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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_279/2024  
 
 
Urteil vom 7. Mai 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Lena Reusser, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Justizvollzug und Wiedereingliederung, Rechtsdienst der Amtsleitung, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich, 
2. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Massnahmenvollzug, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2. Abteilung, Einzelrichter, vom 30. Januar 2024 (VB.2024.00032). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach A.________ mit Urteil vom 1. Dezember 2008 der vorsätzlichen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Die Freiheitsstrafe schob es zugunsten einer stationären therapeutischen Massnahme auf. Nachdem diese wegen Aussichtslosigkeit aufgehoben worden war, ordnete das Bezirksgericht Bülach am 3. März 2015 die nachträgliche Verwahrung von A.________ an.  
 
A.b. Am 23. März 2023 ersuchte A.________ um Aufhebung seiner Verwahrung und seine bedingte Entlassung. Eventualiter beantragte er unter anderem, der Massnahmenvollzug sei "konventionskonform" auszugestalten und auf "Resozialisierung und Freiheitsorientierung" auszurichten, insbesondere seien ihm Vollzugslockerungen zu gewähren. "Ohnehin" sei festzustellen, dass die bisherige Verwahrung bzw. der bisherige Verwahrungsvollzug Art. 3 und 5 EMRK sowie Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK verletzt habe. Für die Zeit der "EMRK-widrigen Haft" sei ihm gestützt auf Art. 5 Ziff. 5 EMRK Schadenersatz zuzusprechen. Am 22. Juni 2023 ersuchte er zudem noch um seine Neubegutachtung.  
Das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich (JuWe) trat mit Verfügung vom 31. August 2023 nicht auf das Gesuch um Aufhebung der Verwahrung ein und wies das Gesuch um bedingte Entlassung ab. Die Eventualanträge, darunter insbesondere die Anträge auf Feststellung der EMRK-Verletzung und Zusprechung von Schadenersatz, wies es ab, soweit es darauf eintrat. Dazu hielt es insbesondere fest, eine Verletzung der EMRK sei nicht auszumachen. Das Gesuch um Neubegutachtung wies es ebenfalls ab. 
 
A.c. Dagegen erhob A.________ Rekurs bei der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich (Justizdirektion). Diese befand in ihrer Verfügung vom 21. Dezember 2023, dass das JuWe auf das Gesuch um Aufhebung der Verwahrung hätte eintreten sollen und prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die Verwahrung noch gegeben waren. Sie hiess den Rekurs deshalb teilweise gut, hob die Verfügung vom 31. August 2023 auf und wies die Sache zur Einholung eines Gutachtens und neuer Beurteilung an das JuWe zurück. Soweit A.________ dagegen beantragte, es sei festzustellen, dass die bisherige Verwahrung bzw. der bisherige Verwahrungsvollzug die EMRK verletzt habe, und es sei ihm hierfür Schadenersatz zuzusprechen, wies die Justizdirektion den Rekurs ab, soweit sie darauf eintrat. Sie erwog dazu, den Ausführungen von A.________ zur Anordnung der nachträglichen Verwahrung könne nicht gefolgt werden; im Übrigen sei sie für die Beurteilung von entsprechenden Schadenersatzklagen ohnehin nicht zuständig.  
 
B.  
A.________ erhob Beschwerde gegen den Entscheid vom 21. Dezember 2023 und beantragte, dieser sei insoweit aufzuheben als die Justizdirektion den Rekurs "abgelehnt habe" bzw. nicht darauf eingetreten sei. Die Sache sei zur vollständigen Neubeurteilung an die Justizdirektion zurückzuweisen, eventualiter sei festzustellen, dass die bisherige Verwahrung bzw. der bisherige Verwahrungsvollzug Art. 3, und Art. 5 EMRK sowie Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK verletzt habe. Mit Verfügung vom 30. Januar 2024 trat das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, Einzelrichter, nicht auf die Beschwerde ein und wies das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und unentgeltliche Rechtsverbeiständung für das Beschwerdeverfahren ab. Zudem erlegte es A.________ die Gerichtskosten von Fr. 820.-- auf. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________ vor Bundesgericht, die Verfügung vom 30. Januar 2024 sei aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, auf seine Beschwerde einzutreten. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Vorinstanz beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das JuWe hat auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid in einer strafrechtlichen Angelegenheit, in der die Beschwerde in Strafsachen offensteht (Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG). Der Beschwerdeführer als verwahrte Person ist hierzu legitimiert (vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b BGG). Soweit die Vorinstanz nicht auf den Teil der kantonalen Beschwerde eintritt, mit dem sich der Beschwerdeführer gegen die teilweise Abweisung seines Rekurses wehrte, handelt es sich um einen verfahrensabschliessenden Teilentscheid, gegen den die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig ist (Art. 91 BGG). Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.  
 
1.2. Da die Vorinstanz auf das Rechtsmittel des Beschwerdeführers nicht eingetreten ist, beschränkt sich der Streitgegenstand auf die Eintretensfrage (vgl. BGE 144 II 184 E. 1.1; Urteil 7B_223/2023 vom 3. August 2023 E. 1.2.2; je mit Hinweisen).  
 
2.  
 
2.1. Nach Art. 29 BV hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist (Abs. 1). Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör (Abs. 2). Art. 29a Satz 1 BV sieht zudem vor, dass bei Rechtsstreitigkeiten jede Person Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde hat. Diese Bestimmungen verbieten die formelle Rechtsverweigerung. Eine Behörde begeht eine solche, wenn sie auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht eintritt, obwohl sie darüber befinden müsste (BGE 135 I 6 E. 2.1; Urteile 7B_532/2023 vom 11. Dezember 2023 E. 2.2; 1B_303/2022 vom 19. Dezember 2022 E. 2.1; je mit Hinweisen). Gemäss Art. 13 EMRK hat jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.  
 
2.2. Nach dem Beschwerdeführer verletzt die Vorinstanz Bundesrecht und insbesondere die Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV und Art. 13 EMRK, indem sie nicht auf seine Beschwerde eintritt. Er macht im Wesentlichen geltend, er habe sowohl in seinem Rekurs an die Justizdirektion als auch in seiner Beschwerde an die Vorinstanz hinreichend substanziiert dargelegt, weshalb der Massnahmenvollzug, in dem er sich zurzeit befinde, gegen die EMRK verstosse. Die Justizdirektion habe diesen Antrag mit Verfügung vom 21. Dezember 2023 abgewiesen, soweit sie darauf eingetreten sei, und damit einen (verfahrensabschliessenden) Teilentscheid gefällt, gegen den die kantonale Beschwerde an das Verwaltungsgericht offenstehe. Da die Justizdirektion ihren Entscheid in diesem Punkt nicht begründet habe, und er diese Verletzung seines rechtlichen Gehörs in seiner kantonalen Beschwerde auch gerügt habe, könne ihm - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nicht vorgeworfen werden, er habe seine Beschwerde an das Verwaltungsgericht nicht genügend substanziiert.  
 
2.3. Die Kritik ist berechtigt: Der Beschwerdeführer behauptete in seinem Rekurs an die Justizdirektion unter anderem, der Vollzug der Verwahrung verletze verschiedene Bestimmungen der EMRK, und beantragte die Feststellung der geltend gemachten Verletzungen. Die Justizdirektion wies diesen Antrag mit Verfügung vom 21. Dezember 2021 ab, soweit sie darauf eintrat, begründete diesen Entscheid aber nicht, sondern hielt lediglich fest, die nachträgliche Anordnung der Verwahrung sei nicht EMRK-widrig. Wenn die Vorinstanz dieses Vorgehen mit der - unzutreffenden - Begründung schützt, der Beschwerdeführer habe seine kantonale Beschwerde materiell nicht hinreichend substanziiert, muss sie sich eine formelle Rechtsverweigerung vorhalten lassen. Der Vorinstanz kann zudem nicht gefolgt werden, wenn sie erwägt, der Beschwerdeführer habe auch noch in einem anderen bei ihr hängigen Verfahren "die Verletzung konventionsrechtlicher Bestimmungen" gerügt, weshalb in jenem Verfahren "über allfällig im Massnahmenvollzug erlittene Verletzungen von Garantien der EMRK" zu befinden sei: Die Vorinstanz spezifiziert nicht, um welche Rügen es sich dabei im Einzelnen handeln soll, und ob bzw. inwiefern sich diese mit den in diesem Verfahren erhobenen Rügen decken sollen.  
 
3.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich hat dem obsiegenden Beschwerdeführer die durch das bundesgerichtliche Verfahren verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen (Art. 68 BGG). Da der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege ersucht, ist die Entschädigung praxisgemäss seinem Rechtsvertreter zuzusprechen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2. Abteilung, Einzelrichter, vom 30. Januar 2024 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, Rechtsanwältin Lena Reusser, für das Verfahren vor Bundesgericht mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. Mai 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern