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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.160/2002 /kra 
 
Urteil vom 7. April 2003 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Kolly, Karlen, 
Gerichtsschreiberin Krauskopf. 
 
Parteien 
AX.________, 
Beschwerdeführer 1 
BX.________, 
Beschwerdeführer 2, 
beide vertreten durch Fürsprech lic. iur. Beat Muralt, Dornacherplatz 7, 4500 Solothurn, 
 
gegen 
 
Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern, 
1. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern, Hochschulstr. 17, 3012 Bern. 
 
Gegenstand 
Art. 4 aBV (Strafverfahren; willkürliche Beweiswürdigung, Grundsatz "in dubio pro reo"), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil der 1. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern vom 29. August 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Gerichtspräsidentin 17 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen verurteilte BX.________ am 11. September 2001 wegen Beteiligung an einem Raufhandel und Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 20 Tagen und einer Busse von Fr. 500.--. Gleichzeitig verurteilte sie dessen Bruder AX.________ wegen einfacher Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand und wegen Raufhandels zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 4 Monaten als teilweise Zusatzstrafe zum Urteil des Gerichtsstatthalters Solothurn-Lebern vom 12. April 1995 und als Zusatzstrafe zum Urteil der Staatsanwaltschaft des Kantons Neuenburg vom 11. Mai 1998. AX.________ wurde zudem zur Bezahlung verschiedener Schadenersatz- und Genugtuungssummen an die drei Opfer verpflichtet. 
 
Gegen dieses Urteil appellierten die beiden Verurteilten an das Obergericht des Kantons Bern. Der Prokurator 4 der Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland und einige Zivilkläger erhoben Anschlussappellation. 
 
Die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern verlängerte am 29. August 2002 die gegen AX.________ angesetzte Probezeit von drei auf vier Jahre und bestätigte im Übrigen das erstinstanzliche Urteil, soweit es noch nicht in Rechtskraft erwachsen war. 
B. 
Diese Verurteilungen stützen sich auf folgenden, im Verfahren vor Bundesgericht im Einzelnen noch strittigen Sachverhalt: Am 4. Februar 1996 wiesen C.________ und D.________, beide Angestellte des Sicherheitsdienstes Y.________ Security, die Brüder AX.________ und BX.________ sowie E.________ aus dem Wirtschaftslokal W.________ in Lyss aus. Es kam darauf zu einer allgemeinen Schlägerei, an der insbesondere die Brüder X.________ sowie mehrere zur Hilfe gerufene Kollegen von D.________ und C.________ teilnahmen. AX.________ benützte dabei ein Messer. D.________ erlitt Schnittwunden im Bereich zwischen Nasenspitze und Oberlippe sowie eine Stichverletzung am rechten Vorderarm. Seine Nasenspitze musste wieder angenäht werden. C.________ erlitt Stichwunden im Bauch, der linken Lende und am Arm. 
C. 
AX.________ und BX.________ erheben in derselben Beschwerdeschrift staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Für das ausserordentliche Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde sieht Art. 90 Abs. 1 lit. b OG besondere Begründungsanforderungen vor. Die Beschwerdeschrift muss die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze mit dem angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht untersucht nicht von Amtes wegen, ob ein kantonaler Hoheitsakt verfassungswidrig ist, sondern prüft nur rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und soweit möglich belegte Rügen (BGE 127 III 279 E. 1c S. 282; 125 I 492 E. 1b S. 495). Auf appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 117 Ia 393 E. 1c S. 395; 107 Ia 186 E. b S. 186). 
2. 
Beide Beschwerdeführer machen Willkür in der Beweiswürdigung sowie eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" geltend. Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel. Bei dieser Rüge kann das Bundesgericht nur eingreifen, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des ganzen Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche und schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an der Schuld des Angeklagten fortbestanden (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 124 IV 86 E. 2a S. 88). Insofern hat die Rüge der Verletzung dieses Grundsatzes keine selbständige Tragweite gegenüber der Willkürrüge (vgl. BGE 120 Ia 31 E. 2c und d S. 37). Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Es genügt nicht, dass sich der angefochtene Entscheid nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn der Entscheid auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 128 I 177 E. 2.1 S. 182 mit Hinweisen). 
Rügen des Beschwerdeführers 1 (AX.________): 
3. 
Der Beschwerdeführer 1 rügt Willkür und eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" bezüglich der Annahme des Obergerichts, er habe C.________ eine Bauchwunde zugefügt. Es dürfe nicht auf die so genannte "Aussage der ersten Stunde" abgestellt werden. Es gebe neben seinen eigenen unklaren Aussagen keine Indizien dafür, dass er C.________ verletzt habe. Die Verletzungen hätten auch von E.________ stammen können. 
3.1 Das Obergericht verweist zunächst auf die Ausführungen der Vorinstanz, denen es folgt. Danach habe der Beschwerdeführer 1 selber zugegeben, einem Sicherheitsmann einen Messerstich in die Bauchhöhle versetzt zu haben, als dieser ihn an den Haaren heftig gezogen und gleichzeitig geschlagen habe. Das Opfer habe ihn als denjenigen, den es an den Haaren gezogen habe, erkannt. Selbst wenn der Beschwerdeführer 1 dieses Geständnis später bestritten habe, könne nach der Beweismaxime, wonach die "Aussage der ersten Stunde" in der Regel unbefangener und zuverlässiger sei als spätere Darstellungen, auf die belastende Aussage des Beschwerdeführers 1 vom 13. Februar 1996 abgestellt werden. 
3.2 Der Beschwerdeführer 1 gab knapp zehn Tage nach dem Vorfall zu Protokoll, der Person einen Messerstich in den Bauch gegeben zu haben, die ihn an den Haaren gezogen habe (act. 427). Das Opfer bestätigte, von der Person am Bauch und am Arm verletzt worden zu sein, die es an den Haaren gezogen hatte (act. 467). E.________, der sich auch mit einem Messer am Raufhandel beteiligte, gab zu, sein Messer einem Sicherheitsmann in die linke Hüftseite gestochen zu haben (act. 411). Das Opfer bestätigte, zusätzlich zu den Bauch- und Armverletzungen von einer anderen Person einen Messerstich in die linke Lendengegend erhalten zu haben (act. 467). Auf Grund dieser Aussagen war es nicht willkürlich, den Beschwerdeführer als Verantwortlichen für die Verletzungen, die dem Opfer im Bauchbereich und am Arm zugefügt wurden, zu betrachten. Die Rüge ist somit unbegründet, sofern sie überhaupt den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG entspricht. 
4. 
Der Beschwerdeführer 1 macht geltend, es sei willkürlich angenommen worden, er habe sich vorsätzlich an einem Raufhandel beteiligt. Die Sicherheitsleute hätten die Schlägerei vom Zaun gerissen. D.________ sei zudem betrunken gewesen. Der Beschwerdeführer 1 habe sich - wenn auch vielleicht exzessiv - nur gewehrt. 
Das Obergericht hält fest, der Beschwerdeführer 1 habe zugegeben, D.________ mit der Faust, in der er das offene Messer hielt, ins Gesicht geschlagen zu haben. Der Beschwerdeführer 1 bestreitet dies in seiner Beschwerde nicht. Indem der Beschwerdeführer 1 insbesondere D.________ und C.________ schlug und in beiden Fällen den Schlag mit der Hand ausführte, in der er ein offenes Messer hielt, hat er sich weder passiv verhalten noch den Angriff bloss abgewehrt. Das Obergericht verfiel daher nicht in Willkür, als es annahm, der Beschwerdeführer habe sich aktiv am Raufhandel beteiligt. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, diesen Schlag nicht willentlich und wissentlich gegeben zu haben. Ob die Annahme des Vorsatzes und die Verweigerung eines Rechtfertigungsgrunds zu Recht erfolgten, ist im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde vorzubringen. Willkür betreffend die tatsächlichen Feststellungen, die diesen Rechtsfragen zu Grunde liegen, liegt nicht vor. 
Rügen des Beschwerdeführers 2 (BX.________): 
5. 
Der Beschwerdeführer 2 hebt hervor, dass die Angestellten des Sicherheitsdienstes aggressiv vorgegangen seien. Sie hätten seinen Bruder zu Boden geworfen. F.________ und G.________ hätten ausgesagt, er habe seinem Bruder nur helfen wollen. Die Sicherheitsleute hätten darauf eine wilde Verfolgungsjagd veranstaltet. Das Obergericht halte zu Recht fest, er sei eher schlichtend als provozierend aufgetreten. Es nehme aber willkürlich und in Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" an, er habe aktiv am Raufhandel mitgewirkt. 
5.1 Das Obergericht hält fest, die Sicherheitsleute seien recht aggressiv vorgegangen und hätten die Schlägerei ausgelöst. Der Beschwerdeführer 2 habe zugegeben, einen Sicherheitsmann gestossen zu haben. Alle Zeugen hätten ausgesagt, eine wilde Schlägerei habe stattgefunden. Die Aussage des Beschwerdeführers, er sei seinem Bruder zu Hilfe geeilt und sei gleichzeitig auf der Flucht gewesen, sei unglaubwürdig und widersprüchlich. Es bestünden keine Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer 2 am Raufhandel beteiligt gewesen sei. 
5.2 Der Beschwerdeführer 2 gab der Kantonspolizei zu Protokoll, ein Sicherheitsmann habe seinen Bruder brutal zu Boden geworfen. Er habe ihm geholfen aufzustehen. Darauf habe er einem Schlag ins Gesicht ausweichen können und sich entfernt. Er habe jedoch gesehen, wie zwei Sicherheitsleute auf seinen Bruder erneut einschlugen (act. 449). Vor dem Untersuchungsrichter wiederholte der Beschwerdeführer 2 diese Aussage, fügte aber hinzu, dass er zu seinem Bruder zurückgegangen sei, als er gesehen habe, wie drei Sicherheitsleute auf diesen, der am Boden gelegen habe, einschlugen. Er habe einen Sicherheitsmann auf die Seite gestossen, um seinem Bruder beim Aufstehen zu helfen. Ob er den Sicherheitsmann dabei geschlagen habe, könne er nicht sagen. Er habe danach einem Schlag ausweichen können und sei weggerannt (act. 457 ff.). An der erstinstanzlichen Hauptverhandlung erklärte er, die Flucht sei ihm gelungen, seinem Bruder aber nicht. Als er seinem Bruder habe helfen wollen, sei er von hinten angegriffen worden. Er wisse nicht mehr, ob er zurückgeschlagen habe. AX.________ erklärte, ein Sicherheitsmann habe ihn zu Boden geworfen. Sein Bruder und er hätten Angst gehabt und wegrennen wollen. Darauf sei ein Sicherheitsmann gekommen, der den Beschwerdeführer 2 mit einem Faustschlag zu Boden geworfen habe (act. 423). H.________ und G.________ sagten aus, der Beschwerdeführer 2 habe seinem Bruder geholfen aufzustehen, als dieser das erste Mal von einem Sicherheitsmann niedergeschlagen worden sei und habe seine Freunde aufgefordert wegzugehen (act. 511 und 513). Nach dem erneuten Schlag habe AX.________ aus eigener Kraft flüchten können (Zeugin H.________, act. 511). Laut den Aussagen von I.________, F.________ und K.________ habe eine wilde Schlägerei stattgefunden, nachdem ein Sicherheitsmann AX.________ am Kragen ergriffen und zu Boden geworfen hatte und der Beschwerdeführer 2 seinem Bruder geholfen hatte, wieder aufzustehen (act. 525, 529, 545). L.________ und F.________ sprechen von einer Verfolgungsjagd zwischen den Sicherheitsleuten und der Gruppe, der die Beschwerdeführer angehörten (act. 517, 529). 
 
Es erhellt aus diesen Aussagen, dass die Sicherheitsleute zuerst tätlich wurden und der Beschwerdeführer 2 seinem Bruder beim Aufstehen behilflich sein wollte. Darauf entstand eine allgemeine Schlägerei. Nach eigenen Aussagen des Beschwerdeführers 2 stiess er einen Sicherheitsmann zur Seite, als er seinem Bruder helfen wollte. In Anbetracht dieser Umstände erscheint die Annahme des Obergerichts, der Beschwerdeführer 2, der seinem Bruder zu Hilfe eilte, sei an der Schlägerei beteiligt gewesen, nicht als offensichtlich unhaltbar. Selbst wenn zu dessen Gunsten anzunehmen ist, er habe zunächst die Flucht ergriffen, steht fest, dass er danach zum Schauplatz der Schlägerei zurückgekommen ist, um seinem Bruder zu helfen. Dass er sich dabei nicht nur darauf beschränkte, diesem beim Aufstehen zu helfen, durfte das Obergericht in Anbetracht der übereinstimmenden Aussagen der Zeugen, dass eine allgemeine Schlägerei stattgefunden habe, ohne Willkür annehmen. Auf jeden Fall drängen sich diesbezüglich keine erheblichen und schlechterdings nicht zu unterdrückenden Zweifel auf. 
 
Der Beschwerdeführer 2 forderte nach dem ersten Angriff gegen seinen Bruder seine Freunde zum Weggehen auf. Er beteiligte sich später jedoch am Raufhandel, um vor allem seinem Bruder zu helfen. In Anbetracht dieses Verhaltens ist die Annahme des Obergerichts, er habe insgesamt eher eine schlichtende als eine provozierende Haltung eingenommen, nicht widersprüchlich. 
6. 
Die Rügen beider Beschwerdeführer erweisen sich als unbegründet. Beide Beschwerdeführer stellen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da ihre Beschwerde von vornherein aussichtslos schien, sind ihre Gesuche abzuweisen (Art. 152 Abs.1 OG). Folglich werden die Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 278 Abs. 1 BStP). Ihren finanziellen Verhältnissen ist jedoch bei der Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'600.-- wird den Beschwerdeführern zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Generalprokurator des Kantons Bern und der 1. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 7. April 2003 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts: 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: