Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1P.738/2005 /ggs
Urteil vom 6. Februar 2006
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steinmann.
Parteien
B.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Alfred Paul Müller,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur,
Kantonsgericht von Graubünden, Strafkammer, Poststrasse 14, 7002 Chur.
Gegenstand
Ausstand,
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
des Kantonsgerichts von Graubünden, Strafkammer,
vom 22. August 2005.
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden machte am 24. Mai 2005 beim Kantonsgericht des Kantons Graubünden gegen B.________ ein Verfahren anhängig und stellte folgende Anträge:
1. Das gegen B.________ wegen mehrfacher falscher Anschuldigung, mehrfacher versuchter Nötigung sowie mehrfachen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen geführte Strafverfahren sei wegen Zurechnungsunfähigkeit des Täters einzustellen.
2. Es sei gestützt auf Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB eine ambulante Behandlung der Wahnsymptomatik von B.________ anzuordnen.
3. Die Strafakten seien der zuständigen Vormundschaftsbehörde zur Prüfung vormundschaftlicher Massnahmen weiterzuleiten.
..."
Im Hinblick auf die auf den 10./11. Oktober 2005 angesetzte Hauptverhandlung ergingen verschiedene Verfügungen und B.________ stellte Anträge auf Aktenergänzung und Vorladung von Sachverständigen und Zeugen. Zudem stellte er unter dem Titel Ausstandseinreden folgende Anträge:
2.1 Der Vizepräsident, sämtliche Richter des Kantonsgerichts sowie sämtliche übrigen Behördenmitglieder der Bündner Justiz haben in den Ausstand zu treten.
2.2 Die ganze Strafsache sei zur Beurteilung auf die zuständigen Gerichte eines anderen Kantons zu übertragen."
Zur Begründung dieses Gesuches wurde darauf hingewiesen, in Anbetracht einer vom Kantonsgericht gegen ihn erhobenen Anzeige wegen falscher Anschuldigung und der Ablage von zahlreichen Eingaben ohne materielle Behandlung könnten die Richter aus Gründen der Befangenheit und Gewaltenteilung nicht über seine Sache befinden.
Mit Beschluss vom 22. August 2005 wies die Strafkammer des Kantonsgerichts Graubünden das Ausstandsbegehren ab.
B.
Gegen diesen Entscheid des Kantonsgerichts hat B.________ am 14. November 2005 beim Bundesgericht mit dem Ersuchen um Aufhebung staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er rügt die Verletzung verschiedener Verfassungsrechte. Auf die Begründung ist, soweit erforderlich, in den Erwägungen einzugehen.
Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschluss des Kantonsgerichts stellt einen Zwischenentscheid dar, der nach Art. 87 Abs. 1 OG mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann.
Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG ist in einer staatsrechtlichen Beschwerde darzulegen, welche verfassungsmässigen Rechte als verletzt gerügt werden und inwiefern diese verletzt sein sollen. Das Bundesgericht prüft nur hinreichend begründete Rügen. Es wird im entsprechenden Sachzusammenhang zu prüfen sein, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Im Übrigen geben die Eintretensvoraussetzungen zu keinen weitern Bemerkungen Anlass.
2.
Der Beschwerdeführer macht in verschiedener Hinsicht geltend, die Richter am Kantonsgericht im Speziellen wie andere bündnerische Richter im Allgemeinen seien in Anbetracht der Umstände nicht unbefangen und dürften daher in der zugrunde liegenden Angelegenheit nicht mitwirken. Hierfür bezieht er sich insbesondere auf Art. 18 des Gerichtsverfassungsgesetzes des Kantons Graubünden (GVG) sowie auf Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK.
2.1 Art. 18 GVG bestimmt, dass ein Richter u.a. in den Ausstand zu treten hat, wenn er mit einer Partei besonders befreundet oder verfeindet ist oder wenn andere Umstände ihn als befangen erscheinen lassen. Eine willkürliche Anwendung dieser Bestimmung macht der Beschwerdeführer - jedenfalls genügend substantiiert - nicht geltend. Es ist daher allein zu prüfen, ob die angerufenen Bestimmungen der BV und der EMRK verletzt wurden.
Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Strafsache von einem unbefangenen, unvoreingenommenen und unparteiischen Richter beurteilt wird. Es soll garantiert werden, dass keine sachfremden Umstände, welche ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zu Gunsten oder zu Lasten einer Partei auf das Urteil einwirken. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen (BGE 114 Ia 50 E. 3c S. 55). Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird indes verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen (BGE 114 Ia 50 E. 3b und 3c S. 53, 131 I 24 E. 1.1 S. 25, 131 I 113 E. 3.4 S. 116, mit Hinweisen).
Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der Rechtsprechung angenommen, wenn sich im Einzelfall anhand aller tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Gegebenheiten Umstände ergeben, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Diese können entweder in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in gewissen äussern Gegebenheiten funktioneller oder organisatorischer Natur begründet sein. Bei deren Beurteilung ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken (BGE 128 V 80 E. 2a S. 84, 127 I 196 E. 2b S. 198, 126 I 68 E. 3a S. 73, 125 I 119 E. 3a S. 122, 124 I 255 E. 4a S. 261, mit Hinweisen).
3.
3.1 Mit Schreiben vom 26. März 2004 hat der Präsident des Kantonsgerichts dem Beschwerdeführer mitgeteilt, bei der Durchsicht von dessen Eingaben habe sich zum wiederholten Male gezeigt, dass dieser verschiedene Amtspersonen in rechtswidriger Weise krimineller Handlungen bezichtige; im Sinne einer früheren Mitteilung würden diese Eingaben weder zur Umarbeitung zurückgewiesen noch sonstwie behandelt und daher ohne weitere Korrespondenz abgelegt.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liegt darin kein Umstand, der nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK den Ausstand gebieten würde. Er bringt nicht vor, die Annahme, dass es sich bei seinen Eingaben um unhaltbare Bezichtigungen handle, treffe nicht zu. Er macht auch nicht geltend, dass er sich darüber beschwert hätte. Entscheidend ist, dass seine Eingaben nach den Ausführungen des Kantonsgerichtspräsidenten tatsächlich geprüft worden sind und erst hernach in der angedrohten Weise vorgegangen worden ist. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass alle Richter am Kantonsgericht und alle weitern Richter dem Beschwerdeführer von vornherein feindlich gesinnt seien und nicht mehr in der Lage wären, in einer Angelegenheit, die keinen unmittelbaren Zusammenhang mit diesen Eingaben aufweist, unvoreingenommen zu urteilen. Es kann auch nicht gesagt werden, das Vorgehen des Kantonsgerichtspräsidenten beeinflusse die übrigen Richter in unmittelbarer Weise; es ist daher auch unerheblich, ob drei Richter zum Zeitpunkt des erwähnten Schreibens des Gerichtspräsidenten noch gar nicht im Amt waren. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass Fehler in der Verfahrensführung oder materielle Fehler von Entscheidungen grundsätzlich keinen Anschein der Befangenheit eines Richters oder eines ganzen Gerichts zu begründen vermögen (vgl. BGE 116 Ia 14 E. 5b S. 20, 116 Ia 135 E. 3a S. 138, 115 Ia 400 E. 3b S. 404, 114 Ia 153 E. 3b/bb S. 158). Desgleichen sind frühere Verfahren, in denen der Beschwerdeführer angeblich nicht durchgedrungen ist, aufgrund dieser Tatsache allein unter dem Gesichtswinkel von Art. 30 Abs. 1 BV grundsätzlich unerheblich.
3.2 Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, das Kantonsgericht bzw. die Kantonsrichter träten im vorliegenden Verfahren als Strafkläger auf und könnten daher im darauf folgenden Gerichtsverfahren nicht mehr als unbefangene Richter amten. Er bezieht sich hierfür auf ein bzw. mehrere Schreiben des Kantonsgerichtspräsidenten, mit denen der Staatsanwaltschaft zahlreiche Eingaben des Beschwerdeführers zur Kenntnis gebracht wurden (vgl. auch Schlussbericht der Staatsanwaltschaft i.S. B.________ vom 12. Mai 2005).
Hierzu wird im angefochtenen Beschluss ausgeführt, trotz des Umstandes, dass die Staatsanwaltschaft über die Einleitung einer Strafuntersuchung zu befinden habe, komme dem Schreiben des Kantonsgerichtspräsidenten die Bedeutung einer Strafanzeige zu. Diese Anzeige beruhe indessen auf Art. 69 der Bündner Strafprozessordnung (bzw. Art. 5 Abs. 1 der Bündner Zivilprozesssordnung), wonach der Richter Anzeige zu erstatten habe, wenn sich im Verlaufe eines Verfahrens der begründete Verdacht auf Vorliegen eines Verbrechens oder Vergehens ergebe. Mit dieser Begründung und der zugrundeliegenden gesetzlichen Pflicht der Richter setzt sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeschrift nicht näher auseinander. Er vermag insbesondere nicht darzulegen, dass das Schreiben des Kantonsgerichtspräsidenten - den er nicht ablehnt - die Richter am Kantonsgericht und die als Ersatzrichter in Betracht fallenden Richter generell als befangen erscheinen lassen könnte.
3.3 Das Kantonsgericht hat ausgeführt, es könne im vorliegenden Fall auch nicht nach Art. 16 GVG vorgegangen werden oder die Angelegenheit gar einem ausserkantonalen Gericht überwiesen werden. Der Beschwerdeführer setzt sich damit nicht auseinander und verlangt, dass "sich der Kanton mit dem Bund als Oberinstanz auf eine realistische und durchführbare Lösung einigen" müsse. Dabei übersieht er, dass hierfür keine gesetzlichen Grundlagen ersichtlich sind und Art. 30 Abs. 1 BV Ausnahmegerichte ausschliesst.
3.4 Der Beschwerdeführer rügt ferner, dass das Kantonsgericht es unterlassen habe, seine vorgebrachten Ausstandsgründe einer näheren Prüfung zu unterziehen. Diese Rüge - welche als Rüge formeller Rechtsverweigerung oder Verletzung des rechtlichen Gehörs zu verstehen wäre - erweist sich von vornherein als unbegründet. Das Kantonsgericht hat sehr wohl dargelegt, weshalb weder die Behandlung der Eingaben noch das Schreiben an die Staatsanwaltschaft den Ausstand sämtlicher Richter erfordere. Der Hinweis auf eine Loge und allfällige Mitgliedschaften ist im bundesgerichtlichen Verfahren überdies neu und daher nicht zu hören.
4.
Demnach erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht
im Verfahren nach Art. 36a OG:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht von Graubünden, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. Februar 2006
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: