Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_79/2024
Urteil vom 6. Februar 2025
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Moser-Szeless, Präsidentin,
Bundesrichter Stadelmann, Parrino, Beusch, Bundesrichterin Scherrer Reber,
Gerichtsschreiber Nabold.
Verfahrensbeteiligte
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3000 Bern,
Beschwerdeführer,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jan Donghi,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2023 (C-4522/2020).
Sachverhalt:
A.
Der 1951 geborene B.________ ist seit dem 25. Januar 2008 von der 1960 geborenen A.________ geschieden. Mit Verfügung vom 21. Mai 2008 änderte das Bezirksgericht Zürich das Scheidungsurteil dahingehend ab, dass B.________ gestützt auf den damaligen Art. 124 ZGB (Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge nach Eintritt des Vorsorgefalls oder bei Unmöglichkeit der Teilung) verpflichtet wurde, seiner ehemaligen Ehefrau einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'200.- (Fr. 1'000.- ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Ehefrau ins AHV-Alter) zu bezahlen. Da B.________ im Zeitpunkt der Scheidung eine ganze Rente der Invalidenversicherung bezog, wurde die IV-Stelle angewiesen, die dem Versicherten zustehenden Leistungen im Umfang des Unterhaltsbeitrages direkt an A.________ auszubezahlen.
Die Schweizerische Ausgleichskasse (SAK) wandelte mit Wirkung ab 1. Februar 2016 die laufende Invalidenrente des B.________ in eine Altersrente der AHV um (Verfügung vom 27. Januar 2016). Gleichzeitig kündigte sie ihm an, weiterhin den Betrag von Fr. 1'200.- von den Rentenzahlungen abzuziehen und diesen Betrag seiner ehemaligen Ehefrau zu überweisen.
Mit Verfügung vom 17. Juli 2020 und Einspracheentscheid vom 11. August 2020 teilte die SAK dem Versicherten und seiner ehemaligen Ehefrau mit, dass ab Juni 2020 keine Drittauszahlung mehr erfolgen könne.
B.
Die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 21. Dezember 2023 gut und hob den Einspracheentscheid vom 11. August 2020 ersatzlos auf.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), es sei unter Aufhebung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts der Einspracheentscheid der SAK zu bestätigen.
A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit auf diese einzutreten sei.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob das Bundesverwaltungsgericht Bundesrecht verletzte, als es einen Einspracheentscheid der SAK aufhob und damit bestätigte, dass aufgrund einer Anweisung des Zivilgerichts im Sinne von Art. 132 ZGB ein Teil der Altersrente des Versicherten dessen ehemaliger Ehefrau auszuzahlen ist.
3.
Mit Verfügung vom 17. Juli 2020 und Einspracheentscheid vom 11. August 2020 kam die Ausgleichskasse auf ihre Verfügung vom 27. Januar 2016 - in der sie eine Drittauszahlung an die ehemalige Ehefrau des Versicherten anerkannt hatte - zurück, ohne einen konkreten Rückkommensgrund im Sinne von Art. 17 oder Art. 53 ATSG zu benennen. Aus der Begründung der Verfügung und des Einspracheentscheides erschliesst sich jedoch, dass die Ausgleichskasse die Drittauszahlung für rechtswidrig und damit für zweifellos unrichtig im Sinne des Art. 53 Abs. 2 ATSG hält. Ob damit tatsächlich ein Wiedererwägungsgrund im Sinne dieser Norm vorliegt, braucht indessen im Lichte der nachstehenden Erwägungen nicht näher geprüft zu werden, ist doch die Beschwerde so oder anders abzuweisen.
4.
4.1. Gemäss Art. 20 ATSG können Geldleistungen ganz oder teilweise einem geeigneten Dritten oder einer Behörde ausbezahlt werden, der oder die der berechtigten Person gegenüber gesetzlich oder sittlich unterstützungspflichtig ist oder diese dauernd fürsorgerisch betreut, sofern die in dieser Bestimmung definierten Voraussetzungen gegeben sind. Es steht fest und ist unbestritten, dass diese vorliegend nicht erfüllt sind, ist doch die Beschwerdegegnerin gegenüber dem Versicherten unterstützungsberechtigt und nicht -verpflichtet.
4.2. Die vom BSV erlassene Wegleitung über die Renten (RWL) in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (Stand 1. Januar 2020) anerkennt im Weiteren im Einklang mit BGE 146 V 265, dass Anweisungen des Zivilrichters über die Auszahlung der Renten des Ehegatten, welcher seine Unterhaltspflicht während der Eheschutzmassnahme gegenüber seiner Familie nicht erfüllt (vgl. Art. 177 ZGB), für die Ausgleichskasse verbindlich sind (Rz. 10051 RWL). Für die Renten der Eltern, welche die Sorge für ihr Kind vernachlässigen (Art. 291 ZGB), gilt das Gleiche (Rz. 10052 RWL). Hingegen darf gemäss Rz. 10053 RWL der in einem Scheidungsurteil festgehaltenen zivilrichterlichen Anweisung, Renten des unterhaltspflichtigen Ex-Ehepartners an den unterhaltsberechtigten Ex-Ehepartner auszurichten (Art. 132 ZGB), nicht gefolgt werden.
4.3. Die Verwaltungsweisungen richten sich an die Durchführungsstellen und sind für das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich. Dieses soll sie bei seiner Entscheidung aber berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Das Gericht weicht also nicht ohne triftigen Grund von Verwaltungsweisungen ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellen. Insofern wird dem Bestreben der Verwaltung, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten, Rechnung getragen (BGE 146 V 104 E. 7.1).
5.
5.1. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Wesentlichen erwogen, es sei kein Grund ersichtlich, weshalb die vom Bundesgericht in BGE 146 V 265 anerkannte Verbindlichkeit der nach Art. 177 ZGB (Eheschutz) und Art. 291 ZGB (Kindesunterhalt) getroffenen Anweisungen des Zivilrichters über die Auszahlung der Renten für Anweisungen nach Art. 132 ZGB (nachehelicher Unterhalt) nicht gelten soll. Hier wie da bezwecke die Schuldneranweisung die Sicherung des Unterhalts- oder Unterstüzungsbeitrages der berechtigten Person. Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Versicherungsträger nicht Partei des Scheidungsverfahrens war und daher keine Möglichkeit hatte, das Zivilurteil betreffend die Schuldneranweisung anzufechten.
5.2. Beizupflichten ist dem Beschwerdeführer insofern, als er geltend macht, Art. 20 ATSG regle die Drittauszahlung von Renten grundsätzlich abschliessend (BGE 146 V 265 E. 3.1.2; vgl. auch Urteil 5P.474/2005 vom 8. März 2006 E. 2.3), und er darauf hinweist, dass die Renten der ersten Säule in Anwendung von Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG unpfändbar sind. Diese Aspekte gelten jedoch unabhängig davon, ob die Schuldneranweisung im Rahmen von Art. 177 ZGB, Art. 291 ZGB oder Art. 132 ZGB angeordnet wird. Entsprechend hat das Bundesgericht diese in seinem Leiturteil BGE 146 V 265 in seine Erwägungen miteinbezogen, sah sie indessen nicht als gewichtig genug an, um zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu gelangen. Das beschwerdeführende BSV macht denn auch zu Recht nicht geltend, diesbezüglich seien die Voraussetzungen für eine Praxisänderung (vgl. BGE 149 II 381 E. 7.3.1; 147 V 342 E. 5.5.1) erfüllt. Steht demnach ein Zurückkommen auf BGE 146 V 265 nicht zur Diskussion, so interessiert - wie das Bundesverwaltungsgericht zutreffend erwogen hat - vorliegend einzig noch die Frage, ob sich eine Schuldneranweisung nach Art. 132 ZGB einerseits von solchen nach Art. 177 oder Art. 291 ZGB andererseits aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht hinreichend unterscheidet, um eine unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen. Da die erwähnten Aspekte unabhängig von der rechtlichen Grundlage der Schuldneranweisung gelten, kann aus diesen nichts für die Beantwortung der Frage, ob sich eine unterschiedliche Beurteilung rechtfertigt, abgeleitet werden.
5.3. Das beschwerdeführende BSV bringt weiter vor, mit der Scheidung habe sowohl die eheliche Gemeinschaft als auch die eheliche Beistands- und Unterhaltspflicht aufgehört zu existieren. Anders als im Eheschutzverfahren (so explizit BGE 146 V 265 E. 3.2.2) könne daher für den nachehelichen Unterhalt nicht argumentiert werden, durch die Schuldneranweisung werde der berechtigte Ehegatte ermächtigt, die Leistungen der Sozialversicherung für die eheliche Gemeinschaft entgegenzunehmen. Zudem habe das Unterhaltsrecht in den letzten Jahren eine Entwicklung durchlaufen und betone nunmehr stärker die Eigenverantwortung, wonach nach einer Scheidung jeder Ehegatte grundsätzlich für sich selber zu sorgen habe. Weiter handle es sich bei einer Schuldneranweisung nach Art. 177 ZGB anders als bei einer solchen nach Art. 132 ZGB um eine vorsorgliche Massnahme, mit der die Auszahlung nur provisorisch, bis zum späteren Hauptentscheid, geregelt werde.
5.4. Es trifft zu, dass mit der Scheidung sowohl die eheliche Gemeinschaft als auch die eheliche Beistands- und Unterhaltspflicht zu existieren aufhört. Daraus kann indessen nicht gefolgert werden, dass eine geschiedene Ehe keine Nachwirkungen zeitigen würde. Gerade das Recht des nachehelichen Unterhalts ist das idealtypische Beispiel für eine solche Nachwirkung. Zwar unterliegen die Anschauungen darüber, in welchen Situationen und in welchem Umfang Unterhaltsbeiträge nach einer Scheidung geschuldet sein sollen, dem gesellschaftlichen Wandel. Dabei obliegt jedoch deren Festsetzung dem Zivilrecht (bzw. im Einzelfall dem Zivilgericht). Das Zivilrecht ordnet in Art. 132 Abs. 1 ZGB im Bewusstsein des Umstandes, dass die eheliche Gemeinschaft mit der Scheidung endet, an, dass das Zivilgericht den Schuldner der zum Unterhalt verpflichteten Person anweisen kann, die Zahlungen ganz oder teilweise an die berechtigte Person zu leisten. Besondere Gründe, weshalb das Sozialversicherungsrecht im vorliegenden Zusammenhang von den Wertungen des Zivilrechts abweichen sollte, sind keine ersichtlich. Der Beschwerdeführer argumentiert denn auch nicht etwa sozialversicherungsrechtlich, sondern familienrechtlich (Wirkung der Scheidung, Charakter der Anordnungen im Eheschutzverfahren als vorsorgliche Massnahme). Familienrechtliche Einwände gegen die Ausgestaltung der familienrechtlichen Regelungen können jedoch keinen Grund darstellen, der zivilrechtlichen Regelung im Sozialversicherungsrecht die Geltung zu versagen (vgl. BGE 146 V 265 E. 3.2.3). Die in der RWL getroffene Unterscheidung zwischen Anordnungen im Rahmen der Art. 177 und Art. 291 ZGB einerseits und Art. 132 ZGB andererseits - welche im Übrigen auch nicht im Einklang mit der zivilrechtlichen Praxis steht, die drei Arten der Schuldneranweisung (sowie im Übrigen auch diejenige nach Art. 13 Abs. 3 und Art. 34 Abs. 2 PartG [SR 211.231]) gleich zu behandeln (vgl. Urteil 5A_158/2020 vom 21. Dezember 2020 E. 3.1; vgl. auch CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, Basler Kommentar zu Art. 132 ZGB N 8 f., wo denn auch auf die Kommentierung zu Art. 177 und Art. 291 ZGB verwiesen wird) - stellt demnach keine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben dar, weshalb ihr vorliegend nicht gefolgt werden kann.
5.5. Somit ist eine vom Zivilgericht gestützt auf Art. 132 ZGB angeordnete Anweisung zur Drittauszahlung eines Teils der dem Versicherten zustehenden Leistungen gleich zu behandeln wie solche gestützt auf Art. 177 oder Art. 291 ZGB und die Voraussetzungen für eine Praxisänderung im Sinne eines Zurückkommens auf BGE 146 V 265 sind nicht erfüllt. Folglich verletzte das Bundesverwaltungsgericht entgegen den Ausführungen des beschwerdeführenden BSV kein Bundesrecht, als es die Anweisung als für die Ausgleichskasse verbindlich erachtete. Entsprechend ist die Beschwerde abzuweisen.
6.
Dem unterliegenden Bund, handelnd durch das BSV, sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG; Urteil 9C_13/2015 vom 11. August 2015 E. 6). Hingegen hat das BSV der obsiegenden Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu bezahlen ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht, B.________ und der Schweizerischen Ausgleichskasse SAK schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 6. Februar 2025
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Moser-Szeless
Der Gerichtsschreiber: Nabold