Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
H 239/04
Urteil vom 6. April 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Widmer
Parteien
H.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Hagmann, Dufourstrasse 43, 8008 Zürich,
gegen
Ausgleichskasse Verom, Ifangstrasse 8, 8952 Schlieren, Beschwerdegegnerin,
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 28. Oktober 2004)
Sachverhalt:
A.
H.________ rechnet ihre als Teilhaberin der Firma X.________, erzielten Einkommen als Selbstständigerwerbende mit der Ausgleichskasse Musik und Radio (seit 1. Januar 2003: Ausgleichskasse VEROM) ab. Mit Verfügung vom 8. Dezember 1998 setzte die Ausgleichskasse die Beiträge von H.________ aus selbstständiger Erwerbstätigkeit für die Jahre 1996 und 1997 im ordentlichen Verfahren gestützt auf die ihr durch die Steuerbehörden am 30. April 1998 gemeldeten Einkommen der Jahre 1993 und 1994 sowie unter Berücksichtigung des per 1. Januar 1995 im Betrieb investierten Eigenkapitals und nach Aufrechnung der hohen, mit Verfügung vom 5. Dezember 1994 festgesetzten persönlichen AHV/IV/EO-Beiträge der Jahre 1992 und 1993 fest.
H.________ liess Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, das beitragspflichtige Einkommen sei um die aufgerechneten, mit Verfügung vom 5. Dezember 1994 festgesetzten persönlichen Beiträge der Jahre 1992 und 1993 zu reduzieren. Zur Begründung wurde erklärt, das in der Steuermeldung vom 30. April 1998 angegebene Einkommen der Jahre 1993 und 1994 enthalte keinen diesbezüglichen Abzug.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die Beschwerde gut und änderte die angefochtene Verwaltungsverfügung im beantragten Sinn ab (Entscheid vom 30. Mai 2001).
Die von der Ausgleichskasse hiegegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 4. September 2003 (H 243/01) ab.
Gestützt auf dieses Urteil reduzierte die Ausgleichskasse mit Verfügungen vom 29. September 2003 die für die Beitragsjahre 1996 und 1997 geschuldeten persönlichen Beiträge auf Fr. 64'146.60 im Jahr (einschliesslich Verwaltungskosten) und erhöhte andererseits die für die Jahre 1992/93 geschuldeten persönlichen Beiträge in Wiedererwägung ihrer Verfügung vom 5. Dezember 1994 auf je Fr. 2'196'342.- (einschliesslich Verwaltungskosten). Den verfügten Beiträgen liegt ein durchschnittliches Einkommen der Jahre 1989/90 von Fr. 21'033'594.-, zuzüglich Rückstellungen von durchschnittlich Fr. 2'200'000.-, welche in den Jahren 1989/90 im Hinblick auf die für die Beitragsjahre 1992/93 zu entrichtenden Beiträge gebildet worden waren, insgesamt Fr. 23'233'594.-, sowie ein am 1. Januar 1991 im Betrieb investiertes Eigenkapital von Fr. 3'582'000.- zugrunde, woraus sich ein beitragspflichtiges Jahreseinkommen von Fr. 23'000'700.- ergibt. Mit einer weiteren Verfügung vom gleichen Tag setzte die Ausgleichskasse sodann auf den zusätzlich erhobenen Beiträgen für die Jahre 1992 und 1993 Verzugszinsen in der Höhe von Fr. 57'702.55 fest. Auf Einsprache von H.________ hin bestätigte die Ausgleichskasse mit Entscheid vom 24. November 2003 ihre Verfügungen.
B.
H.________ liess Beschwerde führen mit dem Antrag, der Einspracheentscheid und die Beitragsverfügungen vom 29. September 2003 für die Periode vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1993 sowie die Verzugszinsverfügung vom gleichen Tag seien aufzuheben.
Mit Entscheid vom 28. Oktober 2004 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern.
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz hat zutreffend festgehalten, dass die auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall keine Anwendung finden (BGE 130 V 446 Erw. 1.2.1 mit Hinweisen).
2.
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.
3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Ausgleichskasse befugt war, wiedererwägungsweise auf ihre Verfügung vom 5. Dezember 1994 zurückzukommen, das beitragspflichtige Einkommen unter Aufrechnung der von der Beschwerdeführerin in den Jahren 1989/90 im Hinblick auf die für diese Periode geschuldeten Beiträge getätigten Rückstellungen von je Fr. 2'200'000.- heraufzusetzen und gestützt auf das daraus resultierende Jahreseinkommen höhere Beiträge zu verfügen. Während die Vorinstanz diese Frage gestützt auf das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 4. September 2003 (H 243/01) bejaht hat, vertritt die Beschwerdeführerin die gegenteilige Auffassung.
4.
Das kantonale Gericht hat die Voraussetzungen, unter denen die Verwaltung wiedererwägungsweise auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückkommen kann (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen), richtig dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.
5.
Im Urteil vom 4. September 2003 (H 243/01) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht geprüft, inwieweit die Ausgleichskasse die Möglichkeit hat, die Beiträge nachzufordern, welche sie seinerzeit zu wenig erhoben hat, weil sie die steuerrechtlich zulässige, beitragsrechtlich aber unbeachtliche Rückstellung für zukünftige Sozialversicherungsbeiträge mangels entsprechender Informationen nicht aufgerechnet hat. Dabei hielt es fest, das Fehlen einer der Regelung zur Nachsteuerveranlagung (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 AHVG) entsprechenden Bestimmung für den Fall der nachträglichen Entdeckung einer Schmälerung des beitragspflichtigen Einkommens durch eine Rückstellung für zukünftige Sozialversicherungsbeiträge stelle eine planwidrige Unvollständigkeit und damit eine Lücke der gesetzlichen Regelung dar. Diese Lücke wurde vom Gericht in der Weise geschlossen, dass die Verwirkungsfrist gemäss Art. 16 Abs. 1 AHVG für die Nachforderung von Beiträgen wegen der nachträglichen Entdeckung beitragspflichtigen Einkommens, das in der Steuermeldung wegen einer Rückstellung für künftige Sozialversicherungsbeiträge nicht enthalten war, erst ein Jahr nach Ablauf des Kalenderjahres endet, in dem die Beiträge derjenigen Beitragsperiode rechtskräftig festgesetzt werden, in deren Berechnungsperiode die zurückgestellten Beiträge bezahlt oder verfügt wurden.
Mit Bezug auf den vorliegenden Fall schliesslich legte das Gericht dar, dass das 1990 erzielte, ausserordentlich hohe, Teil der Berechnungsperiode 1989/90 bildende Einkommen, das Grundlage für die Beitragsperiode 1992/93 bildet, durch die Rückstellung zu Unrecht geschmälert wurde. Deshalb seien die Beiträge für die Jahre 1992/93 zu tief ausgefallen, sodass allenfalls eine Nachtragsverfügung für die Beiträge auf dem sich daraus ergebenden zusätzlichen beitragspflichtigen Einkommen der Beschwerdeführerin zu erlassen sein werde. Dies sei so lange möglich, als die Verwirkung nicht eingetreten ist, was ein Jahr nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Prozess H 243/01 rechtskräftig abgeschlossen wird, der Fall wäre.
Auf Grund dieses Urteils hat die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 29. September 2003, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 24. November 2003, ihre frühere Verfügung vom 5. Dezember 1994 in Wiedererwägung gezogen und für die Jahre 1992/93 unter Aufrechnung der Rückstellungen höhere Beiträge festgesetzt. Das kantonale Gericht hat dieses Vorgehen als rechtmässig erachtet. Die Beschwerdeführerin wendet im Wesentlichen ein, rechtskräftige Beitragsverfügungen, die auf Fehlern der Steuerbehörden bei der Ermittlung/Meldung eines korrekt und vollständig deklarierten Einkommens beruhten, seien verbindlich und könnten nicht in Wiedererwägung gezogen werden. Des Weitern seien die Ansprüche der Ausgleichskasse für die Beitragsperiode 1992/93 verjährt. Schliesslich seien die Wiedererwägungsvoraussetzungen nicht gegeben.
6.
6.1 Zunächst ist daran zu erinnern, dass entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin eine Steuermeldung für das Sozialversicherungsgericht insoweit nicht verbindlich ist, als sachliche Umstände gewürdigt werden müssen, die steuerrechtlich belanglos, sozialversicherungsrechtlich aber bedeutsam sind (BGE 110 V 86 Erw. 4 und 370 f., 106 V 130 Erw. 1). Daraus folgt umgekehrt, dass eine Steuermeldung, welche steuerrechtlich, nicht aber für die Belange der AHV-Beitragsfestsetzung zulässige Rückstellungen enthält, in masslicher Hinsicht nicht verbindlich ist. Die wiedererwägungsweise erlassene Nachtragsverfügung der Ausgleichskasse hält sich an die Vorgaben gemäss Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 4. September 2003. Die ursprüngliche Beitragsverfügung vom 5. Dezember 1994 war zweifellos unrichtig, weil das zu Grunde liegende Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit der Jahre 1989/90 insofern nicht vollständig war, als hievon im Hinblick auf die geschuldeten Beiträge steuerrechtlich, nicht aber beitragsrechtlich zulässige Rückstellungen getätigt worden waren, welche in den Beitragsjahren 1992/93 (zusätzlich) als Einkommen zu verabgaben sind. Angesichts der Höhe der verfügten Nachzahlung ist auch die erhebliche Bedeutung der Berichtigung als weitere Wiedererwägungsvoraussetzung klarerweise erfüllt. An der zweifellosen Unrichtigkeit der ursprünglichen Verfügung, welche nicht das vollständige Einkommen erfasste, ändert der Umstand nichts, dass die Rückstellung mit den Steuerbehörden abgesprochen war und die Beitragsverfügung vom 5. Dezember 1994 auf der Steuermeldung beruhte. Denn massgebend für die Annahme zweifelloser Unrichtigkeit ist nicht das Verhältnis zwischen Steuermeldung und dem der Beitragsverfügung zu Grunde liegenden Einkommen, sondern das Verhältnis zwischen dem verabgabten und dem tatsächlich erzielten Einkommen. Ebenso wenig kann die Beschwerdeführerin aus der Tatsache, dass sie ihr Einkommen gegenüber den Steuerbehörden vollständig und korrekt deklariert hat, etwas zu ihren Gunsten ableiten. Die Wiederwägung knüpft nicht an ein schuldhaftes Verhalten der beitragspflichtigen Person an, sondern dient der Korrektur eines nicht mit der gesetzlichen Regelung in Einklang stehenden, zweifellos unrichtigen, formell rechtskräftigen Verwaltungsaktes.
6.2 Mit Bezug auf die Frage der Verwirkung der Nachforderung der auf der nachträglichen Aufrechnung beruhenden Beiträge kann vollumfänglich auf die Erwägungen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts im Urteil vom 4. September 2003 und die diesbezüglichen Darlegungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden keine Argumente vorgetragen, welche eine Abkehr von dieser im erwähnten Urteil begründeten Praxis zu rechtfertigen vermöchten. Insbesondere sind die Voraussetzungen für eine Praxisänderung - eine bessere Erkenntnis der ratio legis, veränderte äussere Verhältnisse oder gewandelte Rechtsanschauungen (BGE 131 V 110 Erw. 3.1 mit Hinweisen) - nicht gegeben.
Die Nachzahlungsverfügung vom 29. September 2003 erging innert der einjährigen Frist seit Erlass des Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 4. September 2003, weshalb die Beiträge für die Periode 1992/93 nicht verwirkt sind. Ebenso geschuldet sind die Verzugszinsen gemäss Verfügung vom 29. September 2003 und Einspracheentscheid vom 24. November 2003. Es wird diesbezüglich auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 10'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 6. April 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: