Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1B_146/2022
Urteil vom 6. April 2022
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichterin Jametti,
Bundesrichter Müller,
Gerichtsschreiberin Dambeck.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft Frauenfeld,
Maurerstrasse 2, 8510 Frauenfeld.
Gegenstand
Untersuchungshaft,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 10. Februar 2022 (SW.2021.148).
Sachverhalt:
A.
Gegen A.________ und B.________ (unbekannten Aufenthalts) wird ein Strafverfahren geführt, namentlich wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen und gewerbsmässigen Diebstahls von Navigationselektronik von Traktoren im Wert von insgesamt über Fr. 100'000.--. A.________ wurde am 26. April 2021 festgenommen und mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 29. April 2021 bis zum 26. Juli 2021 in Untersuchungshaft versetzt. Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau am 31. Mai 2021 ab.
Am 2. Juli 2021 übernahm die Staatsanwaltschaft Frauenfeld das Strafverfahren gegen A.________. Das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau verlängerte die Untersuchungshaft mit Verfügung vom 23. Juli 2021 bis zum 26. Oktober 2021 und mit Verfügung vom 22. Oktober 2021 bis zum 26. Januar 2022. Auf Beschwerde von A.________ hin hob das Obergericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 25. November 2021 die letztgenannte Verfügung auf und wies die Sache wegen ungenügender Begründung des dringenden Tatverdachts zu neuer Entscheidung an das Zwangsmassnahmengericht zurück.
Mit Eingabe an das Zwangsmassnahmengericht vom 7. Dezember 2021 erklärte A.________, er gehe davon aus, dass das Haftverlängerungsgesuch der Staatsanwaltschaft vom 13. Oktober 2021 ausschliesslich als gewöhnliche E-Mail respektive PDF-Datei ohne elektronische Signatur eingereicht worden und daher ungültig sei; darauf sei nicht einzutreten. Mit Verfügung vom 22. Oktober/9. Dezember 2021 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft bis zum 26. Januar 2022.
Diese Verfügung focht A.________ beim Obergericht des Kantons Thurgau an, das die Beschwerde mit Entscheid vom 10. Februar 2022 teilweise guthiess und feststellte, dass das Haftverlängerungsgesuch der Staatsanwaltschaft vom 13. Oktober 2021 formfehlerhaft eingereicht wurde. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. Es wurde keine Verfahrensgebühr erhoben und dem Beschwerdeführer wurde eine Parteientschädigung zugesprochen.
B.
Mit Eingabe vom 18. März 2022 erhebt A.________ Beschwerde an das Bundesgericht und beantragt, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 10. Februar 2022 sei aufzuheben, auf das Haftverlängerungsgesuch vom 13. Oktober 2021 sei nicht einzutreten und er sei unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eventualiter sei das Haftverlängerungsgesuch abzuweisen und er sei unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen, subeventualiter sei er unter Anordnung von Ersatzmassnahmen unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
Das Obergericht des Kantons Thurgau verzichtet auf eine Vernehmlassung und beantragt unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werde. Die Staatsanwaltschaft Thurgau beantragt in ihrer Vernehmlassung ebenfalls die Abweisung der Beschwerde.
C.
Der Beschwerdeführer ersucht mit Eingabe vom 22. März 2022 um unentgeltliche Rechtspflege. Am 1. April 2022 hat er eine Stellungnahme eingereicht.
Erwägungen:
1.
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Verlängerung der Untersuchungshaft. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich nach wie vor in Haft. Er hat folglich ein aktuelles, rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und ist somit gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
1.2. Mit der Beschwerde in Strafsachen kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf Rechtsverletzungen hin, welche die beschwerdeführende Person vorbringt und begründet (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Erhöhte Anforderungen an die Begründung gelten, soweit die Verletzung namentlich von Grundrechten gerügt wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 1 E. 1.4; 142 I 99 E. 1.7.2; 139 I 229 E. 2.2). In der Beschwerde ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 147 I 47 E. 3.1; 139 I 229 E. 2.2).
2.
Der Beschwerdeführer rügt im Verfahren vor Bundesgericht einzig, das Haftverlängerungsgesuch der Staatsanwaltschaft vom 13. Oktober 2021 sei ungültig, da es nur mit einfacher E-Mail eingereicht worden sei. Das Zwangsmassnahmengericht hätte darauf nicht eintreten dürfen.
2.1. Gemäss Art. 227 StPO kann die Staatsanwaltschaft ein Haftverlängerungsgesuch stellen, wenn die vom Zwangsmassnahmengericht festgesetzte Dauer der Untersuchungshaft abläuft (Abs. 1 Satz 1). Die Staatsanwaltschaft reicht dem Zwangsmassnahmengericht das schriftliche und begründete Gesuch spätestens vier Tage vor Ablauf der Haftdauer ein und legt ihm die wesentlichen Akten bei (Abs. 2).
Schriftliche Eingaben sind zu datieren und zu unterzeichnen (Art. 110 Abs. 1 Satz 2 StPO). Bei elektronischer Einreichung muss die Eingabe mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden (Art. 110 Abs. 2 StPO).
2.2.
2.2.1. Dem angefochtenen Entscheid ist zu entnehmen, die Staatsanwaltschaft habe im Beschwerdeverfahren ausdrücklich bestätigt, der strittige Haftverlängerungsantrag sei mit E-Mail eingereicht (und gleichentags vom Zwangsmassnahmengericht bestätigt) worden. Dies ergebe sich im Übrigen auch aus den Akten. Das Zwangsmassnahmengericht und die Staatsanwaltschaft begründeten ihre Praxis der Übermittlung von Gesuchen per E-Mail mit Pragmatismus, Prozessökonomie und den Interessen der beschuldigten Person.
Die Vorinstanz erwog, das Bundesgericht habe sich mit Urteil 1B_160/2013 vom 17. Mai 2013 E. 2 mit der Frage befasst, ob ein mit einer einfachen E-Mail beim Zwangsmassnahmengericht eingereichter Haftantrag den gesetzlichen Vorgaben genüge und dies verneint. Gleich sei im Verfahren betreffend Haftverlängerung zu entscheiden, denn auch dort habe die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht gestützt auf Art. 227 Abs. 2 StPO ein schriftliches und begründetes Gesuch einzureichen. Zudem sei im Haftverlängerungsverfahren die Frist länger bemessen als im Haftanordnungsverfahren, weshalb es sich hier noch weniger rechtfertige, auf die gesetzlich vorgeschriebenen Formvorschriften zu verzichten. Für die (offenbar bestehende) Praxis des Zwangsmassnahmengerichts und der Staatsanwaltschaft, Haftanträge und Haftverlängerungsanträge nur mit einfacher E-Mail zu stellen, ohne eine schriftliche Eingabe nachzureichen, bestehe kein Spielraum. Die Beschwerde erweise sich damit in diesem Punkt als begründet.
2.2.2. Soweit sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde mit der Unrechtmässigkeit der Einreichung des Haftverlängerungsgesuchs auseinandersetzt, ist darauf nicht einzugehen. Er ist insoweit nicht beschwert. Es darf als selbstverständlich vorausgesetzt werden, dass sich das Zwangsmassnahmengericht und die Staatsanwaltschaft künftig an die Erwägungen der Vorinstanz halten (vgl. Urteil 1B_87/2013 vom 10. April 2013 E. 4.2).
2.3.
2.3.1. Weiter erwog die Vorinstanz, aus der unzulässigen Einreichung des Haftverlängerungsgesuchs mit einfacher elektronischer Post folge nicht, dass der Beschwerdeführer deswegen ohne weiteres aus der Untersuchungshaft zu entlassen sei. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung führten Unregelmässigkeiten im Untersuchungshaftverfahren nicht zu einer sofortigen Freilassung der beschuldigten Person, sofern die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft im Übrigen erfüllt seien. Sei dies der Fall, könne die Verletzung von Art. 224 Abs. 2 StPO durch eine Feststellung, eine teilweise Gutheissung der Beschwerde in diesem Punkt und die Auferlegung der Gerichtskosten an den Staat behoben werden. Gleiches gelte für die Verletzung von Art. 227 Abs. 2 StPO, da das Gesetz diesbezüglich keine Unterschiede mache.
In Dispositiv-Ziffer 2.a) des angefochtenen Entscheids hielt die Vorinstanz dementsprechend fest: "Die Beschwerde wird teilweise geschützt, und es wird festgestellt, dass das Haftverlängerungsgesuch der Staatsanwaltschaft vom 13. Oktober 2021 formfehlerhaft eingereicht wurde." Ausserdem verzichtete sie auf die Erhebung einer Verfahrensgebühr.
2.3.2. Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung sind diese Erwägungen der Vorinstanz nicht zu beanstanden. Rechtsprechungsgemäss fällt die Haftentlassung wegen derartiger Verfahrensmängel ausser Betracht, wenn die materiellen Haftvoraussetzungen gegeben sind (vgl. zu Letzterem unten E. 3; BGE 142 IV 245 E. 4.1; 139 IV 41 E. 2.2 und 3.4; 137 IV 118 E. 2.2; Urteile 1B_290/2021 vom 15. Juli 2021 E. 3 [Verlängerung der Sicherheitshaft durch die Verfahrensleitung der Beschwerdekammer statt des Berufungsgerichts]; 1B_236/2021 vom 1. Juni 2021 E. 2.3 [Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör]; 1B_138/2021 vom 9. April 2021 E. 2.3 [Übertretung der 96-Stundenfrist gemäss Art. 224 Abs. 2 und Art. 226 Abs. 1 StPO ]; 1B_160/2013 vom 17. Mai 2013 E. 2.1 [Einreichung des Haftantrags durch die Staatsanwaltschaft per E-Mail]; 1B_87/2013 vom 10. April 2013 E. 4.2 [Verletzung von Formvorschriften im Haftverlängerungsverfahren]; 1B_94/2010 vom 22. Juli 2010 [verspätete Einreichung des Haftverlängerungsgesuchs gemäss damaliger Thurgauer Strafprozessordnung]; je mit Hinweisen). Die Prüfung möglicher Folgen der festgestellten Verletzung, z.B. eine Entschädigung gemäss Art. 431 StPO oder gegebenenfalls eine Strafmilderung, hat sodann nicht im vorliegenden Verfahren zu erfolgen (BGE 141 IV 349 E. 2.1; 139 IV 94 E. 3.4; Urteile 1B_284/2021 vom 28. Juli 2021 E. 2.2.5; 1B_290/2021 vom 15. Juli 2021 E. 4; je mit Hinweisen).
Dass die Staatsanwaltschaft das Haftverlängerungsgesuch vorliegend - und im Unterschied zum von der Vorinstanz herangezogenen Fall gemäss Urteil 1B_160/2013 vom 17. Mai 2013 - nicht in Schriftform nachgereicht hat, stellt weder eine falsche Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz dar noch ist dies hier entscheidrelevant: Sowohl in jenem wie in diesem Fall hat das jeweilige Zwangsmassnahmengericht entschieden, ohne dass ihm ein schriftliches Haftverlängerungsgesuch vorgelegen hätte. In ihrer Vernehmlassung an das Bundesgericht führt die Staatsanwaltschaft sodann aus, dass seitens der Staatsanwaltschaft Frauenfeld am 19. Januar 2022 erneut ein Haftverlängerungsgesuch gestellt worden sei und dass dieses schriftlich und per Post an das Zwangsmassnahmengericht übermittelt worden sei.
Auch aus den übrigen Rügen des Beschwerdeführers - soweit diese überhaupt rechtsgenüglich geltend gemacht werden (vgl. oben E. 1.2) - ergibt sich nicht, dass vorliegend in Abweichung der oben dargelegten bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu entscheiden wäre. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der geltend gemachten Verletzung des Gebots eines fairen Verfahrens, weil auf eine von einer rechtsuchenden Person mit einfacher E-Mail eingereichte Eingabe gar nicht erst eingetreten worden wäre. Der Beschwerdeführer übersieht dabei, dass es sich bei Art. 227 Abs. 2 StPO um eine Ordnungsvorschrift handelt, deren primärer Zweck es ist, der Haftprüfungsinstanz ausreichend Zeit zur Prüfung des Haftverlängerungsgesuchs einzuräumen (vgl. Urteile 1B_490/2016 vom 24. Januar 2017 E. 3; 1B_656/2011 vom 19. Dezember 2011 E. 3.3; 1B_94/2010 vom 22. Juli 2010 E. 3.3), und deren Verletzung nicht automatisch die Ungültigkeit des Haftverlängerungsgesuchs zur Folge hat.
3.
Untersuchungshaft ist gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist (allgemeiner Haftgrund) und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Fluchtgefahr; lit. a), Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (Kollusionsgefahr; lit. b) oder durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Wiederholungsgefahr; lit. c). Überdies muss die Haft verhältnismässig sein (vgl. Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 BV , Art. 197 Abs. 1 lit. c und d sowie Art. 212 Abs. 2 lit. c StPO). Das zuständige Gericht ordnet an Stelle der Untersuchungshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 237 Abs. 1 StPO).
Die Vorinstanz erachtete sowohl den dringenden Tatverdacht als auch die Haftgründe der Kollusions- und der Fluchtgefahr sowie die Verhältnismässigkeit der Haftverlängerung als gegeben. Dass die Vorinstanz damit gegen Bundesrecht verstossen hätte, wird weder vom Beschwerdeführer geltend gemacht noch ist dies ersichtlich. Die materiellen Haftvoraussetzungen sind damit gegeben (vgl. oben E. 2.3.2).
4.
Nach diesen Erwägungen ist die Beschwerde abzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens würde der Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er stellt indes ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen und der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer von der Bezahlung der Gerichtskosten befreit werden (Art. 64 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Frauenfeld und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. April 2022
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kneubühler
Die Gerichtsschreiberin: Dambeck