Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_841/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 7. Juni 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
X.________, 
vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Oswald, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Veruntreuung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 15. Dezember 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Emmental-Oberaargau wirft X.________ vor, er habe ein ihm anvertrautes Fahrzeug Dodge Ram 1500 veräussert, um sich aus dem Erlös zu bereichern. X.________ werden zahlreiche weitere Delikte zur Last gelegt. 
 
B.  
Das Regionalgericht Emmental-Oberaargau sprach X.________ am 15. Januar 2015 der mehrfachen falschen Anschuldigung, des gewerbsmässigen (teilweise versuchten) Betrugs, der mehrfachen Urkundenfälschung, des mehrfachen Diebstahls, des mehrfachen Hausfriedensbruchs, der mehrfachen Hehlerei, der Veruntreuung, des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz entzogenem Führerausweis, der missbräuchlichen Verwendung von Kontrollschildern und des Inverkehrbringens eines Fahrzeugs ohne Versicherungsschutz schuldig. Vom Vorwurf der Sachbeschädigung sprach es ihn frei. Das Regionalgericht verurteilte X.________ zu einer Freiheitsstrafe von 6 3/4 Jahren unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft von 344 Tagen. Zudem verpflichtete es ihn zur Leistung mehrerer Schadenersatzzahlungen. 
Das Obergericht des Kantons Bern hob am 15. Dezember 2015 den Schuldspruch der Veruntreuung (begangen an einem Fahrzeug) auf und sprach X.________ diesbezüglich der unrechtmässigen Aneignung schuldig. Es bestätigte den Schuldspruch der Hehlerei (begangen an einem Laptop). Im Berufungsverfahren unangefochten blieben unter anderem der Schuldspruch der mehrfachen falschen Anschuldigung, des gewerbsmässigen (teilweise versuchten) Betrugs, der mehrfachen Urkundenfälschung, des mehrfachen Diebstahls, des mehrfachen Hausfriedensbruchs, der Hehlerei (begangen an einem Bagger), des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz entzogenem Führerausweis, der missbräuchlichen Verwendung von Kontrollschildern und des Inverkehrbringens eines Fahrzeugs ohne Versicherungsschutz. Das Obergericht erkannte auf eine Freiheitsstrafe von 4 1/2 Jahren unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft von 344 Tagen. 
 
C.  
Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und X.________ im Sinne des Regionalgerichts schuldig zu sprechen. Die Freiheitsstrafe sei auf 6 1/2 Jahre festzusetzen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
D.  
X.________ und das Obergericht beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Streitgegenstand bildet die Verurteilung von X.________ (Beschwerdegegner) wegen unrechtmässiger Aneignung. Die Vorinstanz geht von folgendem Sachverhalt aus (angefochtenes Urteil S. 15 ff.). Der Beschwerdegegner und eine weitere Person suchten anfangs Juli 2011 die Garage A.________ (nachfolgend: Garage) auf, wo sich der Beschwerdegegner für einen Dodge Ram interessierte. Der Beschwerdegegner gab als Leasingnehmerin die Firma B.________ GmbH an, deren Geschäftsführer wenig später die Verträge unterzeichnete. Am 14. Juli 2011 holte der Beschwerdegegner das Fahrzeug ab. In der Folge wurde es mehrheitlich von ihm gelenkt. Der Beschwerdegegner besorgte den Unterhalt und kam für die Verkehrsabgaben sowie Versicherungsprämien auf. 
Am 8. November 2011 löste die Leasinggeberin C.________ AG den Leasingvertrag auf und ordnete die Rückgabe des Fahrzeugs bis zum 11. November 2011 an. Kurz vor Fristablauf wurde das Fahrzeug am 10. November 2011 auf die D.________ GmbH eingelöst (und später bis zur Sicherstellung nochmals viermal weiterverkauft). Die Vorinstanz gelangt zur Überzeugung, dass der Beschwerdegegner auf diese Weise über das Fahrzeug verfügte. Offengelassen wurde, ob der Beschwerdegegner den Dodge Ram direkt der D.________ GmbH oder einer anderen Person übertrug. 
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen handelte es sich bei der B.________ GmbH um eine Mantelgesellschaft ohne wirtschaftliche Tätigkeit. Ihr einziger Zweck war, als "unverdächtige Bestellerin" ihren Namen für die rechtskräftig beurteilten Betrugsdelikte zur Verfügung zu stellen. 
 
 
1.1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Schuldspruch der unrechtmässigen Aneignung und stellt sich auf den Standpunkt, die inkriminierte Tat betreffend das Fahrzeug Dodge Ram sei als Veruntreuung zu qualifizieren. Der Leasingvertrag sei zwischen der C.________ AG als Leasinggeberin und der B.________ GmbH als Leasingnehmerin abgeschlossen worden. Diese sei hingegen eine blosse Mantelgesellschaft, die nur auf dem Papier existiert und als "unverdächtige Leasingnehmerin" gedient habe. Der Beschwerdegegner habe das Fahrzeug ausgesucht, sich um die Formalitäten gekümmert, die schriftlichen Verträge dem Geschäftsführer der B.________ GmbH zur Unterschrift vorgelegt, den Wagen auf deren Namen eingelöst, das Fahrzeug bei der Garage abgeholt, zumindest die erste Leasingrate bezahlt und als Einziger das Fahrzeug benutzt. Nur der Beschwerdegegner allein habe den Gewahrsam über den Dodge Ram erlangt. Er habe gegenüber der Garage faktisch für die B.________ GmbH gehandelt. Zumindest habe er den Anschein erweckt, dass er dazu berechtigt gewesen sei. Die Garage, handelnd für die Leasinggeberin, habe dem Beschwerdegegner das Fahrzeug anvertraut. Unerheblich sei, dass der Beschwerdegegner nicht bei der B.________ GmbH angestellt gewesen sei (Beschwerde S. 3 ff.).  
 
1.2. Die Vorinstanz erwägt, nach den allgemeinen Leasingbedingungen dürfe der Leasingnehmer das Fahrzeug zeitweilig seinen Angestellten mit einem gültigen Fahrausweis, nicht aber an Dritte überlassen. Der Beschwerdegegner sei bei der B.________ GmbH nicht angestellt gewesen, weshalb die Leasingnehmerin ihm das Fahrzeug nicht habe anvertrauen können. Deshalb falle eine Verurteilung wegen Veruntreuung von vornherein ausser Betracht (Entscheid S. 21 f.).  
 
1.3. Nach Art. 138 Ziff. 1 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern. Als anvertraut gilt, was jemand mit der Verpflichtung empfängt, es in bestimmter Weise im Interesse des Treugebers zu verwenden, insbesondere es zu verwahren, zu verwalten oder einem anderen abzuliefern (BGE 133 IV 21 E. 6.2 S. 27 mit Hinweis). Gemäss einer anderen Umschreibung ist anvertraut, was jemand mit der besonderen Verpflichtung empfängt, es dem Treugeber zurückzugeben oder es für diesen einem Dritten weiterzuleiten, wobei der Treugeber seine Verfügungsmacht über das Anvertraute aufgibt (NIGGLI/RIEDO, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 46 zu Art. 138 StGB). Die Werterhaltungspflicht kann auf ausdrücklicher oder stillschweigender Abmachung beruhen (BGE 120 IV 117 E. 2b S. 119 mit Hinweis).  
 
1.4. Den Leasingvertrag vom 7./14. Juli 2011 mit einer dreijährigen Vertragsdauer unterzeichnete der Geschäftsführer der B.________ GmbH. Dieselbe Unterschrift findet sich auf dem Übergabeprotokoll vom 14. Juli 2011 (kantonale Akten pag. 1836 ff.). Danach übergab die Garage das Fahrzeug im Auftrag der Leasinggeberin der B.________ GmbH. Vor Ort war der Beschwerdegegner. Gemäss den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen nahm dieser (allenfalls in Begleitung einer anderen Person, wobei es sich nicht um den Geschäftsführer der B.________ GmbH handelte) den Dodge Ram in Empfang.  
Indem das Fahrzeug dem Beschwerdegegner von der Garage überlassen wurde, erhielt er darüber Verfügungsmacht und wurde ihm der Dodge Ram anvertraut. Bei der Verfügungsmacht handelt es sich um ein faktisches (nicht rechtliches) Verhältnis (vgl. HANS ERNI, Die Veruntreuung, 1943, S. 21 f.; NIGGLI/RIEDO, a.a.O., N. 75 ff. zu Art. 138 und N. 12 ff. zu Art. 139 StGB). Da der Beschwerdegegner das Fahrzeug vorgängig auswählte, die Verträge dem Geschäftsführer der B.________ GmbH zur Unterschrift unterbreitete, das Fahrzeug in Empfang nahm und das Übergabeprotokoll wiederum vom besagten Geschäftsführer unterzeichnen liess, liegt es nahe, dass der Beschwerdegegner im Namen der B.________ GmbH auftrat. Darauf braucht aber nicht näher eingegangen zu werden, ebenso wenig, ob die B.________ GmbH einzig aus Gründen der Kreditwürdigkeit vorgeschoben wurde (dass die Treugeberin im Übrigen getäuscht wurde, stellt die Vorinstanz nicht fest). So oder anders wurde das Fahrzeug dem Beschwerdegegner zur Benutzung überlassen. Unerheblich ist, dass der Beschwerdegegner nicht Vertragspartei des Leasingvertrags war (Vernehmlassung Vorinstanz S. 1, Vernehmlassung Beschwerdegegner S. 2). Ob der Täter die Sache vom Verletzten selbst (hier die C.________ AG durch die Garage) oder von einem Dritten (hier die B.________ GmbH) erhielt, ist für die strafrechtliche Beurteilung nicht wesentlich (BGE 118 IV 32 E. 2a S. 33 mit Hinweisen). Nahm der Beschwerdegegner den Dodge Ram in der ersten Variante für die B.________ GmbH in Gewahrsam, wurde er ihm anvertraut (BGE 72 IV 150 E. 1 S. 153). In Bezug auf die zweite Variante kann der Argumentation der Vorinstanz, wonach die Leasingnehmerin das Fahrzeug dem Beschwerdegegner nicht habe anvertrauen können, weil er nicht Angestellter der Gesellschaft gewesen sei, nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung genügt ein faktisches oder tatsächliches Vertrauensverhältnis (BGE 133 IV 21 E. 6.2 S. 28 mit Hinweisen). Die vertragliche Regelung zwischen der Leasinggeberin und der Leasingnehmerin, wonach das geleaste Fahrzeug nicht beliebigen Dritten, sondern nur Angestellten mit einem gültigen Fahrausweis überlassen werden darf, hat hier keine Bedeutung. Mithin ist irrelevant und hat im Übrigen auf den Unrechtsgehalt der inkriminierten Handlung keinerlei Einfluss, ob die B.________ GmbH dem Beschwerdegegner das Fahrzeug erlaubterweise oder in Missachtung vertraglicher Bestimmungen übergab, bevor dieser seine Treuepflichten verletzte und wie ein Eigentümer über das Fahrzeug verfügte. Ebenso wenig könnte gestützt auf die von der Vorinstanz zitierte allgemeine Vertragsbedingung ein Anvertrauen verneint werden mit dem Hinweis, der fragliche Angestellte der Leasingnehmerin verfüge über keinen gültigen Fahrausweis. 
Der Dodge Ram war dem Beschwerdegegner anvertraut. Im Übrigen stimmt die Veruntreuung im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 1 StGB mit der unrechtmässigen Aneignung nach Art. 137 Ziff. 1 StGB überein. Beim Dodge Ram handelte es sich um eine im Eigentum der Leasinggeberin stehende und deshalb für den Beschwerdegegner fremde bewegliche Sache. Unbestritten ist weiter, dass der Beschwerdegegner wie ein Eigentümer über das Fahrzeug verfügte ("Aneignung") sowie vorsätzlich und mit der Absicht unrechtmässiger Bereicherung handelte (Entscheid S. 21 ff.). Indem die Vorinstanz die Tat des Beschwerdegegners nicht als Veruntreuung im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 1 StGB qualifiziert, verletzt sie Bundesrecht. 
 
2.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 138 Ziff. 1 StGB vorbringt. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Damit erübrigt es sich, die weiteren Rügen betreffend die Strafzumessung näher zu prüfen. 
Der unterliegende Beschwerdegegner wird kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mit Eingabe vom 10. Mai 2017 zurückgezogen. Eine Parteientschädigung ist dem Kanton Bern nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 15. Dezember 2015 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. Juni 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Faga