Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_540/2021
Urteil vom 7. Februar 2022
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Eugen Koller,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden,
Neue Steig 15, 9100 Herisau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 10. Juni 2021
(O3V 20 30).
Sachverhalt:
A.
Die 1961 geborene A.________ meldete sich im Oktober 2018 unter Hinweis auf Depressionen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden holte verschiedene psychiatrische Berichte ein und klärte die Verhältnisse im Haushalt ab. Eine am 12. Februar 2020 durchgeführte Erhebung an Ort und Stelle ergab eine Einschränkung von 19,5 % (Abklärungsbericht vom 19. Februar 2020). Mit Verfügung vom 22. Juni 2020 lehnte die Verwaltung das Rentengesuch in Anwendung eines Betätigungsvergleichs ab.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde der A.________ wies das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden mit Urteil vom 10. Juni 2021 ab.
C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Urteils sei ihr spätestens ab April 2019 eine ganze Invalidenrente auszurichten; eventualiter sei die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen an die Beschwerdegegnerin, allenfalls an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt. Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie einen Rentenanspruch der Beschwerdeführerin verneinte. Im Zentrum steht dabei die Statusfrage.
2.1. Die für die Methodenwahl (Einkommensvergleich, gemischte Methode, Betätigungsvergleich) entscheidende Statusfrage, nämlich ob eine versicherte Person als ganztägig oder zeitweilig erwerbstätig oder als nichterwerbstätig einzustufen ist, beurteilt sich danach, was diese bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde. Entscheidend ist somit nicht, welches Ausmass der Erwerbstätigkeit der versicherten Person im Gesundheitsfall zugemutet werden könnte, sondern in welchem Pensum sie hypothetisch erwerbstätig wäre. Bei im Haushalt tätigen Versicherten im Besonderen (vgl. Art. 27 IVV; SR 831.201) sind die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse ebenso wie allfällige Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten und die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen zu berücksichtigen. Massgeblich sind die Verhältnisse, wie sie sich bis zum Erlass der Verwaltungsverfügung entwickelt haben, wobei für die hypothetische Annahme einer im Gesundheitsfall ausgeübten (Teil-) Erwerbstätigkeit der im Sozialversicherungsrecht übliche Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erforderlich ist (BGE 144 I 28 E. 2.3; 141 V 15 E. 3.1; je mit Hinweisen).
2.2. Die Beantwortung der Statusfrage erfordert zwangsläufig eine hypothetische Beurteilung, die auch hypothetische Willensentscheidungen der versicherten Person zu berücksichtigen hat. Derlei ist einer direkten Beweisführung wesensgemäss nicht zugänglich und muss in aller Regel aus äusseren Indizien erschlossen werden. Die Beurteilung hypothetischer Geschehensabläufe stellt eine Tatfrage dar, soweit sie auf Beweiswürdigung beruht, selbst wenn darin auch Schlussfolgerungen aus der allgemeinen Lebenserfahrung mitberücksichtigt werden (statt vieler: BGE 144 I 28 E. 2.4). Ebenso sind Feststellungen über innere oder psychische Tatsachen Tatfragen, wie beispielsweise was jemand wollte oder wusste (BGE 130 IV 58 E. 8.5 mit Hinweisen; SVR 2020 ALV Nr. 5 S. 15, 8C_56/2019 E. 2.4).
2.3. Eine Beweiswürdigung ist nicht bereits dann willkürlich (vgl. dazu: BGE 140 III 16 E. 2.1 mit Hinweisen), wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst, wenn der Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht oder auf einem offenkundigen Fehler basiert (BGE 144 V 50 E. 4.2; 141 V 385 E. 4.1).
3.
Das kantonale Gericht hat dem Abklärungsbericht vom 19. Februar 2020 Beweiskraft beigemessen. Gestützt darauf hat es die Beschwerdeführerin als Nichterwerbstätige qualifiziert, anhand der erhobenen Einschränkung im Haushalt von 19,5 % einen Betätigungsvergleich durchgeführt und auf einen nicht rentenbegründenden Invaliditätsgrad in gleicher Höhe geschlossen.
3.1. Soweit die Beschwerdeführerin dem entgegenhält, sie würde im Gesundheitsfall einer vollzeitlichen Erwerbstätigkeit nachgehen, womit ein Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG) angezeigt sei, dringt sie nicht durch. Vielmehr beruht die vorinstanzliche Beweiswürdigung auf einer sorgfältigen Überprüfung der für die Statusfrage relevanten Gesichtspunkte, wobei das kantonale Gericht der Erwerbsbiografie, den medizinischen Akten sowie den familiären, sozialen und finanziellen Verhältnissen umfassend Rechnung getragen hat. Die Schlussfolgerungen im angefochtenen Urteil finden insbesondere im Auszug aus dem individuellen Konto (IK) eine Stütze. Demnach erzielte die Beschwerdeführerin seit Abschluss ihres Studiums als Turn- und Sportlehrerin (1986) bis zum erstmaligen Auftreten der Depression im August 1989 nicht annähernd ein Erwerbseinkommen, das einem Vollzeitpensum gleichgekommen wäre (maximal Fr. 22'787.- im Jahr 1988). Mit anderen Worten arbeitete die Beschwerdeführerin als Gesunde zu keinem Zeitpunkt vollzeitlich. Wohl nahm sie, wie in der Beschwerde weiter geltend gemacht wird, trotz bereits bestehender psychischer Beeinträchtigungen kleinere Erwerbstätigkeiten auf, nachdem die im Jahr 1997 geborene Tochter keiner Betreuung mehr bedurfte. Indessen hat das kantonale Gericht anhand der medizinischen Akten detailliert dargelegt, weshalb die fraglichen Kleinstpensen (u.a. Seniorenturnen [2018]: eine Stunde pro Woche; Hausabwartstätigkeit [seit Juli 2016]: vier Stunden pro Monat) eher einem therapeutischen Hintergrund zugeordnet und nicht als konkrete Schritte hin zu einem Vollzeitpensum angesehen werden müssen (vgl. vorinstanzliche Erwägung 2.3.2). Hält die Beschwerdeführerin der vorinstanzlichen Beweiswürdigung schliesslich entgegen, (auch) den Angaben der Psychiatrischen Klinik B.________ sei zu entnehmen, dass sie versucht habe, eine (vollzeitliche) Erwerbstätigkeit aufzunehmen, so stellt dies eine reine Behauptung dar. Denn die dortigen Fachpersonen gaben lediglich an, die Patientin habe über hohe eigene Ziele berichtet ("z.B. Arbeit"), welche ihr aber enormen inneren Druck bereiteten (vgl. Austrittsbericht vom 19. Mai 2016). Rückschlüsse auf eine Vollzeitbeschäftigung im Gesundheitsfall können daraus nicht gezogen werden.
3.2. Ebenso ins Leere zielt der Einwand, es liege eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes ( Art. 43 Abs. 1 und 61 lit. c ATSG ) vor, da kein psychiatrisches Gutachten eingeholt worden sei. Die am 12. Februar 2020 durchgeführte Haushaltsabklärung erfolgte denn auch in Kenntnis der umfangreichen psychiatrischen Akten und unter Berücksichtigung der gestellten Diagnosen (rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode [ICD-10 F33.1]; generalisierte Angststörung [ICD-10 F41.1]; kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen, ängstlich vermeidende, zwanghafte und abhängige Anteile [ICD-10 F61.1]). Hinzu kommt, dass die RAD-Psychiaterin Dr. med. C.________ bei der Erhebung anwesend war und in der Folge zu sämtlichen in medizinischer Hinsicht relevanten Umständen separat Stellung nahm. Dabei bestätigte sie die im Abklärungsbericht festgehaltenen Erkenntnisse ausdrücklich (vgl. Stellungnahme vom 27. Februar 2020). Ein Widerspruch zu den übrigen fachmedizinischen Akten liegt nicht vor (vgl. dazu: SVR 2012 IV Nr. 19 S. 86, 9C_201/2011 E. 2 mit Hinweisen). Inwieweit von der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens entscheidwesentliche neue Erkenntnisse zu erwarten wären, ist daher weder ersichtlich noch (substanziiert) dargelegt. Folglich durfte die Vorinstanz auf eine entsprechende Beweisergänzung verzichten, ohne Bundesrecht zu verletzen (antizipierende Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3; 134 I 140 E. 5.3).
3.3. Die weitere Kritik beschränkt sich im Wesentlichen darauf, das bereits im kantonalen Verfahren Vorgebrachte zu wiederholen und den vorinstanzlichen Ausführungen die eigene Sichtweise gegenüberzustellen, was nicht genügt (vgl. BGE 144 V 50 E. 4.2 a.E.). Insbesondere vermag die Beschwerdeführerin nach wie vor keine konkreten Umstände zu benennen, welche die Angaben im Abklärungsbericht vom 19. Februar 2020 als unvollständig oder mangelhaft erscheinen liessen (zum Beweiswert: Urteil 8C_334/2014 vom 21. Juli 2014 E. 5.2 mit Hinweisen). Ebenso fehlen Anhaltspunkte, dass die Abklärungsperson die Mithilfe des Ehemannes, welche die Beschwerdeführerin (im Rahmen der sie treffenden Schadenminderungspflicht) in Anspruch nehmen muss (vgl. BGE 141 V 642 E. 4.3.2 mit Hinweisen), in unzumutbarem Masse berücksichtigt hätte. Auch anhand der sonstigen Vorbringen vermag die Beschwerdeführerin keine Rechtsverletzung aufzuzeigen. Die Beschwerde ist unbegründet.
4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, 3. Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. Februar 2022
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder