital D.________ hospitalisiert. Neben einem Klinefelter Syndrom diagnostizierten die dortigen Ärzte den Verdacht auf eine Gallengangsatresie und überwiesen den Versicherten an ein Leberzentrum (Austrittsbericht vom 14. April 2022). Die Vorinstanz stellte fest, es sei zwischen den Parteien unumstritten, dass die Diagnose des Geburtsgebrechens Ziffer 291 frühestens nach dem Aufenthalt im Spital D.________ als fachärztlich diagnostiziert und damit als gesichert oder überwiegend wahrscheinlich im Sinne von Art. 13 Abs. 2 IVG zu gelten habe. Folglich schloss das kantonale Gericht, es sei nicht zu beanstanden, dass die IV-Stelle mit Verfügung vom 24. Januar 2023 Kostengutsprache für medizinische Massnahmen im Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen Ziffer 291 ab dem 15. April 2022 erteilt habe. Darüber hinaus vergüte die Invalidenversicherung gemäss Art. 3novies Abs. 2 lit. b IVV wohl auch Massnahmen, die der Diagnose oder Behandlung eines Geburtsgebrechens und seiner Folgen dienten. Diese diagnostischen Massnahmen gehörten indessen nicht zu den medizinischen Massnahmen im Sinne von Art. 13 IVG, sondern zu den Abklärungsmassnahmen gemäss Art. 45 Abs. 1 ATSG; über solche sei im vorliegenden Fall nicht verfügt worden. Soweit sich die Beschwerdeführerin trotzdem zum Anspruch auf derlei Massnahmen äussere, fehle es an einem Anfechtungsgegenstand im Sinne von Art. 56 Abs. 1 ATSG, weshalb in diesem Umfang auf die Beschwerde nicht einzutreten sei. 
 
4.  
Die Beschwerdeführerin stellt vor Bundesgericht nicht in Abrede, dass der Versicherte ab dem 15. April 2022 Anspruch auf medizinische Massnahmen für die Behandlung des Geburtsgebrechens Ziffer 291 hat und die IV-Stelle deshalb zumindest im Rahmen von Art. 13 IVG nicht für die Kosten im Zusammenhang mit den vorgängig (im Zeitraum vom 12. bis zum 14. April 2022) im Spital D.________ vorgenommenen Abklärungen aufzukommen hat. Weiterungen dazu erübrigen sich (vgl. E. 1 hievor). Die Beschwerdeführerin stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, das angefochtene Urteil verstosse deshalb gegen Bundesrecht, weil es die entsprechenden Kosten nicht als Abklärungsmassnahme im Sinne von Art. 45 Abs. 1 ATSG der IV-Stelle überbunden habe. 
 
4.1. Nicht stichhaltig ist der Einwand der Beschwerdeführerin, es sei ihr Gehörsanspruch verletzt worden, weil die IV-Stelle nicht über die am 7. November und 20. Dezember 2022 beantragte Übernahme der Abklärungsmassnahmen im Sinne von Art. 45 Abs. 1 ATSG verfügt habe. Abgesehen davon, dass sich die Beschwerdeführerin mit diesem Einwand in Widerspruch zu ihrem eigenen (unzutreffenden; vgl. nachfolgend E. 4.2) Vorbringen setzt, die IV-Stelle habe über derlei Massnahmen sehr wohl - wenn auch implizit - verfügt, lässt sie ausser Acht, was folgt: In ihren E-Mails vom 7. November und 20. Dezember 2022 ersuchte die Beschwerdeführerin darum, dass "das Geburtsgebrechen bereits ab dem 12. April 2022 übernommen" werde. Zur Begründung dieses Einwands verwies sie auf BGE 111 V 117 und machte geltend, dieses Urteil sei auch auf Geburtsgebrechen anwendbar. Den Standpunkt, es gehe hier gar nicht primär um medizinische Massnahmen zur Behandlung des Geburtsgebrechens, sondern um die für dessen Diagnose notwendigen Abklärungsmassnahmen, vertrat die Beschwerdeführerin - soweit ersichtlich - erstmals im kantonalen verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren. Im Lichte dessen erhellt nicht, inwiefern bereits in ihren Ausführungen vom 7. November und 20. Dezember 2022 - jenseits der damals offensichtlich thematisierten Frage, ab wann die Invalidenversicherung im Rahmen von Art. 13 Abs. 2 IVG die Kosten für die Behandlung des Geburtsgebrechens Ziffer 291 zu übernehmen hat - ein Antrag auf Kostenübernahme für nicht von Seiten der IV-Stelle veranlasste vorgängige Abklärungsmassnahmen im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 ATSG erblickt werden könnte. Insbesondere befasst sich der seinerzeit zur Begründung angerufene BGE 111 V 117 nicht mit derlei Abklärungsmassnahmen, sondern mit der Frage, ab wann bei medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Versicherungsfall als eingetreten gilt.  
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren liegt nicht vor. 
 
4.2. Die Beschwerdeführerin räumt ein, dass in der Verfügung vom 24. Januar 2023 nicht explizit über Abklärungsmassnahmen im Sinne von Art. 45 Abs. 1 ATSG verfügt wurde. Insofern sie geltend macht, es sei indessen implizit über solche entschieden worden, kann ihr nicht gefolgt werden:  
 
4.2.1. Die IV-Stelle führte in den Mitteilungen vom 3. Oktober und 15. Dezember 2022 und schliesslich in der angefochtenen Verfügung vom 24. Januar 2023 aus, sie habe den Anspruch des Versicherten auf medizinische Massnahmen (im Sinne von Art. 13 IVG; vgl. diesbezüglich auch die Anfrage an den Regionalen Ärztlichen Dienst [RAD] vom 22. September 2022) geprüft. Sie schloss, es würden die Kosten für die Behandlung des Geburtsgebrechens Ziffer 291 ab dem 20. April (Mitteilung vom 3. Oktober 2022) bzw. ab dem 15. April 2022 (Mitteilung vom 15. Dezember 2022 und Verfügung vom 24. Januar 2023) bis zum 28. Februar 2042 übernommen. Diese Ausführungen lassen sich kaum anders deuten, als dass über die hier nicht mehr streitige Frage verfügt wurde, ab wann das Geburtsgebrechen Ziffer 291 als fachärztlich diagnostiziert und damit als gesichert oder überwiegend wahrscheinlich im Sinne von Art. 13 Abs. 2 IVG zu gelten habe. Inwiefern die Verfügung vom 24. Januar 2023 darüber hinaus auch einen abschlägigen Entscheid über vorgängige, nicht von der IV-Stelle veranlasste Abklärungsmassnahmen enthalten soll, erschliesst sich nicht. Es fehlen überhaupt Hinweise, dass im Verwaltungsverfahren je thematisiert wurde, inwiefern die von dritter Seite veranlassten Abklärungen im Spital D.________ für die Beurteilung des Anspruchs auf medizinische Massnahmen im Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen Ziffer 291 unerlässlich im Sinne von Art. 45 Abs. 1 ATSG waren (vgl. dazu E. 2.2 hievor).  
 
4.2.2. Entgegen der Beschwerde ändert an dem Dargelegten nichts, dass die IV-Stelle im kantonalen verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren - notabene mit blossem Verweis auf die Verfügung vom 24. Januar 2023 - auf Abweisung der Beschwerde schloss und nicht ein (teilweises) Nichteintreten beantragte. Insbesondere lässt sich daraus nicht schliessen, die IV-Stelle gehe ihrerseits davon aus, am 24. Januar 2023 über Abklärungsmassnahmen im Sinne von Art. 45 Abs. 1 ATSG verfügt zu haben. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich die Verwaltung auf entsprechendes Ersuchen der Beschwerdeführerin hin zwischenzeitlich in einem separaten Schreiben zur Kostenübernahme für entsprechende Abklärungsmassnahmen geäussert hat.  
 
4.3. Zusammenfassend hatte weder die Beschwerdeführerin die Übernahme der Abklärungsmassnahmen im Sinne von Art. 45 Abs. 1 ATSG beantragt noch die IV-Stelle über solche verfügt. Es verletzt deshalb nicht Bundesrecht, wenn die Vorinstanz darauf schloss, es fehle in Bezug auf den Anspruch auf Kostenübernahme für derlei Abklärungsmassnahmen an einem Anfechtungsgegenstand. Namentlich kann keine Rede davon sein, das kantonale Gericht habe den Gehörsanspruch verletzt und den Anfechtungsgegenstand zu eng definiert. Ebenso wenig ist das vorinstanzliche Vorgehen überspitzt formalistisch (Art. 29 Abs. 1 BV; vgl. dazu BGE 145 I 201 E. 4.2.1; 142 V 152 E. 4.2; je mit Hinweisen) oder verletzt es den Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1 ATSG) oder den Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen (Art. 61 lit. d ATSG). Mit Blick auf das Fehlen eines Anfechtungsgegenstands erübrigen sich zudem zum vornherein Weiterungen zu der Frage, inwiefern bereits die Verwaltung diese Grundsätze verletzt haben soll.  
 
5.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, A.________, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 5. Juli 2024 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Stadelmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Williner