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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_1100/2024  
 
 
Urteil vom 5. Dezember 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Kölz, 
Gerichtsschreiber Caprara. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Christian von Wartburg, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Matthias Meier, 
Beschwerdegegner, 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel. 
 
Gegenstand 
Verletzung der Protokollierungsvorschriften, Antrag auf Wiederholung der Berufungsverhandlung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Dreiergericht, vom 30. Juli 2024 (SB.2022.56). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Einzelgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Stadt verurteilte A.________ am 22. März 2022 wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je Fr. 30.--. Gegen dieses Urteil erhob A.________ Berufung. 
Nach der Berufungsverhandlung vom 29. August 2023 wurde am 30. August 2023 festgestellt, dass die Tonspur des Audioprotokolls der Berufungsverhandlung auf der entsprechenden Aufzeichnung nicht zu hören war. Mit Verfügung vom 12. September 2023 teilte das Berufungsgericht den Parteien nach erfolgloser Rekonstruktion des Audioprotokolls mit, dass kein solches existiere. Gleichzeitig wurde A.________ das parallel zum Audioprotokoll verfasste Schriftprotokoll des Gerichtsschreibers zugestellt und ihm Frist angesetzt, allfällige Anträge in diesem Zusammenhang zu stellen. A.________ beantragte am 26. Januar 2024 unter anderem, dass die Berufungsverhandlung zu wiederholen sei. 
 
B.  
Mit Entscheid vom 30. Juli 2024 wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt den Antrag auf Wiederholung der Berufungsverhandlung ab. Es forderte A.________ auf, bis zum 30. Oktober 2024 im Sinne von Art. 79 Abs. 2 StPO zu spezifizieren, welche Änderungen, Ergänzungen oder Streichungen er im Schriftprotokoll des Gerichtsschreibers wünsche, das Protokoll auf jeder Seite zu visieren und am Ende zu unterschreiben. Das Appellationsgericht wies darauf hin, dass der Entscheid über die Umsetzung der (allenfalls) verlangten Korrekturen der Verfahrensleitung obliege. Falls keine Korrekturen geltend gemacht würden, forderte das Appellationsgericht A.________ auf, innert derselben Frist das Schriftprotokoll des Gerichtsschreibers auf jeder Seite zu visieren und am Ende zu unterschreiben. 
 
C.  
Dagegen gelangt A.________ mit Beschwerde in Strafsachen vom 14. Oktober 2024 an das Bundesgericht. Er beantragt, der Zwischenentscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 30. Juli 2024 sei aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, die Berufungsverhandlung zu wiederholen. In prozessualer Hinsicht ersucht er um Gewährung der aufschiebenden Wirkung, um unentgeltliche Rechtspflege sowie um Verbeiständung. 
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt verzichtet mit Eingabe vom 29. Oktober 2024 auf eine Vernehmlassung und beantragt die Abweisung der Beschwerde. B.________ beantragt mit Eingabe vom 30. Oktober 2024 die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werde, sowie die Abweisung der Gesuche um aufschiebenden Wirkung und um unentgeltliche Verbeiständung. Diese Eingaben wurden den anderen Parteien am 7. November 2024 zur Kenntnisnahme zugestellt. A.________ verzichtete am 18. November 2024 auf weitere Bemerkungen. 
Der Präsident der II. strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts wies mit Verfügung vom 5. November 2024 das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob eine eingereichte Beschwerde zulässig ist (BGE 150 IV 103 E. 1). 
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid (vgl. Art. 80 BGG) betreffend die Verletzung von Protokollierungsvorschriften anlässlich einer Berufungsverhandlung in einer Strafsache (vgl. Art. 78 Abs. 1 BGG). Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab. Er stellt einen Zwischenentscheid dar, der weder die Zuständigkeit noch den Ausstand betrifft (vgl. Art. 92 BGG). Gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde dagegen prinzipiell nur zulässig, wenn der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Die Variante von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG kommt vorliegend nicht in Betracht (BGE 144 IV 127 E. 1.3; 141 IV 284 E. 2).  
Beim nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss es sich um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Nicht wieder gutzumachend bedeutet, dass der Nachteil auch mit einem für die beschwerdeführende Person günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behoben werden kann (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 147 IV 188 E. 1.3.2; 141 IV 289 E. 1.2 mit Hinweis). Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 144 IV 321 E. 2.3; je mit Hinweisen). 
Woraus sich der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben soll, ist in der Beschwerdeschrift darzulegen, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 149 II 170 E. 1.3; 141 IV 289 E. 1.3, 284 E. 2.3; je mit Hinweis[en]). 
 
1.2. Das Bundesgericht hat sich verschiedentlich mit der Frage des nicht wieder gutzumachenden Nachteils in vergleichbaren Fällen befasst. Es hat im Urteil 1B_311/2011 vom 30. August 2011 betreffend die Rüge, das Protokoll einer staatsanwaltschaftlichen Konfrontationseinvernahme sei inhaltlich unrichtig bzw. unvollständig, festgehalten, dass ein drohender nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil in einem solchen Fall nicht zum Vornherein ausgeschlossen werden könne. Falls falsch protokolliert worden wäre, hätte eine Berichtigung möglichst rasch nach der Einvernahme zu erfolgen. Andernfalls würde infolge Zeitablaufs ein Erinnerungs- und Beweisverlust bzw. eine Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung drohen, welche nachträglich nur noch beschränkt korrigiert werden könnte (Urteil 1B_311/2011 vom 30. August 2011 E. 3.1). In diesem Fall hatte der damalige Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren kein Gesuch um Protokollberichtigung (vgl. Art. 79 Abs. 2 StPO) gestellt. Das Bundesgericht liess die Frage der Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs (vgl. Art. 80 Abs. 1 BGG) offen. Es hielt fest, dass der Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt hatte, welche Passagen seiner Aussagen inwiefern inhaltlich unrichtig protokolliert worden wären. Die Beschwerde erwies sich insofern als nicht ausreichend substanziiert (vgl. Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG). Für eine inhaltliche Unrichtigkeit des Protokolls bestanden darüber hinaus keine objektiven Anhaltspunkte (zit. Urteil 1B_311/2011 E. 3.3).  
Unter Verweis auf dieses Urteil hat das Bundesgericht in einem späteren Fall festgehalten, ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG könne unter Umständen nicht ausgeschlossen werden, wenn einem Begehren um Berichtigung eines Einvernahmeprotokolls keine Folge geleistet werde (Urteil 1B_238/2015 vom 5. November 2015 E. 3.1 mit Verweis auf zit. Urteil 1B_311/2011 E. 3.1). In diesem Fall hatte der damalige Beschwerdeführer - anders als im Urteil 1B_311/2011 vom 30. August 2011 - im kantonalen Verfahren ein Gesuch um Protokollberichtigung gestellt, welches abgewiesen wurde (zit. Urteil 1B_238/2015 Sachverhalt lit. A). Da der Beschwerdeführer jedoch im bundesgerichtlichen Verfahren keine falsche Protokollierung (mehr) rügte und nicht darlegte, inwieweit - wie unter Umständen bei einem fehlerhaften Einvernahmeprotokoll - ein nicht mehr zu korrigierender Erinnerungs- und Beweisverlust drohen sollte, trat das Bundesgericht auf die Beschwerde mangels drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteils nicht ein (zit. Urteil 1B_238/2015 E. 3.2). 
In einem weiteren Urteil ist das Bundesgericht auf die Rüge, die Vorinstanz habe die zweitinstanzliche Verhandlung unrichtig protokolliert, nicht eingetreten, da der damalige Beschwerdeführer unterlassen hatte, bei der Vorinstanz eine Protokollberichtigung zu beantragen. Der kantonale Instanzenzug war diesbezüglich nicht ausgeschöpft worden, weshalb kein letztinstanzlicher Entscheid im Sinne von Art. 80 Abs. 1 BGG vorlag (Urteil 6B_676/2011 vom 7. Februar 2012 E. 1.2; vgl. auch Urteil 6B_850/2014 vom 4. März 2015 E. 4). 
 
1.3. Im vorliegenden Fall stellte das Berufungsgericht einen Tag nach Durchführung der Berufungsverhandlung vom 29. August 2023 fest, dass die Tonspur des Audioprotokolls der Berufungsverhandlung auf der entsprechenden Aufzeichnung nicht zu hören war. Ein Gesuch um Berichtigung des zugestellten Schriftprotokolls der Berufungsverhandlung vom 29. August 2023 (vgl. Art. 79 Abs. 2 StPO) stellte der Beschwerdeführer trotz der Verfügung des Berufungsgerichts vom 12. September 2023, in welcher er auf die Sachlage hingewiesen wurde, nicht (vgl. Sachverhalt lit. A). Ein Protokollberichtigungsgesuch hätte der Beschwerdeführer innert vernünftiger Frist nach Kenntnisnahme des Protokolls stellen müssen (zit. Urteile 6B_676/2011 E. 1.2.1 und 1B_311/2011 E. 3.1; vgl. JOSITSCH/SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2023, N. 3 zu Art. 79 StPO; BRÜSCHWEILER/NADIG/SCHNEEBELI, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 3. Aufl. 2020, N. 3a zu Art. 79 StPO ["so bald wie möglich"]).  
 
1.4. Nach der dargelegten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. oben E. 1.2) kann ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zwar nicht ausgeschlossen werden, wenn einem Begehren um Protokollberichtigung keine Folge geleistet wird, da andernfalls infolge Zeitablaufs ein Erinnerungs- und Beweisverlust drohen würde. Mangels eines fristgerecht gestellten Protokollberichtigungsgesuchs ist vorliegend jedoch fraglich, ob auf die Beschwerde bereits mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs (vgl. Art. 80 Abs. 1 BGG) nicht einzutreten wäre (vgl. dazu wiederum zit. Urteile 6B_676/2011 E. 1.2 und 1B_311/2011 E. 3.3; vgl. oben E. 1.2). Diese Frage kann indes aus nachfolgenden Gründen offengelassen werden.  
 
1.5. Der Beschwerdeführer machte im Fristerstreckungsgesuch vom 25. September 2023 geltend, das ihm zugestellte Schriftprotokoll des Gerichtsschreibers gebe den "Gang der Verhandlung nur unvollständig wieder". Indessen legt er (wie bereits im kantonalen Verfahren) vor Bundesgericht nicht hinreichend dar, welche Aussagen von welcher beteiligten Person inwiefern im Schriftprotokoll der Berufungsverhandlung vom Gerichtsschreiber unvollständig oder inhaltlich unrichtig wiedergegeben worden sein sollen. Objektive Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit oder eine inhaltliche Unrichtigkeit des Schriftprotokolls der Berufungsverhandlung vom 29. August 2023 liegen keine vor. Damit ist das Vorliegen eines drohenden nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG weder rechtsgenüglich dargetan noch offensichtlich (vgl. oben E. 1.1).  
 
1.6. Die restlichen Vorbringen des Beschwerdeführers haben im vorliegenden Zusammenhang keine über das bereits Dargelegte hinausgehende selbstständige Bedeutung.  
 
2.  
Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die Rechtsbegehren von vornherein aussichtslos waren (Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Seiner angespannten finanziellen Situation ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Der Beschwerdeführer hat dem Beschwerdegegner eine Entschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren von Fr. 800.-- zu bezahlen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Dreiergericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. Dezember 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Caprara