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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_348/2023  
 
 
Urteil vom 5. August 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Sauthier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Amr Abdelaziz, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Verkehrsabteilung, 
Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen. 
 
Gegenstand 
amtliche Verteidigung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 30. Juni 2023 (51/2023/29). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen des Verdachts des Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz, des Diebstahls, der Hinderung einer Amtshandlung, des Führens eines Fahrzeuges in nichtbetriebssicherem Zustand, des Nichtbeachtens eines Vorschriftssignals sowie des Konsums von Betäubungsmitteln. 
 
B.  
Am 24. April 2023 ersuchte A.________ um Bestellung einer amtlichen Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft wies das Gesuch am 12. Mai 2023 ab. Dagegen erhob A.________ Beschwerde an das Obergericht des Kantons Schaffhausen, welches die Beschwerde mit Entscheid vom 30. Juni 2023 abwies. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 17. Juli 2023 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, Ziff. 1 des Entscheids vom 30. Juni 2023 sei aufzuheben und sein Gesuch um Bestellung einer amtlichen Verteidigung vom 24. April 2023 sei gutzuheissen. Eventualiter sei die Vorinstanz anzuweisen, auf eine Auferlegung von Verfahrenskosten für das vorinstanzliche Verfahren zu verzichten. Subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, mit dem die Bestellung einer amtlichen Verteidigung verweigert wurde. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid unter anderem dann zulässig, wenn dieser einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Durch die Abweisung des Gesuchs um amtliche Verteidigung droht dem Beschwerdeführer ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil im Sinne dieser Bestimmung (Urteil 7B_50/2023 vom 30. November 2023 E. 1; vgl. auch BGE 140 IV 202 E. 2.2; je mit Hinweisen).  
 
1.3. Nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Der Beschwerdeführer, der im Strafverfahren beschuldigt wird, war am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und ist, da sein Gesuch um amtliche Verteidigung abgewiesen wurde, zur Beschwerdeführung berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.  
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt, die Verweigerung der amtlichen Verteidigung verletze Art. 132 StPO
 
2.1. Über die Fälle der notwendigen Verteidigung hinaus wird eine amtliche Verteidigung angeordnet, wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person ist die Verteidigung namentlich geboten, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre (Art. 132 Abs. 2 StPO). Ein Bagatellfall liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als 4 Monaten oder eine Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen zu erwarten ist (Art. 132 Abs. 3 StPO).  
Mit Art. 132 StPO wird die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK für den Bereich des Strafprozessrechts umgesetzt. Daraus, aber auch aus dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 3 StPO ("jedenfalls dann nicht"), folgt, dass nicht automatisch von einem Bagatellfall auszugehen ist, wenn die im Gesetz genannten Schwellenwerte nicht erreicht sind. Die Formulierung von Art. 132 Abs. 2 StPO bringt durch die Verwendung des Worts "namentlich" ausserdem zum Ausdruck, dass nicht ausgeschlossen ist, neben den genannten Kriterien (kein Bagatellfall; tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre) weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Mithin ist eine Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalls notwendig, die sich einer strengen Schematisierung entzieht. Immerhin kann festgehalten werden, dass die Anforderungen an die erwähnten tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten umso geringer sind, je schwerwiegender der Eingriff in die Interessen der betroffenen Person ist, und umgekehrt (zum Ganzen: BGE 143 I 164 E. 3.5; Urteil 7B_50/2023 vom 30. November 2023 E. 2.1; je mit Hinweisen). 
 
2.2. Vorliegend ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer mittellos ist. Indes ist umstritten, ob die amtliche Verteidigung zur Wahrung seiner Interessen geboten ist.  
 
2.2.1. Der Beschwerdeführer behauptet zusammengefasst, die Umstände, dass ihm schwerwiegende Delikte vorgeworfen würden, er nicht geständig sei, diverse Zwangsmassnahmen durchgeführt worden seien, ihm der Widerruf der mit Strafbefehl ausgesprochenen bedingten Geldstrafe drohe, er über begrenzte geistige Ressourcen verfüge und die Sache aufgrund seiner Flüchtlingseigenschaft und der allfällig drohenden Wegweisung für ihn von grosser Bedeutung sei, sprächen für die Bestellung einer amtlichen Verteidigung.  
 
