Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_269/2023
Urteil vom 6. Februar 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiberin Durizzo.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Stadelmann,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (invalidenrente)
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 15. März 2023 (VV.2022.131/E).
Sachverhalt:
A.
A.________, geboren 1960, war seit 1983 als Polier bei der B.________ AG beschäftigt. Wegen einer Meniskusschädigung, die nach einer am 23. März 2020 erlittenen Kniedistorsion festgestellt worden war, musste er mehrfach operiert werden. Im Dezember 2020 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Thurgau zog die Akten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) bei, umfassend insbesondere den Bericht von Dr. med. C.________, Fachärztin für Chirurgie, vom 5. März 2021, und legte sie dem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD), Dr. med. D.________, vor. Gestützt auf deren Stellungnahme vom 21. April 2021 ging die IV-Stelle von der Wiederherstellung einer vollständigen Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit aus. Mit Verfügung vom 23. Mai 2022 lehnte sie einen Anspruch auf eine Invalidenrente ab.
B.
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 15. März 2023 ab.
C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm eine ganze Invalidenrente oder mindestens eine Viertelsrente zuzusprechen, eventuell sei die Sache zu weiteren Abklärungen beziehungsweise zur Einholung eines Gutachtens an das kantonale Gericht zurückzuweisen.
Nach Einholung der vorinstanzlichen Akten verzichtet das Bundesgericht auf einen Schriftenwechsel.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG ; BGE 145 V 57 E. 4).
2.
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die rentenablehnende Verfügung vom 23. Mai 2022 bestätigte. Zur Frage stehen die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit, deren Verwertbarkeit sowie die erwerblichen Auswirkungen der Gesundheitsschädigung.
3.
Das kantonale Gericht hat zutreffend dargelegt, dass angesichts der zu beurteilenden Leistungen mit allfälligem Anspruchsbeginn vor dem 31. Dezember 2021 die bis zu diesem Zeitpunkt gültig gewesenen Fassungen des IVG und der IVV (und nicht der am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen Änderung [Weiterentwicklung der IV WEIV]) anzuwenden sind, auch wenn die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung nach dem 1. Januar 2022 erging (Urteil 8C_385/2023 vom 30. November 2023 E. 2 mit Hinweisen). Richtig wiedergegeben werden auch die Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch auf eine Invalidenrente nach Art. 28 Abs. 2 IVG und zur Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) sowie die zu beachtenden Regeln über den Beweiswert von ärztlichen Berichten und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a mit Hinweis), insbesondere von versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen (BGE 139 V 225 E. 5.2; 135 V 465 E. 4.4; 125 V 351 E. 3b/ee; 122 V 157 E. 1d) sowie von reinen Aktenbeurteilungen (SVR 2010 UV Nr. 17 S. 63, 8C_239/2008 E. 7.2; SZS 2008 S. 393, I 1094/06 E. 3.1.1 a.E.; Urteil U 10/87 vom 29. April 1988 E. 5b, nicht publ. in: BGE 114 V 109, aber in: RKUV 1988 Nr. U 56 S. 366; Urteil 8C_780/2016 vom 24. März 2017 E. 6.1). Gleiches gilt schliesslich hinsichtlich der Grundsätze zur Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit bei fortgeschrittenem Alter (BGE 145 V 2 E. 5.3.1; 138 V 457 E. 3.1 sowie E. 3.4; SVR 2019 IV Nr. 7 S. 21, 8C_892/2017 E. 3.2; SVR 2016 IV Nr. 58 S. 190, 8C_910/2015 E. 4.2.2; ferner Urteile 8C_826/2018 vom 14. August 2019 E. 3.2.1; 8C_290/2018 vom 25. September 2018 E. 5.3; 8C_678/2016 vom 1. März 2017 E. 2.2). Es wird darauf verwiesen.
4.
4.1. Die Vorinstanz stellte fest, der Beschwerdeführer habe sich am 23. März 2020 ein Distorsionstrauma am linken Knie zugezogen, worauf gestützt auf eine bildgebende Untersuchung eine Meniskusläsion diagnostiziert worden sei. Nach einer Kniegelenksarthroskopie am 30. April 2020 seien wegen eines Infekts sowie persistierender Wundsekretion im Mai 2020 drei weitere operative Eingriffe erfolgt. Gemäss Bericht der Suva-Ärztin vom 5. März 2021 habe nunmehr eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit bestanden, was vom RAD am 21. April und am 25. November 2021 bestätigt worden sei. Die angestammte Tätigkeit sei indessen wegen der Verschleisserkrankung des linken Kniegelenks nicht mehr zumutbar. Auf diese übereinstimmenden Einschätzungen sei abzustellen. Die Verwertung der bescheinigten Restarbeitsfähigkeit sei dem im Frühjahr 2021 noch nicht 61-jährigen Beschwerdeführer, der sich zwischenzeitlich habe pensionieren lassen, zuzumuten gewesen.
In erwerblicher Hinsicht hatte die Beschwerdegegnerin den hypothetischen Lohn, den der Beschwerdeführer als Gesunder erzielen würde (Valideneinkommen), auf Fr. 105'316.- festgesetzt, während dieser einen Verdienst von Fr. 106'505.- geltend machte. Das kantonale Gericht verzichtete auf eine abschliessende Beurteilung, da sich im Ergebnis so oder anders nichts ändere. Das nach Eintritt der Gesundheitsschädigung zumutbarerweise erzielbare (Invaliden-) Einkommen hatte die Beschwerdegegnerin auf statistischer Basis mit Fr. 69'130.- ermittelt und einen leidensbedingten Abzug von 5 % gewährt; im Ergebnis resultierte ein Verdienst von Fr. 65'673.-. Während der Beschwerdeführer eine Reduktion um 10 % beantragte, erachtete die Vorinstanz einen Abzug, der sich höchstens damit begründen lasse, dass der Beschwerdeführer seine angestammte Tätigkeit nicht mehr auszuüben vermöge, als nicht angezeigt. Selbst unter Zugrundelegung des höheren Valideneinkommens (Fr. 106'505.-) und unter Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzugs von 5 % ergab sich ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von 39 %. Die verbleibende Restarbeitsfähigkeit erachtete das kantonale Gericht als verwertbar.
4.2. Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss im Wesentlichen, dass die Vorinstanz unter Verzicht auf weitere Abklärungen - die allenfalls nachzuholen seien - auf zwei versicherungsinterne Aktenbeurteilungen abgestellt habe. Die Bescheinigung einer 100%igen Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit durch die Suva-Ärztin sei schon deswegen unzuverlässig, weil sie von einer falschen Vorstellung seines angestammten Berufs eines Poliers (und nicht eines Polierers) ausgegangen sei. Nachdem er von seiner bisherigen Arbeitgeberin nach der Rehabilitation an einem Schonarbeitsplatz im 50 %-Pensum weiterbeschäftigt worden sei, habe die Suva-Ärztin angenommen, er vermöge die Tätigkeit als Polier in gleichem Umfang auszuüben. Auch an jenem Schonarbeitsplatz im Büro mit der Verrichtung leichtester Tätigkeiten hätte er indessen entgegen der Einschätzung der Suva-Ärztin nicht mehr als ein 50 %-Pensum bewältigen können. Die bloss aktengestützte Einschätzung des RAD bezüglich der Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit habe dementsprechend auf einer unzuverlässigen Grundlage beruht, sodass auch gegenüber der RAD-Beurteilung erhebliche Zweifel anzubringen seien.
Da er bisher, so der Beschwerdeführer, ausschliesslich im Baugewerbe gearbeitet habe, sei ihm angesichts seines fortgeschrittenen Alters die Verwertung der ihm verbleibenden Restarbeitsfähigkeit nicht zuzumuten. Wenn überhaupt, könne höchstens noch von einem zumutbaren Pensum von 50 %, wie zuletzt ausgeübt, beziehungsweise einer Verwertbarkeit im gleichen Umfang ausgegangen werden. Wegen der ihm allein noch zumutbaren Teilzeittätigkeit sowie wegen erhöhten Pausenbedarfs sei ihm ein Abzug vom Tabellenlohn von mindestens 15 % zu gewähren und es resultiere ein Invalididitätsgrad von 72 %, sodass ihm eine ganze Invalidenrente zuzusprechen sei. Wenn indessen dennoch mit der Vorinstanz von einer 100%igen Arbeitsfähigkeit auszugehen wäre, sei ihm in erwerblicher Hinsicht insbesondere zufolge seiner eingeschränkten Leistungsfähigkeit, wegen der ihm die Suva eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 30 % zugesprochen habe, aufgrund erhöhten Pausenbedarfs sowie seines fortgeschrittenen Alters ein leidensbedingter Abzug von mindestens 10 % zu gewähren. Unter Berücksichtigung des von ihm geltend gemachten Valideneinkommens von Fr. 106'505.- resultiere ein Invaliditätsgrad von 41,6 %, sodass zumindest ein Anspruch auf eine Viertelsrente bestehe.
5.
5.1. Inwiefern die Vorinstanz zunächst die zu beachtenden Beweisregeln verletzt haben sollte, indem sie von einer 100%igen Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Verweistätigkeit ausging, ist nicht erkennbar. Es lässt sich nicht ersehen, inwiefern an den Einschätzungen der Suva-Ärztin und des RAD Zweifel anzubringen wären, zumal sich diese ihrerseits auf die Berichte der behandelnden Ärzte des Spitals E.________ stützten. Daran kann nichts ändern, dass die Suva-Ärztin auf eine Rückfrage der Sachbearbeiterin hin eine Arbeitsfähigkeit von 50 % als "Polierer" erwähnte. Der Einwand des Beschwerdeführers, sie habe sich eine falsche Vorstellung von seinem Beruf gemacht, ist nicht stichhaltig, nachdem ihr eine eingehende Arbeitsplatzbeschreibung des Arbeitgebers vorlag. Zudem ist ohnehin nicht die Arbeitsfähigkeit in der angestammten, sondern in einer leidensangepassten Tätigkeit massgeblich. Dass das kantonale Gericht auf die Berichte der Suva- und der RAD-Ärztin abstellte, ist nicht zu beanstanden. Auch bleibt ohne Belang, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben kein höheres als das zuletzt am Schonarbeitsplatz mit leichter Verweistätigkeit ausgeübte 50 %-Pensum zu bewältigen vermöge.
5.2. Der Beschwerdeführer erneuert seinen Einwand, angesichts der verbleibenden Aktivitätsdauer bis zur ordentlichen Pensionierung sei ihm die Verwertung seiner Restarbeitsfähigkeit nicht zuzumuten. Damit vermag er nicht durchzudringen. Gemäss Vorinstanz standen ihm noch gut vier Jahre zur Verfügung, was praxisgemäss genügt, um eine neue einfache Erwerbstätigkeit aufzunehmen, sich einzuarbeiten und die Arbeit auszuüben (Urteil 8C_535/2021 vom 25. November 2021 E. 5.4.1 mit Hinweisen).
5.3. Ob ein (behinderungsbedingter oder anderweitig begründeter) Abzug vom hypothetischen, auf statistischer Basis ermittelten Invalideneinkommen vorzunehmen sei, ist eine Rechtsfrage. Demgegenüber stellt die Höhe des Abzuges eine typische Ermessensfrage dar (BGE 148 V 174 E. 6.5; 137 V 71 E. 5.1; Urteil 8C_557/2018 vom 18. Dezember 2018 E. 3.4). Wie dargelegt, ist zunächst entgegen dem Beschwerdeführer nicht von einer verbleibenden Arbeitsfähigkeit nur noch im Teilzeit-, sondern von der Zumutbarkeit eines Vollzeitpensums auszugehen. Ein Abzug wegen Teilzeitarbeit fällt damit praxisgemäss ausser Betracht (Urteile 9C_360/2022 vom 4. November 2022 E. 4.3.3; 8C_627/2021 vom 25. November 2021 E. 5.1 und 5.2; 9C_283/2020 vom 17. August 2020 E. 7.2.2; 8C_403/2017 vom 25. August 2017 E. 4.3). Des Weiteren findet der geltend gemachte erhöhte Pausenbedarf in den medizinischen Berichten keine Stütze. Angesichts der vollzeitlich zumutbaren Hilfsarbeitertätigkeit erachtete die Vorinstanz eine behinderungsbedingte Reduktion als nicht gerechtfertigt. Inwiefern sie damit Bundesrecht verletzt haben sollte, ist nicht erkennbar. Trotz der hier zu berücksichtigenden Beschwerden am linken Knie verbleibt dem Beschwerdeführer ein genügend breites Spektrum an zumutbaren Verweistätigkeiten, sodass sich ein Abzug unter diesem Aspekt nicht begründen lässt (Urteil 8C_48/2021 vom 20. Mai 2021 E. 4.3.3). Schliesslich werden Hilfsarbeiten auf dem massgeblichen hypothetischen Arbeitsmarkt grundsätzlich altersunabhängig nachgefragt (Urteil 9C_134/2016 vom 12. April 2016 E. 5.3). Dass die Vorinstanz einen leidensbedingten Abzug für nicht angezeigt hielt, ist somit nicht zu beanstanden.
5.4. Im Ergebnis muss es somit bei dem von der Vorinstanz ermittelten rentenausschliessenden Invaliditätsgrad - auch unter Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Valideneinkommens von Fr. 106'505.- - sein Bewenden haben.
6.
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 6. Februar 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo