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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 568/02 
 
Urteil vom 6. Mai 2003 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Grunder 
 
Parteien 
M.________, 1947, Beschwerdeführer, vertreten 
durch Fürsprecher Friedrich Kramer, Bubenbergplatz 9, 3011 Bern, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
(Entscheid vom 24. Juli 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1947 geborene M.________ leidet an einem chronischen Lumbovertebralsyndrom (ICD-10: M54.5), einem chronischen cervicovertebralem Schmerzsyndrom (ICD-10: M53.0), Narbenbeschwerden nach Operation der Abdominalwand, einer Adipositas permagna, Status mit dauernder Antikoagulation bei rezidivierenden Beinvenenthrombosen und als Folge eines Unfalles vom 17. September 1996 (Trümmerfraktur des linken Unterarmes) an einem belastungsabhängig schmerzhaften und in der Funktionsfähigkeit beeinträchtigten linken Arm (bzw. linken Hand). Auf Grund dieser multiplen somatischen Beschwerden sprach ihm die Invalidenversicherung eine ganze Invalidenrente zu. Am 4. Juli 2001 meldete er sich zum Bezug einer Hilflosenentschädigung an. Nach Einholung eines Abklärungsberichts (vom 21. August 2001) lehnte die IV-Stelle Bern mit Verfügung vom 1. Oktober 2001 das Leistungsgesuch ab, weil der Versicherte lediglich in einer Lebensverrichtung hilflos sei. 
B. 
Die dagegen eingereichte Beschwerde, mit welcher M.________ die Zusprechung einer Hilflosenentschädigung hatte beantragen lassen, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 24. Juli 2002 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern. Gleichzeitig ersucht er um unentgeltliche Verbeiständung. 
 
Die IV-Stelle Bern schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Nach ständiger Rechtsprechung beurteilt das Sozialversicherungsgericht die Gesetzmässigkeit der angefochtenen Verfügungen in der Regel nach dem Sachverhalt, der zur Zeit des Verfügungserlasses gegeben war (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen). Daher können die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemachte Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers, die sich nach Erlass der Verwaltungsverfügung entwickelt haben soll, und die letztinstanzlich aufgelegten ärztlichen Berichte des Spitals X.________ vom 27. Mai 2002 und des Reha Zentrums Y.________ vom 5. Juni 2002 nicht berücksichtigt werden. 
2. 
2.1 Das kantonale Gericht hat die massgebenden Bestimmungen über den Anspruch auf Hilflosenentschädigung (Art. 42 Abs. 1 IVG), den Begriff der Hilflosigkeit (Art. 42 Abs. 2 IVG), die für die Höhe der Entschädigung wesentliche Unterscheidung der drei Hilflosigkeitsgrade (Art. 42 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 36 IVV) und die nach der Rechtsprechung bei deren Bestimmung massgebenden sechs alltäglichen Lebensverrichtungen (BGE 121 V 90 Erw. 3a mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig ist auch, dass nach Art. 36 Abs. 3 IVV eine Hilflosigkeit leichten Grades sodann vorliegen kann, wenn der Versicherte einer dauernden persönlichen Überwachung bedarf (lit. b) oder einer durch das Gebrechen bedingten ständigen und besonders aufwendigen Pflege bedarf (lit. c) oder wegen einer schweren Sinnesschädigung oder eines schweren körperlichen Gebrechens nur dank regelmässiger und erheblicher Dienstleistungen Dritter gesellschaftliche Kontakte pflegen kann (lit. d). 
2.2 Die in Art. 69 Abs. 2 IVV vorgesehene Abklärung an Ort und Stelle ist die geeignete Vorkehr für die Feststellung der Hilflosigkeit und die Ermittlung des Anspruchs auf Hilflosenentschädigung. Für den Beweiswert eines entsprechenden Berichtes sind - analog zur Rechtsprechung zur Beweiskraft von Arztberichten gemäss BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis - verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Es ist wesentlich, dass der Bericht von einer qualifizierten Person verfasst wird, welche Kenntnis der örtlichen und räumlichen Verhältnisse sowie der aus den medizinischen Diagnosen sich ergebenden Beeinträchtigungen und Behinderungen hat. Weiter sind die Angaben der Versicherten zu berücksichtigen, wobei divergierende Meinungen der Beteiligten im Bericht aufzuzeigen sind. Der Berichtstext schliesslich muss plausibel, begründet und detailliert bezüglich der einzelnen Einschränkungen sein und in Übereinstimmung mit den an Ort und Stelle erhobenen Angaben stehen. Trifft all dies zu, ist der Abklärungsbericht voll beweiskräftig. Das Gericht greift, sofern der Bericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage im eben umschriebenen Sinne darstellt, in das Ermessen der die Abklärung tätigenden Person nur ein, wenn klar feststellbare Fehleinschätzungen oder Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Abklärungsresultate vorliegen. Das gebietet insbesondere der Umstand, dass die fachlich kompetente Abklärungsperson näher am konkreten Sachverhalt ist als das im Beschwerdefall zuständige Gericht. Es besteht an sich keine strikte Verpflichtung, die an Ort und Stelle erfassten Angaben der versicherten Person (oder ihrem gesetzlichen Vertreter) zur Durchsicht und Bestätigung vorzulegen. Nach Art. 73bis Abs. 1 IVV genügt es, wenn ihr im Rahmen des Anhörungsverfahrens das volle Akteneinsichtsrecht gewährt und ihr Gelegenheit gegeben wird, sich zu den Ergebnissen der Abklärung zu äussern (in BGE 129 V noch nicht veröffentlichtes Urteil S. vom 30. Dezember 2002, I 90/02, BGE 128 V 93; Urteil S. vom 4. September 2001, I 175/01). 
2.3 Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 1. Oktober 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). 
3. 
Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer beim An- und Auskleiden, insbesondere beim Anlegen der wegen der Thrombosegefahr notwendigen Kompressionsstrümpfe und des Bauchmieders, hilfsbedürftig ist. Zu prüfen ist, wie es sich mit den anderen fünf Lebensverrichtungen verhält bzw. ob eine der Voraussetzungen von Art. 36 Abs. 3 lit. b IVV für den Anspruch auf Hilfosenentschädigung (leichten Grades) vorliege. 
3.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, wegen der Gebrauchsunfähigkeit des linken Armes sowie der Schmerzen in Nacken, Rücken und Bauchfell sei er nicht mehr in der Lage, sich ohne Dritthilfe zu bücken, hinzusetzen, aufzustehen. Aus den gleichen Gründen sei er auch bei der Verrichtung der Notdurft und der Körperpflege erheblich eingeschränkt. Sodann vermöge er die Speisen nicht mehr eigenhändig zu zerkleinern. Zudem könne er sich wegen der Thrombosen in den Beinen nur mehr schleppend fortbewegen, weshalb er auch in der sechsten Lebensverrichtung (Fortbewegen/Kontaktaufnahme) hilflos sei. Schliesslich bedürfe er wegen der akuten Thrombosegefahr in den Beinen der dauernden Überwachung und Pflege durch Drittpersonen. 
3.2 Diese Einwände stehen in deutlichem Widerspruch zu den Angaben im Abklärungsbericht vom 4. Juli 2001, worin festgehalten wird, dass der Versicherte in den Lebensverrichtungen Aufstehen/Absitzen/Abliegen und Essen selbstständig sei. Hinsichtlich der Körperpflege sei er beim Duschen wegen des linken Armes eingeschränkt, es sei ihm aber zumutbar, einen Lappenhalter zu installieren, sodass er sich ohne Hilfe waschen könne. Beim Verrichten der Notdurft sei die Selbständigkeit durch geeignete Hilfsmittel (Haltestangen, Closomat) wieder zu erreichen. Keine Einschränkung bestehe in der Lebensverrichtung Fortbewegung und Kontaktaufnahme, weil der Versicherte in der Lage sei, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. 
3.3 Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass die Feststellungen der Bericht erstattenden Sachbearbeiterin der IV-Stelle zutreffen. Sie stimmen mit den Angaben des Beschwerdeführers im Leistungsgesuch vom 4. Juli 2001 vollumfänglich überein. Zudem hat der Versicherte weder anlässlich der Erhebungen an Ort und Stelle noch im nachfolgenden Vorbescheidverfahren irgendwelche Einwände erhoben. Nachdem das Leistungsgesuch von Dr. med. B.________, Spezialarzt FMH für Innere Medizin, im Beisein des Beschwerdeführers erstellt worden ist, ist auf die beantragte Einholung einer weiteren Stellungnahme dieses Arztes zu verzichten. Damit ist dem Abklärungsbericht in Einklang mit der Rechtsprechung (siehe Erw. 2.2) volle Beweiskraft zuzuerkennen. Auch hinsichtlich der Schlussfolgerungen und Einschätzungen lässt sich der Bericht nicht beanstanden. Das Vorbringen, der Beschwerdeführer bedürfe beim Duschen und der Verrichtung der Notdurft der Hilfe seiner Ehefrau, begründet keine Hilflosigkeit in diesen beiden Lebensverrichtungen. Wie die Sachbearbeiterin der IV-Stelle zutreffend darlegt, ist es dem Versicherten - in Anwendung der Schadenminderungspflicht, welche auch für die Beschaffung von Hilfsmitteln gilt (vgl. Ulrich Meyer-Blaser, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, Zürich 1997, S. 271 mit Hnweisen) - zumutbar, durch Installation eines Lappenhalters bzw. von Haltestangen und Einrichtung eines Closomats seine Selbstständigkeit vollständig wiederzuerlangen. Sodann ist nicht einzusehen, inwiefern der Beschwerdeführer der dauernden Überwachung bedürfte. Die Gefahr eines Thromboserezidivs ist keineswegs akut, wie geltend gemacht wird, solange der Versicherte die Antikoagulanzien gemäss ärztlicher Verordnung einnimmt und die Stützstrümpfe trägt. Ebenso wenig liegt eine Pflegebedürftigkeit vor, nachdem richtigerweise die Abklärungsperson die Hilfe der Ehefrau beim Anziehen der Stützstrümpfe bei der ersten Lebensverrichtung, in welcher unbestrittenermassen eine Hilflosigkeit vorliegt, berücksichtigt hat. 
4. 
Dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung kann stattgegeben werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Fürsprecher Friedrich Kramer, Bern, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 6. Mai 2003 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: