Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_964/2012
Urteil vom 6. Mai 2013
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.
Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt und Notar Claude Wyssmann,
Beschwerdeführerin,
gegen
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Amthaus 1, 4500 Solothurn,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen die Verfügung des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 19. Oktober 2012.
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügungen vom 23. Juli und 13. September 2012 sprach die IV-Stelle des Kantons Solothurn S.________ berufliche Massnahmen zu und setzte das Taggeld für die Periode vom 11. Juni bis 9. September 2012 auf Fr. 52.80 pro Tag und für die Periode vom 10. September bis 9. Dezember 2012 auf Fr. 105.60 pro Tag fest. Gegen die beiden Verfügungen liess S.________ Beschwerde einreichen und betraglich höhere Taggelder sowie die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung beantragen.
B.
Mit Verfügung vom 19. Oktober 2012, unterzeichnet vom Gerichtsschreiber, drohte der Vizepräsident des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn der Beschwerdeführerin die reformatio in peius an und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme sowie zum Rückzug der Beschwerde (Dispositiv Ziffer 5) und ordnete an, dass über die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege "mit Blick auf die Frage der Aussichtslosigkeit" nach Eingang der Stellungnahme zur reformatio in peius entschieden werde (Ziffer 6 des Dispositivs).
C.
S.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, es sei die Nichtigkeit der Verfügung vom 19. Oktober 2012 festzustellen und das kantonale Gericht anzuweisen, umgehend und vor der Androhung der reformatio in peius einen Entscheid über das pendente Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und -Verbeiständung zu fällen. Ferner sei ihr für das letztinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu gewähren.
Erwägungen:
1.
1.1 Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zulässig gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Endentscheide; Art. 90 BGG). Gegen einen Zwischenentscheid (BGE 133 V 477 S. 481 f. E. 4.2 und 5.1) ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur zulässig, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Ein Zwischenentscheid bleibt im Rahmen einer Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, sofern er sich auf dessen Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG). Vor- und Zwischenentscheide sind Entscheide, die das Verfahren nicht abschliessen (Art. 90 BGG e contrario), sondern bloss eine formell- oder materiellrechtliche Frage im Hinblick auf die Verfahrenserledigung regeln, mithin einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid darstellen. Für die verfahrensrechtliche Qualifizierung eines angefochtenen Erkenntnisses unter dem Gesichtspunkt der Art. 90 ff. BGG ist nicht dessen Bezeichnung entscheidend, sondern sein Inhalt (Urteil 9C_392/2012 vom 17. Dezember 2012 E. 2.3).
1.2 Nach Art. 61 lit. d ATSG ist das Versicherungsgericht an die Begehren der Parteien nicht gebunden. Es kann eine Verfügung oder einen Einspracheentscheid zu Ungunsten der beschwerdeführenden Person ändern oder dieser mehr zusprechen, als sie verlangt hat, wobei den Parteien vorher Gelegenheit zur Stellungnahme sowie zum Rückzug der Beschwerde zu geben ist. Geht ein kantonales Gericht im Sinne dieser Bestimmung vor und weist es eine Partei auf eine drohende reformatio in peius hin, so handelt es sich nicht um einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG. Mit der angefochtenen instruktionsrichterlichen Massnahme wurde der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör gewährt, und sie wurde auf die Möglichkeit des Rückzugs der Beschwerde hingewiesen, bevor das Kollegialgericht in der Sache entscheidet, weshalb die Androhung als solche auch keinen nicht wieder gut zu machenden Nachteil bewirken kann. Die in der angefochtenen Ziffer 5 des Dispositivs angeordnete instruktionsrichterliche Massnahme ist in Nachachtung von Art. 61 lit. d ATSG erfolgt und enthält einzig das in dieser Vorschrift vorgeschriebene Vorgehen. Aus diesem Grund ist auf die Beschwerde, soweit sie sich gegen Ziffer 5 des Dispositivs der Verfügung vom 19. Oktober 2012 richtet, nicht einzutreten.
2.
2.1 Gemäss Art. 61 ATSG richtet sich das Verfahren vor den kantonalen Versicherungsgerichten unter Vorbehalt von Art. 1 Abs. 3 VwVG sowie den in Art. 61 ATSG enthaltenen Minimalanforderungen nach kantonalem Recht. Weder die in Art. 1 Abs. 3 VwVG für das kantonale Verfahren als massgebend bezeichneten Artikel des VwVG noch Art. 61 ATSG enthalten Bestimmungen über die Unterschrift kantonaler Entscheide. Diese Frage beurteilt sich somit nach kantonalem Recht (Urteil I 252 /06 vom 14. Juli 2006 [SVR 2007 IV Nr. 19 S. 68]; Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Auflage, 2009, N. 130 zu Art. 61).
2.2 Wie sich aus dem Rubrum der angefochtenen Verfügung ergibt, ist diese vom Vizepräsidenten als Instruktionsrichter getroffen und einzig vom Gerichtsschreiber unterzeichnet worden. Dieses Vorgehen ist zulässig, wenn Entscheide, die keine Sachentscheide darstellen, lediglich vom Gerichtsschreiber, welcher in diesem Zusammenhang die Funktion einer Urkundsperson hat, unterzeichnet werden. In der Beschwerde wird keine kantonale Bestimmung angeführt, wonach instruktionsrichterliche Massnahmen in bestimmten Fällen durch das Kollegialgericht zu entscheiden sind, und es wird auch keine kantonale Bestimmung angeführt, wonach verfahrensleitende Verfügungen durch den Instruktionsrichter zu unterzeichnen sind und nicht nur durch den Gerichtsschreiber. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf § 53 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation (GOG, BGS 125.12) beruft, wonach das kantonale Versicherungsgericht seine Entscheide grundsätzlich in Dreierbesetzung fällt, so lässt sich daraus nicht ableiten, dass auch instruktionsrichterliche Massnahmen vom Kollegialgericht zu treffen sind. Vielmehr ist es allgemein üblich, dass das referierende Gerichtsmitglied zuständig ist für Instruktionsmassnahmen. Dies gilt auch für das in Art. 61 lit. d ATSG vorgeschriebene Vorgehen im Falle einer reformatio in peius. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin geht es bei der Androhung der reformatio in peius auch nicht um einen Entscheid mit weitreichenden Konsequenzen. Das Vorgehen dient einzig der Gewährung des rechtlichen Gehörs und bindet das in der Sache entscheidende Kollegialgericht in keiner Weise. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die angefochtene Verfügung nichtig ist. Aus Art. 30 Abs. 1 BV und aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergibt sich nicht etwas Anderes.
3.
Gemäss Art. 61 lit. f ATSG muss das Recht, sich verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein. Wo die Verhältnisse es rechtfertigen, wird der beschwerdeführenden Person ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt. Zum Zeitpunkt, in welchem das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu entscheiden ist, äussert sich das Gesetz nicht. Die diesbezüglichen Einzelheiten werden vielmehr dem kantonalen Verfahrensrecht überlassen (vgl. auch Art. 65 VwVG). In der Beschwerde wird nicht gerügt, die Vorinstanz habe kantonales Recht verletzt. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf Art. 29 Abs. 1 und 3 BV beruft, geht ihre Argumentation fehl. Es gibt keine bundesrechtliche Verpflichtung, über das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung vor der Stellungnahme zur reformatio in peius zu entscheiden. Im Zuwarten mit dem Entscheid bis nach der Stellungnahme kann auch keine Rechtsverzögerung oder Rechtsverweigerung erblickt werden. Es gibt durchaus sachliche Gründe, die Frage der Aussichtslosigkeit der Beschwerde und damit über das Gesuch erst nach Eingang der Stellungnahme zu entscheiden. Mit der Beschwerdeerhebung hat der Rechtsbeistand einen grossen Teil seines Aufwands bereits betrieben und die Verfahrensakten sind ihm bekannt. Die mit der Stellungnahme zur angedrohten reformatio in peius verbundenen Aufwendungen dürften sich in der Regel in überblickbarem Rahmen halten, weshalb aus dieser Sicht grundsätzlich kein Anlass besteht, über das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung vor Abschluss des Instruktionsverfahrens zu entscheiden.
4.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG), nachdem ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mit Verfügung vom 18. Februar 2013 abgewiesen worden war.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 6. Mai 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kernen
Der Gerichtsschreiber: Nussbaumer