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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.236/2003 /sta 
 
Urteil vom 7. Mai 2003 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Aeschlimann, Catenazzi, 
Gerichtsschreiberin Leuthold. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokatin Dr. Suzanne Lehmann, St. Alban-Anlage 67, Postfach 355, 4020 Basel, 
 
gegen 
 
Bezirksanwaltschaft Meilen, Büro C, Postfach, 8706 Meilen, 
Bezirksgericht Meilen, Haftrichterin, Untere Bruech 139, Postfach, 8706 Meilen. 
 
Gegenstand 
persönliche Freiheit 
(Fortsetzung der Untersuchungshaft), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Meilen, Haftrichterin, vom 4. April 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Bezirksanwaltschaft Meilen führt gegen X.________ eine Strafuntersuchung wegen Verdachts des banden- und gewerbsmässigen Diebstahls sowie weiterer Delikte. Der Haftrichter des Bezirkes Meilen versetzte den Angeschuldigten mit Verfügung vom 23. August 2002 in Untersuchungshaft. Diese wurde wiederholt verlängert. X.________ stellte am 1. April 2003 ein Gesuch um Haftentlassung. Die Bezirksanwaltschaft beantragte dem Haftrichter mit Eingabe vom 3. April 2003, das Gesuch sei abzuweisen und die Haft sei fortzusetzen. Die Haftrichterin verfügte am 4. April 2003, die Fortsetzung der Untersuchungshaft über den 4. April 2003 hinaus werde, bis auf weiteres, einstweilen bewilligt. 
B. 
Gegen diesen Entscheid liess X.________ am 15. April 2003 durch seine Anwältin beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde einreichen. Er beantragt, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und er sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen, allenfalls gegen Anordnung von Ersatzmassnahmen. Im Weiteren ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. 
C. 
Die Bezirksanwaltschaft Meilen und die Haftrichterin des Bezirkes Meilen verzichteten auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde, die sich gegen die Fortdauer der Haft richtet, kann in Abweichung vom Grundsatz der kassatorischen Natur der Beschwerde nicht nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern ausserdem die Entlassung aus der Haft, allenfalls unter Anordnung von Ersatzmassnahmen, verlangt werden (BGE 124 I 327 E. 4b/aa S. 332 f.; 115 Ia 293 E. 1a S. 297, je mit Hinweisen). Die mit der vorliegenden Beschwerde gestellten Anträge sind daher zulässig. 
2. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Fortsetzung der Untersuchungshaft verletze das Recht auf persönliche Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV
Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen Anordnung oder Fortdauer der Haft erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfeststellungen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 128 I 184 E. 2.1 S. 186; 123 I 31 E. 3a S. 35, 268 E. 2d S. 271, je mit Hinweisen). 
Nach § 58 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich (StPO) ist die Anordnung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und überdies Flucht-, Kollusions- oder Fortsetzungsgefahr besteht. Ausserdem darf die Haft nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe (§ 58 Abs. 3 StPO). 
 
Im vorliegenden Fall wird der dringende Tatverdacht nicht in Abrede gestellt. Hingegen wird beanstandet, dass die Haftrichterin die Fluchtgefahr bejahte und den Antrag des Beschwerdeführers betreffend Anordnung von Ersatzmassnahmen ablehnte. 
3. 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme der Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte, wenn er in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Verhältnisse des Angeschuldigten, in Betracht gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia 69 E. 4a S. 70, je mit Hinweisen). 
3.1 Dem Beschwerdeführer wird Mittäterschaft bei banden- und gewerbsmässigem Diebstahl in einer Vielzahl von Fällen und in einem hohen Deliktsbetrag zur Last gelegt. Im Falle eines Schuldspruchs hätte er eine längere Freiheitsstrafe zu gewärtigen. Die in Art. 38 Ziff. 1 StGB vorgesehene Möglichkeit einer bedingten Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe wird im Haftprüfungsverfahren - abgesehen von hier nicht zutreffenden Ausnahmen - nicht berücksichtigt (Urteile des Bundesgerichts 1P.138/1991 vom 26. März 1991 und P.703/1987 vom 17. Juni 1987, publ. in SZIER 1992 S. 489 f. und SJIR 1988 S. 285 f.). Es kann im vorliegenden Fall ohne Verletzung der Verfassung angenommen werden, schon mit Rücksicht auf die drohende Strafe bestehe ein erheblicher Anreiz zur Flucht. 
3.2 Hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse ist den kantonalen Akten zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer aus dem früheren Jugoslawien stammt, dass er im Jahre 1998 aus dem Kosovo in die Schweiz kam, dass sein Asylgesuch im Jahre 2000 abgelehnt wurde, dass er am 26. Oktober 2000 im Kosovo die Schweizerin A.________ heiratete und danach in der Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Das Migrationsamt des Kantons Zürich hat - wie sich aus den Beilagen zur staatsrechtlichen Beschwerde ergibt - mit Verfügung vom 18. Dezember 2002 die Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert und dem Beschwerdeführer Frist bis 26. März 2003 angesetzt, um das Kantonsgebiet zu verlassen. Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdeführer am 13. Januar 2003 Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich. 
 
Die Haftrichterin führte im angefochtenen Entscheid aus, bei der Ehe des Beschwerdeführers mit A.________ handle es sich offensichtlich um eine Scheinehe. A.________ habe dies anlässlich ihrer Befragung durch die Kantonspolizei Zürich am 2. Oktober 2002 bestätigt. Auch während der Untersuchungshaft habe der Beschwerdeführer keinen Kontakt zu seiner Ehefrau gehabt, und er vermöge "trotz angeblicher Liebesheirat das Hochzeitsdatum nicht zu nennen". Der Beschwerdeführer verfüge in der Schweiz über keine engen Beziehungen. Bei der Beziehung zu seinem Onkel, bei welchem er angemeldet sei, handle es sich nicht um eine feste Bindung. Die Haftrichterin gelangte daher zum Schluss, auch aufgrund der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers bestünden gewichtige Indizien für eine Fluchtgefahr. 
3.3 Was in der staatsrechtlichen Beschwerde gegen diese Überlegungen der kantonalen Instanz vorgebracht wird, stellt zum grössten Teil eine rein appellatorische Kritik dar, auf die in einem staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren nicht eingetreten werden kann (BGE 125 I 492 E. 1b S. 495 mit Hinweisen). 
3.4 Der Beschwerdeführer macht vor allem geltend, die Haftrichterin habe in unhaltbarer Weise angenommen, seine Ehe mit A.________ sei eine Scheinehe. 
 
A.________ hat bei ihrer Einvernahme durch die Kantonspolizei Zürich am 2. Oktober 2002 erklärt, sie habe vor ca. zwei Jahren B.________, einen Onkel des Beschwerdeführers, in einem Lokal in Zürich kennen gelernt. Dieser habe sie gefragt, ob sie gegen eine Bezahlung von rund Fr. 15'000.-- seinen Cousin X.________ heiraten wolle, welcher die Schweiz verlassen müsse; es würden sämtliche Spesen wie Flugticket in den Kosovo etc. übernommen. Sie habe, da sie sich damals in einer desolaten finanziellen Lage befunden habe, zugesagt, sei am 25. Oktober 2000 mit ihrem damaligen Freund C.________ in den Kosovo gereist und habe dort am 26. Oktober 2000 den Beschwerdeführer geheiratet. Sie habe von B.________ vor der Heirat Fr. 7'000.-- und nachher nochmals Fr. 7'000.-- ausbezahlt erhalten. In der Folge habe sie dem Zivilstandsamt Regensdorf die "Scheinehe" gemeldet, worauf der Beschwerdeführer die Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz bekommen habe. A.________ betonte, sie habe mit dem Beschwerdeführer "nie zusammengewohnt" und die Ehe sei "nie in irgendeiner Form und Art vollzogen worden". C.________ hat bei seiner Befragung durch die Kantonspolizei Zürich am 14. Oktober 2002 die Angaben von A.________ bestätigt. 
 
In Anbetracht der Aussagen von Frau A.________, die von deren früherem Freund bestätigt wurden, konnte die Haftrichterin mit Grund annehmen, es handle sich bei der Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und A.________ um eine Scheinehe, weshalb insoweit nicht von einer engen Bindung des Beschwerdeführers zur Schweiz gesprochen werden könne. 
 
Sodann hielt die Haftrichterin fest, der Beschwerdeführer verfüge in der Schweiz zudem über keine weiteren engen Beziehungen. Auch diese Feststellung ist nicht zu beanstanden. In der staatsrechtlichen Beschwerde wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei nach wie vor polizeilich gemeldet und habe seinen Wohnsitz bei seinem Onkel D.________ in Embrach. Dies wird nicht in Abrede gestellt. Es war jedoch sachlich vertretbar, wenn die Haftrichterin erwog, es handle sich bei der Beziehung des Beschwerdeführers zu diesem Onkel nicht um eine feste Bindung, die ihn von einer Flucht ins Ausland abhalten könnte. Werden die gesamten Verhältnisse des Beschwerdeführers in Betracht gezogen, so verstiess die kantonale Instanz nicht gegen die Verfassung, wenn sie den Haftgrund der Fluchtgefahr bejahte. 
4. 
Die Haftrichterin lehnte das Begehren ab, der Beschwerdeführer sei unter Anordnung von Ersatzmassnahmen aus der Haft zu entlassen. Sie führte im angefochtenen Entscheid aus, die von der Verteidigung angebotenen Ersatzmassnahmen wie die Mitteilung über den definitiven Entscheid der Migrationsbehörde bezüglich der Aufenthaltsbewilligung, eine Meldepflicht und eine Schriftensperre sowie das Leisten einer Kaution vermöchten im vorliegenden Fall die Fluchtgefahr nicht genügend zu vermindern. 
 
Die Freilassung eines Angeschuldigten unter Anordnung von Ersatzmassnahmen setzt voraus, dass angenommen werden kann, mit den betreffenden Massnahmen werde die Fluchtgefahr gebannt. Die Haftrichterin nahm an, im vorliegenden Fall vermöchten die vorgeschlagenen Ersatzmassnahmen die Fluchtgefahr nicht ausreichend zu vermindern. Diese Auffassung ist vertretbar und hält vor der Verfassung stand. 
 
In der staatsrechtlichen Beschwerde wird eingewendet, der Mitbeschuldigte B.________, ein Onkel des Beschwerdeführers, sei gegen Leistung einer Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Es sei "grundsätzlich stossend, dass im gleichen Verfahren zwei Angeschuldigte ungleich behandelt" würden. Die Rüge der Verletzung der Rechtsgleichheit geht fehl, da die tatsächlichen Verhältnisse in den Fällen verschiedener Gefangener kaum je identisch sind und der Beschwerdeführer nicht darzutun vermag, dass die Verhältnisse im Falle des Angeschuldigten B.________ in jeder Hinsicht mit seinem Fall vergleichbar wären. 
 
Nach dem Gesagten verletzt der angefochtene Entscheid der Haftrichterin das verfassungsmässige Recht des Beschwerdeführers auf persönliche Freiheit nicht. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
5. 
Dem Begehren des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 152 Abs. 1 und 2 OG kann mit Rücksicht auf die gesamten Umstände des Falles entsprochen werden. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt: 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
2.2 Rechtsanwältin Dr. Suzanne Lehmann, Basel, wird als amtliche Anwältin des Beschwerdeführers bezeichnet und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'800.-- entschädigt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Bezirksanwaltschaft Meilen, Büro C, und dem Bezirksgericht Meilen, Haftrichterin, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 7. Mai 2003 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: