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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_310/2008/don 
 
Urteil vom 6. Juni 2008 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Fürsprecher René Firmin, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen. 
 
Gegenstand 
unentgeltliche Verbeiständung (fürsorgerische Freiheitsentziehung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 7. April 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Verfügung des Regierungsstatthalters von Y.________ vom 26. März 2008 wurde X.________ im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung zur stationären Behandlung und zur Regelung der zukünftigen Wohn-, Betreuungs- und Therapiesituation für unbestimmte Zeit in das Psychiatriezentrum Z.________ eingewiesen. Gegen diese Verfügung liess er durch den Verein PSYCHEX am 1. April 2008 ein Entlassungsgesuch einreichen und erhob überdies innert Frist mündlich Rekurs gegen die erwähnte Verfügung. Für das Rekursverfahren beantragte er die unentgeltliche Verbeiständung. 
 
B. 
Mit Urteil vom 7. April 2008 wies das Obergericht des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, sowohl den Rekurs als auch das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ab. 
 
C. 
X.________ hat mit Eingabe vom 6. Mai 2008 gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung (Ziff. 2 des Urteils der kantonalen Rekurskommission) Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Er beantragt insoweit die Aufhebung des Urteils der Rekurskommission sowie die Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung für das kantonale Rekursverfahren; ferner sei der Anwalt für das "erstinstanzliche Verfahren" mit Fr. 1'119.-- zu entschädigen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er ebenso um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
Die Rekurskommission hat sich am 16 Mai 2008 vernehmen lassen, ohne allerdings einen ausdrücklichen Antrag in der Sache zu stellen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG), mit dem die unentgeltliche Verbeiständung in einem Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung verweigert worden ist. Dabei handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1), dessen ungeachtet, ob er während des Hauptverfahrens, zusammen mit dessen Endentscheid oder nach diesem ergangen ist (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007, E. 1.2). 
 
1.2 Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache. Diese betrifft einen kantonalen Entscheid über die fürsorgerische Freiheitsentziehung (Art. 397a ZGB), gegen den die Beschwerde in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Ist sie gegen die Hauptsache zulässig, kann sie auch gegen den vorgenannten Zwischenentscheid ergriffen werden. Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch das Verfassungsrecht gehört. Gerügt werden kann ferner eine Verletzung des Völkerrechts (Art. 95 lit. b BGG). 
 
2. 
2.1 Die Rekurskommission begründete die Verweigerung des unentgeltlichen Rechtsbeistands im Wesentlichen damit, der Beschwerdeführer habe anlässlich der Rekursverhandlung seinen Standpunkt gegenüber der Rekurskommission sehr gut, verständlich, differenziert und eigenständig klar machen können und habe sich diesbezüglich als vollumfänglich urteils- und verhandlungsfähig präsentiert. Es hätten sich keine schwierigen Rechtsfragen gestellt, sondern es sei einzig um die von Amtes wegen vorzunehmende Feststellung des Sachverhalts und um medizinische Belange gegangen. 
 
2.2 Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, er leide laut Gutachten an einer psychotischen Störung, vermutlich im Rahmen einer Schizophrenie, und sei langjähriger Konsument von Cannabis und Opiaten, was für sich allein erhebliche Zweifel an der Fähigkeit aufkommen lasse, sich im Verfahren zurecht zu finden. Zudem weise er Gedächtnislücken auf und habe nicht begriffen, dass er persönlich hätte Rekurs einlegen können. Er habe auch nicht verstanden, weshalb er für andere als gefährlich eingestuft worden sei. Schliesslich hätten sich auch bedeutende Rechtsfragen gestellt; namentlich sei ihm der Begriff der Selbst- und Fremdgefährdung nicht geläufig gewesen. 
 
2.3 In ihrer Vernehmlassung zur Beschwerde liess die Rekurskommission ausführen, der Beschwerdeführer habe sich bereits seit dem 29. Februar 2008 zur Begutachtung in der Klinik befunden und sei damit nicht mehr in einer akuten Krankheitsphase gewesen. Er habe die in der Zurückbehaltungsverfügung beigefügte Rechtsmittelbelehrung verstehen und selbst handeln können. 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV, Art. 26 Abs. 3 KV/BE und Art. 5 Ziff. 4 EMRK. Er geht aber ausdrücklich davon aus, dass die beiden letztgenannten Bestimmungen keinen über Art. 29 Abs. 3 BV hinausgehenden Anspruch gewähren. Allein im Lichte dieser Verfassungsnorm ist somit zu prüfen, ob die Beschwerde bezüglich der unentgeltlichen Rechtspflege begründet ist (BGE 124 I 1 E. 2). 
3.2 
3.2.1 Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat die bedürftige Partei Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen. Dabei fallen neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts auch in der Person des Betroffenen liegende Gründe in Betracht, wie etwa seine Fähigkeit, sich im Verfahren zurecht zu finden (BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232; 122 I 49 E. 2c/bb S. 51, 275 E. 3a S. 276; 120 Ia 43 E. 2a S. 44 f. mit Hinweisen). Dass das entsprechende Verfahren von der Untersuchungsmaxime beherrscht wird, schliesst die unentgeltliche Verbeiständung nicht aus (BGE 122 II 8; 125 V 32 E. 4b S. 36). Ein geistiges Gebrechen der betroffenen Person lässt indes für sich allein noch nicht auf deren Unfähigkeit schliessen, sich im Verfahren zurecht zu finden. In den Verfahren betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung leiden die Betroffenen in der Regel an derartigen gesundheitlichen Störungen, wobei sich aber immer wieder zeigt, dass sie dennoch ihre Rechte im Zusammenhang mit der Anstaltseinweisung ausreichend wahrnehmen können (Spirig, Zürcher Kommentar, N. 63 zu Art. 397d ZGB). In Fällen, wo das Verfahren besonders stark in die Rechtsstellung der betroffenen Person eingreift, muss die unentgeltliche Verbeiständung grundsätzlich geboten sein (BGE 119 Ia 264 E. 3b S. 265). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 397f Abs. 2 ZGB, wonach das Gericht dem Betroffenen "wenn nötig" einen Beistand zu bestellen hat. Auch wenn nach dem Gesagten eine rechtskundige Verbeiständung im Verfahren betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung nicht generell geboten ist, muss angesichts der Schwere des Eingriffs bei Grenz- und Zweifelsfällen eher zu Gunsten der betroffenen Person entschieden werden (5A_368/2007 vom 18. September 2007, E. 3). 
3.2.2 Gestützt auf diese Grundsätze hat das Bundesgericht eine gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung erhobene Beschwerde gutgeheissen, weil die Schwere der geistigen Störung begründete Zweifel aufkommen liess, dass die Betroffene auf sich allein gestellt in der Lage gewesen wäre, ihre Rechte vor Gericht wahrzunehmen (Urteil 5A_393/2006 vom 8. November 2006, E. 2.3). Eine weitere Gutheissung erfolgte in einem ähnlich gelagerten Fall, wobei hier die Schwere der geistigen Störung auf die Unfähigkeit zur selbständigen Wahrung der Interessen vor Gericht schliessen liess (Urteil 5A_368/2007 vom 18. September 2007, E. 2). In einem weiteren Fall wurde Art. 29 Abs. 3 BV als verletzt betrachtet, weil einerseits die Schwierigkeit beim Abfassen einer formell korrekten Beschwerde nicht zu unterschätzen war und anderseits die wirksame Anfechtung auf Grund widersprüchlicher Grundlagen nicht einfach erschien (Urteil 5A_595/2007 vom 26. November 2007, E, 3.2; zu widersprüchlichen Gutachten: vgl. auch Urteil 5A_90/2008 vom 8. April 2008, E. 3). Gutgeheissen wurde schliesslich eine Beschwerde, weil sich der angefochtene Entscheid namentlich nicht zur Frage der Notwendigkeit der Verbeiständung äusserte (Urteil 5A_72/2007 vom 5. April 2007, E. 2.4). 
 
3.3 Dass der Beschwerdeführer - wie das Obergericht festhält - über das Rechtsmittel gegen die Zurückbehaltungsverfügung belehrt worden ist und anlässlich der Rekursverhandlung seinen Standpunkt gegenüber der Rekurskommission sehr gut, verständlich, differenziert und eigenständig hat klar machen können, bedeutet nicht zwangsläufig, dass er sich im Verfahren den Anforderungen von Art. 29 Abs. 3 BV entsprechend hat zurecht finden können. Nach dem vom Regierungsstatthalter Y.________ in Auftrag gegebenen Gutachten des Psychiatriezentrums Z.________ vom 28. März 2008 leidet der Beschwerdeführer an einer akuten psychotischen Störung, welche im Rahmen einer Schizophrenie oder eventuell auch substanzindiziert aufgetreten sein könnte. Der Beschwerdeführer ist zudem opiatabhängig und gibt sich intermittierendem Cannabiskonsum hin, wobei offenbar auch im Verlaufe des Aufenthaltes im Psychiatriezentrum auf dem Zimmer des Beschwerdeführers Cannabis aufgefunden wurde. Zudem besteht eine sehr lange Suchtkarriere, nimmt er doch bereits seit seinem 25. Altersjahr Drogen (Cannabis, LSD, Ecstasy und Heroin). Laut Gutachten ist der Verdacht einer Persönlichkeitsstörung vom emotional instabilen Typ oder einer durch den langjährigen Drogenkonsum bedingten Persönlichkeitsveränderung begründet. Aus dem wenige Tage vor der Rekursverhandlung eingeholten Bericht vom 3. April 2008 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Verlaufe seines Aufenthaltes im Psychiatriezentrums das Personal mehrfach bedrohte und sich am 28. März 2008 eine Fraktur am Os metakarpale zuzog, als er aus lauter Wut mit einer Faust in eine Wand schlug. Der Arzt schliesst seine Aussagen zum medizinischen Befund mit der Zusammenfassung, beim Beschwerdeführer bestehe eine verminderte Steuerungsfähigkeit im Rahmen einer schizoaffektiven Störung mit deutlich beeinträchtigtem Denken und Verfolgungswahn. 
 
Aufgrund der durch Gutachten und medizinische Berichte festgestellten gesundheitlichen Störungen, der seit langem bestehenden Drogenabhängigkeit und insbesondere der festgestellten deutlich beeinträchtigten Denkfähigkeit liegt zumindest ein Grenzfall vor, welcher nach einem Entscheid zu Gunsten der anwaltlichen Verbeiständung des Beschwerdeführers verlangt hätte, bestehen doch aufgrund der ärztlichen Zeugnisse berechtigte Zweifel an der Fähigkeit des Beschwerdeführers, sich im Verfahren zurecht zu finden und seine Interessen wirksam zu vertreten. Dem lässt sich angesichts der unmittelbar vor der Verhandlung eingeholten Berichte nicht mit dem Hinweis begegnen, der Zustand des Beschwerdeführers sei stabilisiert, da er sich bereits seit Februar 2008 in der Anstalt befinde. Die Verweigerung des amtlichen Rechtsbeistand allein mit der Begründung, die Rechtsverbeiständung sei nicht erforderlich, verletzt damit Art. 29 Abs. 3 BV
 
4. 
Die Beschwerde ist damit gutzuheissen und Ziffer 2 des angefochtenen Urteils aufzuheben. Da sich die Rekurskommission nicht zu den weiteren Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung geäussert hat, ist die Sache zu deren Prüfung und gegebenenfalls zur Ernennung des amtlichen Rechtsbeistands und zur Festsetzung seiner Entschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
5. 
Dem Kanton Bern sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat er den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
6. 
Mit der Kosten- und Entschädigungsregelung wird das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und Ziffer 2 des Urteils des Obergerichts des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, vom 7. April 2008 wird aufgehoben. Die Sache wird zur Prüfung der weiteren Voraussetzungen der unentgeltlichen Verbeiständung und gegebenenfalls zur Ernennung des amtlichen Rechtsbeistands und zur Festsetzung seiner Entschädigung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben. 
 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. 
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Bern, kantonale Rekurskommission für fürsorgerische Freiheitsentziehungen, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 6. Juni 2008 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Raselli Zbinden