2.2.2. Dieser Auffassung widerspricht die Vorinstanz. Ihrer Ansicht nach handelt es sich um einen Bagatellfall. Weder aus den Akten noch aus den Ausführungen des Beschwerdeführers seien Umstände ersichtlich, die eine amtliche Verteidigung als geboten erscheinen liessen. In den Tatbestandsrapporten seien weder Verständigungsproblemen erwähnt noch seien sonstige konkrete Anhaltspunkte, die auf beschränkte Ressourcen des Beschwerdeführers hinweisen würden, ersichtlich. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer befürchteten ausländerrechtlichen Konsequenzen könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesagt werden, dass eine Wegweisung drohe. Folglich liesse sich bei einer allfälligen Verurteilung auch keine konkrete, unmittelbare schwere Betroffenheit des Beschwerdeführers ableiten. Der Straffall erweise sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als einfach. Schwierigkeiten, denen der Beschwerdeführer alleine nicht gewachsen sei, seien keine ersichtlich.  
 
2.2.3. Die vorinstanzliche Argumentation ist nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer kann aufgrund seiner Vorstrafe als prozesserfahren bezeichnet werden. Er versteht und spricht Deutsch, wie dem aktenkundigen Einvernahmeprotokoll vom 5. März 2023 entnommen werden kann. Dass er "sprachlich nicht in der Lage ist", seine Interessen zu wahren, trifft demnach, entgegen seiner Behauptung, nicht zu. Andere konkrete Anhaltspunkte für die vom Beschwerdeführer behaupteten "begrenzten geistigen Ressourcen", aufgrund welcher davon auszugehen wäre, er sei nicht in der Lage, ohne anwaltliche Unterstützung seine Argumente hinsichtlich der ihm vorgeworfenen Delikte vorzutragen und sich sachgerecht zu verteidigen, sind nicht ersichtlich. Solche lassen sich insbesondere nicht aus dem Umstand ableiten, dass angeblich gewisse Aussagen des Beschwerdeführers "schlicht komplett unverständlich" seien. Die Antworten des Beschwerdeführers auf die Fragen der Polizei sind nicht als unverständlich, sondern vielmehr als widersprüchlich zu bezeichnen. Daraus ergibt sich aber kein Anspruch auf eine amtliche Verteidigung. Dasselbe gilt auch für den Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht geständig ist.  
Nicht gefolgt werden kann sodann der Behauptung des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe ihre Begründungspflicht verletzt, da sie nicht aufzeige, weshalb der Straffall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einfach sei und keine Schwierigkeiten ersichtlich seien. Die Vorinstanz setzt sich in E. 5 des angefochtenen Entscheids nachvollziehbar und ausführlich mit den vom Beschwerdeführer vorgetragenen Argumenten, weshalb ihm die amtliche Verteidigung zu bewilligen sei, auseinander und zeigt auf, weshalb sie anderer Auffassung ist. Wenn sie in E. 5.3 festhält, der Straffall sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einfach und es seien keine Schwierigkeiten ersichtlich, denen der Beschwerdeführer alleine nicht gewachsen sei, verweist sie damit, zumindest implizit, auf ihre vorangehenden Erwägungen. Dies ist nicht zu beanstanden, zumal der angefochtene Entscheid als Ganzes zu lesen und zu verstehen ist. 
Auch wenn vorliegend zusätzlich in Betracht zu ziehen ist, dass eine Hausdurchsuchung stattgefunden hat, der Beschwerdeführer sich einer Leibesvisitation unterziehen musste und sein Mobiltelefon ausgewertet wurde, ist die Vorinstanz zu Recht von einem Bagatellfall ausgegangen. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers werden ihm denn auch keine "schwerwiegenden Deliktsvorwürfe" gemacht. Zum jetzigen Zeitpunkt droht ihm, wie von der Vorinstanz festgehalten und vom Beschwerdeführer nicht bestritten, selbst unter Berücksichtigung des Widerrufs der bedingt ausgesprochenen Geldstrafe von 60 Tagessätzen à Fr. 30.--, eine Strafe, die unter den in Art. 132 Abs. 3 StPO genannten Schwellenwerten liegt. Weitere besondere Umstände, die gleichwohl eine amtliche Verteidigung als angezeigt erscheinen liessen, sind nicht ersichtlich. Unbehelflich ist jedenfalls der Einwand des Beschwerdeführers, der Fall sei von grosser Bedeutung, weil ihm als Flüchtling aus Syrien die konkrete Gefahr einer Wegweisung drohe. Wie die Vorinstanz erwägt, hat das Staatssekretariat für Migration dem Beschwerdeführer lediglich eine förmliche Verwarnung erteilt und festgehalten, dass bei einer erneuten Zuwiderhandlung die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme und die Wegweisung aus der Schweiz eingehend geprüft werde. Zum jetzigen Zeitpunkt droht dem Beschwerdeführer indessen noch keine Wegweisung. Die Vorinstanz hält daher zu Recht fest, es lasse sich aus diesem Umstand keine konkrete, unmittelbare schwere Betroffenheit des Beschwerdeführers ableiten. Es ist folglich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Nichtbestellung der amtlichen Verteidigung schützte. 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer beantragt im Eventualantrag schliesslich, er sei von der Auferlegung der vorinstanzlichen Verfahrenskosten in der Höhe von Fr. 800.-- zu befreien. Die Vorinstanz habe zu Unrecht Art. 425 StPO nicht angewendet und Art. 6 EMRK und Art. 29 ff. BV verletzt.  
 
3.2. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens haben die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens zu tragen (Art. 428 Abs. 1 Satz 1 StPO). Wie die Vorinstanz zu Recht festhielt, ergibt sich aus Art. 29 Abs. 3 BV kein Anspruch von (aktuell) mittellosen Beschwerdeführenden auf definitive Befreiung von Verfahrenskosten. Finanziell bedürftige Rechtsuchende, die nicht zum Vornherein aussichtslose Rechtsmittel erheben, haben im Rahmen der unentgeltlichen Prozessführung lediglich Anspruch auf Befreiung von der Kostenvorschussobliegenheit (vgl. BGE 142 III 131 E. 4.1; 122 I 322 E. 2c; Urteil 1B_517/2022 vom 22. November 2022 E. 1.3.2; je mit Hinweisen). Daher ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz in Anwendung dieser Rechtsprechung dem Beschwerdeführer die Verfahrenskosten von Fr. 800.-- auferlegt hat. Es besteht kein Anlass, die konstante bundesgerichtliche Rechtsprechung hierzu zu ändern bzw. allenfalls zu "präzisieren", wie vom Beschwerdeführer beantragt.  
Daran ändert auch der Verweis des Beschwerdeführers auf Art. 425 StPO nichts, wonach Forderungen aus Verfahrenskosten gestundet oder unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kostenpflichtigen herabgesetzt oder erlassen werden können. Die Vorinstanz war nicht von Amtes wegen gehalten, die Verfahrenskosten zu stunden, herabzusetzen oder zu erlassen. Folglich stellt es weder eine Ermessensunterschreitung noch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar, dass die Vorinstanz nicht begründet hat, weshalb sie Art. 425 StPO nicht angewendet und dem Beschwerdeführer trotz seiner Bedürftigkeit die Kosten auferlegt hat. Dem Beschwerdeführer steht es allerdings offen, ein Gesuch bei der Strafbehörde einzureichen und um Stundung oder Erlass der Verfahrenskosten zu ersuchen. 
 
4.  
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Seiner finanziellen Lage ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. August 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier