Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
1C_507/2016
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Urteil vom 6. Juni 2017
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Misic.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Speck,
gegen
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt
des Kantons St. Gallen,
Frongartenstrasse 5, 9001 St. Gallen,
Verwaltungsrekurskommission des
Kantons St. Gallen,
Unterstrasse 28, 9001 St. Gallen.
Gegenstand
Führerausweisentzug,
Beschwerde gegen den Entscheid vom 27. September 2016 des Verwaltungsgerichts
des Kantons St. Gallen.
Sachverhalt:
A.
Am 18. August 2012 wurde A.________ der Führerausweis wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h auf der Autobahn um 49 km/h für die Dauer von drei Monaten (vom 18. November 2012 bis 17. Februar 2013) entzogen.
Am 31. Mai 2014, um 21.12 Uhr, fuhr A.________ mit seinem Personenwagen von Rheineck in Fahrrichtung Staad. Die Geschwindigkeitsmessung ergab nach Abzug der Sicherheitsmarge von 3 km/h eine Geschwindigkeit von 89 km/h bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Mit Strafbefehl des Untersuchungsamtes St. Gallen vom 6. Oktober 2014 wurde er wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je Fr. 150.-- und zu einer Busse von Fr. 600.-- verurteilt. Eine frühere, bedingte Geldstrafe wurde widerrufen. Dieser Strafbefehl wurde unangefochten rechtskräftig.
In der Folge entzog am 11. Dezember 2014 das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen A.________ den Führerausweis wegen schwerer Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften für die Dauer von zwölf Monaten.
Nach Durchführung eines Augenscheins wies die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen den Rekurs von A.________ mit Entscheid vom 2. April 2015 ab.
Mit Entscheid vom 27. September 2016 wies das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen die Beschwerde von A.________ ab, soweit es darauf eintrat.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________ in der Hauptsache die Aufhebung des Entscheids des Verwaltungsgerichts. Gegen ihn sei ein Führerausweisentzug für die Dauer von vier Monaten zu verfügen.
Das Verwaltungsgericht und das Bundesamt für Strassen (ASTRA) beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die Verwaltungsrekurskommission verzichtet auf eine Vernehmlassung. Der Beschwerdeführer hat sich nicht mehr geäussert.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend Administrativmassnahmen gegen einen Fahrzeuglenker. Da es sich um eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts handelt und auch kein Ausnahmegrund nach Art. 83 BGG gegeben ist, steht dagegen die Beschwerde nach Art. 82 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen (Art. 89 Abs. 1 Bst. a BGG). Er ist durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 Bst. b und c BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
2.1. Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Insoweit ist es unerlässlich, dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 140 III 86 E. 2 S. 89, 115 E. 2 S. 116). Auf appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3; 139 II 404 E. 10.1; je mit Hinweisen).
2.2. Der Strafbefehl des Untersuchungsamtes St. Gallen vom 6. Oktober 2014 ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Gründe, weshalb im vorliegenden Administrativverfahren von der Tatsachenfeststellung und der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts durch die Strafbehörden abgewichen werden sollte (vgl. dazu BGE 136 II 447 E. 3.1; 127 II 302 nicht publ. E. 3a; 124 II 103 E. 1c/aa und bb), werden vom Beschwerdeführer nicht rechtsgenüglich dargelegt und sind auch nicht ersichtlich. Insoweit ist auf den von ihm vorgebrachten Einwand, dass sein Verhalten nicht als rücksichtslos zu qualifizieren und daher der Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG nicht erfüllt sei, nicht einzutreten.
2.3. Die Vorinstanz hat ausführlich und nach Massgabe der bundesgerichtlichen Rechtsprechung begründet, weshalb der Beschwerdeführer nicht mit zureichenden Gründen annehmen durfte, sich nicht mehr im Innerortsbereich zu befinden. Darauf kann verwiesen werden. Im Wesentlichen führte die Vorinstanz aus, unabhängig von der im Einzelfall bestehenden Überbauungsdichte, der Strassenoptik sowie der geltenden Geschwindigkeitslimite würden die Signale "Ortsbeginn" oder "Ortsende" den Inner- und Ausserortsbereich abgrenzen. Schon aufgrund der vorliegend klaren Signalisation von Ortsbeginn und Ortsende habe der mit den örtlichen Verhältnissen vertraute Beschwerdeführer beim Befahren des Radar-Messpunktes somit nicht aus zureichenden Gründen annehmen können, sich im Ausserortsbereich zu befinden. Aus seinem Vorbringen, anstelle des zuerst beabsichtigten Befahrens des Autobahnzubringers nach St. Gallen auf die linke Fahrspur Richtung Staad gewechselt zu haben, lasse sich hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung nichts zu seinen Gunsten ableiten. Dem Beschwerdeführer sei der Führerausweis vom 18. November 2012 bis 17. Februar 2013 bereits wegen einer schweren Widerhandlung (Geschwindigkeitsüberschreitung) entzogen worden. Die Mindestentzugsdauer (Art. 16 Abs. 3 SVG) für die neuerliche schwere Widerhandlung betrage daher zwölf Monate (Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG).
Inwiefern diese Ausführungen rechtsfehlerhaft sein sollen, kann der Beschwerdeschrift nicht entnommen werden. Der unbestrittenermassen mit den örtlichen Gegebenheiten vertraute Beschwerdeführer belässt es dabei, seinen Standpunkt zu wiederholen, wonach er nachvollziehbare Gründe gehabt habe, sich im Ausserortsbereich zu wähnen; die Signale "Ortsbeginn" und "Ortsende" lägen weit auseinander, so dass er habe annehmen können, das Ortsende übersehen zu haben. Zur Bebauungsdichte hat sich die Vorinstanz geäussert und dargelegt, weshalb der Beschwerdeführer sie nicht als Aufhebung der Höchstgeschwindigkeit interpretieren konnte. Dies wird von ihm lediglich bestritten. Damit vermag er keine Bundesrechtsverletzung durch die Vorinstanz darzutun. Im Übrigen erschöpfen sich seine weiteren Ausführungen in unzulässiger appellatorischer Kritik. Darauf ist nicht einzutreten.
3.
3.1. Der Beschwerdeführer rügt die übermässige Dauer des Verfahrens und eine EMRK-widrige Doppelbestrafung.
3.2. Gemäss Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK müssen auch Warnungsentzüge innert angemessener Frist beurteilt werden (BGE 121 II 22 E. 2 ff. S. 23 ff.). Die Verletzung dieses Anspruchs ist massnahmemindernd zu berücksichtigen (BGE 135 I 334 E. 2.2 S. 337). Die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer entzieht sich starren Regeln. Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob sich die Dauer unter den konkreten Umständen als angemessen erweist. Dafür kann keine allgemein gültige Frist festgelegt werden (BGE 130 I 269 E. 3.1 mit Hinweisen). In der Praxis hat das Bundesgericht einen Zeitbedarf von gut 4 bzw. 5 Jahren zwischen Delikt und bundesgerichtlichem Urteil über die Administrativmassnahme als kritisch beurteilt (Urteil 1C_486/2011 vom 19. März 2012 E. 2.2 mit weiteren Hinweisen).
3.3. Zwischen dem vom Beschwerdeführer begangenen Delikt am 31. Mai 2014 und der rechtskräftigen administrativen Sanktionierung durch das Bundesgericht, welche mit dem vorliegenden Urteil ca. anfangs Juni 2017 erfolgt, liegt ein Zeitraum von rund 3 Jahren. Das Straf- und das Administrativverfahren wurden, was regelmässig der Fall ist, getrennt und nacheinander geführt. In beiden Verfahren ist ein zwei- bzw. dreistufiger Rechtsmittelzug gewährleistet. Der Beschwerdeführer schöpfte die Anfechtungsmöglichkeiten im Administrativverfahren vollständig aus, womit sich nebst dem Strassenverkehrsamt drei Rechtsmittelinstanzen (Verwaltungsrekurskommission, Verwaltungsgericht, Bundesgericht) mit seinem Fall zu beschäftigen hatten. Ein derart ausgebauter Rechtsschutz ist naturgemäss zeitintensiv. Wenngleich die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht sich in zeitlicher Hinsicht in einem Grenzbereich bewegt haben dürfte, kann bei einer Gesamtbetrachtung die Dauer des Administrativverfahrens nicht als übermässig bezeichnet werden. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer - anders als bei einem Sicherungsentzug, bei dem im Gegensatz zum Warnungsentzug die aufschiebende Wirkung in der Regel entfällt (BGE 106 Ib 115 E. 2b S. 116 f.) - ein geringeres Interesse an einem raschen Entscheid hatte, zumal er sein Fahrzeug weiterhin lenken durfte (vgl. auch Urteil 1C_309/2014 vom 21. Januar 2015 E. 4.5). Dass es sich anders verhalten haben könnte, ist der Beschwerdeschrift nicht zu entnehmen. Im Urteil 1C_65/2007 vom 11. September 2007, wo es um einen Warnungsentzug ging, befand das Bundesgericht denn auch, das Interesse des Betroffenen an einem raschen Verfahrensabschluss dürfe nicht überbewertet werden (E. 5.3). Eine Verletzung des Beschleunigungsgebots kann daher verneint werden.
3.4. In Bezug auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Rüge, der Warnungsentzug verstosse gegen das Verbot der Doppelbestrafung gemäss Art. 4 Ziff. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 22. November 1984 (SR 0.101.07) ist auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
Rivard gegen die Schweiz vom 4. Oktober 2016, Nr. 21563/12, Ziff. 23 ff., zu verweisen. Darin wurde festgestellt, dass der im Administrativverfahren ausgesprochene Warnungsentzug eine Zusatzstrafe zur strafrechtlichen Verurteilung (Busse) darstellt und insoweit nicht gegen den Grundsatz
ne bis in idem verstösst. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.
4.
Damit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Kosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen, der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Strassen Sekretariat Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. Juni 2017
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Merkli
Der Gerichtsschreiber: Misic