Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6S.236/2006 /rom
Urteil vom 5. September 2006
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Zünd,
Gerichtsschreiber Willisegger.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Peter Fertig,
gegen
Y.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Jürgen Imkamp,
Gegenstand
Haftungsquote, Schadenersatz, Genugtuung (schwere Körperverletzung etc.),
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 7. März 2006.
Sachverhalt:
A.
Am 10. Dezember 2003 lenkte X.________ seinen Lastwagen auf das Areal der Speditionsfirma Planzer Transportunternehmung AG und wollte im Firmenbüro die Ladenpapiere entgegennehmen. Auf dem Weg dorthin begegnete er dem Staplerfahrer Y.________, der von ihm verlangte, den Lastwagen umzuparkieren. X.________ antwortete nur, es werde nicht lange dauern, und lief davon. Während er sich im Büro aufhielt, deponierte Y.________ je zwei Paletten mit schweren Stahlabdeckungen vor und hinter dem Lastwagen, in der Absicht, X.________ das Wegfahren zu verunmöglichen und ihn mittels der Blockade eines Besseren zu belehren. Als X.________ den Werkplatz nach ca. 20 Minuten wieder betrat und feststellte, dass er nicht mehr wegfahren konnte, ging er auf Y.________ zu und forderte ihn lautstark auf, die Paletten wegzuräumen. Dieser entgegnete, er solle sich einige Minuten gedulden, worauf X.________ das Kabinenfenster des Hubstaplers öffnete, um ihn zu schlagen. Als ihm dies nicht gelang, riss er die Kabinentüre auf, packte Y.________ an den Kleidern, zerrte ihn aus der Führerkabine und versetzte ihm einen Faustschlag ins Gesicht und einen Fusstritt gegen die Beine. Der Angegriffene setzte sich zu Wehr und konnte sich vorübergehend in die Führerkabine zurückziehen, wo er ein messerartig zugeschliffenes Metallwerkzeug an sich nahm. Im Verlaufe des folgenden Handgemenges wurde Y.________ erneut aus der Kabine gezerrt. Dabei geriet er ins Straucheln, konnte sich schliesslich aber erheben und stiess das Metallwerkzeug von unten in den Bauch von X.________, der dadurch lebensgefährliche Verletzungen erlitt.
B.
Mit Urteil vom 7. März 2006 sprach das Obergericht des Kantons Zürich Y.________ schuldig der schweren Körperverletzung, begangen in Notwehrexzess (Art. 122 Abs. 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 Satz 1 StGB), und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 15 Monaten. Vom Anklagevorwurf der Nötigung sprach es ihn frei.
Das Obergericht stellte fest, dass Y.________ mit einer Quote von 60% haftpflichtig ist und verpflichtete ihn, X.________ Schadenersatz in der Höhe von Fr. 8'053.80 sowie eine Genugtuung von Fr. 4'200.--, je zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 10. Dezember 2003, zu bezahlen. Die Schadenersatzforderung wurde in einem Mehrbetrag von Fr. 5'369.20 abgewiesen und im Übrigen auf den Zivilweg verwiesen. Die Genugtuungsforderung wurde im ganzen übersteigenden Mehrbetrag abgewiesen.
C.
Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde stellt X.________ das Begehren, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich im Zivilpunkt (mit Ausnahme des Verweises auf den Zivilweg) aufzuheben und festzustellen, dass der Angeklagte zur vollen Quote haftpflichtig sei. Eventualiter beantragt er, die Haftungsquote auf 80 % festzusetzen. In Entsprechung seiner grundsätzlich begehrten Quotenregelung verlangt er konkret die Zusprechung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 13'423.-- (eventualiter: Fr. 10'738.--) sowie eine Genugtuung von Fr. 7'000.-- (eventualiter: Fr. 5'600.--), je zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 10. Dezember 2003.
D.
Das Obergericht verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Y.________ beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde kann insbesondere vom Geschädigten ergriffen werden, um den zusammen mit der Strafklage gefällten Entscheid über seine Zivilansprüche anzufechten; Berufung ist dann ausgeschlossen (Art. 271 Abs. 1 BStP). Ist der Kassationshof nicht zugleich mit dem Strafpunkt befasst und liegt auch kein Anspruch vor, der im zivilprozessualen Verfahren ohne Rücksicht auf den Streitwert der Berufung unterläge (vgl. Art. 45 OG), ist die Nichtigkeitsbeschwerde im Zivilpunkt grundsätzlich nur zulässig, wenn die Berufungssumme erreicht ist (Art. 271 Abs. 2 BStP), d.h. Fr. 8'000.-- (Art. 46 OG).
Der Beschwerdeführer ficht mit Nichtigkeitsbeschwerde allein die Beurteilung seiner adhäsionsweise geltend gemachten Zivilforderungen an. Der erforderliche Streitwert ist erreicht. Der Beschwerdeführer ist damit zur Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert, die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt, weshalb auf seine Beschwerde einzutreten ist.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe die Haftung des Angeklagten zu Unrecht wegen Selbstverschuldens reduziert.
2.2 Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz griff der Beschwerdeführer den Angeklagten tätlich an, weil dieser ihm durch die Blockade die Wegfahrt verunmöglicht hatte und auch nach lautstarker Aufforderung, die Hindernisse wegzuräumen, nicht sofort reagierte, sondern erst noch die begonnene Arbeit zu Ende führen wollte. Der Beschwerdeführer zerrte ihn deshalb an den Kleidern aus der Führerkabine des Hubstaplers, schlug ihm die Faust ins Gesicht, versetzte ihm einen Fusstritt und wollte ihn offenkundig noch weiter verprügeln. Selbst als diesem gelang, sich vorübergehend in die Führerkabine zurückzuziehen, gab der Beschwerdeführer nicht auf und ging erneut auf seinen Kontrahenten los.
2.3 Die Vorinstanz hält zutreffend fest, dass der tätliche Angriff des Beschwerdeführers als Reaktion auf die Blockade völlig unverhältnismässig ausfiel und deshalb rechtswidrig war. Die Rechtswidrigkeit des Übergriffs wird in der Nichtigkeitsbeschwerde denn auch nicht in Abrede gestellt. Hingegen vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, es habe sich um eine harmlose tätliche Auseinandersetzung gehandelt, weshalb er sich darauf habe verlassen dürfen, dass sein Gegner sich entsprechend verhalte und nicht unverhältnismässige Mittel einsetze. Mit einer lebensgefährlichen Stichverletzung habe er nicht rechnen müssen. Damit will er geltend machen, sein tätlicher Angriff stelle keine adäquate Ursache mehr für die Abwehrhandlung des Angeklagten dar und dessen Gegengewalt erscheine als einzige Ursache für die beigebrachten Verletzungen. Der Einwand geht fehl. Wer einen anderen vorsätzlich und rechtswidrig angreift, muss vernünftigerweise auch damit rechnen, dass sich der Angegriffene zur Wehr setzt, wozu dieser - in den Grenzen einer verhältnismässigen Verteidigung - auch befugt ist. Eine Überschreitung des Abwehrrechts wie im vorliegenden Fall hat zwar zur Folge, dass die Verteidigungshandlung rechtswidrig wird, entgegen dem Beschwerdeführer aber nicht, dass zugleich der adäquate Kausalzusammenhang zum unmittelbar vorangegangenen Angriff entfiele. Denn die Gefahr der Gegenwehr ist erst durch die Gewaltausübung des Beschwerdeführers entstanden, ohne die der Angeklagte überhaupt keinen Anlass gehabt hätte, sich zu wehren. Damit steht fest, dass der Beschwerdeführer durch seinen tätlichen Übergriff eine Ursache für die Entstehung des Schadens setzte, was nach Art. 44 Abs. 1 OR zur Herabsetzung der Ersatzpflicht führt.
3.
3.1 Im Eventualstandpunkt macht der Beschwerdeführer geltend, das Ausmass der Haftungsreduktion um 40% verletze Bundesrecht. In Anbetracht des Verschuldens des Angeklagten und des Umstandes, dass er völlig unnötig und unberechtigt einen messerähnlichen Gegenstand einsetzte und ihn dabei lebensgefährlich verletzte, könne sein eigenes Verhalten höchstens mit einer Reduktion von 20% berücksichtigt werden.
3.2 Bei der Bestimmung des Schadenersatzes hat der Richter sowohl die Umstände als auch die Grösse des Verschuldens zu würdigen (Art. 43 Abs. 1 OR). Gemäss Art. 44 Abs. 1 OR ist namentlich das Selbstverschulden des Geschädigten als Herabsetzungsgrund zu berücksichtigen. Das Bundesgericht prüft die Bemessung des Schadenersatzes nach Art. 43/44 OR grundsätzlich frei. Da der Entscheid aber weitgehend auf der Ausübung richterlichen Ermessens beruht (Art. 4 ZGB), greift das Bundesgericht nur ein, wenn das Sachgericht grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn es Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen oder umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen; ausserdem greift das Bundesgericht in Ermessensentscheide ein, wenn sich der Entscheid als offensichtlich unbillig, in stossender Weise ungerecht erweist (BGE 132 III 249 E. 3.5, mit Hinweisen). Entsprechendes gilt für die Bemessung der Genugtuungssumme (vgl. BGE 132 II 117 E. 2.2.2, mit Hinweisen).
3.3 Die Vorinstanz würdigt das Verschulden des Angeklagten (zivilrechtlich) als schwer, da er vorsätzlich und in klarer Überschreitung seines Notwehrrechts mit einem messerähnlichen Gegenstand auf den Beschwerdeführer einstach und ihn dabei schwer verletzte. Demgegenüber lastet sie dem Beschwerdeführer ein nicht unbeträchtliches Selbstverschulden an. Sie begründet dies damit, dass er auf die vom Angeklagten zuvor errichtete Blockade völlig unverhältnismässig reagierte, aus vergleichsweise nichtigem Grund mit roher Körpergewalt angriff, und ihn damit erst in die Situation versetzte, in der es schliesslich zum Stich mit dem messerartigen Werkzeug kam. Die Vorinstanz gelangt zum Schluss, dass das Verschulden des Angeklagten deutlich überwiege, das Selbstverschulden des Geschädigten aber doch so wesentlich erscheine, dass sich eine Reduktion der Haftungsquote auf 60% rechtfertige.
3.4 Die Vorinstanz hat die Verschuldensanteile in nicht zu beanstandender Weise gewichtet. Dass der Angeklagte eventualvorsätzlich und in Missbrauch des Notwehrrechts mit dem messerähnlichen Gegenstand zustach, wiegt fraglos schwer. Ebenso wenig kann aber fraglich sein, dass der Beschwerdeführer wesentlich zur Auseinandersetzung beitrug, indem er als erster zu körperlicher Gewalt schritt und vom Angeklagten selbst dann nicht abliess, als dieser versuchte, sich in die Führerkabine des Hubstaplers zurückzuziehen. Weitere Elemente, die bei der Bemessung der Haftungsquoten zu berücksichtigen gewesen wären, macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Schliesslich ist der angefochtene Entscheid in Anbetracht der von ihm selbst ausgeübten Gewalt auch nicht offensichtlich unbillig. Die Quotenregelung der Vorinstanz verletzt daher Bundesrecht nicht.
4.
Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 278 Abs. 1 BStP). Dem Beschwerdegegner ist aus der Bundesgerichtskasse eine angemessene Entschädigung auszurichten, wofür der Beschwerdeführer Ersatz zu leisten hat (Art. 278 Abs. 3 BStP).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dem Beschwerdegegner wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet; der Beschwerdeführer wird verpflichtet, ihr dafür Ersatz zu leisten.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, sowie der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. September 2006
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: