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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 397/06 
 
Urteil vom 6. Februar 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Parteien 
M.________, 1969, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch 
Rechtsanwalt Tomas Kempf, Webernstrasse 5, 
8610 Uster, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 28. Februar 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1969 geborene M.________, Mutter dreier 1996, 1998 und 1999 geborener Kinder, arbeitete seit Juli 1995 - mit Ausnahme einer kurzen Phase eines Teilpensums nach der Geburt des dritten Kindes - zu 100 % als Reinigungsmitarbeiterin im Pflegezentrum X.________. Am 17. Januar 2003 stürzte sie am Arbeitsplatz auf der Treppe und zog sich dabei Prellungen an der Lendenwirbelsäule zu. Seither ist sie arbeitsunfähig. Sie meldete sich am 4. Dezember 2003 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, holte u.a. Berichte des Dr. med. T.________, Spezialarzt für innere Medizin, und des Dr. med. F.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, ein und zog je ein zu Handen der Unfallversicherung der Stadt Zürich erstelltes Gutachten der Psychiatrie Y.________ und des Dr. med. N.________, Facharzt für orthopädische Chirurgie FMH, bei. Gestützt darauf wies die IV-Stelle das Rentenbegehren mangels anspruchsbegründender Invalidität mit Verfügung vom 16. Juli 2004 ab, woran sie auf Einsprache hin festhielt (Einspracheentscheid vom 24. Mai 2005). 
B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher M.________ unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides die Zusprechung einer ganzen Rente, eventuell die Rückweisung zu weiterer Sachverhaltsabklärung beantragen liess, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. Februar 2006 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ die im kantonalen Verfahren gestellten Rechtsbegehren erneuern. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2). 
1.2 Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Gericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen bisheriges Recht auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung hängigen Beschwerden anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich die Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, die dem neuen Abs. 1 entspricht. 
2. 
Die Vorinstanz hat die hier massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen und von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, namentlich diejenigen über den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der seit 1. Januar 2004 geltenden Fassung), richtig dargelegt und zutreffende Ausführungen zur - nur ausnahmsweise - invalidisierenden Wirkung somatoformer Schmerzstörungen (BGE 131 V 50 Erw. 1.2, 130 V 352 ff.; vgl. auch BGE 132 V 70 ff. Erw. 4.2 und 4.3) sowie zur Beweiswürdigung und zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a, 122 V 160 Erw. 1c mit Hinweisen) gemacht. Hierauf wird verwiesen. 
3. 
Auf Grund der verschiedenen Arztberichte steht fest, dass die Beschwerdeführerin unter keinen somatischen Gesundheitsschäden leidet und dass ihre Schmerzen mit der psychiatrischen Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung erklärt werden können. Das wird von der Beschwerdeführerin auch nicht in Frage gestellt. Uneinigkeit herrscht einzig darüber, ob diese eine Invalidität im Rechtssinne zur Folge hat. 
3.1 Liegt ein psychisches Leiden mit Krankheitswert vor, ist ausschlaggebend, ob die psychiatrischen Befunde nach ärztlicher Einschätzung eine derartige Schwere aufweisen, dass dem Versicherten die Verwertung seiner Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt nur noch teilweise oder gar nicht mehr zumutbar ist. Jeder Versicherte hat also - im Rahmen der vorhandenen Entscheidungs- und Motivationsspielräume - in Nachachtung des Grundsatzes der Schadenminderung (BGE 123 V 233 Erw. 3c, 117 V 278 Erw. 2b) die individuell zur Verfügung stehenden psychischen Ressourcen zu mobilisieren, die es ihm erlauben, mit den Schmerzen umzugehen und die aus somatischer Sicht verbliebene Leistungsfähigkeit weitestmöglich zu verwerten (nicht veröffentlichte Erwägung 7.2 des in BGE 130 V 396 publizierten Urteils B. vom 18. Mai 2004 [I 457/02]). 
3.2 Es besteht eine Vermutung, dass die somatoforme Schmerzstörung oder ihre Folgen mit einer zumutbaren Willensanstrengung überwindbar sind. Bestimmte Umstände, welche die Schmerzbewältigung intensiv und konstant behindern, können den Wiedereinstieg in den Arbeitsprozess unzumutbar machen, weil die versicherte Person alsdann nicht über die für den Umgang mit den Schmerzen notwendigen Ressourcen verfügt. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, entscheidet sich im Einzelfall anhand verschiedener Kriterien. Im Vordergrund steht die Feststellung einer psychischen Komorbidität von erheblicher Schwere, Ausprägung und Dauer. Massgebend sein können auch weitere Faktoren, so: chronische körperliche Begleiterkrankungen; ein mehrjähriger, chronifizierter Krankheitsverlauf mit unveränderter oder progredienter Symptomatik ohne länger dauernde Rückbildung; ein sozialer Rückzug in allen Belangen des Lebens; ein verfestigter, therapeutisch nicht mehr beeinflussbarer innerseelischer Verlauf einer an sich missglückten, psychisch aber entlastenden Konfliktbewältigung (primärer Krankheitsgewinn; "Flucht in die Krankheit"); das Scheitern einer konsequent durchgeführten ambulanten oder stationären Behandlung (auch mit unterschiedlichem therapeutischem Ansatz) trotz kooperativer Haltung der versicherten Person (BGE 130 V 352). Je mehr dieser Kriterien zutreffen und je ausgeprägter sich die entsprechenden Befunde darstellen, desto eher sind - ausnahmsweise - die Voraussetzungen für eine zumutbare Willensanstrengung zu verneinen (BGE 131 V 50 Erw. 1.2 mit Hinweisen). 
4. 
4.1 Der behandelnde Psychiater, Dr. med. F.________ stellte in seinen Berichten vom 15. November 2003 und vom 31. Januar 2004 neben der Verdachtsdiagnose auf eine Schmerzausweitung respektive eine somatoforme Schmerzstörung diejenige einer mittleren depressiven Episode im Rahmen einer Anpassungsproblematik und attestierte auf Grund der mehrfachen psychischen Belastung mit Überforderung und konsekutiver Depression eine volle Arbeitsunfähigkeit. Die die Beschwerdeführerin im Auftrag der Pensionskasse begutachtende Dr. med. K.________ kam in der Expertise vom 22. Januar 2004 zur Erkenntnis, die Versicherte sei grundsätzlich gesund und belastbar. Wegen problematischen Lebensereignissen und anhaltender psychosozialer Belastung sei sie aus ihrem psychischen Gleichgewicht geraten, wobei der Treppensturz im Januar 2003 das Fass zum Überlaufen gebracht, die Explorandin chronische Schmerzen entwickelt habe und depressiv geworden sei. Sie stellte die Diagnosen einer Anpassungsstörung mir langdauernder depressiver Reaktion als Folge schwerwiegender psychosozialer Belastungen und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung des Rückens. Auch sie erachtete die Beschwerdeführerin - mindestens vorübergehend - als nicht arbeitsfähig. Auch die Gutachter der Psychiatrie Y.________ stellten schliesslich am 1. Juni 2004 die Diagnosen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung vom mittleren Schweregrad und - zusätzlich - einer Anpassungsstörung mit längerer depressiven Reaktion (ICD-10 F43.21). Die massive emotionale und psychosoziale Überbelastung hätte gemäss Gutachten über kurz oder lang bei wohl jedem Menschen zu einer Dekompensation geführt. Eine gesundheitliche Besserung sehen med. pract. O.________, leitender Arzt, und med. pract. L.________, Assistenzärztin, denn auch nicht in medizinischen Massnahmen, sondern in einer Verbesserung der psycho-sozialen Situation (Aufenthaltsbewilligung und gesicherte finanzielle Situation). In Bezug auf die Arbeitsfähigkeit wird im Gutachten dargelegt, dass die bis zum Unfall geleistete Doppelbelastung einer 100%igen Erwerbstätigkeit nebst alleinerziehender Kinderbetreuung und Haushaltstätigkeit nicht zumutbar sei. Als Alleinstehende wäre eine leichte körperliche Tätigkeit, mit der Möglichkeit Pausen einzulegen, während drei bis vier Stunden täglich möglich. 
Damit divergieren weder die gestellten Diagnosen, noch die daraus gezogenen Schlussfolgerungen der verschiedenen Ärzte wesentlich. Fraglich ist einzig, inwiefern die aus medizinischer Sicht offenbar ausgewiesene Arbeitsunfähigkeit in rechtlicher Hinsicht eine Leistungspflicht der Invalidenversicherung auslöst. 
4.2 Wie wiederholt vermerkt wird, ist die Beschwerdeführerin grundsätzlich gesund und belastbar. Sowohl die Schmerzstörung als auch die Anpassungsstörung mit depressiven Episoden entstanden einzig wegen einer ausserordentlich schwierigen psychosozialen Belastung. Der Anpassungsstörung kommt somit keine eigene selbstständige Bedeutung im Sinne einer Komorbidität zu. Die Invalidenversicherung versichert zu Erwerbsunfähigkeit führende Gesundheitsschäden, worunter soziokulturelle Umstände nicht zu begreifen sind. Das bedeutet, dass das klinische Beschwerdebild nicht einzig in Beeinträchtigungen, welche von den belastenden soziokulturellen Faktoren herrühren, bestehen darf, sondern davon psychiatrisch zu unterscheidende Befunde zu umfassen hat, zum Beispiel eine von depressiven Verstimmungszuständen klar unterscheidbare andauernde Depression im fachmedizinischen Sinne oder einen damit vergleichbaren psychischen Leidenszustand. Solche von der soziokulturellen Belastungssituation zu unterscheidende und in diesem Sinne verselbstständigte psychische Störungen mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit sind unabdingbar, damit überhaupt von Invalidität gesprochen werden kann. Wo der Gutachter dagegen im Wesentlichen nur Befunde erhebt, welche in den psychosozialen und soziokulturellen Umständen ihre hinreichende Erklärung finden, gleichsam in ihnen aufgehen, ist kein invalidisierender psychischer Gesundheitsschaden gegeben (BGE 127 V 299 Erw. 5a mit Hinweisen). 
4.3 Neben den durch die psychosozialen Umstände und Überforderungen verursachten Beschwerden liegen keine weiteren Gesundheitsschäden vor. Bezeichnenderweise schlagen die Gutachter der Psychiatrie Y.________ unter dem Stichwort "ärztliche Behandlung" auch keine medizinischen oder therapeutischen Massnahmen, sondern die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung und die Sicherung der finanziellen Situation vor. Solches kann jedoch nicht von der Invalidenversicherung geleistet werden. 
5. 
Die unentgeltliche Verbeiständung kann antragsgemäss gewährt werden, da die hiefür nach Gesetz (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG) und Praxis (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen) erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Rechtsanwalt Tomas Kempf für das Verfahren vor dem Bundesgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 6. Februar 2007 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: