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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_526/2022  
 
 
Urteil vom 6. Februar 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Abrecht, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Bivetti, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, 
St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau 
vom 25. Mai 2022 (VV.2021.241/E). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1967 geborene A.________ meldete sich am 11. Juni 2002 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 6. Oktober 2003 sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Thurgau rückwirkend ab dem 1. Januar 2003 eine ganze Invalidenrente zu, was sie mit Mitteilung vom 4. Januar 2007 bestätigte. Im Rahmen einer Rentenrevision wurde die bisherige ganze Rente rückwirkend ab 1. Januar 2010 auf eine Dreiviertelsrente, ab 1. Januar 2011 auf eine halbe Rente und ab 1. Januar 2012 wiederum auf eine Dreiviertelsrente herabgesetzt. Für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2012 liege eine Verletzung der Meldepflicht vor, da A.________ nicht mitgeteilt habe, dass er seit 21. Mai 2008 einer Erwerbstätigkeit als Chauffeur nachgehe (Verfügung vom 22. Mai 2013). Am 28. August 2015 teilte ihm die IV-Stelle einen unveränderten Anspruch auf eine Dreiviertelsrente mit. A.________ trat am 1. Juli 2016 eine neue Arbeitsstelle mit einem 50%-igen Pensum als Hauswart/Securitas an, weshalb die IV-Stelle die Rente erneut per 1. März 2017 auf eine halbe Rente reduzierte (Verfügung vom 11. Januar 2017). Das Arbeitsverhältnis wurde auf den 23. Juni 2017 wieder beendet.  
Auf eine geltend gemachte gesundheitliche Verschlechterung und das damit verbundene Gesuch um Rentenerhöhung (Schreiben vom 25. Juli und 3. August 2017) trat die IV-Stelle mit rechtskräftig gewordener Verfügung vom 14. November 2018 nicht ein. Vom 16. April bis Juli 2018 war A.________ erneut als Lagermitarbeiter/Chauffeur in einem 50 %-Pensum tätig. 
 
A.b. Unter Verweis auf seine Hüftoperationen ersuchte A.________ am 31. Januar 2019 abermals um Überprüfung seiner Invalidenrente. Die IV-Stelle trat darauf ein und veranlasste im Zuge des Vorbescheidverfahrens eine polydisziplinäre Begutachtung (Expertise der B.________ AG vom 8. Februar 2021). Gemäss Mitteilung des Beschlusses vom 3. September 2021 an die Ausgleichskasse setzte die IV-Stelle den Invaliditätsgrad ab 1. Januar 2019 auf 100 % und ab 1. April 2020 auf 56 % fest. Mit Verfügung vom 20. September 2021 teilte sie mit, dass gemäss ihrem Beschluss die Invalidenrente vom 1. Januar 2019 bis 31. März 2020 auf eine ganze Rente erhöht werde und ab 1. April 2020 wiederum ein Anspruch auf eine halbe Invalidenrente bestehe. Um Verzögerungen zu vermeiden in Bezug auf eine noch abzuklärende allfällige Verrechnung der Nachzahlung mit erbrachten Leistungen Dritter, werde die laufende (halbe) Rente ab 1. Oktober 2021 vorgängig ausbezahlt.  
 
B.  
Die dagegen geführte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau ab, soweit es darauf eintrat. Es gewährte A.________ überdies die unentgeltliche Rechtspflege und sprach dem unentgeltlichen Rechtsvertreter eine Entschädigung von Fr. 1200.- zu (Entscheid vom 25. Mai 2022). 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihm über den April 2020 hinaus eine ganze Invalidenrente auszurichten. Eventualiter sei die Sache zu weiteren Abklärungen, insbesondere zu einer umfassenden Begutachtung, an die IV-Stelle oder die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner sei die Vorinstanz zu verpflichten, den Rechtsvertreter für das vorinstanzliche Verfahren mit Fr. 3000.- (zuzügl. Mehrwertsteuer von 7,7 %) aus der Gerichtskasse zu entschädigen. Subeventualiter sei die Angelegenheit hierzu an die Vorinstanz zurückzuweisen. Überdies ersucht A.________ auch für das vorliegende Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht beantragt ebenfalls deren Abweisung, soweit darauf einzutreten sei. Eventualiter sei die Sache unter Aufhebung der Verfügung vom 20. September 2021 zur erneuten Begutachtung an die IV-Stelle zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 145 II 153 E. 1.1 mit Hinweis; 139 V 42 E. 1). 
 
2.  
Der Beschwerdeführer fordert eine höhere Entschädigung für seinen unentgeltlichen Vertreter für das kantonale Gerichtsverfahren; subeventualiter die Rückweisung der Sache zur neuen Festsetzung derselben. Bei der unentgeltlichen Verbeiständung handelt es sich um ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen Staat und Rechtsbeistand (BGE 132 V 200 E. 5.1.4), das einen Honoraranspruch des Rechtsbeistands gegenüber dem Staat begründet. Steht dieser Anspruch demnach dem amtlichen Rechtsbeistand selber zu und nicht der verbeiständeten Partei, kann - mangels Parteistellung des Rechtsvertreters in diesem Verfahren - die Höhe der zustehenden Entschädigung hier nicht beurteilt werden (BGE 110 V 360 E. 2; Urteil 9C_660/2019 vom 16. Dezember 2019 E. 1 mit Hinweis). Soweit der Rechtsvertreter die vorinstanzliche Festsetzung seiner amtlichen Entschädigung als unentgeltlicher Rechtsbeistand für das kantonale Verfahren hätte anfechten und ein höheres Honorar durchsetzen wollen, hätte er in eigenem Namen an das Bundesgericht gelangen müssen. Auf die Beschwerde ist daher insoweit nicht einzutreten, als damit eine Erhöhung des dem Anwalt des Beschwerdeführers zugesprochenen amtlichen Honorars verlangt wird. 
 
3.  
 
3.1. Anfechtungsobjekt im vorinstanzlichen Verfahren bildete die Verfügung der IV-Stelle vom 20. September 2021. Darin befasste sich diese, anders als die Vorinstanz (in Anlehnung an die verfügte Auszahlung) meint, nicht bloss mit einem Rentenanspruch ab 1. Oktober 2021, sondern auch mit jenem für die Zeit davor (vgl. Sachverhalt lit. A). Sie wiederholte ihren dahingehenden Beschluss und verwies auf den "Verfügungsteil 2" als integralen Bestandteil dieser Verfügung (vgl. Art. 5 VwVG resp. Art. 49 ATSG). Damit war grundsätzlich auch der zulässige Streitgegenstand festgelegt (zum Anfechtungs- und Streitgegenstand vgl. BGE 125 V 413 E. 1 und 2a). Bei dieser Sach- und Rechtslage mangelte es im kantonalen Verfahren nicht an einem Anfechtungsgegenstand, soweit der Beschwerdeführer das Rechtsbegehren stellte, ihm sei ab 1. Juli 2018 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Hierauf trat die Vorinstanz daher zu Unrecht nicht ein (BGE 131 V 164 E. 2.1; 125 V 413 E. 1).  
 
3.2. Die Vorinstanz hat es mit anderen Worten bundesrechtswidrig unterlassen, den Rentenanspruch aufgrund der geltend gemachten Verschlechterung des Gesundheitszustands für den Zeitraum zwischen der Verfügung vom 11. Januar 2017 und der Verfügung vom 20. September 2021 revisionsrechtlich zu beurteilen und bestätigte einzig den Anspruch auf eine halbe Rente ab 1. Oktober 2021.  
 
4.  
 
4.1. Aus spezifischen sozialversicherungsrechtlichen Gründen ist überdies ein abschliessender materieller Entscheid über die Rentenfrage für die künftigen Phasen nicht zulässig, weil der Streitgegenstand den Rentenanspruch als Ganzes betrifft (BGE 135 V 148 E. 5.2 mit Hinweisen auf BGE 131 V 164 E. 2.2, 125 V 413 E. 2). Daraus folgt, dass die Rente für eine folgende Teilperiode nicht endgültig festgelegt werden kann, solange sie für die vorangehende Teilperiode nicht rechtskräftig beurteilt ist, da die Rentenrevision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG eine Änderung (in medizinischer oder erwerblicher Hinsicht) voraussetzt. Im Lichte der Einheit des Rentenverhältnisses (BGE 125 V 413) ist daher grundsätzlich davon abzusehen, eine spätere Periode materiell zu beurteilen, solange in Bezug auf einen vorangehenden Anspruchszeitraum die Sache noch zu näheren Abklärungen zurückgewiesen wird. Geschieht dies trotzdem, so liegt hinsichtlich der materiell beurteilten späteren Phase ebenfalls ein Zwischenentscheid vor (Urteil 8C_263/2021 vom 11. Oktober 2021 E. 2.2.1).  
 
4.2. Gestützt auf Art. 42 Abs. 1 BGG ist die beschwerdeführende Partei gehalten, die Erfüllung der Eintretensvoraussetzungen darzutun, wenn diese nicht offensichtlich gegeben sind (vgl. BGE 141 IV 289 E. 1.3 mit weiteren Hinweisen). Der Beschwerdeführer befasst sich einzig mit der materiellen Seite des Falles, was nicht genügt (BGE 123 V 335 E. 1b; Urteil 9C_193/2022 vom 27. April 2022). Er legt insbesondere nicht dar, inwiefern eine der Eintretensvoraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG erfüllt wäre. Es kann allerdings offen gelassen werden, ob auch in der vorliegenden Konstellation ein Zwischenentscheid vorliegt, der (nur) unter den Voraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 BGG selbstständig angefochten werden kann.  
 
4.3.  
 
4.3.1. Das Bundesgericht prüft auch für das vorinstanzliche Verfahren von Amtes wegen, ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind (BGE 147 V 268 E. 2; 142 V 67 E. 2.1; vgl. vorstehende E. 1). Dass das Bundesgericht gemäss Art. 107 Abs. 1 BGG nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen darf, steht in einem solchen Falle der Aufhebung des angefochtenen Entscheides aus formellen Gründen - auch ohne entsprechenden Antrag - nicht entgegen, da die genannte Bestimmung nur die materielle Seite des Rechtsstreits betrifft (Urteil 8C_804/2012 vom 21. Juni 2013 E. 1).  
 
4.3.2. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 25. Mai 2022 ist daher von Amtes wegen aufzuheben. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie über den gesamten hier infrage stehenden Zeitraum über den Rentenanspruch des Beschwerdeführers materiell entscheide.  
 
5.  
Hinsichtlich der Prozesskosten gilt die Rückweisung der Sache zu neuem Entscheid praxisgemäss als volles Obsiegen, unabhängig davon, ob sie beantragt und ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 141 V 281 E. 11.1; Urteil 9C_37/2022 vom 11. August 2022 E. 6.1). Dementsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist somit gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 25. Mai 2022 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. Februar 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla