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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_578/2023  
 
 
Urteil vom 6. Mai 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Métral, 
Gerichtsschreiber Walther. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Hueber, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, 
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 3. August 2023 (200 23 476 IV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1982 geborene und zuletzt als Kontrolleur beim C.________ tätig gewesene A.________ meldete sich am 2. Februar 2018 unter Hinweis auf Magendarmprobleme und weitere gesundheitliche Beschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern (fortan: IV-Stelle) tätigte in der Folge erwerbliche und medizinische Abklärungen, gewährte dem Versicherten Eingliederungsmassnahmen und veranlasste eine polydisziplinäre Begutachtung durch die Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) Zentrum für Medizinische Begutachtung, Basel (im Folgenden: ZMB). Gestützt auf das Gutachten vom 20. April 2022 und die ergänzende Stellungnahme der Gutachter vom 6. Dezember 2022 verneinte sie mit Verfügung vom 23. Mai 2023 mangels eines Gesundheitsschadens mit invalidisierender Wirkung den Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung. 
 
B.  
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern ab (Urteil vom 3. August 2023). 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des kantonalen Urteils seien ihm die ihm zustehenden gesetzlichen Versicherungsleistungen nach IVG, namentlich eine ganze Rente zuzusprechen. Eventualiter seien die Akten zur Neubeurteilung und zur Durchführung eines Obergutachtens an die Vorinstanz, subeventualiter zur Vornahme weiterer Abklärungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. 
Das Bundesgericht holt die vorinstanzlichen Akten ein. Einen Schriftenwechsel führt es nicht durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 148 V 209 E. 2.2 mit Hinweis).  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung; in diese greift das Bundesgericht auf Beschwerde hin nur bei Willkür ein (siehe zum Willkürbegriff: BGE 147 V 194 E. 6.3.1), insbesondere wenn die Vorinstanz offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche grundlos ausser Acht lässt. Solche Mängel sind in der Beschwerde auf Grund des strengen Rügeprinzips (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) klar und detailliert aufzuzeigen (BGE 148 V 366 E. 3.3; 144 V 50 E. 4.2 mit Hinweisen). 
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie in Bestätigung der Verfügung der IV-Stelle vom 23. Mai 2023 den Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente verneinte. 
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze des hier anwendbaren Rechts, d.h. der Bestimmungen des IVG sowie der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung (vgl. zum Ganzen BGE 148 V 174 E. 4.1) richtig dargelegt. Dies gilt namentlich für die Begriffe der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG) und der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 Abs. 1 ATSG) sowie für die Ausführungen zum strukturierten Beweisverfahren bei psychischen Erkrankungen (BGE 143 V 418). Darauf kann ebenso verwiesen werden wie auf die vorinstanzlichen Ausführungen zur freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) und zu den beweisrechtlichen Anforderungen an Arztberichte im Allgemeinen (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a).  
 
3.2. Hervorzuheben ist, dass das Gericht den von Versicherungsträgern im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholten, den Anforderungen der Rechtsprechung genügenden Gutachten externer Spezialärzte vollen Beweiswert zuerkennen darf, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4; 135 V 465 E. 4.4).  
 
4.  
Die Vorinstanz stützte sich in medizinischer Hinsicht auf das Gutachten des ZMB vom 20. April 2022 (inkl. ergänzender Stellungnahme vom 6. Dezember 2022). Gemäss diesem Gutachten bestehen als Diagnosen mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit eine Somatisierungsstörung mit zwanghafter Persönlichkeitsstruktur und eine Mehlstauballergie. Die übrigen diagnostizierten Gesundheitsbeeinträchtigungen, darunter etwa Kopfschmerzen vom Spannungstyp, hätten dagegen keinen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit. Sowohl in der bisherigen als auch in einer leidensangepassten Tätigkeit sei der Beschwerdeführer aus psychiatrischer Sicht zu 70 % arbeitsfähig. Die Vorinstanz sprach dem Gutachten Beweiswert zu, weshalb sich weitere medizinische Sachverhaltserhebungen erübrigten. Im Rahmen der Indikatorenprüfung gemäss BGE 141 V 281 kam sie im Weiteren jedoch zum Schluss, dass der aus psychiatrischer Sicht geschätzten Arbeitsunfähigkeit von 30 % aus rechtlicher Sicht nicht gefolgt werden könne, da es für die Annahme einer rechtlich relevanten psychischen Funktionseinbusse an einem stimmigen Gesamtbild fehle und daher das Vorliegen eines invalidisierenden psychischen Gesundheitsschadens zu verneinen sei. Weil sich die Mehlstauballergie bei der letzten Tätigkeit als Kontrolleur und bei leidensangepassten Tätigkeiten nicht auswirke, fehle es auch diesbezüglich an einem invalidisierenden Gesundheitsschaden. Die IV-Stelle habe das Leistungsbegehren somit zu Recht abgewiesen. 
 
5.  
Der Beschwerdeführer bestreitet auch in letzter Instanz den Beweiswert des Gutachtens des ZMB und macht im Wesentlichen geltend, die Gutachter hätten die Diagnose einer myalgischen Enzephalomyelitis bzw. eines Chronic fatigue syndrome (ICD-10 G93.3; fortan: ME/CFS) stellen müssen. Das kantonale Gericht habe Bundesrecht verletzt, indem es sich dennoch auf das nicht schlüssige Gutachten abgestellt habe. Auch sei es nicht auf seine Einwände eingegangen und habe damit seinen Gehörsanspruch verletzt. 
 
5.1.  
 
5.1.1. Hinsichtlich der verschiedenen formellen Rügen einer Gehörsverletzung ist darauf hinzuweisen, dass die aus Art. 29 Abs. 2 BV folgende Verpflichtung des Gerichts, seinen Entscheid zu begründen, nicht bedeutet, dass es sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen widerlegen muss. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und in voller Kenntnis der Sache ein Rechtsmittel ergreifen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 148 III 30 E. 3.1 mit Hinweisen).  
 
5.1.2. Das kantonale Gericht legte in seinem Urteil ausführlich dar, weshalb es dem Gutachten des ZMB (inkl. ergänzender Stellungnahme) trotz der abweichenden Diagnosestellung im Bericht des Spitals B.________ vom 16. August 2022 Beweiswert zuerkannte. Inwiefern dem Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund eine sachgerechte Anfechtung des vorinstanzlichen Urteils nicht möglich gewesen sein soll, legt er nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wurde nicht verletzt.  
 
5.2. Auch in materieller Hinsicht sind die Vorbringen des Beschwerdeführers unbegründet:  
 
5.2.1. Wie bereits die Vorinstanz festhielt, erörterte der psychiatrische Gutachter mit Blick auf die verschiedenen und wechselnden körperlichen Symptome, die nicht vorwiegend vegetativ seien und auch nicht ausreichend durch eine körperliche Ursache erklärt werden könnten, verschiedene Diagnosen, darunter ein CFS, eine Persönlichkeitsstörung, eine Panikstörung, eine Somatisierungsstörung und eine Neurasthenie. Unter Berücksichtigung der medizinischen Vorakten und der Schilderungen des Beschwerdeführers gelangte er zu dem Ergebnis, dass im Längsverlauf am meisten Hinweise auf eine Somatisierungsstörung vorlägen und deren Kriterien erfüllt seien. Hinsichtlich des vom Beschwerdeführer im Rahmen der Begutachtung primär geltend gemachten CFS stellte der Gutachter unter anderem fest, dass sich der Beschwerdeführer umfassend über das Krankheitsbild informiert habe und eine gewisse Identifizierung mit dieser Erkrankung zeige; gleichzeitig verweise er auch auf eine Long-Covid-Symptomatik. Letztlich konnte der Sachverständige die Diagnose eines CFS mangels Hinweisen auf eine Erschöpfung und Ermüdung des Beschwerdeführers während der Exploration jedoch nicht bestätigen.  
Soweit die Vorinstanz die Beurteilung als schlüssig und überzeugend einstufte, erscheint dies angesichts des Umstands, dass bei keiner der Begutachtungen, einschliesslich einer fast dreieinhalbstündigen neuropsychologischen Untersuchung Erschöpfungssymptome festgestellt wurden und auch von den behandelnden Ärzten seit 2017 regelmässig eine Somatisierungsstörung diagnostiziert wurde, nicht willkürlich. 
 
5.2.2. Der Beschwerdeführer verweist letztinstanzlich erneut darauf, dass im Bericht des Spitals B.________ vom 16. August 2022 die Diagnose ME/CFS gestellt worden sei. Aus diesem Bericht geht indes nicht hervor, ob den behandelnden Ärzten das Gutachten des ZMB bekannt war; jedenfalls nahmen sie nicht darauf Bezug. Unabhängig davon vermag der Beschwerdeführer auch nicht aufzuzeigen, dass der Bericht relevante, nicht nur der subjektiven Interpretation der behandelnden Ärzte entspringende Aspekte enthält, die den Gutachtern entgangen sein könnten (vgl. SVR 2017 IV Nr. 7 S. 19, 9C_793/2015 E. 4.1; nicht publ. E. 6.2 des Urteils BGE 142 V 342, veröffentlicht in SVR 2016 IV Nr. 41 S. 131; Urteil 8C_156/2023 vom 26. Januar 2024 E. 4.3.2). Dies gilt umso mehr, als die Gutachter des ZMB am 6. Dezember 2022 ausdrücklich zum fraglichen Bericht Stellung genommen und an ihren Einschätzungen festgehalten haben.  
Die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers erschöpfen sich sodann weitgehend in eigenen laienmedizinischen Einschätzungen, die zudem wörtlich aus der vorinstanzlichen Beschwerdeschrift übernommen wurden und - soweit vor diesem Hintergrund überhaupt darauf einzugehen ist (vgl. Urteil 8C_430/2023 vom 25. März 2024 E. 5.1) - ebenfalls keine Zweifel am Gutachten des ZMB begründen. Soweit in der Beschwerde geltend gemacht wird, die Beurteilung der Diagnose ME/CFS falle in den Fachbereich der Neurologie, ist darauf hinzuweisen, dass der Entscheid über die Fachdisziplin, in deren Rahmen das Krankheitsbild zu beurteilen ist, in den Ermessensspielraum der fachärztlichen Gutachter fällt. Inwiefern die Ausführungen der Sachverständigen sodann den Schluss zulassen sollen, dass sie der Auffassung waren, das Krankheitsbild ME/CFS sei nicht klinisch, sondern durch bildgebende oder laborchemische Untersuchungen im Sinne von "biologischen Markern" zu erfassen, ist nicht nachvollziehbar. Ebenso unbehelflich ist es, wenn der Beschwerdeführer den Gutachtern fachliche Unkenntnis vorwirft, weil sie die "Erkrankung mehrfach falsch geschrieben" hätten. Aus den von ihm insoweit genannten Passagen ergibt sich ohne weiteres, dass die Gutachter lediglich die Schilderungen des Beschwerdeführers wörtlich zitierten. Nicht ersichtlich ist auch, weshalb ihre Ausführung in der ergänzenden Stellungnahme, dass je nach Betrachtung der Erkrankung entweder die Diagnose ME/CFS gemäss ICD-10 G93.3 oder einer Neurasthenie gemäss ICD-10 F48.0 zu stellen sei, gegen die Verlässlichkeit ihrer Einschätzungen sprechen soll, zumal sie letztlich beide Diagnosen ausdrücklich verwarfen. 
 
5.2.3. Wie die Vorinstanz im Übrigen zutreffend festhielt, stehen für die Belange der Invalidenversicherung letztlich ohnehin nicht die diagnostischen Einschätzungen, sondern die Auswirkungen der Erkrankung auf die Arbeitsfähigkeit im Vordergrund (BGE 136 V 279 E. 3.2.1; Urteil 9C_571/2023 vom 11. Januar 2024 E. 6.4 mit Hinweis). Unter diesem Gesichtspunkt trug der psychiatrische Gutachter der Erschöpfungssymptomatik des Beschwerdeführers umfassend Rechnung, und begründete unter Verweis auf die verbliebenen Ressourcen des Beschwerdeführers u.a. im Haushalt, in der Gestaltung des Alltags und im Sozialleben einlässlich und nachvollziehbar, weshalb (entgegen den Einschätzungen der behandelnden Ärzte) eine Arbeitsfähigkeit von 70 % bestehe. An der Schlüssigkeit dieser Ausführungen ändert auch der Umstand nichts, dass der Gutachter den Begriff der "post exertional malaise" nicht explizit erwähnte.  
 
5.2.4. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers durfte die Vorinstanz demnach in zulässiger antizipierter Beweiswürdigung (vgl. zum Ganzen BGE 144 V 361 E. 6.5) auf das Gutachten des ZMB abstellen, ohne in Willkür zu verfallen oder sonstwie Bundesrecht zu verletzen.  
 
5.3. In Bezug auf das von der Vorinstanz durchgeführte strukturierte Beweisverfahren wendet der Beschwerdeführer lediglich ein, sie habe dabei die typischen Auswirkungen der Diagnose ME/CFS im Sinne der "post exertional malaise" nicht berücksichtigt. Mit Blick auf das bereits Gesagte ist darauf nicht weiter einzugehen.  
 
6.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann nicht bewilligt werden, da die Beschwerde als aussichtslos qualifiziert werden muss (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der unterliegende Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. Mai 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Walther